Alle Jahre wieder – zum Welternährungstag am 16. Oktober stellte die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) ihren aktuellen Welthungerbericht 2009 vor. Und es zeigte sich, dass die Lage noch dramatischer ist als bisher angenommen: Mindestens 1,2 Milliarden Menschen hungern im Jahr 2009, das ist jeder sechste Mensch auf der Erde.
Gefunden von Manfred Scherrmann, Schwäbisch Hall in der Solidarischen Welt, Dezember 2009
Von Isabel Armbrust und Claudia Fix
Nicht sehr innovativ klingt, was die FAO zur Lösung des Problems vorschlägt: Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft weltweit. Insbesondere Kleinbauern sollen Zugang zu qualitativ hochwertigem Saatgut, Düngemitteln, Futtermitteln und Technologien erhalten. Der deutsche Industrieverband Agrar (IVA) griff diese Forderung begeistert auf: „Um die Produktivität der Landwirtschaft auf den vorhandenen Flächen zu steigern, braucht es wirksamen Pflanzenschutz, Düngung und Biotechnologie“, heißt es in seiner Presseerklärung vom 15. Oktober 2009. Doch was ist neu an dieser Strategie zur Verbesserung der Welternährung? Hört sich dies nicht sehr nach „noch viel mehr desselben“ an? Nach der Einbeziehung der Kleinbauern in eine „zweite grüne Revolution“?
Abkehr von der Intensivlandwirtschaft ist notwendig
„Business as usual is not an option!” war das Fazit der Studie des Weltagrarrats, über die wir in der SW schon mehrfach berichteten und deren Kurzfassung seit September endlich als Buch auf Deutsch vorliegt. Über 400 Wissenschaftler und Bauern aus aller Welt rieten zur Abkehr von der Intensivlandwirtschaft, weil der Bodenfruchtbarkeit und den Wasservorräten natürliche Grenzen gesetzt sind. Stattdessen sollen die Kleinbauern bei der Verbesserung lokal angepasster Anbaumethoden gestärkt werden.
Mit gerechterer Verteilung von Land und Wasser, das Hungern beenden
Auch die ASW ist, wie andere entwicklungspolitische Nicht-Regierungsorganisationen (NRO), davon überzeugt, dass nur nachhaltige Lösungen, vor allem eine gerechtere Verteilung von Land und Wasser, das Hungern beenden. Oder, wie es die Organisation Save our Seeds ausdrückte, mit der die ASW im Jahr 2009 mehrfach kooperierte: „Was wir brauchen, sind keine weiteren globalen Produktionssteigerungen (wohl aber lokale), sondern ist vor allem eine Effizienzrevolution. (…) Über 70 Prozent dieser Hungernden leben auf dem Lande. Eine vergleichsweise geringe Steigerung der dort verfügbaren Lebensmittel, erwirtschaftet durch etwas bessere Erträge, etwas weniger Unsicherheit bei der Verteilung von Land und Wasser, etwas geringere Verluste nach der Ernte, etwas bessere soziale Absicherung, besonders bei Missernten, würde ausreichen.“
Mit transgenen Pflanzen dem Klimawandel trotzen?
Innovative Lösungen für Gegenwart und nahe Zukunft zu haben, behaupten auch die großen Agro-Konzerne. Genmanipulierte Pflanzensorten mit mehr Widerstandskraft gegen Hitze, Trockenheit und Kälte, also gegen die klimawandelbedingten Extremlagen, würden auch Kleinbauern zugute kommen und seien eine Antwort auf das Welternährungsproblem.
Eine vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Auftrag gegebene aktuelle Studie „Die Heilsversprechen der Gentechnik-Industrie* zeigt jedoch, dass Monsanto, Syngenta, BASF und andere große Entwickler gentechnisch veränderter Pflanzen, fast ausschließlich an Pflanzeneigenschaften arbeiten, mit denen sie Geld verdienen können: Resistenzen gegen Herbizide und Insekten. Mit herbizidresistenten Pflanzen sichert zum Beispiel der Konzern Monsanto sein Kerngeschäft, den Absatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln. So wird die gentechnisch veränderte Sojasorte Roundup-Ready grundsätzlich im Doppelpack mit dem Herbizid Roundup-Ready verkauft.
Pflanzensorten mit größerer Trockenheits-, Hitze- oder Kälteresistenz entwickeln
Dagegen steckt die Entwicklung von Pflanzensorten mit größerer Trockenheits-, Hitze- oder Kälteresistenz noch in den Kinderschuhen. In absehbarer Zeit, so das Ergebnis der BUND-Studie, werden solche Pflanzen nicht zur Marktreife kommen. Insofern ist die PR-Strategie der Konzerne, Gentechnik als Antwort auf Welthunger und Klimawandel zu preisen, der Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen.
Denn noch stehen große Teile der Bevölkerung in Europa der Gentechnik sehr kritisch gegenüber. Die deutsche Politik fährt dagegen einen Schlingerkurs: wurde der Anbau der gentechnisch veränderten Maissorte MON 810 von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner im April 2009 verboten, so erlaubte sie nur zwei Wochen später den Versuchsanbau der Genkartoffel Amflora. In den USA und in vielen Ländern des Südens, auch in den ASW-Projektländern Brasilien und Indien, sind gentechnisch veränderte Pflanzen längst auf den Feldern.
Die Tücken der Bt-Baumwolle in Indien
In Indien wurde der Anbau gentechnisch veränderter Baumwolle bereits 2002 zugelassen. Heute stehen auf fast der Hälfte der gesamten Baumwollanbaufläche des Subkontinents transgene Bt-Baumwollpflanzen, die gegen den Bollwurm resistent sein sollen. Doch Studien von indischen Wissenschaftlern zeigen deutlich, dass für kleinbäuerliche Produzenten der Anbau dieser Genbaumwolle keine Vorteile bringt. Im Gegenteil: in den Baumwollanbauregionen der Bundestaaten Andhra Pradesh und Maharashtra ist die Zahl der Bauernselbstmorde nach der Einführung der Bt-Baumwolle deutlich nach oben gegangen. Der Pestizidverbrauch ist – entgegen der Versprechungen von Monsanto – bei Bt-Sorten nur geringfügig niedriger als bei konventionellen Sorten, die Kosten für das Saatgut aber deutlich höher. Die gegen den Bollwurm resistente Pflanze ist in der Spätphase ihrer Reifung besonders anfällig gegen andere Baumwollparasiten und Pilze. Durch die geringe Widerstandskraft der Pflanze gegen Wetterextreme fällt in „schlechten“ Jahren die Ernte geringer aus als bei konventionellen Sorten.
In Indien völlig überhöhte Preise für das Saatgut der BT-Baumwolle
In Andhra Pradesh war die wirtschaftliche Lage der kleinen BT-Pflanzer nach den ersten Anbaujahren so dramatisch, dass die Regierung des Bundesstaates das Unternehmen Mahyco-Monsanto – vergeblich – zu Entschädigungszahlungen an die getäuschten Käufer des Saatgutes verpflichten wollte. 2005 verbot das Landwirtschaftsministerium den Verkauf von drei Bt-Sorten. Der Konzern hat diese inzwischen durch neue Varietäten ersetzt. Immerhin aber verpflichtete ihn die Kartellbehörde von Andhra Pradesh, die in Indien völlig überhöhten Preise für das Saatgut der BT-Baumwolle auf das chinesische Niveau zu senken.
Schleichende Kontaminierung der konventionellen Sorten
Doch ebenso folgenschwer wie die ökonomischen Folgen des Gensaatguts sind, ist die schleichende Kontaminierung der konventionellen Sorten mit den neuen Genen. Sowohl bei der konventionellen Baumwolle in Indien wie bei Mais in Brasilien oder Mexiko lässt sich das Erbgut der transgenen Verwandten nachweisen.
Gensoja und Genmais gefährden Brasiliens Kleinbauern
In unserem Projektland Brasilien wurden gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sozusagen durch die Hintertür eingeführt. Das Gesetz zur Biologischen Sicherheit von 1995 verbot den Handel mit GVO, und Brasiliens Präsident Lula sprach sich im Wahlkampf 2002 noch eindeutig gegen GVOs aus. Zu diesem Zeitpunkt wuchsen aber auf Südbrasiliens Sojafeldern längst Monsantos Roundup-Ready–Sojapflanzen. Sie waren seit Ende der 1990er Jahre aus Argentinien nach Südbrasilien geschmuggelt worden – und Monsanto hatte dieser illegalen Verbreitung bereitwillig zugesehen.
„Gesetz für biologische Sicherheit“
2005 wurde der kommerzielle Anbau von Gensoja und Genmais in Brasilien von dem „Gesetz für biologische Sicherheit“ offiziell legalisiert. Einer der Gründe war die 2003 von der Europäischen Union eingeführte Kennzeichnungspflicht. Um weiter in die EU exportiert werden zu können, musste das brasilianische Soja als gentechnisch verändert oder gentechnikfrei deklariert werden. Doch die Erfahrungen der kleineren brasilianischen Sojafarmer sind nicht wesentlich anders als die der indischen Baumwollproduzenten: die Ernteergebnisse bleiben hinter den Erwartungen zurück, insbesondere nachdem sich der Preis für das Herbizid Roundup mehr als verdoppelte.
Ernährung der Bevölkerung gefährdet
2008 wurde der kommerzielle Anbau von gentechnisch verändertem Mais erlaubt. Seither wurden zahlreiche Fälle gemeldet, in denen traditionelle Maissorten aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft von den Transgenen von MON 810 oder von Liberty Link von Bayer kontaminiert wurden. Da Mais in Brasilien ein Grundnahrungsmittel ist, fürchten große Netzwerke wie ASA um die Ernährungssicherheit der Bevölkerung.
Burkina Faso als Testgelände für gentechnisch veränderte Organismen (GVO)
Das ASW-Projektland Burkina Faso wird von Monsanto seit 2001 zum Sprungbrett für GVO in andere westafrikanische Länder aufgebaut. Nachfolgend abgedruckter Artikel beschreibt, wie der weltweit größte Hersteller von GVO die Regierung und alle wichtigen Akteure im Baumwollsektor für den kommerziellen Anbau der Bt-Baumwolle gewinnen konnte und wie sich Widerstand gegen das gefährliche Spiel mit der Zukunft der Bauern formiert.
Die ASW wird sich im kommenden Jahr intensiv mit dem Thema Gentechnik, mit dem bäuerlichen Widerstand gegen die Agrokonzerne und mit Ernährungssouveränität befassen. In der Märzausgabe der SW 2010 werden wir ausführlich berichten.
Infos zur Arbeit der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) unter: http://www.aswnet.de/