Er begann in linken Buchhandlungen, WGs und Bioläden – und führte direkt in die politische Mitte: Niemand symbolisiert den Weg der Grünen von der Protest- zur Funktionärspartei besser als Joschka Fischer und Claudia Roth.
Gefunden von Axel Wiczoke, Hohenlohe-ungefiltert
Ein schöner Abgesang (oder was auch immer) auf Die Grünen. Von den Anmerkungen zur Person Joschka Fischers:
„Auf den grünen Zug in die Politik sprang Fischer erst, als dieser bereits rollte. Doch exakt das blieb ein vorherrschendes Signum im Leben des Joschka Fischer: Er nahm Entwicklungen keineswegs früh vorweg, er reihte sich ein, wenn die ersten bereits aufbrachen – aber dann setzte er sich zielstrebig und hemdsärmelig an die Spitze der Kolonne.
Und er – im katholischen Glauben großgeworden – stieg sogleich auf die Kanzeln der Bewegungen, um die neuen Märsche mit dem Pathos von Vorsehung, historischer Notwendigkeit und persönlichem Beispiel zu begründen. In seinem Politikerleben verfasste er gleich mehrere pathetische Drehbücher erschütternder Läuterung. Immer war es ein äußerst schmerzhafter Lernprozess, eine leidvolle Trennung vom Früheren, fast wie aus einer antiken Tragödie entsprungen. Fischer begab sich, wenn er changierte, auf den langen Lauf zu sich selbst: von ganz dick zu ganz dünn – und umgekehrt.
Selbst im gemäßigten Bürgertum war man am Ende mit Fischer versöhnt. Seine Biografie war zu einem weiteren Beweis für die alte bürgerliche Anthropologie geworden: Man mochte als Jugendlicher radikal und links sein, doch das hielt nicht an, wenn man älter wurde, im Beruf Erfolge aufwies, Familien gründete. Letzten Endes würden sie alle vernünftig werden, konservativ, staatstragend, ordentlich gekleidet, das Eigentum achtend. So hatten es die konservativen Väter schon Ende der sechziger Jahre ihren rebellierenden Kindern prophezeit. Sie hatten Recht behalten. Die verlorenen Söhne kehrten zurück. Und so mochten sie ihn zu guter Letzt alle – ihren Joschka.“
Bis hin zur Beschreibung ihrer heutigen Klientel – sehr treffend:
„Der Kern der grünen Anhängerschaft hatte privilegierte Positionen erreicht und goutierte sie jetzt. Das Rebellionsmilieu von 1983, als noch zwei Drittel der Grün-Wähler ohne Erwerb war, hatte sich im nachfolgenden Vierteljahrzehnt zum Elitenmilieu gewandelt und ist nun im Jahr 2010 zum Statusmilieu des avancierten Bildungsbürgertums der 1950er und 1960er Geburtsjahrgänge geworden.
Indes: Die postmaterialistischen Bürger bilden eine durchaus schwierige Anhängerschaft. Diese Gruppe gibt sich anspruchsvoll. Sie verlangt nach Exklusivität und hat deshalb mit den nivellierenden Volksparteien nichts am Hut. Gerade von den Grünen erwarten sie einen Schuss – aber nie zu viel – Unkonventionalität: Ihre präferierte Partei soll den eigenen neuen pragmatischen Realismus widerspiegeln, aber doch nicht ganz auf jede Transzendenz der früheren Jugendzeit verzichten. Ihre Partei muss professionell sein, darf aber nicht vollständig des Charmes der Basisdemokratie entbehren. Ihre Partei soll auf enervierende Flügelauseinandersetzungen verzichten, gleichwohl durch eine offene Diskurskultur die anderen Parteien ausstechen. Und so weiter.
Das arrivierte postmaterialistische Bürgertum wünscht sich einen kulturell reizvollen, nonkonformistischen Realismus oder besser noch: einen realistischen Nonkonformismus.“
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,670152,00.html