Irena Maria Baran und ihre Familie vor dem Gedenkschild an ihren Vater Czeslaw Trzcinski.
Irena Maria Baran, geborene Trzcińska, besuchte vor kurzem auf Einladung von Udo Grausam das Grab ihres Vaters Czesław Trzciński im Gräberfeld der Universitätsanatomie auf dem Stadtfriedhof von Tübingen. Außerdem suchte sie mit ihrer Familie das Gelände der Hinrichtung ihres Vaters bei Rappach in der Gemeinde Bretzfeld im heutigen Hohenlohekreis auf.
Vom Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V., Regionale Arbeitsgruppe Baden-Württemberg, Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen
Der Besuch
Irena Baran legte in Tübingen einen Blumenstrauß des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie auf das Grab und stellte ein mitgebrachtes Grablicht auf. Sie selbst, ihr Ehemann Eugeniusz Baran, ihr Sohn Radosław Baran und ihr Enkel Tomasz Baran beteten dort und gedachten des Toten.
Irena Baran dankte den Vereinsmitgliedern Esther Peylo und Udo Grausam für den Hinweis auf das Grab. Zum ersten Mal seit ihrer Geburt im Februar 1939 besuche sie das wirkliche Grab ihres Vaters. Sie schilderte, wie die Familie bisher am Todestag von Czesław Trzciński zu seinem Gedenken auf den Friedhöfen von Łódź und Będzin am Kreuz für die Personen ohne Grab Kerzen aufstellte und betete. Der Besuch in Tübingen bedeute für sie Trauer um ihren Vater und Abschied von ihm. Sie erfahre auch eine Art Abschluss ihrer Lebensgeschichte in Bezug auf ihre Eltern.
Irena Baran bemerkte die Stille über dem Gräberfeld, das einfach aber angemessen hergerichtet sei. Sie wünsche sich, dass auch Angehörige von anderen dort Bestatteten diesen Ort besuchen könnten. Sie bat darum, das mitgebrachte Grablicht zwischen Allerheiligen und dem Todestag des Vaters am 11. November wieder anzuzünden. Udo Grausam versprach, dies zu tun.
Czesław Trzciński wurde in Bretzfeld-Rappach aufgehängt
Am zweiten Tag ihres Besuches suchte die Familie die Hinrichtungsstelle in Rappach in der Gemeinde Bretzfeld im baden-württembergischen Hohenlohekreis auf. Czesław Trzciński war dort, an seinem ehemaligen Arbeitsort, außerhalb des Dorfes in einem Geländeeinschnitt von der SS aus dem „Polizeigefängnis“ Welzheim aufgehängt worden. Ein Nachfahre aus der Familie seines Arbeitgebers legte zum Zeichen der Verbundenheit mit der Familie Baran im Gelände eine Rose nieder.
Die Vorgeschichte
Vor ihrem Besuch hatte Irena Maria Baran eine Sammlung von historischen Dokumenten über den Vater Czesław Trzciński und Erinnerungen aus der Familie seines Arbeitgebers erhalten, außerdem einige Bilder vom Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs. Die Sammlung war seit 2002 entstanden durch Recherchen im Universitätsarchiv Tübingen, im Staatsarchiv Ludwigsburg, bei der Deutschen Dienststelle Berlin und beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen. Der Band von 40 Seiten ist zur besseren Verständlichkeit für die Familie Baran mit einer polnischen Einladung versehen.
Der ehemalige Kriegsgefangene und „Zivilpole“ Czesław Trzciński wurde von seinem Arbeitgeber in Rappach angezeigt und Ende Oktober 1942 als „Volksschädling“ in das „Polizeigefängnis“ Welzheim in der Nähe von Stuttgart eingeliefert. Spätere Aussagen einer Zeitzeugin lassen vermuten, dass bei der Hinrichtung in Rappach am 11. November 1942 die Bürgermeister der umliegenden Ortschaften beteiligt waren. Sie führten die Polen aus ihren Dörfern zur Hinrichtungsstelle und zwangen sie dazu, Augenzeugen des Mordes zu werden. Vermutlich hatte der Landrat des Kreises sie dazu aufgefordert. Ein solches Vorgehen ist in mehreren Quellen für weitere Hinrichtungen anderswo belegt.
Die Exekution von Czesław Trzciński muss wegen der antipolnischen Gehässigkeit der Datumswahl am 11. November 1942 als Mord bezeichnet werden. Ziel war offenbar die Demütigung, Verhöhnung und Einschüchterung der Polen an ihrem Nationalfeiertag. Der Hinrichtungstag 11. November war (und ist) der polnische Unabhängigkeitstag, von 1918 bis 1939 und heute wieder der Nationalfeiertag. Bereits 1941 waren an diesem Tag in Welzheim die beiden Polen Franciszek Dembinski und Stefan Szczepaniak gehenkt worden. Den niederen Beweggrund der Hinrichtung müssen die Bürgermeister der Rappacher Umgebung erkannt haben. Denn die meisten hatten den 11. November 1918 selbst erlebt; als Katastrophe der deutschen Kriegsniederlage. Es muss ihnen klar gewesen sein, dass die Stuttgarter und Welzheimer Gestapo am 11. November 1942 an Czesław Trzciński den für Deutschland negativen Ausgang des Ersten Weltkrieges gerächt hat. Sie müssen sich als Erfüllungsgehilfen dieser Rache erkannt haben. Bisher konnte die Gedenkinitiative des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung und kein Gerichtsverfahren gegen die Mörder von Czesław Trzciński und ihre Gehilfen nachweisen. Der Mord scheint juristisch ungesühnt geblieben zu sein.
Irena Baran schaltete 1989 bei der Suche nach ihrem Vater das Rote Kreuz ein
Irena Maria Baran hatte 1989 das Polnische Roten Kreuz um Auskunft über ihren Vater gebeten. Der eingeschaltete Internationale Suchdienst in Bad Arolsen übermittelte den 11. November 1942 als den Todestag, den Ort Rappach als den Sterbeort und die Exekution als die Todesursache. In der Nachricht fehlte aber offenbar der Hinweis auf das Grab in Tübingen, so erzählte Irena Baran beim Besuch. Dabei war bereits 1980 die Grabstelle durch eine Bronzetafel mit dem Namen von Czesław Trzciński bezeichnet worden. Außerdem hatte 1987 die Historikerin Benigna Schönhagen in ihrem Buch über das Gräberfeld X in Tübingen den Namen genannt. Es scheint in der Auskunft an die Frau Irena Maria Baran der Hinweis auf das Grab ihres Vaters versäumt worden zu sein. Unsere Gedenkinitiative erfuhr im Herbst 2008 von der Suche der Familie nach Czesław Trzciński und ließ über den Suchdienst eine Einladung zu einem Totengedenken in Tübingen aussprechen.
Uni Tübingen nutzte die Leichen der Hingerichteten zu Versuchszwecken
Auf dem Gräberfeld X des Tübinger Stadtfriedhofs, dem Leichenfeld der Universitätsanatomie, sind mehrere Denkmäler zu sehen: drei Grabkreuze von 1952, die nur die Aufschrift „1939 – 1945“ tragen, eine Steinplatte von 1960 mit einem Text, dann sechs Bronzetafeln von 1980 mit den Namen von 517 NS-Opfern und eine Gedenktafel von 1990, auf der die Universität Tübingen ausdrücklich ihre Verantwortung an der Ausbeutung der Leichen bekennt.
Unsere Initiative in der Gemeinde Bretzfeld im Hohenlohekreis
Seit Jahr 2002 hat unser Mitglied Udo Grausam in Rappach und in der Gemeinde Bretzfeld mehrere Veranstaltungen zum Gedenken an Czesław Trzciński durchgeführt: einen Vortrag, zwei Seminare, eine Filmvorführung und zwei Mahnwachen. Unterstützt wurde er dabei von der Regionalen Arbeitsgruppe Baden-Württemberg durch den persönlichen Einsatz der Mitglieder und durch eine Entschließung der Mitgliederversammlung von 2004. Besonders zu danken ist unserem Sprecher, Dr. Alfred Geisel aus Aalen, für seine persönliche Anwesenheit bei zwei Veranstaltungen und für seine wiederholte Fürsprache beim Bürgermeister der Gemeinde Bretzfeld. Auch die Europaabgeordnete des zugehörenden Wahlkreises Schwäbisch Hall-Hohenlohe, unsere Vereinskollegin Evelyne Gebhardt, hat in einem Brief den Bürgermeister Föhl der Gemeinde Bretzfeld um Unterstützung der Initiative gebeten.
Dem Bretzfelder Gemeinderat ist inzwischen mehrfach vorgeschlagen worden, ein Gedenkzeichen an Czesław Trzciński aufzustellen. Das Straßenschild „Trzcinskiplatz“ ist der Gemeinde als Spende angeboten worden. Seit 2006 steht das Schild in Bretzfeld in einem privaten Vorgarten und kann von Passanten gelesen werden.
Bei ihrem Besuch haben Irena Maria Baran und ihre Familie das Schild besichtigt. Sie gestatten unserer Initiative die weitere Verwendung zum Gedenken an den Vater und halten es als öffentliches Zeichen des Eingedenkseins für angemessen. Die Familie Baran will das Gedenken!
(Übersetzung der Gespräche von Elżbieta Mauch und Marek Wojciechowski)