Die ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, hat den deutschen Medien vorgeworfen, sie würden im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine die Bevölkerung zunehmend mangelhaft oder gar falsch informieren, unerwünschte Fakten unterschlagen oder als „russische Propaganda“ abqualifizieren, um Weltbilder zu produzieren, in denen es nur noch „Gut und Böse“ gibt – wobei selbstredend der Westen und die Regierung in Kiew „gut“ und Putin plus die „Separatisten“ in der Süd- und Ostukraine „böse“ sind. Ich möchte das im Folgenden an drei Beispielen erläutern.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Fall 1: Die Erschießung von Zivilisten durch die national-ukrainische Einheiten im Raum Slovyansk
Ein Beispiel für das völlige Desinteresse bundesdeutscher Mainstreammedien ist der Tod von unbewaffneten Zivilisten in dem Dorf Andreevka, in der Nähe von Slanvyansk. Darüber berichtet der britische Guardian am 4. Mai 2014: „Anwohner sagen, dass die ukrainische Armee auf unbewaffnete Zivilisten schoss, die eine unbewaffnete Menschenkette bildeten, in der Nähe einer Straßensperre am Rand des Dorfes Andreevka, nur wenige Kilometer entfernt. „Sie töten friedliche Bürger“, sagte Igor, ein Landarbeiter aus dem Dorf, der in einem Slavyansker Krankenhaus behandelt wurde – wegen einer Verletzung durch einen Granatsplitter.“ Auch der britische „Independent“ berichtet darüber: „Das Dorf Andrievka, im Großraum Slovyansk, war am Freitag Schauplatz einer Konfrontation zwischen ukrainischen Kräften und örtlicher Bevölkerung. Dies zog sich über Stunden hin, manchmal erhitzt, aber immer gewaltlos. Aber dann nach 20 Uhr, ging irgendetwas schief. Die Schießerei forderte, nach unterschiedlichen Angaben, sieben bis zehn Tote und 20 Verletzte.“
Deutsche Medien berichteten nicht
Bundesdeutsche Medien nehmen von diesen Tötungen von Zivilisten schlicht keine Notiz. Nicht vorstellbar, was losgewesen wäre, wenn die „russischen Separatisten“ die Täter und Kiews freundliche Zivilisten die Opfer gewesen wären.
Fall 2: Die Geschichte mit den angeblichen OSZE-Beobachtern
Dass es sich bei der von Rebellen in Slavyansk festgenommen Gruppe um OSZE-Beobachter handelte, war für Regierungspolitiker und Mainstreammedien klar. Sie ließen sich dabei nicht von der Aussage des Vizechefs des OSZE-Krisenpräventionszentrums Claus Neukirch beeindrucken, der in einem Interview mit dem ORF festgestellt hatte: ”Ich muss aber auch sagen, dass es sich genau genommen nicht um Mitarbeiter der OSZE handelt, sondern es sind Militärbeobachter, die bilateral dort unter einem OSZE-Dokument tätig sind.“ Wider besseres Wissen behaupteten führende bundesdeutsche Politiker weiterhin, bei den gefangen gesetzten Personen handle es sich um OSZE-Militärbeobachter und normalerweise für ehrbar gehaltene Sendungen wie Tagesschau oder Tagesthemen hielten sich an den Regierungssprech. Zwar hatte die Linkspartei in mehreren Erklärungen die regierungsamtliche Version in Zweifel gezogen und Fragen hinsichtlich den wirklichen Einsatzzielen der Gruppe aufgeworfen – aber im Stile von „Embedded Journalism“ übergingen die Pressemenschen mit dem engen Band zur Politik solch lästige Fragen.
Militärische Aufklärung unter diplomatischem Deckmantel
Auch als klar war, dass es sich nicht um eine OSZE-Beobachtergruppe handelte, sondern um eine Gruppe von militärischen Inspekteuren, die auf Basis einer bilateralen Vereinbarung zwischen Deutschland und der Ukraine in der Ostukraine unterwegs waren, sprach man weiter von „OSZE Beobachtern“. Hinsichtlich der Aufgabenbeschreibungen ließ man sich von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bereitwillig mit der Leerformel abspeisen, Aufgabe der Beobachter sei es, „für Transparenz und Vertrauensbildung zu sorgen“. Dabei hatte vor Beginn des Einsatzes der Leiter der Gruppe, der Bundeswehr-Oberst Axel Schneider, die Einsatzziele in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk offen benannt. Es gehe darum, sich „rasch und schnell ein Bild“ von der Verfassung der ukrainischen Streitkräfte machen zu können, von der „Schlagkraft der Einheiten“, und „in welchem Zustand die sind und was sie leisten können“. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Mission der militärischen Aufklärung unter diplomatischem Deckmantel. Für etwaige militärische Planungen will sich die NATO ein eigenes Bild davon machen, welche Truppenteile der ukrainischen Armee im Falle des Falles verlässlich sind.
Militärberater möglicherweise vom BND präpariert
Erst nach der Freilassung der Gruppe und einem kritischen Interview des CSU-Abgeordneten Gauweiler nahm die Presse die kritischen Fragen auf: Warum gerade Slavjansk? Was genau war der Auftrag? Und jetzt meldete die „Süddeutschen Zeitung“, dass die Militärberater möglicherweise vor Beginn ihrer Expedition vom BND präpariert wurden. Was bleibt unter dem Strich? Verteidigungsministerin von der Leyen und Außenminister Steinmeier haben den Verdacht bestärkt, den auch die Aufständischen in Slawjansk hatten, nämlich dass die Beobachter unter dem Deckmantel der bilateral vereinbarten Mission diese ausspähen sollten, indem sie deren „militärisches Potenzial“ erkundeten. Dafür sind diese Missionen nach dem Wiener Dokument der OSZE jedoch nicht vorgesehen. Den Kollateralschaden, den Deutschland und Ukraine hier begangen haben, schiebt man allein den Aufständischen – und wie immer den Russen – zu.
Fall 3: Das Massaker von Odessa
Am 2. Mai 2014 hatten im südukrainischen Odessa ukrainische Nationalisten, bei starker Beteiligung des faschistischen „Rechten Sektors“, ein Massaker an ihren Gegnern angerichtet. Nach Auseinandersetzungen rund um eine Demonstration der ukrainischen Nationalisten hatten diese zunächst ein Zeltlager von Gegnern der Regierung in Kiew vor dem Gewerkschaftshaus mit Molotow-Cocktails angriffen und in Brand gesetzt. Die zirka 250 Aktivisten des Protestcamps, viele davon Ältere und Frauen, waren unbewaffnet und den rund eintausend gut organisierten Angreifern hoffnungslos unterlegen.
Schusswaffen, Gasgranaten und Molotowcocktails
Unter Einsatz von Schusswaffen, Gasgranaten und Molotowcocktails trieben die ultranationalistischen Angreifer die Menschen in das Gewerkschaftshaus, nachdem das Zeltlager abgebrannt worden war. Doch die Zufluchtsstätte wurde zu einem Massengrab, als die Faschisten unter Parolen wie „lasst sie uns abfackeln“ oder „alle bis auf den Letzten umbringen!“ Feuer legten und dafür sorgten, dass niemand die Ausgänge verlassen konnte. Herbeieilende Feuerwehrwagen wurden von den Maidan-Anhängern in Beschlag genommen, um den Löscheinsatz zu verhindern.
Verbrannt, erstickt, zerschmettert
Über 30 in dem Haus eingeschlossene Menschen verbrannten, erstickten oder starben, als sie sich durch einen Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen wollten. Einige Menschen wurden, nach dem Sprung aus dem Fenster schwerverletzt am Boden liegend, von den Nationalisten totgeschlagen. Während all der Zeit sah die Polizei tatenlos zu und ließ den faschistischen Mob gewähren.
Erschreckendes Ausmaß von Rohheit und Unmenschlichkeit
Die ersten Reaktionen von Seiten des Regimes in Kiew auf das Massaker in Kiew zeigen, dass man in Kiew sehr wohl wusste, wer die Täten und wer die Opfer waren. Die ukrainische Ex-Regierungschefin und Präsidentenkandidatin Julia Timoschenko hat die Verbrennung von Menschen in Odessa als „Schutz administrativer Gebäude“ und den Überfall der Radikalen auf ein Anti-Maidan-Lager als „friedliche Demonstration“ bezeichnet. Insgesamt wurde aus den Stellungnahmen regierungsnaher Kreise zu dem Massaker ein solch erschreckendes Ausmaß von Rohheit und Unmenschlichkeit offenkundig, dass sogar dem ansonsten prowestlichen Spiegel-Online unwohl wurde. Dort hieß es „verstörend ist die Sprache, die Behörden und Medien angesichts der Katastrophe wählen. Während in Odessa Menschen verbrannten, meldeten ukrainische Medien geradezu triumphierend, ‚Patrioten`‘ hätten die Separatisten zurückgeschlagen`. Man sei dabei, sie erfolgreich auszuräuchern`
Bewusste Falschmeldungen
Als die ukrainische Regierung merkte, dass das Massaker selbst im Westen eine gewisse Betroffenheit ausgelöst hatte, schwenkte sie um. Nun machte man allen Tatsachen zum Trotz Anhänger des früheren Staatschefs Janukovitsch verantwortlich. Ex-Regierungschefin Julia Timotschenko schwenkte auf dieselbe Linie ein und behauptete, für die Zusammenstöße sei der russische Geheimdienst verantwortlich.
Neuer Tiefpunkt in der Ukraine-Berichterstattung deutscher Massenmedien
Das Pogrom von Odessa steht auch für einen neuen Tiefpunkt in der Ukraine-Berichterstattung der deutschen Massenmedien. Seit Tagen weigern diese sich beharrlich, den Ablauf sowie die Mörder klar zu benennen. So hätten sich „Kontrahenten in Odessa schwere Straßenschlachten“, geliefert, „dabei wurde das zentrale Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt, wo Dutzende Menschen starben“, lautet eine der Formulierungen, mit der Täter und Opfer unkenntlich gemacht werden.
Propaganda pur
Regimefromme Medien haben offenbar die wirtschaftlichen und militärischen Interessen der politischen Führung so sehr zu eigen gemacht, dass sie auch noch die Restbestände von journalistischer Sorgfaltspflicht und kritischer Distanz zugunsten einer vorbehaltslosen Parteinahme für die wegen ihrer „prowestlichen Haltung“ hierzulande unterstützte Zentralregierung in Kiew fallen lässt. Das ist keine ausgewogene Berichterstattung. Das ist Propaganda pur.