„Die dunkle Seite der Reformation: Das Verhältnis Martin Luthers und des Protestantismus zu den Juden“ – Steleneinweihung in Crailsheim

Der Crailsheimer Reformationsweg wächst um eine weitere Station. Am Donnerstag, 26. März 2015, um 11 Uhr wird im Bereich der früheren Synagoge in der Adam-Weiß-Straße (hinterm Hotel Post-Faber) eine Stele vorgestellt, die sich mit einem der dunkelsten Kapitel der Reformationsgeschichte befasst, dem Verhältnis Martin Luthers und des Protestantismus zu den Juden.

Von der Stadtverwaltung Crailsheim

Luther wollte Juden zunächst bekehren

Luthers Haltung zur jüdischen Minderheit in Deutschland unterschied sich zunächst deutlich von der strikten Ablehnung durch die mittelalterliche Kirche, die in ihnen vor allem die „Gottesmörder“ sah. Luther erkannte die Juden als Glaubensgenossen Jesu an und trat ihnen zunächst durchaus mit Offenheit und Sympathie entgegen. Allerdings verband er damit die Erwartung, dass die Juden zum christlichen Glauben finden würden, nun, nachdem er durch die Reformation von „Missbräuchen“ gereinigt worden war. Als sich diese Hoffnung nicht erfüllte, wandelte sich seine Haltung nach und nach in tiefen Hass gegen die Juden. In mehreren Schriften forderte er die Zerstörung ihres Eigentums, ihre Vertreibung und die gewaltsame Auslöschung aller Erinnerung an sie.

Vorgeschichte der Vernichtung der jüdischen Gemeinde in Crailsheim

Auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Crailsheim litten über Jahrhunderte unter dieser religiös begründeten Ablehnung und den daraus erwachsenden diskriminierenden Maßnahmen. Der Antijudaismus aller christlichen Konfessionen lieferte im 19. und 20. Jahrhundert den antisemitischen Bewegungen reichlich Argumentationshilfen und gehört damit zur Vorgeschichte der Vernichtung der jüdischen Gemeinden in fast ganz Europa, auch in Crailsheim, in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945).

Steleneinweihung am Donnerstag, 26. März 2015, um 11 Uhr:

Die neue Station, die elfte im Ablauf des Crailsheimer Reformationsweges, wird wieder mit einer kleinen öffentlichen Veranstaltung vorgestellt. Sie beginnt am Donnerstag, 26. März 2015, um 11 Uhr am ehemaligen Synagogenplatz. Alle Interessierten sind dazu eingeladen.

Weitere sechs Stationen folgen bis zum großen Reformationsjubiläum 2017

Mit der neuen Stele wird das Projekt „Reformationsweg“ zur Hälfte fertiggestellt sein. Weitere sechs Stationen werden bis zum großen Reformationsjubiläum 2017 folgen. Wie die meisten der anderen Standorte wurde auch die Realisierung von Station 11 durch eine großherzige Spende ermöglicht. Sie stammt von Dr. Konrad Wetzel.

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„Unsern Helden“ – Vortrag über Kriegerdenkmale im Altkreis Crailsheim

Anders als der Zweite Weltkrieg hinterließ der Erste Weltkrieg kaum Spuren an der „Heimatfront“. Wichtigste Zeugnisse sind bis heute die Kriegerdenkmale auf Friedhöfen oder öffentlichen Plätzen. Am Montag, 23. März 2015, ab 19.30 Uhr, stehen sie im Mittelpunkt eines Vortrages beim Crailsheimer Historischen Verein. Dr. Christoph Bittel spricht im Rathaus-Forum in den Arkaden unter dem Titel „Unsern Helden“ über Denkmale für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs im Altkreis Crailsheim.

Von der Stadtverwaltung Crailsheim

Viele wurden im Ausland begraben

Der Erste Weltkrieg kostete weltweit rund zehn Millionen Soldaten und etwa sieben Millionen Zivilisten das Leben, über 20 Millionen Menschen waren verwundet worden. Allein 1159 Gefallene waren aus dem Altkreis Crailsheim zu beklagen. Die meisten deutschen Soldatengräber lagen weit entfernt jenseits der Reichsgrenzen – nach Kriegsende meist aus finanziellen Gründen unerreichbar für die Familien, die Kriegsopfer zu beklagen hatten. Die bald erfolgte Aufstellung öffentlich zugänglicher kommunaler Gefallenendenkmale und Gedenksteine mit den Namen der Toten entsprach daher den Wünschen vieler Hinterbliebener.

Über 30 Gefallenendenkmale in Crailsheim und Umgebung

Dr. Christoph Bittel stellt eine Auswahl von über 30 Gefallenendenkmalen in Crailsheim und Umgebung aus den 1920er Jahren vor. Er beschäftigt sich mit den Motiven, Widmungen, Entwerfern, Auftraggebern und Veränderungen der einzelnen Monumente.

Kurzinformation:

Vortrag „Unsern Helden“ des Historikers Christoph Bittel am Montag, 23. März 2015, 19.30 Uhr, Crailsheim, Rathaus, Forum in den Arkaden

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„Athen fordert zu Recht die Rückzahlung von Zwangskrediten“ – Interview mit dem Historiker Hagen Fleischer auf der Internetseite von tagesschau.de

Der Historiker Hagen Fleischer meint, Athen fordere von Berlin zu Recht die Rückzahlung von Zwangskrediten. Deutschland nehme die Griechen aber nicht ernst. Das sorge vor dem historischen Hintergrund für böses Blut, so Fleischer im Gespräch mit tagesschau.de.

Informationen zugesandt von einem Hohenlohe-ungefiltert-Leser

Zum ganzen Artikel auf der Internetseite von tagesschau.de:

http://www.tagesschau.de/ausland/nsbesatzung-griechenland-101.html

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„Bürger sind umfassend zu informieren“ – Bürgermeister Böhnel spricht sich klar gegen Geheimniskrämerei im Gemeinderat Mulfingen aus

Unter der Überschrift „Öffentlichkeitsarbeit des Gemeinderats“ hat sich der Mulfinger Bürgermeister Robert Böhnel im Oktober 2014 in einem ganzseitigen Schreiben im Gemeindemitteilungsblatt an die Bürgerinnen und Bürger seiner Gemeinde gewandt. „In einer modernen Demokratie haben die Bürger Anspruch darauf, den Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung verfolgen zu können“, schrieb Böhnel. Der Bürgermeister hatte sich dagegen ausgesprochen,  das Thema „Berichterstattung im Gemeindemitteilungsblatt“ in nichtöffentlicher Gemeinderatssitzung zu behandeln. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht das bemerkenswerte Schreiben in voller Länge.

Informationen zusammengestellt von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Das Schreiben von Bürgermeister Robert Böhnel, Mulfingen:

Öffentlichkeitsarbeit des Gemeinderats

Ein wenig anders als üblich, verlief unsere letzte Gemeinderatssitzung am 15. Oktober 2014. Zu Beginn habe ich nämlich einige grundsätzliche Gedanken zu den Themen Öffentlichkeit und Fraktionsbildung geäußert. Auslöser dafür waren Anträge der Fraktionsvorsitzenden von UWV und CDU. Der Vorsitzende der UWV hatte mich aufgefordert, das Thema „Berichterstattung im Gemeindemitteilungsblatt“ in nichtöffentlicher Gemeinderatssitzung zu behandeln.

Rechtlich gar nicht zulässig

Das ist rechtlich jedoch gar nicht zulässig. Sitzungsgegenstände dürfen nämlich nur in eng begrenzten Fällen nichtöffentlich verhandelt werden. Nichtöffentlich darf der Gemeinderat (GR) nur beraten, wenn es das öffentliche Wohl erfordert. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Nachteile für die Gemeinde drohen oder wenn es um das berechtigte Interesse eines Einzelnen geht. Das trifft bei der Frage der Öffentlichkeitsarbeit des Gemeinderats nicht zu. Ganz im Gegenteil. Denn bei der Frage, wie die Öffentlichkeitsarbeit des GR gestaltet werden soll, geht es um das Verhältnis von Bürgern und Gemeinderat. Wo sonst hätten die Bürger mehr Anspruch auf Öffentlichkeit als gerade bei diesem Thema. Es ist deshalb befremdlich, wenn ausgerechnet ein solches Thema in nichtöffentlicher Sitzung beraten werden soll. Wer fordert, bei Themen, die in die Öffentlichkeit gehören, die Öffentlichkeit auszuschließen, braucht sich nicht zu wundern, wenn am Ende Vorbehalte gegen die Arbeit des Gemeinderats aufkommen. Es drängt sich dann der Verdacht auf, wichtige kommunalpolitische Fragen würden ohnehin hinter verschlossenen Türen entschieden. Die Idee, über Art und Form der Öffentlichkeitsarbeit hinter verschlossenen Türen verhandeln zu wollen, hat mit einer modernen Demokratie nichts zu tun. Denn das wäre so, wie wenn man als Sachverständige für die Ausweisung von Windkraftstandorten die Hersteller von Windrädern berufen würde. Ich kann es nicht hinnehmen, dass das Verhältnis zwischen Gemeinderat und Bürgerschaft durch undemokratische Ideen belastet wird. Als Bürgermeister bin ich Sachwalter der Interessen unserer Bürger. Darauf habe ich im Übrigen auch meinen Amtseid geschworen.

Umfassende Informationspflicht

Die Frage der Öffentlichkeitsarbeit hat noch eine weitere Seite. Der Antrag des Vorsitzenden der UWV zielte auch darauf ab, dass nur noch die bloßen Beschlüsse des Gemeinderats veröffentlicht werden. Über Redebeiträge von Gemeinderäten, Meinungen oder Beschlussanträge dagegen soll nicht berichtet werden. Diese Forderung ist mehr als haarig. Es ist nämlich rechtlich unbestritten, dass Gemeinderat und Bürgermeister eine Informationspflicht gegenüber den Bürgern haben. Rechtlich unbestritten ist auch, dass diese Informationspflicht „umfassend“ zu sein hat. Dass Informationen nur in wohldosierter Form und in möglichst spärlichem Umfang weitergegeben werden, widerspricht der Pflicht zu einer umfassenden Bürgerinformation. Öffentlichkeit ist eine der wichtigsten Grundbedingungen von Demokratie überhaupt. Das Grundgesetz, aber auch die Gemeindeordnung Baden-Württemberg wollen eine umfassende Demokratie verwirklichen. Das kann man daran erkennen, dass die Gemeindeordnung solche Instrumente zur Verfügung hat wie die „Unterrichtung der Einwohner“, die „Bürgerversammlung“, den „Bürgerantrag“, den „Bürgerentscheid“ und das „Bürgerbegehren“. Diese Instrumente können aber nur funktionieren, wenn die Bürger auch umfassend informiert sind.

„Wer stimmt wie ab?“

In einer modernen Demokratie haben die Bürger also Anspruch darauf, den Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung verfolgen zu können. Sie haben Anspruch darauf, die Argumente der einzelnen Gemeinderäte und Gemeinderatsfraktionen nachvollziehen zu können. Sie haben Anspruch darauf, im Einzelnen zu erfahren, wer für welche Position steht, wer welche Position mit welchen Argumenten vertritt, wer welche Beschlussvorschläge mit welcher Begründung macht und schließlich am Ende auch, wer wie stimmt – es sei denn, es handelt sich um eine geheime Abstimmung. Bürger, die an den Sitzungen des Gemeinderats nicht teilnehmen können, sind also so zu informieren, wie wenn sie selbst an der GR-Sitzung teilgenommen hätten.

„Diesen Standpunkt kann ich nicht teilen“

Erstaunt in dieser Affäre hat mich auch folgendes: Welches Thema öffentlich, und welches nichtöffentlich behandelt werden soll, darüber haben die Fraktionsvorsitzenden von UWV und CDU offensichtlich ihre eigenen Vorstellungen. Deshalb haben sie sich zum Thema Asylbewerberunterbringung mit einem Leserbrief in der Hohenloher Zeitung (HZ) am 30. September 2014 zu Wort gemeldet. Um ihre eigenen politischen Ziele zu verfolgen, haben sie sich also nicht gescheut, eine breite Öffentlichkeit zu suchen. Eine Öffentlichkeit, die sogar weit über Mulfingen hinausging. Die Ironie ihres Vorgehens scheint ihnen allerdings verborgen geblieben zu sein. Denn in bestimmten Mulfinger Gemeindeangelegenheiten sähen sie die Bürger offenbar am allerliebsten vor der Türe. Diesen Standpunkt kann ich nicht teilen.

Ihr Robert Böhnel, Bürgermeister

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„Deutschland trägt massiv Mitverantwortung an der Massenflucht“ – Lesung und Diskussion im Lemberghaus bei Schwäbisch Hall zum Thema Waffenhandel

Jürgen Grässlin, Autor des Schwarzbuchs Waffenhandel, kommt am Freitag, 13. März 2015, um 19 Uhr zu einer Lesung und Diskussion ins Lemberghaus (NaturFreundehaus der Ortsgruppe Schwäbisch Hall). Veranstalter sind die NaturFreunde Schwäbisch Hall.

Von Jochen Dürr, Vorsitzender der NaturFreunde Schwäbisch Hall

Deutschland rüstet Scheindemokratien und Diktatoren auf

Millionen Menschen befinden sich zur Zeit auf der Flucht. Auf Grund der Abschottungspolitik Europas haben vergleichsweise wenige von ihnen eine Chance, in Deutschland oder anderen europäischen Staaten Zuflucht zu finden. Tausende Menschen sind bisher schon ertrunken. Deutschland trägt eine massive Mitverantwortung an der Massenflucht. Ganz legal – mit Genehmigung der Bundesregierung und den nachgeordneten Kontrollbehörden – rüsten deutsche Waffenschmieden seit Jahren Scheindemokratien und Diktatoren hoch und stabilisieren deren Macht.

 Schwere Menschenrechtsverletzungen

Mit deutschen Kriegswaffen oder in Lizenz gefertigte Waffen wurden und  werden im Nahen und Mittleren Osten sowie im Norden Afrikas schwere Menschenrechtsverletzungen begangen, Jürgen Grässlin geht entscheidenden Fragen auf den Grund: Welche deutschen Waffen gelangen auf welchem Weg – legal wie illegal – in Krisen- und Kriegsgebiete in Asien, Afrika und Lateinamerika? Inwiefern trägt der Einsatz dieser Kriegswaffen zu Menschenrechtsverletzungen in den Empfängerländern bei und fördert somit die Flucht von Millionen von Menschen? Welche Unternehmen verdienen am Geschäft mit dem Tod, und wer sind die Täter dieser skrupellosen Politik? Was können wir tun, um unseren Teil zu einer friedlichen und gerechteren Welt beizutragen? Mit Jürgen Grässlin ist es den NaturFreunden Schwäbisch Hall gelungen, einen der profundesten Kenner dieser Materie zu einem hochaktuellen Thema nach Schwäbisch Hall ins Lemberghaus zu holen.

Weitere Informationen zum Autor Jürgen Grässlin:

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ / Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen ( DFG – VK), Sprecher der Kritischen Aktionäre Daimlöer (KAD) / Vorsitzender des RüstungsinformationsBüros (RIB e.V.). Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter befinden sich internationale Bestseller. Zuletzt verfasste er das „Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient“. Grässlin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Aachener Friedenspreis und am 1. März 2015 mit dem Amospreis der Offenen Kirche der Evangelischen Landeskirche Württemberg.

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„Volkswohl gegen Fürstenluxus“ – Entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürstenhäuser scheiterte bei einem Volksentscheid 1926

Dem Deutschen Reichstag lag am 6. Mai 1926 der Gesetzentwurf zur entschädigungslosen Enteignung der Fürsten zur Abstimmung vor. Er scheiterte an dessen bürgerlicher Mehrheit. Nur wenn dieser Entwurf ohne Änderungen angenommen worden wäre, wäre ein Volksentscheid entfallen. Jetzt wurde er für den 20. Juni 1926 terminiert. Hohenlohe-ungefiltert dokumentiert die Vorgeschichte der beabsichtigten Fürstenenteignung in Deutschland, aber auch den Werbefeldzug für und gegen den Volksentscheid im Oberamt Crailsheim.

Informationen zusammengestellt von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Lokale Informationen aus dem Fränkischen Grenzboten

Die Informationen über die damalige Lage in Deutschland stammen zu einem großen Teil aus dem Internetlexikon Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCrstenenteignung#Vorbereitung_und_Ergebnis_des_Volksentscheids). Die Texte aus dem Oberamt Crailsheim sind der damaligen Crailsheimer Tageszeitung Fränkischer Grenzbote entnommen. Die Zeitungen sind im Stadtarchiv Crailsheim einsehbar.

„Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz“

SPD und KPD brachten schließlich am 19. Januar 1926 zusammen einen Gesetzesentwurf ein, der die „entschädigungslose Enteignung der Fürsten, die bis zur Staatsumwälzung im Jahr 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben“ zugunsten der Erwerbslosen, der Kriegsbeschädigten, der Sozial- und Kleinrentner, der bedürftigen Opfer der Inflation sowie der Landarbeiter, Kleinbauern und Kleinpächter durch „Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz“ vorsah. Die Schlösser und Gebäude sollten zu „Wohlfahrts-, Kultur- und Erziehungszwecken“ eingesetzt werden. (Aus Gemeinsamer Gesetzesentwurf der SPD, der KPD und des Ausschusses für Fürstenenteignung über die Enteignung der Fürsten, in: Scherer, Schaaf: Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung, S. 340f., zur Haltung der Reichsregierung siehe Sendler, Seite 411)

50 Prozent der Stimmberechtigten mussten zustimmen

Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte schon am 15. März (1926) eine neue Hürde aufgestellt, die den Erfolg des Volksentscheids erschweren sollte. An diesem Tag teilte er Reichsjustizminister Wilhelm Marx mit, dass die erstrebten Enteignungen aus seiner Sicht nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienen, sondern nichts anderes als eine Vermögenshinterziehung aus politischen Gründen darstellen. Das sei in der Verfassung nicht vorgesehen. Die Regierung Luther bestätigte am 24. April 1926 ausdrücklich die Rechtsauffassung des Reichspräsidenten. Aus diesem Grund reichte eine einfache Mehrheit für den Erfolg des Volksentscheids nicht aus. Vielmehr mussten nun 50 Prozent der Stimmberechtigten zustimmen, also zirka 20 Millionen Wähler.

Im Parlament wäre eine Zweidrittelmehrheit notwendig gewesen

Weil damit gerechnet werden musste, dass diese Zahl nicht erreicht werden würde, begannen sich Regierung und Reichstag auf weitere parlamentarische Verhandlungen in dieser Streitfrage einzustellen. Diese Gespräche waren ebenfalls durch den Hinweis auf den verfassungsändernden Charakter entsprechender gesetzlicher Regelungen belastet, denn parlamentarisch waren Enteignungen nun nur noch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit durchsetzbar. Allein ein Gesetz, dem auf der politischen Linken Teile der SPD und auf der politischen Rechten Teile der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zustimmen konnten, wäre aussichtsreich gewesen.

Mobilisierung der Linkswähler

Es war zu erwarten, dass die Zahl derer, die am 20. Juni 1926 die entschädigungslose Fürstenenteignung befürworten würden, nochmals anwachsen würde. Eine Reihe von Gründen sprach für diese Annahme: Weil die Abstimmung im Juni die entscheidende werden würde, war von einer noch erfolgreicheren Mobilisierung der Linkswähler auszugehen als im März beim Volksbegehren. Das Scheitern aller bisherigen parlamentarischen Kompromissversuche hatte überdies in den bürgerlichen Parteien die Stimmen derer lauter werden lassen, die eine solch radikale Änderung fürstlicher Besitzverhältnisse ebenfalls befürworteten. Beispielsweise forderten Jugendorganisationen des Zentrums und der DDP ein „Ja“ bei der Abstimmung. Die DDP zerfiel insgesamt in Befürworter und Gegner des Volksentscheids. Die Parteiführung stellte den DDP-Anhängern darum frei, auf welche Seite sie sich schlagen würden. Auch diejenigen Verbände, welche die Interessen der Inflationsgeschädigten vertraten, riefen mittlerweile dazu auf, dem Volksentscheid zuzustimmen.

Hindenburg klagte über „groben Undank“

Zwei weitere Faktoren setzten die Gegner des Volksentscheids, die sich am 15. April 1926 unter dem Dach des „Arbeitsauschusses gegen den Volksentscheid“ zusammengefunden hatten, zusätzlich unter Druck; ähnlich wie beim Volksbegehren gehörten zu diesen Gegnern die Verbände und Parteien der Rechten, landwirtschaftliche und industrielle Interessenverbände, die Kirchen sowie die Vereinigung Deutscher Hofkammern – also der Interessenverband der ehemaligen Bundesfürsten. Zum einen war die Wohnung von Heinrich Claß, dem Führer des Alldeutschen Verbands, auf Geheiß des preußischen Innenministeriums durchsucht worden. Dabei wurden umfangreiche Putschpläne aufgedeckt. Auch bei Personen aus seinem Mitarbeiterkreis ergaben solche Durchsuchungen vergleichbares Beweismaterial. Zum anderen wurden am 7. Juni 1926 Auszüge eines Schreibens veröffentlicht, das von Hindenburg am 22. Mai 1926 an den Präsidenten des Reichsbürgerrats, Friedrich Wilhelm von Loebell, geschickt hatte. In diesem Schreiben bezeichnete von Hindenburg das Plebiszit als „großes Unrecht“, das einen „bedauerlichen Mangel an Traditionsgefühl“ und „groben Undank“ zeige. Es verstoße „gegen die Grundlagen von Moral und Recht“. Von Hindenburg duldete die Verwendung seiner ablehnenden Worte auf Plakaten der Enteignungsgegner. Damit setzte er sich dem Verdacht aus, er stehe nicht über den Parteien und Interessenverbänden, sondern wechsle offen ins Lager der Konservativen.

Gegner riefen zum Boykott des Volksentscheids auf

Die Enteignungsgegner steigerten vor diesem Hintergrund ihre Anstrengungen. Kernbotschaft ihrer Agitation war die Behauptung, den Befürwortern des Volksentscheids gehe es nicht allein um die Enteignung von Fürstenbesitz. Diese würden vielmehr die Abschaffung des Privateigentums schlechthin beabsichtigen. Die Gegner riefen dementsprechend zum Boykott des Volksentscheids auf. Dies war aus ihrer Sicht sinnvoll, denn jede Stimmenthaltung hatte (wie auch jede ungültige Stimme) das gleiche Gewicht wie eine Nein-Stimme. Durch den Boykottaufruf verwandelte sich die geheime Stimmabgabe praktisch in eine offene.

Gegner wandten für Agitation riesige Geldsummen auf

Von den Gegnern des Volksentscheids wurden erhebliche finanzielle Mittel mobilisiert. Die DNVP setzte beispielsweise in der Agitation gegen den Volksentscheid Geldmittel ein, deren Summe deutlich über jener für die Wahlkämpfe von 1924 lag. Auch bei der Reichstagswahl von 1928 wurden nicht in dieser Höhe Finanzmittel verwendet. Die Gelder für die Agitation gegen den Volksentscheid stammten aus Umlagen von Fürstenhäusern, von Industriellen und sonstigen Spenden.

Freibierfeste, um Stimmberechtigte vom Abstimmen fernzuhalten

Erneut wurde insbesondere ostelbischen Landarbeitern bei Beteiligung am Volksentscheid mit wirtschaftlichen und persönlichen Sanktionen gedroht. Kleinbauern versuchte man mit der Behauptung zu verschrecken, es gehe nicht allein um die Enteignung des Fürstenbesitzes, sondern auch um die Enteignung von Vieh, Anlagen und Land jedes bäuerlichen Kleinbetriebs. Zudem veranstalteten die Gegner am 20. Juni 1926 mancherorts Freibierfeste, um Stimmberechtigte gezielt von der Abstimmung fernzuhalten.

Nazis forderten Enteignung eingewanderter Juden aus dem Osten

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) verschärfte die demagogische Dimension auf der politischen Rechten, indem sie statt der Fürstenenteignung die Enteignung der seit dem 1. August 1914 eingewanderten Ostjuden forderte. Anfangs hatte der linke Flügel der NSDAP um Gregor Strasser die Beteiligung der Nationalsozialisten an der Fürstenenteignungskampagne angestrebt. Adolf Hitler wies auf der Bamberger Führertagung Mitte Februar 1926 diese Forderung jedoch ab. In Anspielung auf das Kaiserwort vom August 1914 sagte er: „Für uns gibt es heute keine Fürsten, sondern nur Deutsche.“

Quorum wurde in Berlin, Hamburg und Leipzig erreicht

Von den zirka 39,7 Millionen Stimmberechtigten gaben am 20. Juni 1926 knapp 15,6 Millionen (39,3 Prozent) ihre Stimme ab. Mit „Ja“ votierten etwa 14,5 Millionen, mit „Nein“ stimmten zirka 0,59 Millionen. Rund 0,56 Millionen Stimmen waren ungültig. Der Volksentscheid war somit gescheitert, denn zwischenzeitlich hatte die Reichsregierung, einem Verlangen des Reichspräsidenten folgend, das Gesetz für verfassungsändernd erklärt. Nicht die relative, sondern die absolute Mehrheit wäre für einen Erfolg des Volksentscheids nötig gewesen. Dieses Quorum der Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten wurde reichsweit nur in drei der 35 Stimmbezirke erreicht (in Berlin, Hamburg und Leipzig).

Zum Teil deutlich mehr Ja-Stimmen in ländlichen Gebieten als beim Volksbegehren

Erneut war der Volksentscheid für die kompensationslose Enteignung auch in Hochburgen des Zentrums befürwortet worden. Gleiches galt für großstädtische Stimmbezirke. Dort wurden nachweislich verstärkt auch Teile jener Wählerschichten angesprochen, die traditionell bürgerlich, national und konservativ wählten. Obwohl es zum Teil deutlich mehr Ja-Stimmen gab als beim Volksbegehren, blieb die Zustimmung in agrarischen Landesteilen (insbesondere Ostelbien) wiederum unterdurchschnittlich. Die Beteiligungsrate fiel in Bayern im Vergleich zu anderen Regionen diesmal ebenfalls gering aus, trotz der insgesamt auch dort gestiegenen Teilnahme.

Eine Medienschau in Crailsheim zum Thema:

Fränkischer Grenzbote, Crailsheimer Tageszeitung, Redaktion, Druck und Verlag A. Richter in Crailsheim, Amts- und Anzeigenblatt sämtlicher Behörden für die Stadt und den Oberamtsbezirk Crailsheim, 89. Jahrgang, Ausgabe von Montag, 21. Juni 1926:

Das Ergebnis des Volksentscheids im Reich: 14.440.779 mit Ja und 584.672 mit Nein

Das Ergebnis in Württemberg:
Stimmberechtigte: 1.646.694
Zahl der gültigen Stimmen: 478.034
Zahl der abgegebenen Stimmen: 591.551
Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen: 583.041
Gültige Ja-Stimmen: 563.863
Gültige Nein-Stimmen: 19.178
Ungültige Stimmen: 8510

Oberamt Crailsheim:
Stimmberechtigte: 16.035
Abgegebene Stimmen: 2286
Gültige Stimmen: 2252
Ungültige Stimmen: 34
Gültige Ja-Stimmen: 2146
Gültige Nein-Stimmen: 106

Zum Vergleich der Wahlkreis Franken:
Stimmberechtigte: 1.557.935
Ungültige Stimmen: 10.212
Gültige Ja-Stimmen: 413.938
Gültige Nein-Stimmen: 14.431

Wahlkreis Baden:
Stimmberechtigte: 1.432.892
Ungültige Stimmen: 12.268
Gültige Ja-Stimmen: 548.203
Gültige Nein-Stimmen: 23.758

Fränkischer Grenzbote vom Dienstag, 22. Juni 1926:

Das vorläufige amtliche Stimmergebnis:
Berlin, 21. Juni. Nach den letzten Auszählungen des Reichswahlleiters ist das Ergebnis der gestrigen Volksentscheidungs-Abstimmung folgendes:
Stimmberechtigt: 39.690.559, abgegebene Ja-Stimmen: 14.441.590, abgegebene Nein-Stimmen: 584.723, ungültige Stimmen: 559.406.

Der Leitartikel der Zeitungsausgabe vom 22. Juni 1926:

Nach dem Volksentscheid
Der Volksentscheid in Württemberg.
Gesamtergebnis: 34 Prozent Ja-Stimmen

wp. Der Volksentscheid hat in Württemberg insofern keine besonderen Überraschungen gebracht, als von vornherein mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen war, daß die zu einem Erfolg des Volksentscheides nötige Zahl von Ja-Stimmen bei weitem nicht erreicht werden würde. Immerhin ist, verglichen mit den Eintragungen für das Volksbegehren die am gestrigen Sonntag für den Volksentscheid abgegebene Stimmenzahl recht beträchtlich gestiegen: um 97.058 Stímmen oder rund 25 Prozent der Stimmen, die für das Volksbegehren abgegeben wurden.
Auf das ganze Land berechnet, beträgt die Zahl der Ja-Stimmen für den Volksentscheid 34,1 Prozent, für Stuttgart stellt sich die Abstimmungsziffer auf rund 49 Prozent. In einzelnen Bezirken, wie Göppingen, Heilbronn und Stuttgart-Amt, betrug die Zahl der Abstimmenden über 50 Prozent, in mehreren vorwiegend ländlichen Bezirken  ging sie dagegen nicht erheblich über 10 Prozent hinaus. Bemerkenswert ist, daß nur in 3 Bezirken des Landes, nämlich in Böblingen, Calw und Neresheim, die Stimmenzahl zum Volksentscheid unter derjenigen für das Volksbegehren zurückgeblieben ist; in allen anderen Bezirken sind die Stimmenzahlen in die Höhe gegangen, in vielen sogar in sehr beträchtlichem Maße.
Es zeigt sich, daß die überaus rührige und geschickte Agitation der linksradikalen Parteien hier erhebliche Erfolge erzielen konnte.
Beachtenswert ist des weiteren, daß in einer ganzen Reihe von Bezirken des Oberlandes die Zahl der Stimmen gegenüber dem Volksbegehren ganz erheblich angewachsen ist: in Leutkirch und Waldsee haben sich die Stimmen verdoppelt, in Biberach, Tettnang und Wangen haben sie stark zugenommen, weniger stark allerdings in Riedlingen, Saulgau und Ellwangen. Die verhältnismäßig große Zahl der  Nein-Stimmen im ganzen Lande, 19.178, ist wohl wie amtlich das Wahlergebnis von Heilbronn ausweist, zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß ein Teil der Demokraten, die sich nicht für die Fürstenenteignungen entscheiden konnten, an der Abstimmung sich zwar beteiligte und mit Nein stimmte.
Andererseits ist auch die bei einer so einfachen Abstimmung wie der gestrigen, gleichfalls unberhältnismäßig hohe Zahl von ungültigen Stimmen, nämlich 8510, wohl nicht bloß der Unwissenheit und Unbeholfenheit der Wähler zuzuschreiben, sondern zu einem erheblichen Teil darauf zurückzuführen, daß ein Teil der Wähler, die sich aus besonderen Gründen der Wahl nicht enthalten zu dürfen glaubten, auf irgendwelche Weise, durch Zerreißen und dergleichen ihren Wahlzettel ungültig gemacht hat.
Die Wahlergebnisse aus den einzelnen Bezirken liefen im Wahlbüro des Ministeriums des Innern in Stuttgart in erfreulicher Schnelligkeit ein. Der Oberamtsbezirk Hall marschierte mit seiner Meldung an der Spitze; um 8 Uhr abends lagen bereits die Wahlergebnisse aus allen Oberamtsbezirken, einschließlich der beiden hohenzollerischen vor; nur Stuttgart, wo allerdings die Ergebnisse aus 170 Wahlbezirken zusammengestellt werden mussten, ließ bis gegen 9 Uhr auf sich warten. Dann konnte aber vom amtlichen Wahlleiter des Ministeriums, Ministerialrat Dr. Kiefer, sofort auch das gesamte Ergebnis aus dem ganzen Lande mitgeteilt werden.

Das vorläufige amtliche Stimmergebnis:
Berlin, 21. Juni. Nach den letzten Auszählungen des Reichswahlleiters ist das Ergebnis der gestrigen Volksentscheidungs-Abstimmung folgendes:
Stimmberechtigt: 39.690.559, abgegebene Ja-Stimmen: 14.441.590, abgegebene Nein-Stimmen: 584.723, ungültige Stimmen: 559.406.

Der Verlauf der Abstimmung im Reich
WTB. Berlin, 21. Juni. Die Abstimmung im Volksentscheid ist nach den bisher vorliegenden Meldungen im ganzen Reich ohne ernstere Ruhestörungen verlaufen. Die Wahlbeteiligung schwankt sehr stark. Während aus einzelnen Stadtvierteln eine Wahlbeteiligung von nur 15 Prozent gemeldet wird, liegen aus den Industriebezirken und aus den hauptsächlich von der Arbeiterschaft bewohnten Stadtvierteln Meldungen über eine Wahlbeteiligung bis zu 70 Prozent vor, obwohl zum Beispiel aus den Industriebezirken Osten und aus oberschlesischen Städten noch in den ersten Nachmittagsstunden nur eine geringe Wahlbeteiligung etwa bis zu 25 Prozent verzeichnet werden konnte. Der Abstimmungstag ist im ganzen Reich durch eine einseitige, hauptsächlich von den kommunistischen Parteianhängern betriebene Propaganda gekennzeichnet, während von der Opposition am Abstimmungstage vielfach auf die Propaganda so gut wie ganz verzichtet wurde.
In Berlin selbst ist die Abstimmung ohne Ruhestörungen verlaufen. Dagegen werden aus Magdeburg und aus Halle Zusammenstöße zwischen Stahlhelmleuten und Roten Frontkämpfern gemeldet. In Halle selbst verlief zwar die Abstimmung ruhig, aber in Ammendorf bei Halle wurden bei einem Zusammenstoß sieben Stahlhelmleute, darunter zwei schwer verwundet. Die Kommunisten hatten drei VErletzte. In Magdeburg wurden drei Stahlhelmleute von Roten Frontkämpfern schwer verletzt, sodaß sie ins Krankenhaus übergeführt werden mussten. In beiden Fällen konnte die Polizei durch rasches Eingreifen weitere Zusammenstöße vermeiden. Auch in Görlitz kam es zu Schlägereien zwischen Stahlhelmleuten und Angehörigen des Roten Frontkämpferbundes, die aber keine ernsteren Verletzungen im Gefolge hatten. Die Quartiere beider Parteien wurden von der Polizei nach Waffen durchsucht, die Untersuchung hatte aber ein negatives Ergebnis.

Fränkischer Grenzbote, Donnerstag, 17. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Ist der Staat, Rechtstaat oder Raubstaat?

Darum handelt es sich, ob das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren einem Teil der volksgenossen einfach alles private Eigentum, ohne Entschädigung wegnehmen darf. Nein, das darf nicht sein! Das ist Raub. Dann geht das bolschewistische Verfahren der Reihe nach weiter. Der kommunistische Führer in Hessen, Greiner, gestand offen: „Wenn die Fürstenenteignung erst durchgeführt ist, dann steht der Weg offen, das gesamte Privateigentum zu enteignen. Dann kommt eines nach dem andern, das erstreben wir.“ Dem gegenüber sagen wir: Gleiches Recht für alle! Das bolschewistische Begehren erfüllen, das wäre der Anfang vom Ende! Die deutsche Republik muss ein Rechtsstaat bleiben. Darum muß das kommunistisch-sozialdemokratische Begehren nach dem gesamten Gut jener Familien abgelehnt werden. Statt dieser Beraubung soll, wie im Reichstag vorgeschlagen wurde, eine Behörde aufgestellt werden, welche unter Berücksichtigung der finanziellen Notlage des Landes und andererseits der persönlichen Verhältnisse der Fürstenfamilien, auf der Grundlage von Gesetz und Recht einen Ausgleich macht. Wer für eine gerechte Vermittlung ist, der folge seiner gewissenhaften Überzeugung und gehe nicht zur Abstimmung!
Keine Stimme für dies Volksbegehren!

Fränkischer Grenzbote, Freitag, 18. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Stimmt ab!

22 Fürsten und ihre Familien beanspruchen besten deutschen Boden und Volksvermögen in ungefähr obiger Größe als ihren Privatbesitz. Die übrigen 60.000.000 Deutschen dürfen sich allergnädigst den Rest teilen.

Darum stimmt ab!!

Fränkischer Grenzbote, Freitag, 18. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Gegen das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren

spricht Gesetz und Recht. Für einen gerechten Vergleich, bei welchem übertriebene Forderungen abgewiesen, aber auch die Fürsten nicht völlig allles Eigentums beraubt werden, spricht Recht und Gewissen! Z. B. der in Preußen am 12.10.1925 vom Staatsministerium, auch von den sozialdemokratischen Ministern Braun und Severing genehmigte Vergleich gab dem Staat 83 Prozent der Gesamtmasse und ließ den Hohenzollern 17 Prozent derselben als Vermögen. Aus letzerem müßten die Hohenzollern Steuern, Verwaltung und Unterhaltung von Gebäuden und Gärten jährlich rund 2 Millionen Mark bezahlen, sodaß für ihre 16 Haushaltungen mit 49 Familienangehörigen als Einkommen wenig über 1 Million übrig bleibt. Würde man dann ihr Vermögen ganz rauben und den Ertrag auf 60 Millionen Deutsche verteilen, welche ärmliche Rechnung käme heraus?! Nach dem geplanten neuen Reichsgesetz will man aber den Hohenzollern nicht 17 Prozent, sondern nur 9 Prozent ihres Vermögens lassen! Trotzdem will ihnen jetzt das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren einfach alles Vermögen rauben!! Der Ertrag bliebe wohl meist in denselben Händen, welche nach 1918 das Heeresgut und anderes wegnahmen. Dort sollte man enteignen! Ein genaues Beispiel: Wie´s mit den Fürsten, so würde es auch mit dem übrigen Volke gemacht werden. Das arme Volk hätte nichts davon, nur jene Parteiführer des Volksbegehrens, deren Einkommen auch einmal öffentlich bekannt gemacht werden soll. Eine schofle Geschichte.
Darum geht nicht zu dieser kommunistisch-sozialdemokratischen Abstimmung!
Wenn man Euch zwingt, gebt leeren Umschlag ab!

Fränkischer Grenzbote, Samstag, 19. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Gibt es eine restlose Enteignung?

Die Anhänger der Fürsten behaupten, daß durch den Volksentscheid den Fürsten alles genommen wird, sogar Kleider, Betten und Eßbestecke usw. Nein!
Denn was die Fürsten bereits an Vermögen ins Ausland gebracht haben und was ihnen von den einzelnen Ländern an ‚Renten gezahlt wird, kann ihnen auch durch den Volksentscheid nicht genommen werden. Es erhalten die Fürsten z.B. an Renten: Wilhelm II. in Doorn jährlich 600.000 Mark, der Herzog von Meiningen 495.000 Mark, der Großherzog von Mecklenburg 390.000 Mark, ferner fordert Herzog Albrecht von Württemberg eine dauernde Jahresrente von über 100.000 Mark, sind diese dadurch bettelarm?
Wo war das Recht und Gewissen, als man die betrogenen Sparer um ihren letzten Pfennig gebracht hat? Wo war die Sprache der Kirche? Wo waren die Deutschnationalen bei der Abstimmung um das Aufwertungsgesetz?
Solche Leute sind heute nicht berechtigt, an das Recht und Gewissen des Volkes zu appellieren. Volkswohl gegen Fürstenluxus!
Die Rechts- und Mittelparteien wollen eine gerechte Lösung in der Abfindungsfrage herbeiführen. Warum haben sie, die über eine sichere Mehrheit verfügen, in ihren 36 Sitzungen im Rechtsausschuß des Reichstags keine Entscheidung getroffen?

Laßt Euch nicht durch Krokodilstränen und Märchen der Fürstenanhänger irre machen.

Stimmt mit „Ja“!!

Fränkischer Grenzbote, Samstag, 19. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Hört!

Ein Aufruf führender Demokraten gegen den Volksentscheid bezeichnet diesen als „eine krasse Vergewaltigung der Begriffe des Rechts und des Eigentums“ und ist unterzeichnet von Delbrück, Gothein, Junck, Meinecke, Montgelas, Rohrbach, Schliepmann. So denken und sprechen aufrichtige Männer aller Parteien!

Nicht abstimmen!!

Fränkischer Grenzbote, Samstag, 19. Juni 1926:

Es erschien eine ganzseitige Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Stimmt nicht ab!
„Der Niklas wurde bös und wild, Ihr seht es hier an diesem Bild“!

Ach das Bild der Agitation Deutschlands! Einer will den andern sein Gut nehmen; der Reihe nach. Ein Stand wird gegen den andern aufgehetzt. Wer zu Anstand und Ordnung mahnt, wird verächtlich gemacht. Feinde Deutschlands freuen sich und lachen. Das Volk hat nichts von dem ganzen Streit, nur einige Führer leben davon.
Noch einmal. Um was handelt es sich? Der kommunistisch-sozialdemokratische Volksentscheid zielt dahin, den Fürsten ihr ganzes Vermögen ohne Rücksicht auf seinen Ursprung und ohne jede Entschädigung zu nehmen. Das geht gegen Gesetz und Recht, die für alle gleich sein müssen. Der weitaus größere Teil der Deutschen will dies Unrecht nicht; er will, daß die Fürsten an aller Not des Volkes ihren Teil mittragen, daß ein gerechter Ausgleich nach dem Gesetz gemacht, daß aber den Fürsten nicht gar alles geraubt wird. Diejenigen Stände und Schichten im Volk, welchen dieser Raub gegen das Gewissen geht, werden beschimpft; vergleiche das Bild der Agitation in Deutschland!
Und doch haben bis hieher Sozialdemokraten mit den Fürsten Vergleiche gewollt und geschlossen z.B. Ebert, Gradauer, Ullrich, Remmele, Braun, u.a. auch Blos und Keil in Württemberg. Warum jetzt den Anfang machen mit Raub der ganzen Vermögen?!
Warum dabei kein Wort sagen von denen, welche 20 Milliarden Heeresgut gestohlen haben; von den Revolutionsgewinnlern; von den Barmat-Schiebern; von denen, welche die Papierdruckereien benützten, um zahlreiche Volksgenossen um Hab und Gut zu bringen?
Man verschweigt, daß durch die Inflation die Fürsten so gut verloren haben wie andere, sie und ihre ganzen Sachen haben mit der Höhe der „Aufwertung“ nichts zu tun! Zeitungen und Bilder bringen schlechte Fürsten, aber von den guten Fürsten bringen sie nichts. Man könnte doch auch vieles von schlechten Parteiführern, Abgeordneten usw. abbilden. Es gibt nämlich in allen Parteien Gute und Schlechte. Die sozialdemokratische Schwäbische Tagwacht schreibt einmal: Wenn Württemberg eine Republik wäre, müßte man den König Wilhelm zum Präsidenten dieser Republik wählen. Sie haben’s anders gemacht; indem Verordnungen von Gesetz und Verfassung gebrochen werden, daß „alle Deutschen vor dem Gesetz gleich sind, dass das Eigentum gewährleistet wird“, „Enteignung nur gegen Entschädigung erfolgen darf“ (Artikel 109 und 153.). Das sind die Grundrechte aller Deutschen! Diese soll man schildern und malen. Das haben vor 3 Tagen zwei bedeutende Männer, die aus der Partei ausgetreten sind, der Demokratie zugerufen: Aus grundsätzlichen und moralischen Gründen darf man das private Eigentum nicht so nehmen, wie es der kommunistisch-sozialdemokratische Antrag will: Reichspräsident Dr. Schacht und der langjährige württembergische Abgeordnete Dr. Eisele.
Die weitaus größere Mehrzahl aller Deutschen will nicht den Anfang machen mit Aufhebung des Privateigentums und der bestehenden Rechtsordnung, sondern gerechten Vergleich mit den Fürstenfamilien, nach einem billigen Maß, unter Berücksichtigung der Notlage des ganzen Volkes, auf Grundlage von Recht und Gesetz. Wir verwerfen die Machenschaften des „Ausschusses für Fürstenenteignung“, der in Deutschland von dem Galizier Kuszcinski geleitet wird. Saubere Geschäfte!
Das sollte man malen.

Geht unbedingt nicht zur Abstimmung!
Wer gezwungen wird, möge leeren Umschlag abgeben!!

Fränkischer Grenzbote, Mittwoch, 16. Juni 1926:

Es erschien eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Preisfrage:
Wie stimmt das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren mit der Verfassung?

Es handelt sich gar nicht um die Frage, ob Monarchie oder Republik? Laßt euch nichts vormachen. Wir fragen alle der Verfassung treuen Leute, wie sie auch politisch gestimmt sein mögen:
In der deutschen Verfassung lautet Artikel 109: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Stimmt damit das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren, daß alle Fürstenfamilien außerhalb des allgemeinen Rechts gestellt werden, auch wenn sie zu gerechtem Vergleich und zu großen Opfern sich bereit erklären?
In der deutschen Verfassung lautet Artikel 153: „Das Eigentum wird gewährleistet. Enteignung darf nur gegen Entschädigung erfolgen.“  Stimmt damit das kommunistisch-sozialdemokratische Volksbegehren, nach dessen erstem Artikel das gesamte Vermögen der Fürsten ohne Entschädigung enteignet, d.h. eben alles, alles genommen werden soll? Nein, das ist verfassungszerstörend, das öffnet jeder Verletzung des Eigentumsrechtes Tür und Tor. Das ist aber nur der Anfang! Das geht dann so weiter. Wer für Ordnung, für Gesetz und für Verfassung ist,
der enthalte sich der Abstimmung!

Es erschien am 16. Juni 1926 eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

(Crailsheim): Landtagsabgeordneter Ulrich spricht am Donnerstag, 17. Juni, abends 8 Uhr in der alten Turnhalle über Volksentscheid und Fürstenabfindung.

Bürger u. Bürgerinnen erscheint in Massen!
Der Referent wird auf die maßlosen und zum Teil lächerlichen Argumente, die bisher von gegnerischer Seite über den Volksentscheid ins Feld geführt worden sind, nach Recht und Gewissen antworten.
Freie Aussprache!    Sozialdemokratische Partei.

Es erschien am gleichen Tag eine Werbeanzeige mit folgendem Wortlaut:

Mitteilungen des Tabakhauses Mohr
Volksentscheid. Das rauchende Volk soll entscheiden, ob man bessere und im Aroma reinere Rauchwaren irgendwo günstiger einkauft, als im Spezialgeschäft Mohr. Probieren geht über Studieren.

Für sofortige restlose Enteignung meiner Warenbestände im Wege des Consums gegen Vergütung des normalen Verkaufspreises spricht die Güte und Reinheit meiner Cigarren, Cigaretten und Tabake.

Cigaretten beziehen Wiederverkäufer zweckmäßig dort, wo sie auch ihren Cigarrenbedarf decken.

Schnupftabak. Neu aufgenommen: Schmalzler zu 14 Pfennig.

Tabak. Feinschnitt „Hollandsche Shag“ 100 Gramm 60 Pfennig mit Gutscheinen zu einer Gratis-Bruyere-Pfeife.

Cigarren. Neue Eingänge. Havannapflänzchen zu 8 Pfennig; Havanna-Handarbeit 15 Pfennig.

Fränkischer Grenzbote, Mittwoch, den 23. Juni 1926:
Artikel auf Seite 1, links oben (Leitartikel):

Abfindung der Fürsten – Der vierte Gesetzentwurf

–er. Berlin, 22. Juni 1926. Am heutigen Dienstag beschäftigt sich der Rechtsausschuss des Reichstages mit einem Antrag (von) Frick und Genossen auf Aufhebung des Republikschutzgesetzes, dann aber – viel wichtiger und nach dem verunglückten Volksentscheid von allen politischen Kreisen mit größter Spannung erwartet – mit der bereits vom Reichsrat gebilligten Regierungsvorlage über die vermögensrechtliche Auseinandersetzung mit den Fürstenhäusern. Es ist die, wenn man richtig zählt, der vierte Entwurf eines Abfindungsgesetzes. Dieser vierte Entwurf, der nun in das parlamentarische Fahrwasser gesteuert wird, vereinigt alle Vorzüge und, wenn man will, auch Nachteile seiner drei Vorgänger. Er übernimmt im allgemeinen fast alle Bestimmungen über das Sondergericht, über die Voraussetzungen für ein neues Verfahren, wenn bereits eine Gesamtabfindung stattgefunden hat, über die Einschränkung der aus Entschädigungen genommenen Mittel für den privatwirtschaftlichen Gebrauch, über das Verbot der Verwendung dieser Mittel zu politischen Zwecken und über das Verbot, die Éntschädigungen ins Ausland zu überführen.
Die Abstimmungen über das Sondergericht werden zwischen den Parteien wohl den Hauptstreitapfel bilden. Die Deutsche Volkspartei z.B. war bei allen bisherigen Verhandlungen gegen die Besetzung des Sondergerichts mit vier Laienrichtern. Um das Gedächtnis des Lesers aufzufrischen, müssen wir die wichtigsten Bestimmungen der neuen Regierungsvorlage kurz erwähnen und dabei ein wenig Juristerei treiben, da sonst gerade die politische Seite der Gesetzgeberarbeit unverständlich bliebe:
Das Sondergericht für die Auseinandersetzungen zwischen den Ländern und den Fürsten soll in Leipzig eingerichtet werden. Erster Vorsitzender (der sich nur bei wirklicher Verhinderung vertreten lassen darf): Der Präsident des Reichsgerichts Dr. Simons. Sein Vertreter wird vom Reichspräsidenten auf Vorschlag des gesamten Reichskabinetts ernannt. In der selben Weise werden die acht weiteren Mitglieder und deren etwaige Stellvertreter ernannt. Von diesen acht Beisitzern – das Gericht entscheidet immer in der Stärke von 9 Köpfen – müssen vier Juristen mit Richtereigenschaft, das heißt Mitglieder von ordentlichen Gerichten oder Verwaltungsgerichten des Reiches oder der Länder sein. Deren Stellvertreter natürlich auch. Vier aber, und darüber wird es eben wieder Streit im Reichstag geben, können Laienrichter sein. Es kommt sehr viel darauf an, welcher Parteieinstellung diese vier Laienrichter entstammen. Der Reichskanzler, die Reichsminister und der Reichspräsident werden die Weisheit eines Salomo aufbieten müssen, um hier den richtigen Griff zu tun. Ein falscher Griff wäre nämlich nicht wiedergutzumachen, denn das Gesetz soll bestimmen, daß die Mitglieder des Reichssondergerichts unabsetzbar sind. Das Sondergericht wird nach dem neuen Entwurf auf Antrag eines Landes oder der Fürsten tätig. Die Prozessparteien sind also vollständig gleichgestellt. Das Sondergericht ist zuständig für sieben Fälle.
Erstens für alle Gesamtauseinandersetzungeen, die nicht bereits nach dem Umsturz 1918 durch Gesetz, Schiedsspruch, Vertrag oder Vergleich erfolgt sind. Zweitens für Streitigkeiten über die Auslegung oder eines die Auseinandersetzung betreffenden Gesetzes, Urteils, Schiedsspruchs, Vertrags oder Vergleichs. Drittens für Nichtigkeitsklage, wie sie in § 578 oder 1041 der Zivilprozessordnung vorgesehen sind. Viertens für Streitigkeiten unter den Parteien für Aufwertungsansprüche. (Spätere Paragraphen der Vorlage, §8 und 16, bestimmen nämlich ausdrücklich, daß die Aufwertungsgesetze für die Fürsten in derselben Weise gelten sollen, wie für jeden anderen Staatsbürger). Fünftens für Streitigkeiten, die sich daraus ergeben, daß eine Partei, also Land oder Fürst, die Nichtigkeit eines über die Auseinandersetzung getroffenen Vertrags oder Vergleichs geltend macht. Sechstens, wenn eine Partei „wesentliche Veränderung der Verhältnisse“ geltend macht. Siebentens für Streitigkeiten über die (unpolitische!) Verwendung zugesprochener Abfindungssummen (§18). So, wie die Stimmung sich jetzt nach dem Abfindungssonntag entwickelt hat, scheinen alle Regierungsparteien Opfer bringen zu wollen, um das Kompromissgesetz endlich Gestalt werden zu lassen. Dr. jur. Fritz Auer.

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„Viele Menschen fürchteten die Gewalttätigkeit des Königs in Stuttgart“ – Vortrag über Württembergs erste Oberamtmänner in Crailsheim

Noch immer liegen die Jahrzehnte der Eingliederung Crailsheims in das Königreich Württemberg nach 1810 weitgehend im Dunkeln. Aus personengeschichtlicher Perspektive wirft jetzt ein Vortrag des Crailsheimer Historischen Vereins einen Blick auf diese für die nachfolgende Geschichte der Stadt so einschneidende Zeit. Unter dem bezeichnenden Titel „Die Zwingvögte des Königs“ berichtet Dr. Frank Raberg am Montag, 9. März 2015, um 19.30 Uhr über Crailsheims erste württembergische Oberamtmänner zwischen 1810 und 1871. Die Veranstaltung findet im Crailsheimer Rathaus, Forum in den Arkaden statt.

Von Crailsheims Stadtarchivar Folker Förtsch

Das „Hineinwachsen“ blieb nicht ohne Schwierigkeiten

Im Herbst 1810 kam das Oberamt Crailsheim an das Königreich Württemberg. Der Wechsel vollzog sich ebenso wie das „Hineinwachsen“ in den württembergischen Staat nicht ohne Schwierigkeiten, denn in der Region fürchteten viele Menschen die Gewalttätigkeit des Königs in Stuttgart, Friedrich I. Als Vertreter des Monarchen vor Ort spielten die in der Oberamtsstadt Crailsheim residierenden Oberamtmänner eine herausgehobene Rolle. Der Vortrag widmet sich (erstmals!) den verschiedenen Persönlichkeiten an der Spitze des Crailsheimer Oberamts, ihrer Amtsführung, den besonderen Anforderungen und der Entwicklung des Oberamts Crailsheim in den ersten Jahrzehnten württembergischer Herrschaft zwischen napoleonischen Kriegen und Gründung des deutschen Kaiserreichs.

Kurzinformation:

Vortrag „Die Zwingvögte des Königs“, Dr. Frank Raberg berichtet am Montag, 9. März 2015, ab 19.30 Uhr, im Forum in den Arkaden des Crailsheimer Rathauses.

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„Spuren – Fragen – Widersprüche“ – Vortrag des Journalisten Thomas Moser im NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtag

Daß Journalisten von einem Parlamentsausschuß eingeladen werden, ist ungewöhnlich. In der Regel veröffentlichen sie, was sie wissen. Und ihre Unabhängigkeit verlangt Distanz zu den staatlichen Gewalten. Daß nun Journalisten und Autorinnen vor dem Untersuchungsausschuß zum Komplex NSU gehört werden, ist vor allem Ergebnis jahrelanger Versäumnisse. Wenn ich heute auf mein Zeugnisverweigerungsrecht weitgehend verzichte und Ihnen zur Verfügung stehe, dann weil dieser Ausschuß auch eine Form der Öffentlichkeit darstellt. Vor allem aber, weil der NSU-Komplex kein normaler Kriminalfall ist. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Vortrag von Thomas Moser in voller Länge.

Von Thomas Moser, Journalist

So, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, war es nicht

Im Gegenteil: Er hat begonnen, alles zu sprengen. Er hat bereits demokratische und rechtsstaatliche Strukturen beschädigt. Mich betrifft das deshalb nicht nur als Journalist. Was wir bisher an Hintergründen wissen und an Vertuschungen erleben, muß die Allgemeinheit alarmieren. Wir wissen nicht, wie es war. Wir wissen nur, wie es nicht war. So, wie es die Bundesanwaltschaft darstellt, war es nicht. Damit sind wir mitten im Problem.

Methodische Vorschläge für den Umgang mit Quellen, Akten und Zeugen

Ich will Ihnen einige Kenntnisse vortragen, Hinweise auf Spuren und Ermittlungsansätze geben, auf offene Fragen und auf Widersprüche aufmerksam machen – sowie methodische Vorschläge für den Umgang mit Quellen, Akten und Zeugen unterbreiten. Meine Informationsbasis sind unter anderem der Untersuchungsausschuß des Bundestages und der NSU-Prozeß in München. Ich will mit einem Musterfall beginnen, dem Sachverhalt „Stengel – Ogertschnik – V-Mann Erbse“.

Beamter mußte Bericht vernichten

Im August 2003 erfuhr das Landesamt für Verfassungsschutz von Baden-Württemberg durch den Hinweisgeber Torsten O. von der rechtsterroristischen Vereinigung namens NSU. Der Hinweisgeber soll mit der Gruppe in Verbindung gestanden und fünf Namen genannt haben, darunter Mundlos. Entgegengenommen hat die Information nach eigener Aussage, unter anderem vor dem Untersuchungsausschuß in Berlin, der LfV-Beamte Günter S. Der Beamte fertigte einen Bericht, den er dann im Amt auf Anweisung von oben vernichten mußte. Er machte noch einen Eintrag im Nadis, dem Informationssystem der Verfassungsschutzämter, und behielt einige Notizen bei sich.

Torsten O. müßte sich selbst schwer belasten

Die Version von Günter S. wird vom LfV, vom Landeskriminalamt und laut LKA auch von Torsten O. bestritten. Das muß niemanden verwundern, wenn man sich bewußt macht, was es bedeutet, sollte die Version von Günter S. stimmen: Der Informant Torsten O. wäre dann nämlich Unterstützer oder sogar Teil des NSU gewesen. Er müßte sich heute also schwer belasten. Mehr noch: Auch das LfV Baden-Württemberg würde schwer belastet werden – denn Torsten O. war einmal V-Mann des LfV, Deckname „Erbse“. Das ist bestätigt, wenn auch mit Verspätung. Trifft also die Version von Günter S. zu, hätte das LfV einen unmittelbaren Kontakt zum NSU gehabt. Und zwar spätestens 2003, als bereits vier Menschen ermordet worden waren. Grund genug also für LKA und LfV alles zu leugnen.

Unter falschem Etikett?

Das LKA erklärt, Torsten O. würde bestreiten, was der LfV-Beamte Günter S. sage. Hier steht mindestens Aussage gegen Aussage. Verdächtig ist allerdings, daß LKA, LfV und Innenministerium einem Informanten mehr Glauben schenken als einem Beamten. Wir müssen aber nicht auf der Glaubensebene stehen bleiben. Es gibt Möglichkeiten und Kriterien der Überprüfung. Die Frage ist zum Beispiel: Wie wurde Torsten O. vernommen? Als Zeuge – oder als Beschuldigter? Das ist ein Unterschied. Als Beschuldigter mußte er nicht die Wahrheit sagen. Er muß sich nicht selbst belasten. Doch wenn er als Beschuldigter vernommen wurde, müßte gegen ihn ermittelt werden. Und wenn er als Zeuge vernommen wurde – hatte er dann eine Aussagegenehmigung? Ist es vielleicht so, daß Torsten O. als Beschuldigter belehrt und vernommen wurde und seine Vernehmung als die eines Zeugen präsentiert wird? Unter falschem Etikett sozusagen. Das muß als erstes geklärt werden.

Befragen Sie Torsten O.

Lassen Sie sich die Vernehmung von Torsten O. geben. Laden Sie ihn selber vor und befragen Sie ihn. Besorgen Sie sich die V-Mann-Akte von „Erbse“. Von wann bis wann war er V-Mann? Was war sein Tätigkeitsfeld und wer hat ihn geführt? Hören Sie Günter S. an.

Eine weitere Merkwürdigkeit in dem Fall: Günter S. hat erklärt, nicht gewußt zu haben, daß der Hinweisgeber Torsten O. einmal V-Mann war, als er, S., von der Amtsspitze im August 2003 zu ihm geschickt wurde. Günter S. war im Bereich Wirtschaftsspionage tätig, V-Mann „Erbse“ im Bereich Rechtsextremismus. „Erbse“ ist ein Mann des früheren LfV-Präsidenten Helmut Rannacher, einst Leiter der Abteilung Rechtsextremismus, sowie seiner Nachfolgerin in der Abteilung REX, Bettina Neumann, heute Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Beide müssen gewußt haben, daß es sich bei Torsten O. um den V-Mann „Erbse“ handelte.

Warum wurde Günter S. zu ihm geschickt und warum wurde die V-Mann-Tätigkeit des Hinweisgebers gegenüber dem Beamten S. verschwiegen?

Es gibt einen bedenklichen Umgang mit dem Zeugen Günter S.

Im Bericht der EG Umfeld des Innenministers vom Februar 2014 steht, der Untersuchungsausschuß des Bundestages habe Herrn S. „letztlich als nicht glaubwürdig eingestuft“. Das ist unwahr. Der Ausschuß enthielt sich einer Bewertung und erklärte nur, der Widerspruch sei nicht zu lösen gewesen. Vielmehr zitiert der Ausschuß sogar einen Vermerk des BKA, in dem Günter S. bescheinigt wird, einen „sehr glaubwürdigen Eindruck“ gemacht zu haben.

Wie kommt das Innenministerium also zu einer solchen falschen Behauptung?

Im Gall-Bericht steht weiter, Günter S. habe angegeben, laut Torsten O. habe Uwe Mundlos ihn, Torsten O., in der Haft besucht. Doch Torsten O., so das Ministerium, sei zwischen 1998 und 2011 nicht in Baden-Württemberg in Haft gewesen, also habe Mundlos ihn gar nicht in der Haft besuchen können. Das Ministerium benutzt das als weiteren Beleg für die „Zweifel am Wahrheitsgehalt der Darstellung des Herrn S.“ Doch das Ministerium manipuliert. Denn: Günter S. hat den dargestellten Sachverhalt so nie geschildert. Er hat nie behauptet, Torsten O. habe ihm berichtet, von Mundlos im Knast besucht worden zu sein. Vielmehr hat Günter S. berichtet, Torsten O. habe laut eigener Aussage im Gefängnis Leute aus Ostdeutschland kennengelernt. Der Kontakt sei nach der Haftentlassung geblieben, und darüber sei er schließlich in Kontakt zu Leuten dieser Gruppe namens „NSU“ gekommen, u.a. Mundlos.

Fragen Sie das Innenministerium, warum es mit solchen Unwahrheiten operiert

Die Geschichte von Günter S. ist noch nicht zu Ende. 2005 wurde er wegen der Affäre „NSU-Torsten O.“ vorzeitig in den Ruhestand versetzt. – Ich will das an der Stelle nur vermerken. – Er wird wegen seiner Aussagen von Vertretern der Exekutive fortgesetzt herabgewürdigt. Dennoch stellte er sich im Sommer 2013 erneut und freiwillig seiner Verantwortung. In verschiedenen Medien waren die 14 Phantombilder von Heilbronn erschienen und Günter S. will in einem der Bilder den Hinweisgeber von 2003, Torsten O., erkannt haben. Er ist sich so sicher, daß er dem Innenministerium in Stuttgart als pflichtbewußter Beamter Meldung macht. Dort wird der Hinweis auf unsagbare wie unprofessionelle Weise abgetan. Der Gall-Bericht dokumentiert diesen beschämenden Vorgang. Er dokumentiert die Blockade der Ermittlungen.

V-Mann, oder Ex-V-Mann, am Anschlagstag in Heilbronn am Tatort?

Der Hinweis von Günter S. besagt nicht mehr und nicht weniger, als daß ein V-Mann, oder Ex-V-Mann, am Anschlagstag am Anschlagsort gewesen sein könnte. Der Mann war im Beisein von drei anderen Männern, die auf etwas warteten, so der Zeuge H., dem sie damals etwa eine dreiviertel Stunde vor der Tat auf der Theresienwiese auffielen und nach dessen Angaben das betreffende Phantombild gezeichnet wurde. Nach unseren Recherchen haben Torsten O. und der Mann auf der Theresienwiese nicht nur ein ähnliches Aussehen, sondern dieselbe Körpergröße und Statur.

Das gehört ermittelt und wird seltsamer Weise nicht ermittelt: Wo war Torsten O. am 25. April 2007? Hat er ein Alibi?

Torsten O. steht, wenn die Aussage von Günter S. stimmt, für die zahlreichen Verbindungen der Neonazi-Szene von Baden-Württemberg nach Ostdeutschland, die inzwischen vielfach belegt sind – nebenbei auch im Gall-Bericht. Der NSU nahm in Jena seinen Anfang, das Zwickauer Trio war einst ein Jenaer Trio. Auch nach Jena selber gibt es zahlreiche Kontakte von rechtsextremen Personen aus Baden-Württemberg. Unter anderem Nicole Schneiders, Michael Stingel, Michael Dangel, Martin S. und Wolfgang D.. Nicole Schneiders und Michael Stingel verkehrten in Jena in einem Burschenschaftshaus, in dem auch die Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes Ralf Wohlleben und André Kapke verkehrten. Wohlleben sitzt in München vor Gericht. Gegen Kapke wird wegen der Mordserie noch ermittelt.

Im Untersuchungsauftrag dieses Ausschusses steht, Punkt I.7.:

„…Es ist insbesondere zu klären, ob Mitglieder des Trios, ein wegen der Unterstützung der Straftaten des NSU vor dem OLG München Angeklagter oder eine andere Person auf der sogenannten 129er-Liste als V-Person oder Informant baden-württembergischer Sicherheitsbehörden geführt oder eingesetzt wurden…“ – Zitat Ende.
Kompliment. Sie sind nach meinem Überblick das erste Gremium, das diese Frage so explizit formuliert. Es geht bei dieser Frage vor allem um den Angeklagten Ralf Wohlleben. – Ich habe das mehrfach beschrieben und kann es, wenn gewünscht, noch einmal ausführen. – Allerdings bezieht sich die mutmaßliche V-Mann-Tätigkeit Wohllebens nicht auf das LfV, sondern auf das BfV. Ich hoffe, das schmälert das Aufklärungsinteresse dieses Ausschusses nicht.

Zu Rechtsanwältin Schneiders fehlen viele Unterlagen

Zur Personalie Wohlleben gehört unmittelbar die Personalie Nicole Schneiders. Die Rechtsanwältin, die in München Ralf Wohlleben verteidigt, hat zwei Jahre lang, von 2001 bis 2002, in Jena studiert und war dort in der NPD die Stellvertreterin des NPD-Vorsitzenden Wohlleben. Der Untersuchungsausschuß des Bundestages hat sich vom LfV Unterlagen zu Schneiders kommen lassen. Das Innenministerium hat knapp 300 gefilterte und selektierte Seiten zusammengestellt. Sie sind zum Teil geschwärzt und darin fehlen wundersamerweise die Jenaer Jahre. Beim LfV müssen aber mindestens vier ganze Ordner über Schneiders vorliegen. Zusätzlich beim IM (Innenministerium) ein weiterer Ordner über die Frau.

Lassen Sie sich sämtliche Ordner geben. Vollständig und ungeschwärzt

Welche Kenntnisse hatte das LfV über die rechtsextreme Szene in Jena?

In den Unterlagen tauchen mehrere V-Leute auf. Zum Beispiel „VM Rose“, mutmaßlich eine V-Frau. Die Abkürzung „VM“ wird auch für Frauen benutzt. Lassen Sie sich den Klarnamen von V-Frau Rose geben und die vollständige Akte. Es gibt um Nicole Schneiders herum mindestens sechs bis sieben V-Leute. Lassen Sie sich die Klarnamen geben und die Akten.

Aussagen der Zeugen vor dem Berliner Ausschuß stimmen nicht

Die LfV-Verantwortlichen Helmut Rannacher und Bettina Neumann haben vor dem U-Ausschuß in Berlin ausgesagt, mangels Quellen habe das Amt keinen Zugang zur rechtsextremen Szene in Baden-Württemberg gehabt. Auch der LfV-Verantwortliche Johannes Schmalzl ging in diese Richtung. Damit wollten sie erklären, warum die Taten und Kontakte des NSU im Land unentdeckt blieben. Die Aussagen der Zeugen vor dem Berliner Ausschuß stimmen nicht. Das LfV hatte entgegen deren Behauptungen zahlreiche Quellen in der rechten Szene.

Konfrontieren Sie Rannacher, Schmalzl und Neumann damit

Zu den Heilbronn-Ermittlungen:

In den Ermittlungsakten zum Mord auf der Theresienwiese werden Sie auf bemerkenswerte Aussagen stoßen, aber auch auf irritierende, auf Widersprüche und sogar auf Aktenmanipulationen.

Staatsanwalt hat Sachverhalt nicht korrekt vorgetragen

Verschiedene Zeugen sahen nach 14 Uhr an jenem 25. April 2007 drei blutverschmierte Männer nahe des Tatorts. Die Zeugin L.W. sah einem blutverschmierten Mann am südlichen Eingang zur Theresienwiese sekundenlang und nur wenige Meter entfernt ins Gesicht. Seine linke Körperseite war blutbesudelt. Sie hatte ihn frontal vor sich. Wer die Stelle in Augenschein nimmt, erkennt, warum das so war. Die Zeugin W. ist glaubhaft. Der Erste Staatsanwalt von Heilbronn, Christoph Meyer-Manoras, bescheinigte ihr dagegen „Unglaubwürdigkeit“. – Die Gründe, die der Staatsanwalt angibt, sind mutwillig. Außerdem hat er dem Untersuchungsausschuß in Berlin den Sachverhalt nicht korrekt vorgetragen. Wenn gewünscht, erläutere ich das. – Von dem blutverschmierten Mann wurden zwei Phantombilder erstellt. Ein Zeuge, der an anderer Stelle, weiter südlich, einen blutverschmierten Mann sah, blutverschmiert rechts, ist eine V-Person der Heilbronner Polizei. Auch von diesem blutverschmierten Mann wurde ein Phantombild erstellt. Der verantwortliche Staatsanwalt von Heilbronn bezeichnete auch diesen Zeugen als unglaubwürdig. Der Zeuge A.M. sah einen Mann, der im Neckar seine blutverschmierten Hände wusch und der in Begleitung einer Frau und eines zweiten Mannes war. Von dem Blutverschmierten und der Frau wurden Phantombilder erstellt. Bei den drei Blutverschmierten handelt es sich um drei verschiedene Männer. Die SoKo Parkplatz ging aufgrund dieser korrespondierenden Zeugenaussagen davon aus, daß die Tat von vier bis sechs Personen begangen wurde. Auch Martin Arnold, der schwerverletzte Beamte, ließ ein Phantombild erstellen. Laut Bericht der SoKo Parkplatz vom April 2011 zeige es „mit hoher Wahrscheinlichkeit den Täter.“ Kein einziges der Phantombilder – insgesamt zwölf verschiedene Männer – ähnelt aber Böhnhardt oder Mundlos. Das Phantombild der Frau nicht Zschäpe.

Phantombilder sind relevant

Das LKA wollte drei der Phantombilder für die Fahndung herausgeben. Der Erste Staatsanwalt von Heilbronn untersagte das. Doch die Phantombilder haben eine Relevanz. Sämtlichen Polizeibeamten aus Böblingen und Heilbronn wurden die Phantombilder vorgelegt – mit zum Teil verstörendem Ergebnis. Dazu komme ich noch. 2012 wurden den Heilbronner Zeugen, nach deren Angaben die Phantombilder erstellt wurden, Fotos von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und dem Angeklagten Holger Gerlach vorgelegt. Niemand erkannte unter den vieren jene Person, die ihm damals aufgefallen war.

Fahrer rief: „Dawei, dawei“

In den Akten werden Sie dann auf eine Spur stoßen, die nicht restlich geklärt ist: Am Tattag soll ein Angler russischer Herkunft auf Höhe des Trafohäuschens, wo der Mord geschah, am Neckar geangelt haben. Er soll Bekannten gegenüber mitgeteilt haben, er wüßte, welche Nationalität die Täter hatten, denn er habe sie reden gehört. Anzunehmenderweise eben Russisch. „Russisch“ – das korrespondiert zum Beispiel mit der Wahrnehmung jenes Zeugen, der einen blutverschmierten Mann, blutverschmiert rechts, in ein Auto springen sah, dessen Fahrer „dawei, dawei!“ rief.

Fragen Sie die Zielfahndung des LKA, die nach diesem Angler gesucht haben will, warum sie ihn nicht gefunden hat.

Waren beim Anschlag Polizisten in der Nähe?

Der Zeuge A.K. passierte am Tattag gegen 13.45 Uhr, also bevor Kiesewetter und Arnold auf der Theresienwiese ankamen, – das war gegen 13:55 Uhr – mit seinem Fahrrad von Böckingen kommend die Theresienwiese. Dabei bemerkte er auf dem Platz ein parkendes Polizeifahrzeug, jedoch nicht am Trafohaus, wo die späteren Opfer parkten. Ein unidentifiziertes Polizeiauto auf der Theresienwiese? Es gibt dazu weitere Beobachtungen: Der Zeuge M.K. sah gegen 13:45 Uhr einen Streifenwagen der Polizei von der Otto-Konz-Brücke kommend in die Theresienstraße einbiegen, die an der Theresienwiese entlang führt. Kiesewetter und Arnold konnten das nicht gewesen sein. Sie nahmen einen anderen Weg, kamen vom Polizeirevier, fuhren durch die Innenstadt und am Bahnhof vorbei über die Frankfurter Straße zur Theresienwiese. Der Zeuge E.R. fuhr gegen 13.50 Uhr aus Richtung Bahnhof kommend über die Theresienstraße zur Otto-Konz-Brücke. Vor der Kreuzung Theresienstraße-Karlsruher Straße bemerkte er in der Einfahrt zur Theresienwiese ein Polizeifahrzeug.
Also zwei Streifenwagen am Tatort, wenige Minuten vor dem Anschlag? Nicht ermittelte Spuren.

Aussagen der Polizisten reich an Auffälligkeiten

Nun zu den Vernehmungen der Polizeibeamten aus Böblingen und Heilbronn. Sie sind reich an Auffälligkeiten. Die Polizeibeamtin Yvonne M., die mit Michèle Kiesewetter zusammengewohnt hat und wie sie in Ostdeutschland aufwuchs, sagt bei ihrer Vernehmung zunächst den Satz: „Eine Tat aus den eigenen Reihen schließe ich aus.“ Dann entwickelt sie ein verblüffendes Szenario: „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Tat von mehreren begangen wurde, ich glaube sogar von mehr als nur zwei Personen. Die Frage kam damals auch auf, ob das am helllichten Tag an diesem Ort Sinn macht. Wenn man am Tatort steht, dann merkt man, dass die Täter nicht unbedingt auffallen müssen. Es fahren ständig Züge und es ist dann so laut, dass man einen Schuss vermutlich nicht hören wird. Wenn dann noch einige Mittäter an bestimmten Knotenpunkten als Streckenposten aufgestellt werden und die Passanten mit „unauffälligen Fragen“, z.B. Frage nach dem Weg, einer Straße oder so ähnlich, aufhalten, dann muss das keiner bemerkt haben. Manchmal sind es auch ganz belanglose Dinge, die so unauffällig sind, dass man sie z.B. als Zeuge gar nicht erwähnt. Wenn ich am Tattag z.B. nach dem Weg gefragt werde, dann ordne ich das nicht dem Mordfall zu. Ich denke daher auch, dass es eine geplante Tat war.“ – Zitat Ende.

Wie kommt die Beamtin auf ein solches Szenario?

Interessanterweise passen dazu verschiedene Beobachtungen von Zeugen. Die Zeugin T.F. und der Zeuge T.B. sahen gegen 14 Uhr unabhängig voneinander drei Männer, die vom Tatort Richtung Norden, Hafenstraße, flohen. Es paßt die Wahrnehmung jenes Zeugen, dem etwa eine dreiviertel Stunde vor der Tat eine Gruppe von vier wartenden Männern auffiel. Und der Zeuge Peter S., der kurz nach 14 Uhr die Opfer liegen sah und daraufhin bei Taxifahrern am Bahnhof als Erster Meldung über die Tat machte, berichtete vor dem Oberlandesgericht in München Folgendes (21.1.2014): Auf dem Radweg von Böckingen an der Theresienwiese vorbei Richtung Bahnhof sei, als er die Opfer entdeckte, „ungeheuer viel los“ gewesen. Doch als er kurz darauf vom Bahnhof zurückkam, sei „kein Mensch mehr dagewesen“. Und wörtlich: „Das war wie verhext.“ Ein solches Szenario, wie es die Polizistin Yvonne M. entwickelte, paßt schließlich auch zu der Annahme der SoKo Parkplatz von den vier bis sechs Tätern. Konservativ gerechnet. Progressiv könnten es sogar fünf bis zehn Täter gewesen sein.

Das Motiv für die Tat fehlt bislang

In den Vernehmungen der Beamten wird die Hypothese formuliert, es handle sich um einen „lauten Mord“. Am hellichten Tag, mitten in der Stadt, vor allen Leuten – damit sollte ein Zeichen der Stärke und Unangreifbarkeit der Täter-Gruppierung gesetzt werden. Die Opfer seien ein „Ersatzziel“ gewesen, vielleicht für die Einheit. Nicht weniger als 15 Beamte der BF-Einheit aus Böblingen waren am Tattag in Heilbronn – und das, obwohl die BFE-ler die Anweisung hatten, Urlaub zu machen und Überstunden abzufeiern.
Warum also waren dennoch so viele in Heilbronn? Und warum tat fast die Hälfte ihren Dienst in Zivil? Gab es vielleicht Hinweise auf eine bevorstehende  Aktion? Waren darin Beamte verwickelt?

Allen vernommenen Beamten wurden die 14 Phantombilder vorgelegt

Der Beamte Danyel K. sagt (13.10.2010): Bei dem Phantombild der Frau „könnte es sich um die Kollegin Yvonne M. handeln“. Der Beamte Thomas K. sagt, die Phantombild-Frau mit dem Kopftuch komme ihm vertraut vor. Er komme aber nicht drauf, wem sie ähnlich sehe. Der Beamte Jochen R. sagt (14.10.2010), das Phantombild des Mannes, blutverschmiert links, „sieht so ähnlich aus, wie der Kollege S. Er war an dem Tag im Einsatz, am Bahnhof und zwar in zivil.“ Der Beamte Reiner M., Polizeidirektion Heilbronn, sagt zu dem Phantombild, das der angeschossene Beamte Arnold erstellen ließ: „Die Person gibt es. Ich würde sagen, daß der schon mal in einer Sache bei mir auf der Dienststelle war.“
Es gibt noch mehr Bemerkungen dieser Art über Ähnlichkeiten von Phantombildern mit realen Personen.

Die Akten sind unvollständig

In einem Aktenvermerk vom Dezember 2010 bemängelt die SoKo Parkplatz, daß Unterlagen der Bereitschaftspolizei Böblingen „nicht vollumfänglich vorliegen“. In diesen Unterlagen geht es u.a. um die „NoeP“-Tätigkeit von Michèle Kiesewetter – NoeP steht für „Nicht offen ermittelnde Polizistin“.

Manipulationen bei den Ermittlungsakten?

Bei drei Beamten – Rainer B., Mathias H. und  Patrick H. – stößt man auf folgende Merkwürdigkeit: Bei ihren Vernehmungen im Jahr 2010 wird ihnen ihre angebliche Erstvernehmung von 2007 vorgehalten. Alle drei erklären – unabhängig voneinander – damals gar nicht vernommen worden zu sein. Die Vernehmung nun, im Oktober 2010, sei ihre erste Vernehmung. Sie bestätigen gleichzeitig aber, daß die Unterschrift auf dem letzten Blatt der angeblichen Erstvernehmung ihre Unterschrift sei. Der Sachverhalt kommt offensichtlich auch der SoKo Parkplatz verdächtig vor. Die Sachbearbeiterin macht dazu einen extra Vermerk. Er ist „VS – nfD“ eingestuft. Warum? Weil die Manipulation geheim bleiben sollte? In den vorliegenden Ermittlungsakten wiederum finden sich diese angeblichen Erstvernehmungen von 2007, die den drei Beamten vorgehalten wurden, nicht mehr.

Eine doppelte Aktenmanipulation also? Fingierte Vernehmungen von 2007 – die dann aus den Ermittlungsakten herausgenommen wurden?

Der Beamte Patrick H. sagt in der Vernehmung 2010: Er habe am Tag vor der Tat auf der Theresienwiese Pause gemacht, zusammen mit der Kollegin S. Die Kollegin S. wurde später nach Thüringen versetzt. Von ihr liegt keine Vernehmung vor. In seiner angeblichen, von ihm bestrittenen Erstvernehmung soll der Beamte H. angegeben haben, am Tatort nie Pause gemacht zu haben.

Haben die Ermittler in Heilbronn Spuren verwischt?

Der Beamte Rainer B., der seine angebliche Erstvernehmung bestreitet, ist einer von vier Beamten, deren DNA an der Bekleidung von Kiesewetter und Arnold gefunden wurden. Wie die dort hin kam, können die Ermittler nicht sagen. Der Polizeibeamte Daniel S. war am Tattag in Heilbronn. Laut Akten kontrollierte er nach der Tat von 14.45 Uhr bis 14.55 Uhr, also ganze zehn Minuten lang, Passanten auf der Theresienwiese. Auch von Daniel S. wurden DNA-Spuren an Gürtel und Hose von Martin Arnold gefunden.  Eine Vernehmung von Daniel S. findet sich nicht in den Unterlagen.
Gehen Sie diesen Ungereimtheiten in den Akten auf den Grund.

Offene Fragen zu einigen Personen – zunächst Martin Arnold

Er wurde am 25. April 2007 mit seiner schweren Kopfverletzung ins Klinikum Ludwigsburg geflogen und dort mehrfach operiert. Am 15. Mai, nach drei Wochen, wurde er zur Rehabilitation nach Neresheim ins SRH-Fachkrankenhaus gebracht. Aus Ärztekreisen in Ludwigsburg stammt eine Information, daß Arnold drei Tage nach seiner Einlieferung in Ludwigsburg, also etwa am 28. April, kurzzeitig weggebracht worden sein soll. Diese Information wurde vom Klinikum Ludwigsburg nicht dementiert, sondern es wurde auf die zuständigen Behörden verwiesen. Das Innenministerium verweigerte die Auskunft. Ebenso die Bundesanwaltschaft. Ein Kollege erhielt allerdings auf die selbe Frage die Auskunft, Arnold sei – Zitat – „kurz nach seiner Noteinlieferung in Ludwigsburg ins Fachkrankenhaus Neresheim verlegt“ worden. Man kann diese Auskunft so interpretieren: Die Information, Arnold wurde verlegt, wird bestätigt, aber mit dem falschen Ort zu falschen Zeit vermengt.
Wurde der schwerverletzte Beamte tatsächlich – kurzzeitig – weggebracht? Wenn ja, wohin? Wer hat das veranlasst? Und vor allem: Warum?

Alexander Horn:

Der Vermieter des Wohnmobils aus Chemnitz, das von Böhnhardt unter dem Namen Gerlach angemietet worden war, das am 25. April 2007 mutmaßlich in Heilbronn war und das jedenfalls bei der Ringfahndung in Oberstenfeld eine halbe Stunde nach der Tat ostwärtsfahrend registriert wurde (Kz. C-PW 87) – dieser Vermieter war am 25. April 2007 ebenfalls in Heilbronn. Das ergab seine Befragung vor dem OLG in München. (12.11.2013) Der Grund sei gewesen, daß er einen Gebrauchtwagen angeschaut habe, irgendwo „in einem Gewerbegebiet“. Er habe das Fahrzeug gekauft und direkt mitgenommen. Und dann auf Nachfrage von Nebenklageanwälten: Das Fahrzeug existiere aber nicht mehr, weil es bei der Überführung nach Chemnitz einen Unfall „mit Totalschaden“ gehabt habe. Bei seiner Vernehmung durch das BKA bzw. LKA (Ba-Wü/Regionaler Ermittlungsabschnitt) im Dezember 2011 (22.12.2011) hatte Horn dagegen erklärt, er habe in Heilbronn keine Geschäftspartner und sich dort am 25. April 2007 auch nicht aufgehalten. Die Bundesanwaltschaft hat nach Horns Aussage vor dem OLG angekündigt, den Sachverhalt (gekauftes und verunfalltes Fahrzeug) ermitteln zu wollen. Ob das geschah und wenn ja, mit welchem Ergebnis entzieht sich meiner Kenntnis.
Fragen Sie nach: Wurde ermittelt und was ergaben die Ermittlungen? Lassen Sie sich die Unterlagen geben.

V-Frau „Krokus“ des LfV Baden-Württemberg:

Sie macht Aussagen, die ihr ehemaliger V-Frau-Führer bestreitet. Sie will 2006 Zschäpe in Ilshofen und Böhnhardt in Erlenbach getroffen haben. Sie erklärt, von 2006 bis 2012 als V-Person gearbeitet zu haben, also schon zur Zeit des Anschlages. Ihr V-Frau-Führer Rainer O. dagegen behauptet, sie sei erst nach dem Mord rekrutiert worden und sei von Sommer 2007 bis 2010 als Informantin tätig gewesen. Das läßt sich überprüfen. Zum Beispiel anhand der Personaldaten im LfV. Im Fall „Krokus“ steht Aussage gegen Aussage. Der U-Ausschuß des Bundestages in Berlin hat nur den LfV-Beamten O. gehört, nicht die V-Frau. Das muß nachgeholt werden. Der Fall zeigt nebenbei, daß es keinen Sinn macht, nur V-Mann-Führer zu hören. Im Gegenteil: An erster Stelle müssen die V-Leute gehört werden. Sie sind die unmittelbareren Zeugen.

Tino Brandt:

Der Neonazi-Aktivist des Thüringer Heimatschutzes und V-Mann des Verfassungsschutzes war Besitzer eines Hauses in Hardthausen nördlich von Heilbronn von 2004 bis 2008. Laut Innenministerium und laut Brandt selber habe er nicht in dem Haus gewohnt. Unklar ist bis heute, wer sich möglicherweise dort aufgehalten hat und wofür das Haus genutzt wurde. Theoretisch vorstellbar ist, daß es sich um eine konspirative Wohnung gehandelt hat, in der Treffen von V-Mann-Führern mit V-Leuten stattfanden. In Hardthausen lebt der ehemalige NPD-Aktivist und V-Mann des LfV, M.L. Und es gibt Hinweise auf einen weiteren V-Mann dort in der NPD. Die Person M.L., ehemals Landeschef der NPD-Jugendorganisation JN (Junge Nationaldemokraten) hatte Kontakte nach Thüringen. Unter anderem zu Patrick Wieschke aus Eisenach, früherer JN-Chef von Thüringen, heute NPD-Landeschef. Wieschke zählt zum NSU-Umfeld. Mit ihm wiederum hängt Carsten Schultze zusammen, ehemals zweiter JN-Chef von Thüringen, heute Angeklagter in München. Und mittendrin der Spitzel und NPD-Funktionär Tino Brandt. Brandt hat in München vor dem OLG ausgesagt (16.7.2014), er habe das Haus in Hardthausen damals für einen „Geschäftsmann aus Thüringen“ gekauft.
Wer ist dieser „Geschäftsmann“ und was tat er?

Der Fall Florian Heilig:

Dazu an dieser Stelle nur ein Gedanke: Die Todesermittlungen wurden von der Stuttgarter Polizei durchgeführt. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit NSU und dem Heilbronn-Mord jedoch liegen in den Händen der Bundesanwaltschaft. Dort liegen mindestens zwei Vernehmungen mit Heilig vor, die bisher nicht bekannt sind und auch dem Untersuchungsausschuß des Bundestages nicht zur Verfügung gestellt wurden.
Auch hier gilt: Lassen Sie sich diese Akten aus Karlsruhe kommen, ungeschwärzt.

Geheimschutz ist Täterschutz

Der Innenminister hat dem Ausschuß zehntausende Aktenseiten geliefert. Überprüfen Sie, ob sie vollständig sind. Akzeptieren Sie keine Herausnahmen von Blättern und keine Schwärzungen durch Behörden, die Ihr Untersuchungsgegenstand sind. Akzeptieren Sie keine geheimschutzlichen Einstufungen durch Organe des Sicherheitsapparates, die an der Verhinderung der Aufklärung beteiligt sind. Und die sogar im Verdacht stehen, in die Mordserie verstrickt zu sein. Keine Aussagegenehmigungen, die nämlich immer Aussageeinschränkungen sind. Geheimschutz ist Täterschutz. Sie sind als Gremium des Parlamentes unabhängig und nicht der Exekutive nachgeordnet.

Neonazis, der Verfassungsschutz, die organisierte Kriminalität sowie die Polizei

Auch nach drei Jahren wissen wir nicht, was der NSU-Komplex genau war und ist. Wir kennen aber Bestandteile: das sind Neonazis, der Verfassungsschutz, die organisierte Kriminalität sowie die Polizei. Wie sie zusammenhängen, das müssen wir alle herausfinden. Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe waren ein Teil dieses Geflechtes.

Schlußbemerkungen:

Im Januar 2012 hat der Bundestag seinen Untersuchungsausschuß zum Thema NSU eingesetzt. Seine Fortsetzung ist nur eine Frage der Zeit. Im Februar 2012 folgte der U-Ausschuß in Thüringen, dessen Fortsetzung bereits beschlossen ist. Im April 2012 begann der U-Ausschuß in Sachsen, im Juli 2012 der in Bayern. Im Jahr 2014 rangen sich die Parlamente in Hessen, NRW und Baden-Württemberg zu einem U-Ausschuß durch. Nach drei versäumten Jahren.

Was geschah in Baden-Württemberg?

Nach dem Bekanntwerden des NSU im November 2011 erklärte der Innenminister, alle Ermittlungen seien von da an darauf ausgerichtet gewesen, die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos nachzuweisen. Das war tendenziös – und ist gescheitert. Es erbrachte quasi sogar den Gegenbeweis. Ermittlungsbericht BKA, Oktober 2012, im Wortlaut: „Ein eindeutiger Nachweis, daß Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am Tattag in unmittelbarer Tatortnähe in Heilbronn waren, konnte bislang nicht erbracht werden.“ Fragen Sie sich, warum die Bundesanwaltschaft das Gegenteil behauptet. Die Frage steht zwar nicht im Untersuchungsauftrag – aber sie steht für alle sichtbar im Raum.

Etikettenschwindel und Hochstapelei

Vor zwei Jahren setzte der Innenminister dann die so genannte Ermittlungsgruppe Umfeld ein, um den NSU-Komplex aufzuklären. Eine Ermittlungsgruppe, die ihren Namen nicht verdient hat. Sie hat nicht ermittelt, sondern lediglich Befragungen durchgeführt. Etikettenschwindel und Hochstapelei könnte man sagen. Etwa ein Drittel der KKK-Mitglieder (Ku-Klux-Klan) verweigerte gegenüber der EG schlicht die Antwort. KKK-Mitglied und V-Mann „Corelli“ wurde nicht mal angesprochen. Jetzt geht es nicht mehr.

„Verhalten macht mich mitrauisch“

Vor einem Jahr veröffentlichte der Innenminister den Bericht dieser EG Umfeld. Er wurde durch alle Fraktionen hindurch hoch gelobt. Besser könne es ein Untersuchungsausschuß nicht machen, erklärte ein SPD-Abgeordneter, der heute als Obmann hier in diesem UA sitzt. Im O-Ton sagte er unter anderem: „Der Bericht der EG Umfeld ist gerade deshalb so gut, weil er nicht alle Fragen beantwortet.“ Ähnlich der Obmann der FDP. Auch er sprach sich entschieden gegen einen Untersuchungsausschuß aus und sagte wörtlich: „Natürlich sind nicht alle Rätsel gelöst – sie können wahrscheinlich auch nicht gelöst werden.“ Und der CDU-Vertreter, der heute der stellvertretende Vorsitzende dieses UAs ist, meinte: Ein Untersuchungsausschuß bringe keinen Gewinn. Wie es weiterging, ist inzwischen Landesgeschichte: Nach der EG Umfeld kam die Enquetekommission, um zu verhindern, daß ein UA eingerichtet wird. Diese Kommission fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Daß dann urplötzlich wie Phönix aus der Asche dieselben Abgeordneten einen NSU-Untersuchungsausschuß installierten, die ihn bis dahin energisch bekämpften, macht uns – macht mich – mißtrauisch.

Ich sehe ein Problem darin, wenn Abgeordnete ihr eigenes früheres Regierungshandeln aufarbeiten sollen.

Es fehlt der Abgeordnete Daniel Lede Abal

Ich vermisse andererseits hier Abgeordnete, die in den letzten drei Jahren nicht untätig herumsaßen oder mauerten, sondern die sich bemühten aufzuklären. Zum Beispiel der Abgeordnete Daniel Lede Abal. Er forderte seit Jahren diesen U-Ausschuß. Er hat sich in der Materie kundig gemacht, Gespräche geführt, recherchiert. Vielleicht der Abgeordnete des Landtages, der sich am besten im NSU-Komplex auskennt. Er sitzt nicht in diesem Ausschuß, weil ihn der Bannstrahl der größten Fraktion traf. Er hat gelogen, richtig, das gehört sich nicht. Doch die CDU mißt mit zweierlei Maß. Die Unwahrheiten des Innenministers akzeptiert sie, sie passen ihr ins Konzept. Obendrein wage ich zu bezweifeln, daß einer Partei, die ebenfalls drei Jahre lang die Aufklärung verhinderte, die Legitimation fehlt, in dieser Weise zu richten. Wollte sie die Affäre benutzen, um einen qualifizierten Abgeordneten loszuwerden? Kurz: Beenden Sie den kleinkarierten Bannstrahl gegen Daniel Lede Abal und sorgen Sie dafür, daß er hier Platz nehmen und mitarbeiten kann. Sie brauchen seine Kompetenz. Sie haben keine Ressourcen zu verschleudern.

Wir brauchen die maximale Öffentlichkeit

Vorletzter Punkt: Eine Initiative von Bürgern begleitet und beobachtet diesen Ausschuß kritisch. Protokolliert das Gesagte und kommentiert es. Das ist gut. Sehen Sie darin nicht lästige Störenfriede, sondern begreifen Sie diese Öffentlichkeit als Ihren Bündnispartner. Wir Journalisten, die Dutzende von engagierten Opferanwälten, Abgeordneten und auch tatsächliche Ermittler  – wir allein können den NSU-Komplex nicht lösen. Wir brauchen die maximale Öffentlichkeit. Die Aufklärung muß zur nationalen Sache werden.

Und deshalb ein allerletzter Vorschlag: Übertragen Sie die Ausschußsitzungen live im Fernsehen und Radio.

Weitere Informationen im Internet über das Thema NSU:

http://www.kontextwochenzeitung.de/ueberm-kesselrand.html?tx_news_pi1[news]=389&tx_news_pi1[controller]=News&tx_news_pi1[action]=detail&tx_news_pi1[overwriteDemand][issues]=23

http://politik-im-spiegel.de/der-klan-als-nsu-jger/

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„Wer rettet wen?: Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit“ – Dokumentarfilm läuft in Schwäbisch Hall

Der Film „WER RETTET WEN? Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit“ läuft am Freitag, 27. Februar 2015, um 20 Uhr im Kino im Schafstall in Schwäbisch Hall. Das Kino im Schafstall zeigt den Film zusammen mit  „UmFairteilen“ Schwäbisch Hall und dem Ver.di-Ortsverein Schwäbisch Hall. Bei der Vorstellung ist die Regisseurin Leslie Franke anwesend.

Von der Gruppe „UmFairteilen“ Schwäbisch Hall und dem Ver.di-Ortsverein Schwäbisch Hall

Engagierte Dokumentarfilme

Bei dem aktuellen Film handelt es sich um eine internationale Koproduktion von Leslie Franke und Herdolor Lorenz. Länge: 104 Minuten. Die RegisseurInnen Leslie Franke und Herdolor Lorenz sind AutorInnen und FilmproduzentInnen. Sie leben in Hamburg und produzieren seit den 1980er Jahren engagierte Dokumentarfilme. Zu ihren erfolgreichsten Filmen gehören Water makes Money (2011) und Bahn unterm Hammer (2007).

Zum Inhalt von „Wer rettet wen?“:

Der Dokumentarfilm der Hamburger Regisseure Leslie Franke und Herdolor Lorenz zeigt mit erschütternden Interviews, wie sehr die Menschen in Griechenland und auch in Spanien unter der Finanzkrise leiden. Und er erklärt ausführlich, wie die Bankenkrise entstanden ist, warum die Rettung Griechenlands eigentlich eine Rettung der Banken ist: Ex-Banker erzählen, wie die Banken die Krise erst verursacht und dann davon profitiert haben. Und sie sind die einzigen Gewinner: Denn die EU übernahm ihre wertlos gewordenen Griechenland-Kredite. Beim Volk kam nichts an. Es wird gesagt, Griechenland ist gerettet worden, warum stellen sich die Griechen so an. Aber es wird vergessen, dass das Geld nicht mal bis Griechenland gekommen ist, es ist direkt zu den Gläubigern gegangen, das heißt zu den französischen, deutschen, englischen und amerikanischen Banken.

Leslie Franke, Regisseurin:

Die Politiker schauen zu und unterwerfen sich den Finanzmärkten

Dass es zur Krise kommen konnte, liegt auch an der Deregulierung der Finanzmärkte: Banken können immer mehr Kredite vergeben, da sie diese mit hoch riskanten Derivaten versichern. Derivate sorgen dafür, dass die Ausfall-Risiken in den Büchern gar nicht erst auftauchen. Der Ex-Banker Satyajit Das hat viele Derivate miterfunden, jetzt rechnet er mit der Finanzindustrie ab. Für die Regisseure von „Wer rettet wen“ wird das Volk zur Rettung der Banken verurteilt. Ganz undemokratisch. Und die Politik? Die schaut zu und unterwirft sich den Finanzmärkten.

Derivate können dafür benutzt werden, um Verluste zu verstecken, Gewinne an der Justiz vorbeizuschleusen, alles mögliche in den Bilanzen zu verbergen. Man kann damit Steuern vermeiden, man kann damit alle Regulierungen umschiffen einschließlich der Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

Satyajit Das, Ex-Banker:

Die Immobilienfalle in Spanien und der andere Weg in Island

Jeder normale Mensch geht bankrott, die Banken nicht  – in Spanien war das nicht anders. Den ausländischen Investoren für Immobilien wurde schon vor der Krise der rote Teppich ausgelegt. Millionen Spanier wurden in die Falle gelockt: Sie kauften für teure Kredite Wohnungen, die plötzlich viel weniger wert waren.  Wer nicht mehr zahlen kann, wird zwangsgeräumt. Mitleid gibt es nicht.  Nur in Island fand man einen ganz anderen Ausweg aus der Krise: Die Bürger nahmen ihr Schicksal in die Hand, forderten Neuwahlen und eine exakte Aufarbeitung der Bankenkrise – mit Erfolg. Hier gab es keine Rettung des internationalen Kapitals, sondern eine demokratische Umverteilung von oben nach unten. Auch Bankvorstände kamen nicht ungeschoren davon.

Die Finanzmärkte kontrollieren

Der Dokumentarfilm „Wer rettet wen?“ hatte am 11. Februar 2015 gleichzeitig in mehr als 150 europäischen Städten Premiere. Es ist ein beeindruckender Film, der eine andere Sicht auf Krisenländer wie Griechenland bietet. Und er ruft jeden Bürger auf, Verantwortung zu übernehmen – nur so können die Finanzmärkte kontrolliert werden.

Trailer des Film „Wer rettet wen?“:

http://www.cinema.de/film/wer-rettet-wen,6375039.html

 

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