Paul Michel aus Schwäbisch Hall war in der vergangenen Woche von Dienstag bis Samstagabend anlässlich der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Über seine Erlebnisse hat er für Hohenlohe-ungefiltert einen Artikel geschrieben. Paul Michel spricht von einem „aktuellen publizistischen Trommelfeuer gegen Linke“. Seinen kommentierenden Bericht bezeichnet der Autor als einen „Versuch, die von Herrschenden dabei benutzten Verdrehungen der Wirklichkeit richtig zu stellen“.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall, Augenzeuge der G20-Proteste in Hamburg
Betroffenheit wird zur Schau gestellt
Seit Sonntag sehen sich Linke einem publizistischen Trommelfeuer seitens jener Kreise ausgesetzt, die für den Polizeieinsatz beim G20-Gipfel in Hamburg verantwortlich zeichnen. Von jenen politischen Führungskreisen in SPD und CDU/CSU, die mit allen Wassern gewaschen sind und die begnadete politische Schauspieler sind, wird Betroffenheit zur Schau gestellt. Das politisch Sagbare soll auf Bekenntnisse Pro Polizei verengt werden. Alles andere ist nicht statthaft. Den Menschen wird eine “Narrative“ (Geschichte) in die Hirne gehämmert, die die politisch Verantwortlichen von jeder Verantwortung freispricht und Linken-Bashing zur Tageslosung macht.
Rückkehr zum Berufsverbot
Hamburgs OB Olaf Scholz (SPD) spricht von „heldenhaftem Einsatz“ der Polizei und erklärte im gleichen Atemzug Kritik an der Polizei für unzulässig. Er fordert Konsequenzen für die Anmelder der Demonstrationen und erwägt eine Schließung der „Roten Flora“. Kanzleramtsminister Peter Altmeier (CDU) verteidigt den Hamburger OB gegen Rücktrittsforderungen. Auch er will linke Zentren wie die „Rote Flora“ in Hamburg schließen lassen, sein Parteikollege Tauber fordert die Rückkehr zum Berufsverbot für Linke.
Drall ins Autoritär-Reaktionäre
Menschen, die sich nicht verordnen lassen wollen, was sie denken, werden geistig in den Schwitzkasten genommen. Wer sich nicht an die von Oben verordnete „Narrative“ (Geschichte) hält, muss damit rechnen, als verantwortungsloser Linksextremist abgestempelt oder gar Objekt polizeilicher Ermittlungen zu werden. Der von den politischen Eliten geführte Diskurs hat einen beängstigenden Drall ins Autoritär-Reaktionäre.
„Hamburger Linie“: Eskalation mit Ansage
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Zumindest bis zum Donnerstagabend (6. Juli 2017) wurde Gewalt nur von einer Seite ausgeübt, den Sicherheitskräften. Schon bevor der G20-Gipfel begann, herrschte an der Elbe der Ausnahmezustand. 38 Quadratkilometer Innenstadtgebiet wurden zur demokratiefreien Zone erklärt, in der nicht protestiert werden darf. Camps, in denen Gegner des G20-Gipfels übernachten können, werden untersagt oder mit schikanösen Auflagen belegt. Selbst wenn sie mühsam vor Gericht erstritten wurden, setzt sich die Polizei kurzerhand über ein Gerichtsurteil hinweg und verhindert gewaltsam den Aufbau der Zelte. Polizisten mit Maschinenpistolen stürmen die Wohnungen linker Aktivisten, weil sie sich in einem Zeitungsinterview positiv über Militanz geäußert haben sollen. Friedlich mit Musik feiernde Menschen in St. Pauli werden von der Straße gespült. Der renommierte Republikanische Anwaltsverein (RAV), dem selbst Hamburgs regierender Bürgermeister Olaf Scholz angehört, wird von der Polizei kurzerhand zur gefährlichen linksextremen Vereinigung erklärt.
Schraube noch einmal weitergedreht
Der Rot-Grüne Senat hatte mit Hartmut Dudde einen wegen seiner rabiaten Vorgehensweise ins Abseits geratenen und in die Schreibstube abgeschobenen notorischen Hardliner als obersten Einsatzleiter bestimmt. Dudde hatte einen kometenhaften Aufstieg gemacht, als Ronald Barnabas Schill („Richter Gnadenlos“) Innenminister war. Der Protestforscher Simon Teune äußert sich dazu in der „Süddeutschen Zeitung“ wie folgt: „Seit Jahrzehnten hat man in Hamburg die Taktik, draufhauen. Jetzt wurde beim G20-Protest die Schraube noch einmal weitergedreht… Einsatzleiter Dudde fährt diese Strategie seit langem… Wenn also Innensenator Grote und Olaf Scholz ihn als Einsatzleiter einsetzen, dann weiß man, woran man ist. Das war Eskalation mit Ansage.“
Strategie „Angst und Schrecken“
Dudde hatte verfügt, dass es in Hamburg keine Zeltlager für G20-GegnerInnen geben dürfe. Durchgesetzt wurde das mittels rabiaten Einsätzen, deren oberstes Ziel war, bei den DemonstrantInnen „Shock and Awe“ (Angst und Schrecken) zu verbreiten und ein Gefühl der Macht- und Hilflosigkeit auszulösen. Jede Wiese, die besetzt wurde, wurde mit martialisch auftretender Polizeiübermacht gestürmt. Die Beamten in Kampfmontur rissen bunte Iglu-Zelte weg, stießen friedliche Protestler, schlugen zu und setzten Pfefferspray ein. Am Dienstagabend wurde ich selbst Zeuge eines solchen Einsatzes. Zwei Hundertschaften der Polizei rissen in einem kleinen Park am Rande des Schanzenviertels sechs kleine Zelte nieder. 300 anwesende Sympathisanten der Zeltenden wagten wegen des brachialen Auftretens der Polizei nicht einmal zum Schutz der Zelte Ketten zu bilden. Dem Polizeitrupp war das aber offenkundig nicht Machtdemonstration genug. Ich sah, wie Polizisten fünf Meter neben mir – völlig grundlos – mit der chemischen Keule gegen Demonstrierende vorgingen. Direkt vor mir schlug ein auf Krawall gebürsteter Beamter einem Demonstranten mehrfach mit der Faust ins Gesicht.
Mittwoch: Duddes Kurs kurz vor dem Scheitern
Bis zum Mittwochabend war die Polizei mit ihrer harten Draufschlag Linie aber politisch in die Defensive geraten. Die harte Linie gegenüber den G20-Protestierenden stieß vielerorts auf vehemente Kritik. In die Parole „Ganz Hamburg hasst die Polizei“ stimmten auch viele „normale“ BürgerInnen ein. Hinzu kam, dass das Hamburger Schauspielhaus am Dienstagabend erklärte, es werde seine Räumlichkeiten für G20-GegnerInnen öffnen; Gleiches taten mehrere Pfarrgemeinden kund. Damit war der harte Kurs von Innensenator Andy Grote gegen die Camps faktisch gescheitert. Grote ließ nun zu, was er vorher konsequent durch massive Polizeieinsätze verhindert hatte: In zwei Hamburger Parks gab es nun Camps mit über 300 Zelten. Als am frühen Mittwochabend 25.000 Menschen in einer Nachttanzdemonstration durch die Straßen Hamburgs zogen, bedeutete das: Die Strategie der Hamburger Polizei stand am Mittwochabend kurz vor ihrem Scheitern. Der Plan von Scholz, Grote und Dudde war gewesen: Verbreitet sich frühzeitig die Nachricht, dass in Hamburg nirgends Platz zum Übernachten ist, werden sich viele potenzielle Störer erst gar nicht auf den Weg machen. Tatsächlich war das Gegenteil passiert: Immer mehr Menschen solidarisierten sich.
Gewalt durch die Polizei
Es gab zu diesem Zeitpunkt auch kaum einen Zweifel daran, von wem die Gewalt in der Stadt ausgeht: Von der riesigen ganz Hamburg in Beschlag nehmenden Polizeistreitmacht.
Paul Michel berichtet beim Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21:
Paul Michel war in der vergangenen Woche bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Von seinen Erlebnissen berichtet er am Donnerstag, 13. Juli 2017, um 18 Uhr bei der Sitzung des „Schwäbisch Haller Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21“ in der Gaststätte „Rose“ (Bahnhofstraße) in Schwäbisch Hall.
Vom Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
Informieren und mitdiskutieren
Paul Michel: „Ich war dort von Dienstag bis Sonntag und habe so einiges erlebt, das sich nicht mit dem deckt, was uns politisch Verantwortliche glauben machen wollen. Wer sich informieren und mitdiskutieren will, ist herzlich eingeladen. Schön wäre, wenn Ihr die Information in eurem Bekanntenkreis weiterleiten würdet.“
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