Bei der gewalttätigen Demonstration am 1. Mai 2009 in Ulm waren auch NPD-Mitglieder aus dem Landkreis Schwäbisch Hall dabei – NPD-Kreisvorsitzender Alexander Neidlein ist mit dem Ablauf zufrieden – „Bündnis gegen Rechts“ sucht Augenzeugen und Geschädigte

NPD- und JN-Funktionär Alexander Neidlein ist mit den Mai-Demonstrationen in Ulm und Neu-Ulm zufrieden.

NPD- und JN-Funktionär Alexander Neidlein aus Crailsheim ist mit den Mai-Demonstrationen in Ulm und Neu-Ulm zufrieden. Neidlein hatte zumindest die JN-Demonstration in Ulm als Verantwortlicher angemeldet.

Schwere Krawalle hat es bei Demonstrationen am 1. Mai 2009 in Ulm gegeben. Zeitgleich fanden dort die traditionelle Mai-Kundgebung der Gewerkschaften des DGB und eine Demonstration der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Nachwuchsorganisation der NPD statt. Die JN-Demonstration hatte nach Angaben der Stadt Ulm, der aus Crailsheim stammende JN-Landesgeschäftsführer Alexander Neidlein angemeldet. Neidlein ist auch Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Schwäbisch Hall/Main-Tauber.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Gewerkschaftsgebäude mit rechtsradikalen Farbschmierereien beschädigt

In Ulm gingen linke Gegendemonstranten und Teilnehmer der NPD-Demo aufeinander los und lieferten sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit starken Polizeieinheiten. Nach Polizeiangaben ging die Gewalt von linken Gruppierungen aus, die keine Demonstration angemeldet hatten. Die Stimmung in Ulm war schon im Vorfeld aufgeheizt gewesen. Bereits Wochen vor den Mai-Demonstrationen hatte es in Ulm Sachbeschädigungen durch rechtsradikale Farbschmierereien an verschiedenen Gewerkschaftsgebäuden gegeben.

21 Personen der Demonstration und 29 Polizisten wurden verletzt

Eine erste Bilanz der Mai-Krawalle in Ulm durch die Polizei ergab: Mehrere Straftaten wie Landfriedensbruch, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und eine Widerstandshandlung trüben das Resümmee der Polizeidirektion Ulm und der Bundespolizei in Stuttgart. 21 Personen wurden leicht verletzt, nachdem sie von Würfen mit Flaschen oder Steinen getroffen wurden oder Reizstoffen (Tränengas) der Polizei ausgesetzt waren. Unter den Verletzten war auch ein Fotograf der Deutschen Presseagentur (dpa). Insbesondere durch Böller, aber auch durch Steinwürfe, wurden 29 Polizeibeamte verletzt, darunter eine Beamtin schwer. Der Rettungsdienst war mit 21 Fahrzeugen und 48 Helfern im Einsatz, um vor Ort zu helfen oder Verletzte zur ambulanten Behandlung in Kliniken zu bringen. Mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei und der Feuerwehr wurden beim Münsterplatz durch Steinwürfe leicht beschädigt, ein Fenster ging in der Sterngasse zu Bruch.

„Bis zum späten Nachmittag mussten die Einsatzkräfte immer wieder verhindern, dass Gewaltbereite die Absperrungen zwischen Bahnhof und Neutorstraße überwinden und den Aufzug und die Kundgebung stören“, berichtet die Polizei. „Mit einer Reihe von Anti-Konflikt-Teams vermittelte die Polizei ihre Aufgabe und verhinderte an zahlreichen Stellen schon im Ansatz, dass sich Emotionen weiter hochschaukeln.“

Polizei spricht 440 Platzverweise aus

Eine Gruppe von rund 130 Personen separierte die Polizei in der Sattlergasse. Sie drohte nach deren Einschätzung, den Aufzug des DGB zu missbrauchen, um von dort aus Straftaten zu verüben. Auf richterliche Anordnung mussten sie mehrere Stunden im Gewahrsam der Polizei verbringen. Zehn Personen nahm die Polizei nach Straftaten vorübergehend fest, um deren Identität festzustellen. Sie wurden angezeigt. 29 weitere wurden nach kurzer In-Gewahrsam-Nahme wieder entlassen. Die meisten von ihnen erhielten Platzverweise. Nur wenige mussten bis zum Abend festgehalten werden. Insgesamt sprachen die Beamten gegen 440 Personen Platzverweise aus, um die Sicherheit in der Ulmer Innenstadt zu gewährleisten.

Die Bundespolizei sicherte nach eigenen Angaben durch einen starken Kräfteeinsatz die An- und Abreise der Veranstaltungsteilnehmer mit der Deutschen Bahn AG und einen störungsfreien Reiseverlauf anderer Bahnreisender. Gemeinsam trennten Bundes- und Landespolizei am Ulmer Hauptbahnhof die verschiedenen politischen Lager. Dabei mussten Wasserwerfer gegen 15.30 Uhr eine Gruppe von aggressiv auftretenden linken Gegendemonstranten auf Distanz bringen, aus der massive Übergriffe auf abreisende Teilnehmer des Aufzugs der Rechten drohten.

Gewalttaten sind bei der Staatsanwaltschaft Ulm noch nicht aktenkundig

Die Staatsanwaltschaft Ulm teilte auf Nachfrage von Hohenlohe-ungefiltert mit: „…die entsprechenden strafrechtlich relevanten Vorgänge haben wir im Auge. Jedoch sind diese bei der Staatsanwaltschaft Ulm noch nicht aktenkundig und bedürfen zunächst der Bearbeitung durch die ermittelnde Polizei. Geprüft werden die Vorfälle nach Angaben der Staatsanwaltschaft in vielfältiger Hinsicht (wegen der Vorwürfe der gefährlichen bzw. vorsätzlichen Körperverletzung, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung usw.).“

Bündnis ULM GEGEN RECHTS sucht Augenzeugen und Betroffene von Gewalttaten

Das Bündnis ULM GEGEN RECHTS (Internet: www.ulm-gegen-rechts.de/) ist nach eigenen Angaben bemüht, einen Beitrag zu einer offenen und ehrlichen Aufbereitung aller Vorkommnisse am 1. Mai zu leisten. Das Bündnis habe sich immer klar von Gewalt distanziert – das werde auch in Zukunft so bleiben. Gewalt sei kein Mittel der politischen Auseinandersetzung und schade dem gemeinsamen Anliegen aller Beteiligten, so die Organisatoren. Das Bündnis bittet daher um Unterstützung bei der Aufarbeitung der Krawalle. Wer am 1. Mai Gewaltszenen beobachtet hat, zu deren Aufklärung beitragen kann, mittelbar oder unmittelbar von Gewalt betroffen war oder dem Bündnis gegen Rechts seine Sicht der Dinge mitteilen möchte, kann sich unter info@ulm-gegen-rechts.de an die Organisation wenden.
Die Rechtsanwälte, die das Bündnis am 1. Mai unterstützt haben, bitten auch weiterhin um sachdienliche Hinweise (Augenzeugen-Berichte, Bilder), die zur Vertretung von Menschen, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind, hilfreich sein können.“ Diese Nachrichten werden an die entsprechenden Rechtsanwälte weiter geleitet.

Über 100 Straftaten wurden von der Polizei registriert – Tendenz steigend

Über 100 Straftaten verschiedenster Art hat die Polizei nach eigenen Angaben bislang im Zusammenhang mit den Ereignissen am 1. Mai in Ulm registriert. Tendenz: steigend. Auch die Zahl der Verletzten hat sich im Vergleich zu den ersten Meldungen erhöht. Wie die Polizeidirektion Ulm inzwischen mitteilt, hat sie eine Ermittlungsgruppe gebildet, um die Straftaten möglichst zügig und beweiskräftig aufzuarbeiten. Die Darstellung der Polizei: Am Rande des Aufzugs der Jungen Nationaldemokraten (JN) waren zahlreiche gewalttätige Störer auf Polizisten losgegangen, um ihre Absperrung zu durchbrechen und den Aufzug zu verhindern. Die Polizei hatte schon früh die Strecke abgesperrt, um den Aufzug zu ermöglichen, wie er vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt worden war. Hinter einer zweiten Absperrung hielt die Polizei am Bahnhof und entlang der ganzen Aufzugsstrecke Raum für Gegendemonstrationen offen. Auf diese Weise sollten alle Demonstranten ihr Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verwirklichen können. Weil dazu auch die Möglichkeit gehört, die Meinung anderen kundzutun, hat die Polizei beiden Lagern ermöglicht, sich auf Sichtweite zu nähern.
Um Gewalttätern ein Einwirken auf die angemeldeten Versammlungen zu verwehren, war die Polizei mit weit über 1.000 Beamten im Einsatz, darüber hinaus standen weitere Hundertschaften der bayerischen Polizei und der Bundespolizei bereit, um in ihrem Zuständigkeitsbereich den Schutz der Grundrechte (Versammlungsfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung) zu gewährleisten.

Kleinere Brände wurden gelegt, Pflastersteine geworfen – Polizeireiter und Wasserwerfer im Einsatz

„Angesichts der teils massiven Gewalt, der sich die Polizei gegenüber sah“, sei diese Unterstützung auch dringend erforderlich gewesen. Bereits auf halber Strecke des Aufzugs der JN, an der Einmündung Keltergasse/Wengengasse, griffen gewalttätige Gegendemonstranten die Polizisten an der Absperrung an. Kleinere Brände wurden gelegt. Die Polizei musste die Kräfte verstärken und Polizeireiter einsetzen, um die Gewalt zu stoppen. Schon hier wurden erste Polizisten verletzt. Nach Ende des Aufzugs stachelten sich die beiden Demonstrationsgruppen gegenseitig so auf, dass einzelne Gewalttäter wiederum Polizeibeamte angriffen. Sie warfen mit Pflastersteinen und Flaschen, vereinzelt scheinbar gezielt auf die Köpfe der Einsatzkräfte. Sie warfen auch Böller, die so laut explodierten, dass Polizisten Knalltraumata erlitten. Die Polizei fuhr deshalb Wasserwerfer auf, um den gewalttätigen Demonstranten ihre Entschlossenheit zu verdeutlichen. Nach einer Frist von mehreren Minuten, die Unbeteiligten ermöglichen sollte, sich zu entfernen, begannen Polizisten mit Unterstützung der Wasserwerfer den Bahnhofvorplatz zu räumen. Nachdem die Linie bis auf Höhe der Einmündung der Bahnhofstraße zurückgedrängt war, kehrte wieder Ruhe ein. Bis dahin waren aber mehrere Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr mit Steinen beworfen und erheblich beschädigt worden. Weiterer Sachschaden entstand insbesondere in der Sterngasse und der Keltergasse. Insgesamt 59 Verletzte vermeldet die Polizei, darunter 38 Polizeibeamte.

Vermummte Trittbrettfahrer

Bereits am Vormittag hatte die Polizei rund 130 Personen vom Aufzug des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der Sattlergasse abgetrennt. Diese wollten sich, teils vermummt, als geschlossener Block in die Spitze des DGB-Aufzugs einreihen. Weil zu erwarten war, dass sie den Aufzug für Straftaten missbrauchen, wurden sie an der Teilnahme gehindert. Trotz Aufforderung hatten sie ihre Vermummung nicht abgelegt. Die rund 130 Personen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen.
In einer vorläufigen Bilanz meldet die Polizei inzwischen 104 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten wie gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung, aber auch wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und Rauschgiftbesitz. Hinzu kommen möglicherweise weitere Anzeigen wegen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gegen die Personen, die in der Sattlergasse in Gewahrsam genommen wurden. Das Vermummen bei Versammlungen sowie das Mitführen von Gegenständen zur Vermummung sind nicht erlaubt.
Um die Ermittlungsverfahren zügig und beweiskräftig abzuarbeiten, hat die Polizei eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe eingerichtet. Die Ermittler werten neben den bereits vorhandenen Unterlagen auch die Einsatzdokumentationen der Polizei aus, um Hinweise auf weitere Straftaten und Täter zu erlangen.

NPD-Kreisverband Schwäbisch Hall/Main-Tauber zieht eine positive Bilanz der Demos

Eine positive Bilanz der Demonstrationen in Ulm und Neu-Ulm zieht der NPD-Kreisverband Schwäbisch Hall/Main-Tauber auf seiner Internetseite: „Am Tag der deutschen Arbeit veranstaltete die JN Baden-Württemberg erfolgreich eine 1. Mai Demonstration in Ulm bzw. Neu-Ulm. Nach verschiedenen Angaben waren rund 1000 Teilnehmer angereist, um den sozialen Protest kundzutun. Trotz der staatlich gestützten „Gegendemonstranten“ kam es zu keiner nennenswerten Behinderung beim Ablauf der Demonstration. Die Polizei setzte das gerichtlich erstrittene Recht, zu demonstrieren, ohne wenn und aber um. Daher kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den linken Chaoten und den Sicherheitskräften, die im Verlauf dessen auch Wasserwerfer gegen die Störer einsetzten. Auch der Kreisverband Schwäbisch Hall nahm mit einer Abordnung an der Demonstration teil.“ (Verantwortlich für die Inhalte auf der NPD-Internetseite ist der Kreisvorsitzende Alexander Neidlein)

Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner: Rund 10.000 Menschen demonstrierten friedlich – Das bleibt im Bewusstsein“

Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner gibt sich in der Bewertung des 1. Mai 2009 in der Donau-Stadt optimistisch: „Im Bewusstsein bleibt, dass sich tausende Menschen friedlich versammelt haben“. Ausdrücklich dankte er den Einsatzkräften und Helfern am 1. Mai. Der DGB-Umzug und die Kundgebungen, an denen rund 10.000 Menschen teilgenommen hatten, seien ein eindrucksvolles Zeichen für Demokratie und gegen politischen Fanatismus und Extremismus gewesen. Erhard Eppler, der als Hauptredner auf dem Münsterplatz gesprochen hat, dankte Gönner für dessen „großartige, aufrüttelnde und gleichzeitig mahnende Ansprache“.

Leider, so Gönner in einer Pressemitteilung, seien nicht alle an diesem Tag friedlich gewesen, sondern einige wenige hätten durch gezielte Agitation und geplante Gewaltanwendung gegen die Polizei für Ausschreitungen gesorgt. In einem Brief an den Chef der Ulmer Polizei, Karl-Heinz Keller, dankte Gönner ausdrücklich den Polizeikräften, die „in direkter Konfrontation mit diesen Krawallmachern Umsicht und Verhältnismäßigkeit gezeigt haben“. Er wünschte den verletzten Polizeibeamtinnen und -beamten eine rasche und völlige Genesung. Gönner betonte: „Im Bewußtsein der Bürgerinnen und Bürger der Städte Ulm und Neu-Ulm und der Region aber bleibt der Eindruck haften, dass sich tausende Menschen friedlich versammelt haben und ihre eindeutige Botschaft war und ist: Wir wollen weder Alt- noch Neonazis in unseren Städten und in unserer Region!“

Kein Wort verlor der Ulmer Oberbürgermeister allerdings zu den Verletzten aus den Reihen der Demonstranten.

Keine Krawalle und gewalttätigen Auseinandersetzungen hat es am 1. Mai 2009 im benachbarten Neu-Ulm auf der bayerischen Seite der Donau gegeben, sagte der Pressesprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West. Die Ulmer Polizei hatte die Brücken über die Donau nach Neu-Ulm abgesperrt und ließ keine offensichtlich gewaltbereiten Personen über den Fluss.

Die Polizei stellt ihre Aufgaben bei den Demonstrationen in Ulm und Neu-Ulm wie folgt dar:

Die Polizei gewährleistet den Teilnehmern der Versammlungen in Ulm und in Neu-Ulm ihre Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und auf freie Meinungsäußerung. Polizei und Versammlungsbehörden akzeptieren keine Straftaten, dazu zählt auch das Tragen von Waffen, Uniformen und Vermummung. Dagegen wird die Polizei konsequent vorgehen. Die Polizei bittet alle Bürger, sich von Straftätern zu distanzieren. Um die Sicherheit zu gewährleisten, erhalten die Polizeidienststellen in Ulm und Neu-Ulm Unterstützung durch die Bereitschaftspolizei aus Bayern und Baden-Württemberg und von anderen Polizeidienststellen. Aufklärungskräfte in ziviler Kleidung sind unterwegs, Kontrollstellen sind eingerichtet. Die Bundespolizei gewährleistet durch umfangreiche Maßnahmen die sichere An- und Abreise der Veranstaltungsteilnehmer mit der Deutschen Bahn AG und einen möglichst störungsfreien Reiseverlauf der anderen Bahnreisenden. Mit dem Einsatz von Anti-Konflikt-Teams will die Polizei aufkommende Spannungen frühzeitig erkennen und abbauen.

Weitere Infos zu den Demonstrationen am 1. Mai 2009 in Ulm und Neu-Ulm:

Initiative Ulm gegen Rechts: www.ulm-gegen-rechts.de/

Regio TV (Ulm): video.regio-tv.com/video_id_=16592

Bericht der ARD-Tagesthemen: www.youtube.com/watch?v=SHnqZoiiwyE

Bericht der Schwäbischen Zeitung: szon.de/lokales/ulm/ulm/200905011218.html

Bericht auf der Internetseite des Nachrichtenmagazins Stern: www.stern.de/panorama/:Aufm%E4rsche-1.-Mai-Linksautonome-Polizei/662653.html

Ulm gegen Rechts und gegen Krawalle: www.youtube.com/watch?v=hcAh1wsk36Y

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Interview mit Heide Rühle, Europaabgeordnete der Grünen (Teil2) – Europabüro Wolpertshausen und Pressestelle des Haller Landratsamts beantworten strittige Fragen nicht

Heide Rühle, Europaabgeordnete der Grünen.

Heide Rühle, Europaabgeordnete der Grünen.

Im Landhotel Kirchberg sprach die Europaabgeordnete Heide Rühle (Grüne) vor kurzem bei der Festveranstaltung „25 Jahre Unabhängige Grüne Liste Kirchberg/Jagst“. Hohenlohe-ungefiltert hat mit Heide Rühle in den Tagen danach ein schriftliches Interview zur Europapolitik geführt. Aus Zeitgründen beantwortete Heide Rühle die umfangreichen Fragen nicht auf einmal, sondern in zwei Etappen. Teil 1 dieses Interviews, ist bereits in Hohenlohe-ungefiltert erschienen (www.hohenlohe-ungefiltert.de/wp-admin/post.php?action=edit&post=1542). Teil 2 folgt heute (12. Mai 2009), unter anderem mit Fragen zum Verhältnis der EU zu den Kommunen. Die Fragen stellte Hohenlohe-ungefiltert-Redakteur Ralf Garmatter.

Nach wie vor steht zudem der Vorwurf im Raum, dass Heide Rühle von den Verantwortlichen des Europabüros in Wolpertshausen bei der Wiedereröffnung vor einigen Wochen kurzfristig von der Rednerliste gestrichen worden ist. „Frau MdEP Heide Rühle wurde nicht ausgeladen“, antwortete Thomas Scheu, Sprecher des Europabüros Wolpertshausen, auf Nachfrage von Hohenlohe-ungefiltert. Warum Heide Rühle bei der Festveranstaltung des Europabüros entgegen vorheriger Absprachen  trotzdem nicht sprechen durfte, ließ der Europabüro-Verantwortliche aber ebenso unbeantwortet wie die Mitarbeiter der Pressestelle des Landratsamts Schwäbisch Hall, die nach Angaben einer ihrer Mitarbeiterinnen auch für das Europabüro zuständig sind. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit sieht anders aus.

Zum besseren Verständnis des umstrittenen Sachverhalts hier noch einmal die Frage aus dem ersten Teil des Interviews mit Heide Rühle.

Sie sagten, dass Sie vor kurzem von einer Veranstaltung des Europabüros in Wolpertshausen ausgeladen worden seien: Um welche Veranstaltung handelte es sich dabei? Bei welcher Veranstaltung in Wolpertshausen durften Sie entgegen vorheriger Absprachen nicht sprechen?
Heide Rühle: Ich wurde vom Europabüro Wolpertshausen als Gastrednerin für die Festveranstaltung zur Wiedereröffnung des Europabüros eingeladen. Nachdem mit dem Europabüro sowohl der Titel meines Eingangsstatements als auch der organisatorische Ablauf  besprochen waren, erhielten wir vom Landrat eine Einladung zur Wiedereröffnung – im beigefügten Programm bin ich im Gegensatz zu meinen Kolleginnen Gräßle (CDU) und Gebhardt (SPD) allerdings von der Rednerliste gestrichen worden. Wir sind weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt informiert worden, dass bzw. geschweige denn, warum ich plötzlich nicht mehr als Gastrednerin vorgesehen war.
Trotzdem habe ich selbstverständlich das bereits geplante Rahmenprogramm mit der Unabhängigen Grünen Liste Kirchberg (UGL)  durchgeführt und zusammen mit dem Bundestagskandidaten Harald Ebner (Grüne) verschiedene Gespräche geführt und Projekte in Kirchberg besucht. Am Abend habe ich selbstverständlich am Festakt „25 Jahre UGL Kirchberg“ teilgenommen.

Interview mit Heide Rühle (Teil 2):

Was müssen Ihrer Meinungs nach Kommunalpolitiker vor Ort tun, damit mehr grüne Anliegen in den Kommunalparlamenten angestoßen und durchgesetzt werden? Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten grünen Themen in der Kommunalpolitik?

Heide Rühle: Die Antworten auf die großen Krisen und Herausforderungen, vor denen wir stehen – wie die Finanz- und Klimakrise – müssen zu einem großen Teil in den Kommunen gegeben werden. Verstärkte Investitionen der Kommunen in Energieeffizienz, in Wärmedämmung und in den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs kurbeln die Konjunktur an und leisten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz. Auch der Ausbau des Bildungssystems, der öffentlichen Dienste, des Gesundheits- und Pflegewesens schafft Arbeitsplätze und erhöht die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.

Wie können Mehrheiten in Europa organisiert werden, um die lokale Ebene ausreichend an EU-Entscheidungen zu beteiligen? Welche Folgen hat eine unzureichende Beteiligung der lokalen Ebene an EU-Entscheidungen? In welchen Bereichen wäre dies besonders gefährlich?

Heide Rühle: Zum einen durch den direkten Druck der Bürgerinnen und Bürger, indem sie sich direkt an ihre Abgeordneten in Brüssel wenden. Zum anderen durch Stellungnahmen und Initiativen der kommunalen Spitzenverbände.
Gefährlich wird es immer dann, wenn das kommunale Selbstverwaltungsrecht durch EU-Beschlüsse ausgehöhlt wird.  Leider gibt es bisher in den Europäischen Verträgen keine eindeutige Anerkennung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Nachdem die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof die Spielräume für die Erbringung der kommunalen Daseinsvorsorge immer restriktiver ausgelegt haben, stehen sich die auf Wettbewerb ausgerichteten Binnenmarktregeln der EU und die Gemeinwohlausrichtung der kommunalen Selbstverwaltung zunehmend entgegen. Daher richten sich auch meine Hoffnungen auf den hoffentlich bald in Kraft tretenden Vertrag von Lissabon, der eine ausdrückliche Achtung der „regionalen und lokalen Selbstverwaltung“ durch die Europäischen Verträge vorsieht. Mit ihm würde auch der inhaltsleere Begriff „Subsidiarität“ zu neuem Leben erweckt und die Kompetenzen zwischen den verschiedenen Ebenen der Europäischen Union (EU – Mitgliedstaat – Region – Kommune) geklärt. Während das Subsidiaritätsprinzip bisher nur auf das Verhältnis zwischen Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten Anwendung fand, würde es nunmehr auch auf das Verhältnis der Union zu den Kommunen angewendet.

Die Welt befindet sich in einer globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Sie sagen, dies sei nicht nur eine Folge fehlender Regulierung und des Platzens von Spekulationsblasen. Können Sie konkret erklären, was Sie in diesem Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit der Finanzmärkte meinen?

Heide Rühle: Der menschengemachte Klimawandel zeugt davon, wie unvernünftig wir wirtschaften. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns endgültig vor Augen geführt, dass die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft verfasst ist, zu katastrophalen Ergebnissen führt. Deshalb fordern wir GRÜNEN einen „Green New Deal“. Das bedeutet für uns, dass Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Wir wollen eine soziale und ökologische Wirtschaftsverfassung.
Das gilt speziell für die Finanzmärkte. Sie müssen international und durch eine Reihe von konkreten Maßnahmen reguliert werden. Bisher gleicht die internationale Regulierung einem Flickenteppich. Europa muss lernen, nicht den nationalen Reflex zu bedienen, sondern wirklich zusammenzuarbeiten. Wir brauchen dringend gemeinsame Lösungen im Kampf gegen die Krise: Mehr Bankenkontrolle, eine europäische Regulierung der Finanzmärkte, mehr Transparenz und Verbraucherschutz in weiten Teilen des Finanzsystems. Die Banken müssen in die Pflicht genommen werden – vor allem aber brauchen wir ein Wirtschaftsmodell, das Nachhaltigkeit betont, anstatt nur kurzfristige Profitinteressen zu bedienen.

Warum stehen so viele Menschen dem Projekt Europa skeptisch oder gleichgültig gegenüber? Abzulesen ist die Gleichgültigkeit immer wieder an der niedrigen Wahlbeteiligung. Diese wäre in Baden-Württemberg sicher noch geringer, wenn die Europawahl terminlich nicht mit den Kommunalwahlen zusammengelegt wäre.

Heide Rühle: Viele europapolitischen Debatten werden durch die nationale Brille betrachtet. Das hat durchaus seine Gründe, beispielsweise müssen Richtlinien erst in nationales Recht umgesetzt werden. Dafür ist dann eine Entscheidung eines nationalen Parlaments nötig. Die Umsetzung von populären EU-Entscheidungen schreiben sich dann die Politiker der nationalen Parlamente als Erfolg zu, bei Misserfolgen ist die EU schuld. Dass EU-Themen in den Medien nicht die Beachtung finden, die sie verdienen, ist eine Klage, die oft aus EU-Kreisen zu hören ist. Viele Menschen wissen erschreckend wenig über die Kompetenzen des Europäischen Parlaments, das untermauern Daten aus einer Eurobarometer-Umfrage vom letzten Jahr.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Iren den Lissabon-Vertrag in einer Volksabstimmung abgelehnt haben? Wie geht das mit dem Lissabon-Vertrag jetzt weiter? Welche zentralen Vorteile hätten die Menschen in Europa, wenn der Lissabon-Vertrag umgesetzt werden würde?

Heide Rühle: Volksabstimmungen über Europäische Verträge finden in nationalen Grenzen statt. Und so geraten die Debatten oftmals in den Sog nationaler Interessen. Das Verhalten bei den Abstimmungen spiegelt demnach nicht immer eine Entscheidung über die Sache wider, sondern ist eben auch Ventil für nationale Befindlichkeiten.
Doch der Vertrag ist wichtig: Er soll den Vertrag von Nizza ablösen und die EU der 27 Staaten demokratischer und effizienter machen. Er bringt vor allem mehr Demokratie. Die Bürger können direkten Einfluss auf Europa ausüben. Mit einer Million Stimmen kann ein Bürgerbegehren losgetreten werden, das die EU verpflichtet, sich mit dem jeweiligen Thema zu befassen. Außerdem bringt es den Bürgern mehr Demokratie, weil das Parlament mehr Mitentscheidungsrechte bekommt. Das Eeuropaparlament (EP) könnte demnach in annähernd allen Gesetzesvorhaben (90 Prozent) mitentscheiden. Das hieße konkret, dass die Abgeordneten an den Richtlinien und Verordnungen mitschreiben, sie ändern und auch ablehnen können (beispielsweise im Agrarbereich).  Außerdem würde er mehr Transparenz bringen. Mit dem Vertrag von Lissabon müssen auch die nationalen Regierungen endlich Farbe bekennen. Die Sitzungen der Ministerräte finden dann nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt und das jeweilige Stimmverhalten wird endlich transparenter.

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Kinderbuchautor Paul Maar liest am Dienstag, 19. Mai 2009, um 20 Uhr in Crailsheim – Der berühmte Schriftsteller und Illustrator arbeitete zehn Jahre lang an einem Crailsheimer Gymnasium

Paul Maar bei einer Lesung.

Paul Maar bei einer Lesung.

Sams-Erfinder Paul Maar ist am Dienstag, 19. Mai 2009, um 20 Uhr im Crailsheimer Rathaussaal zu Gast. In der letzten Veranstaltung der Literarischen Gesellschaft liest der berühmte Autor und Buchillustrator aus seinem umfangreichen Werk für Kinder und Erwachsene.

Von Sonja Stöhr, Literarische Gesellschaft in Crailsheim

Phantasie und Wirklichkeit „zusammen-denken“

Seine bekanntesten Bücher sind zweifellos die Geschichten vom Sams, einem hintergründig-frechen Fabelwesen, vom Träumer Lippel und von Herrn Bello, dem sprechenden Hund. Paul Maar verlockt in seinen Büchern nicht nur zum Lesen und Lachen, sondern auch zum Nachdenken und Mitmachen. Er kann Phantasie und Wirklichkeit „zusammen-denken“.

In der Kindheit hatte es Maar schwer gehabt

In einem Interview vertrat Paul Maar die Theorie, dass Kinderbuchautoren eine extreme Kindheit hatten: „Entweder waren sie so wohlbehütet wie Astrid Lindgren, die von dieser sonnigen Kindheit zehrte. Oder aber sie hatten es schwer und erfinden sich später die Kindheit, die sie nicht gehabt hatten. Ich zähle mich zu den Zweiten“, so Maar.
Die Wochenzeitung DIE ZEIT schrieb über Paul Maar: „Es gibt keinen deutschen Autor, der so vielseitig, beidfüßig begabt und erstklassig ist. Das macht Paul Maar zum Bruder Astrid Lindgrens.“

Zehn Jahre lang Kunsterzieher am Albert-Schweitzer-Gymnasium Crailsheim

Paul Maar, 1937 in Schweinfurt geboren, studierte an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Nach Abschluss des Studiums und Referendariats unterrichtete er zehn Jahre lang als Kunsterzieher am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Crailsheim. Seit 1976 arbeitet er als freier Autor und Illustrator. Er hat drei erwachsene Kinder und lebt in Bamberg.
Paul Maar erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Literaturpreise, zum Beispiel den Deutschen Jugendliteraturpreis für das Gesamtwerk, die Hans-Christian-Andersen-Medaille für das Gesamtwerk, den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, und viele andere mehr.

Info: Karten gibt es im Vorverkauf bei Bücher Baier in Crailsheim, Telefon 07951/94 03 12, Erwachsene 10 Euro, Schüler/Kinder 5 Euro.

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