Sozialabbau bekämpfen – „Die Linke“ wählen – Wahlaufruf von Paul Michel aus Schwäbisch Hall

Alle vier Jahre, immer wenn Bundestagswahlen bevorstehen, dreht sich die Diskussion um zwei Themen

1) Wen wählen?
2) Oder lieber gar nicht wählen, weil es ja ohnehin nichts bringt?

Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall, Erstveröffentlichung des Artikels in Alpha Press, Ausgabe Juli/August 2009

Der Artikel gibt nur die Meinung des Verfassers wieder.

Reden wir zunächst über Punkt 2. Hier werden ganz unterschiedliche Argumente bemüht. Vereinfacht gesprochen, gibt es die politische Variante, die angesichts der Alternativlosigkeit der Angebote dazu aufruft, in Gestalt eines Wahlboykotts ein politisches Zeichen zu setzen. Wenn es nicht einfach eine persönliche Alibiveranstaltung zur Rechtfertigung der eigenen Passivität ist, folgt daraus ein Bemühen um eine politische Kampagne mit außerparlamentarischen Initiativen mit ähnlichem Anliegen.

Diese Herangehensweise hat gewiss in bestimmten Situationen ihre politische Berechtigung. Jetzt, im Hier und Heute, spielt sie allerdings keine Rolle. Es gibt kaum Menschen, die in diesem Sinne zu Werke gehen. Deshalb erübrigt sich an dieser Stelle eine intensivere Beschäftigung.

SPD und Grüne: Dazugelernt?

Dagegen spielt die Auffassung „Wählen bringt ja nichts“ eine große Rolle. In den letzten Wahlen hat sich gezeigt, dass die Partei der Nichtwähler sich mittlerweile zur größten „Partei“ gemausert hat. Schaut mensch sich die etablierten Parteien an, so ist den Nichtwählern zweifellos zuzustimmen. Wer etwas im Sinne von sozialer Gerechtigkeit oder ökologisch verantwortungsvollen Veränderungen zu erreichen sucht, kann tatsächlich nichts mit einer Stimme für CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne erreichen. Jede Stimme für diese Parteien ist tatsächlich eine verschenkte Stimme. Eine der Einsichten, die aus der Schröder/Fischer-Regierung haften bleiben sollte ist doch jene: Diese Regierung hat brutalere soziale Kahlschlagmaßnahmen ergriffen als jede ihre Vorgängerregierungen. Sie hat gleichzeitig die Türen sperrangelweit für jenes ungehemmte Wüten der Finanzmärkte geöffnet, dessen Folgen uns jetzt um die Ohren fliegen. Es sei an dieser Stelle noch ergänzt, dass zu Beginn der zweiten Wahlperiode die Regierung Schröder/Fischer zunächst noch zögerlich war, den von den Kapitalvertretern geäußerten Forderungen zu entsprechen. Dann aber setzte unter dem Motto „Schröder ist Aussitzer wie Kohl“ ein mediales Feuerwerk sondergleichen ein. Das Ende vom Lied war die Agenda 2010, also in etwa das, was das Unternehmerlager von der Regierung erwartet hatte.

Kein Rückgrat, dem Druck des Unternehmerlagers zu widerstehen

Spätestens nach den Erfahrungen von Rot-Grün zwischen 1998 und 2005 kann niemand mehr ernsthaft davon ausgehen, dass SPD und Grüne das Rückgrat haben, dem vom Unternehmerlager ausgeübten Druck zu widerstehen und im Zweifelsfall gegen Hundt und Co eine Politik der sozialen Gerechtigkeit durchzusetzen. Der SPD glaubt das ohnehin kaum noch jemand – was die sinkenden Umfragewerte anschaulich belegen. Anders ist es bei den Grünen. Sie konnten bei den letzten Landtagswahlen deutlich hinzugewinnen und stehen auch bei den Meinungsumfragen gut da. Sie tun jetzt so, als hätten sie bei der Verabschiedung der Hartz-Gesetze überall anders gesessen, bloß nicht auf der Regierungsbank. Der heutige Spitzenkandidat der Grünen, Jürgen Trittin, sagt, für Hartz IV sei vorrangig der damalige Regierungspartner und der Bundesrat verantwortlich. Er sieht entsprechend auch keinen Anlass, sich bei den Arbeitslosengeld II (ALG II)-Empfängern zu entschuldigen. Interessant an den Grünen ist, dass sie trotz aller Reden über soziale Gerechtigkeit und ökologische Umbauprogramme eine Koalition mit der CDU/ CSU nicht ausschließen, obwohl es kaum einen Zweifel über die Zielrichtung der CDU geben dürfte: Verschärfung des Sozialabbaus und ökologischer Rollback bei Ausstieg aus dem Atomausstieg. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass trotz aller nett klingenden Worte im Falle eines Falls die Rückkehr an die Fleischtöpfe der Macht und die Scheinwerfergewitter bei den Pressekonferenzen der Regierung oberste Priorität hat.

„Bringt ja nix?“

Insofern fällt es schwer, jene Menschen, die ihr Kreuzchen am Wahltag nicht an die etablierten Parteien verschwenden wollen, vom Gegenteil zu überzeugen. Das Problem mit der momentanen Partei der Nichtwähler ist nicht, dass sie am Wahltag nicht wählen, sondern dass sie sich in den vier Jahren zwischen den Wahltagen nicht dazu aufraffen wollen, für ihre eigenen Interessen einzutreten. Entgegen allen Erfahrungen verschließen sie sich jener Einsicht, die ein alter, leider etwas aus der Mode gekommener Evergreen der Arbeiterbewegung so treffend auf den Punkt bringt:

„Es rettet Dich kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser und Tribun, Dich aus dem Elend zu erlösen, das musst Du schon selber tun“

Frustriertes Zuhause-Bleiben am Wahltag ist jedenfalls nichts weiter als ein Akt selbstmitleidiger Hilflosigkeit, der gleichzeitig den mächtigen Geld- und Machteliten freie Hand gibt. Umgekehrt ist allerdings das bloße Anbringen eines Kreuzes auf dem Wahlzettel auch nicht gerade ein besonders bemerkenswerter demokratischer Akt. Das gilt im Jahr 2009 noch stärker als in den vorangegangenen Jahren. Denn in diesem Jahr wird den WählerInnen von den Politikern der etablierten Parteien in einer Kernfrage („Wer zahlt für die Krise?“) nicht einmal gesagt, für welchen Inhalt sie eigentlich stimmen sollen. Die (unausgesprochene) unmissverständliche Botschaft der etablierten Parteien lautet in diesem Jahr: Macht Eurer Kreuzchen und lasst uns dann mal machen. Das ist in der Substanz nicht weit von der Praxis in so genannten Bananenrepubliken entfernt. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass es – außer einigen Luftballons im Wahlkampf – hier noch keine offiziellen Angebote für Stimmenkauf gibt. Insofern ist das routinemäßig angestimmte Loblied, dass das Kreuzchen-Machen am Wahltag ein bedeutsamer demokratischer Akt sei bestenfalls gedankenloses oberflächliches Gerede.

Demokratie beinhaltet, sich zumindest bei den Entscheidungen aktiv einzumischen

Das ist kein Plädoyer gegen das Wählen. Es ist ein Hinweis darauf, dass Demokratie mehr ist, als einmal alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Wahlzettel zu machen und dann abzuwarten, was passieren wird. Demokratie beinhaltet, sich zumindest bei den Entscheidungen aktiv einzumischen, die das eigene Leben betreffen. Das beinhaltet gegebenenfalls zu sagen „Halt, so nicht“, wenn von den Regierenden Entscheidungen gefällt werden, die einem nicht passen. Das beinhaltet gegebenenfalls auch öffentlich zu protestieren, und sich gegebenenfalls in der Gewerkschaft oder in Bürgerinitiativen zu organisieren. Und es bedeutet, dass Demokratie nicht am Fabriktor enden darf. Es ist absurd, dass in diesem Land nicht gegen ein Gesetz, wie das zur Verlängerung der Leiharbeit, gestreikt werden darf, obwohl klar ist, dass es die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in den Büros und Fabriken dramatisch verschlechtert.

Linke wählen

Kommen wir aber zurück zum Wahltag, den 27. September 2009. Ich meine, dass es richtig ist, diesmal zu wählen – und zwar die Partei „Die Linke“. Sie ist trotz aller Unzulänglichkeiten die einzige der im Bundestag vertretenen Parteien, die bisher auf Bundesebene relativ konsequent gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgetreten ist. In der Bewegung gegen die Abwälzung der Krise auf die lohnabhängige Bevölkerung hatte sie im Vorfeld der Demonstration vom 28.März 2009 eine aktive Rolle gespielt. In ökologischen Fragen spielt sie keine besondere herausragende Rolle, aber sie tritt auch nicht für offenkundig umweltschädliche Politik ein. Sie hat weder die Abwrackprämie unterstützt, noch befürwortet sie etwa den Bau einer neuen Generation von Kohlekraftwerken. „Die Linke“ drückt das Bedürfnis nach einer Alternative zur etablierten bürgerlichen Politik, zur kapitalistischen Krise und ihren Folgen, zu weiterer Verarmung breiter Bevölkerungsteile, zur weiteren Vertiefung der Kluft zwischen arm und reich, zur weiteren Zerstörung unserer Natur und unserer Zukunftsperspektiven aus. Eine Stimme für „Die Linke“ bei den Bundestagswahlen, wäre auf der Wahlebene ein deutliches Signal, das von den herrschenden Elite als deutliche Absage gegen die vorgesehene weitere Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen und sozial Schwachen. Ein Wahlergebnis von deutlich über zehn Prozent für die Linke, könnte zwar die künftige, den Kapitalinteressen ergebene Regierung nicht von ihren Plänen abhalten. Möglicherweise würde aber die künftige Regierung nach einem deutlichen Wahlerfolg der Linken etwas vorsichtiger zu Werke gehen. Denn ein solches Wahlergebnis würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass im Falle eines rücksichtslosen Durchzockens der eigenen Pläne es zu den beschworenen „Sozialen Unruhen“ kommen könnte. Den von Sozialabbau betroffenen Menschen könnte ein Wahlerfolg der Linken insofern helfen, als sie daraus die Zuversicht schöpfen könnten, dass ihre Probleme und ihr Anliegen von vielen Menschen geteilt werden.

Hardcore-Version sozialer Grausamkeiten droht

Weder berechtigte Kritik an den Mängeln, noch verständliche Skepsis in Bezug auf die gegenwärtige Führung der Partei „Die Linke“ sollten zu einer wahlpolitischen Abstinenz führen, die letztlich nur den etablierten Parteien in die Hände spielt. Schneidet „Die Linke“ schlechter ab, während die SPD oder gar die Unionsparteien wieder zulegen, dann werden Kabinett und Kapital das so interpretieren, dass sie die Menschen in Griff haben. Dann werden die vorgefertigten Kataloge der sozialen Grausamkeiten in ihrer Hardcore-Version aus aus der Schublade gezogen. (Paul Michel)

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Vorsicht Falle! Das soziale Klima wird nach der Wahl erheblich rauer werden – Artikel aus Alpha Press zur Bundestagswahl 2009

Zwei Monate vor der Bundestagswahl erreichte ausgerechnet der blaublütige Wirtschaftsminister zu Guttenberg, der mit jedem Satz und jeder Geste zu verstehen gibt, dass er einer von denen „da Oben“ ist, die höchsten Sympathiewerte. Dazu passt, dass Schwarz-Gelb zu dieser Zeit in den Meinungsumfragen eine klare Mehrheit erzielte.

Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall, Alpha Press

Geld- und Machtelite

Und auch ansonsten scheint sich für die Geld- und Machtelite alles zum Besten zu entwickeln: Die Medien jedenfalls schwadronieren bereits über ein angeblich unmittelbar bevorstehendes Anziehen der Konjunktur. Es sieht ganz danach aus, als habe das systematische Verbreiten von ideologischen Nebelschwaden seine Wirkung getan. Wir versuchen hinter die Nebelschwaden zu blicken und die dahinter verborgenen sozialen Fallgruben sichtbar zu machen.

Außer Spesen nichts gewesen

Zwei Jahre zieht sie sich hin, die Finanzkrise, die nie nur eine Finanzkrise war. Die „Realwirtschaft“ des Exportweltmeisters Deutschland ist von dieser Weltwirtschaftskrise überproportional stark betroffen: Seine Paradedisziplinen Maschinenbau und Automobilindustrie verzeichnen noch nie erlebte Einbrüche. In der Zeit nach der Lehmann-Pleite zeigten sich auch die herrschenden Kreise zunächst verwirrt vom Ausmaß der Krise. Auf internationalen Konferenzen wurden verbal die Auswüchse des vorher praktizierten Neoliberalismus bereut und in blumigen, meist sehr allgemein gehaltenen Worten Besserung gelobt. Dabei wurde auffallend häufig das bis dahin von der Wirtschaftselite und ihren politischen Statthaltern geächtete Wort „Regulierung“ bemüht.

Brandstifter spielen sich als Feuerwehrleute auf

Auffällig war, dass jetzt ausgerechnet jene Leute sich als Feuerwehr inszenierten, die den Brand erst ausgelöst hatten. Vom politischen Personal musste entsprechend auch kein einziger den Hut nehmen. Sie legten von nun ab lediglich eine andere Platte auf. Den schönen Worten folgten denn auch keine entsprechenden Taten. Passiert ist in der Substanz lediglich, dass Banken mit Milliardenbeträgen aus den öffentlichen Kassen gerettet wurden. Obwohl Bundes- und Landesregierungen Milliardenbeträge in die Finanzinstitute hinein pumpten, ließen die Politiker die Banker weitgehend ungestört weiteragieren. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass sie sich auf keinen Fall in die Geschäftspolitik der Banken einmischen wollten.

Keine Bemühungen, Hedgefonds zu verbieten

Inzwischen ist klar: Es gibt nicht einmal im Ansatz Bemühungen, Hedgefonds zu verbieten oder zumindest ihre Geschäftstätigkeit einzuschränken. Die windigen Zweckgesellschaften, in die die Banken ihre riskanten Tätigkeiten ausgelagert hatten, existieren nach wie vor. Keine Rede mehr davon, die Praxis der Verbriefung von Krediten abzustellen oder auch nur einzuschränken. Und selbst die einzige Maßnahme, die der Staat den Banken auferlegt hatte, die Deckelung der Managergehälter auf 500 000 Euro pro Jahr wird – wie der Skandal um die HSH Nordbank zeigt – de facto aufgehoben. Von den Landesregierungen in Hamburg und Kiel wurden dem umstrittenen Bankchef Nonnenmacher 2, 9 Millionen Euro an Boni zugesteckt und auch der neue Chef der LBBW soll deutlich mehr als 500 000 Euro bekommen – angeblich, weil sonst ein so guter Mann wie Hans-Jörg Vetter nicht nach Stuttgart gekommen wäre.

Banken gehen ungeniert zu alten Praktiken über

Inzwischen gehen die Banken schon wieder recht ungeniert zu den alten Praktiken über. In den USA gehen Banken wieder zu Werke, als hätte es nie eine Finanzkrise gegeben. Der Ölpreis ist zwischenzeitlich wieder Objekt der Begierde, so dass der SPIEGEL wieder von einem „Comeback der Zocker“ spricht. Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann schwadroniert bereits wieder wie zu Vor-Krisenzeiten von 25 Prozent Eigenkapitalrendite, obwohl jeder weiß, dass das nur über waghalsige Operationen denkbar ist.

Was sich auf jeden Fall geändert hat gegenüber Vorkrisenzeiten sind zwei Dinge:

1) Die Realwirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise

2) Die öffentlichen Haushalte sind tief verschuldet, weil es den Banken bekanntlich gelungen ist, ihre Verluste zu sozialisieren.

Welle des Personalabbaus

In einem aber unterscheidet sich in Deutschland die aktuelle Krise dennoch von allen Vorgängern: Die Unternehmen reagierten mit einer Welle des Personalabbau im großen Stil. Zunächst traf es – zumeist sogar mit Zustimmung der Betriebsräte und der IG Metall – „nur“ die Leiharbeiter. Die Stammbelegschaften wurden durch den forcierten Einsatz von Kurzarbeit weitgehend vor der Entlassungen bewahrt. Diese veränderte Praxis des Unternehmerlagers hat sicher etwas damit zu tun, dass die Herrschenden selbst vom Ausmaß der Krise überrascht waren und nicht noch zusätzliche Proteste von Seiten der zumeist gewerkschaftlich gut organisierten Belegschaften in der Autoindustrie und der Maschinenbauindustrie riskieren wollen. Nicht von ungefähr geistert das Wort „soziale Unruhe“ als Horrorthema durch den bürgerlichen Medienwald.

Zweckoptimismus

Es ist ganz offenkundig, dass die maßgeblichen Kräfte in Wirtschaft und Staat bis zu den Wahlen den Ball flach halten wollen, damit dann nach Möglichkeit eine Schwarz-Gelbe Regierung ins Amt kommt und dann heißt es: Jetzt geht’s los!. Aus diesem Grund werden nach Möglichkeit positive Nachrichten in die Welt gesetzt. Aktuell erleben wir das im Zusammenhang mit der monatlichen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts, dessen Chef bekanntlich Herr (Un-) Sinn ist, einer der herausragenden Lautsprecher der Kapitalinteressen in Deutschland. Dessen monatlich publizierter Geschäftsklima-Index liefert bekanntermaßen keine Wirtschaftsanalyse, sondern soll lediglich einen Eindruck von der Stimmung innerhalb der Unternehmerschaft vermitteln. Wenn der Ifo-Geschäftsklim-Index um 1,4 Punkte ansteigt, heißt das beileibe nicht, dass ein entsprechendes Auftragswachstum stattgefunden hat. Dennoch wird der Eindruck erweckt, als ob ein Ansteigen des Ifo Geschäftsklima-Index ein Anspringen der Konjunktur beinhaltet.

Medien verbreiten Unsinn über einen scheinbaren Aufschwung

„Wirtschaft fasst wieder Tritt“ lautet prompt die Überschrift auf Seite eins der „Südwestpresse“. Und für diejenigen, die schwer von Begriff sind, sagt der Kommentar: „Dass es endlich einen Lichtblick gibt, kann man nicht dick genug unterstreichen.“ Selbst die landläufig als linksliberal gehandelten „Frankfurter Rundschau“ titelt „Der Aufschwung hat begonnen.“ Dabei sollten wir seit der Medienmanipulationsaffäre bei der Deutschen Bahn wissen, dass man mit dem nötigen Kleingeld in diesem Land durchaus Nachrichten „produzieren“ kann. Leider fehlt es den Medien in diesem Land an der kritischen Distanz zu solch produzierten Meldungen. Deswegen bekommen die Zeitungsleser den Eindruck „Das Schlimmste ist vorbei“.

Ökonomische Achterbahnfahrten – Die guten Zeiten sind vorbei

Dabei wissen sowohl die Produzenten des Ifo-Geschäftsklima-Index wie auch die Schlagzeilen produzierenden Wirtschaftsjournalisten, dass von Aufschwung keine Rede sein kann. Nicht auf Seite eins, sondern weiter hinten auf Seite fünf des Wirtschaftsteils, also in jenen Bereichen, die nicht die Masse, sondern die interessierten Insider lesen, kann der geneigte Leser in der „Süddeutschen Zeitung“ erfahren, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Dort findet sich ein Artikel mit der Überschrift: „Ökonomische Achterbahnfahrten – Die guten Zeiten sind vorbei. Nach der Erholung ist ein zweiter Abschwung wahrscheinlich“ (SZ 25.07.2009). Darin heißt es unter anderem: „Es gibt in der Industrie gewaltige Überkapazitäten, selbst wenn mehr Aufträge hereinkommen….in Deutschland könnte die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2010 auf fünf Millionen steigen.“ Man darf also getrost davon ausgehen, dass sowohl die Produzenten des Ifo-Geschäftsklima-Index als auch die Reproduzenten dieser Nachricht genau wissen, dass sie Nebelkerzen produzieren. Aber: Der Zweck scheint alle Mittel zu rechtfertigen.

Das Schweigekartell ist eine Wählertäuschung

Interessanterweise deutet der SZ-Artikel über die „ökonomischen Achterbahnfahrten“ an, was diese wirtschaftliche Entwicklung für die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land bedeutet: „ Die Staaten haben notleidende Banken und Unternehmen gestützt, ihren Bürgern geholfen. Doch der Preis ist hoch. Deutschland steht vor dem größten Schuldenzuwachs seiner Geschichte, um Bankenrettung, Deutschlandfonds und Konjunkturprogramm zu stemmen….Künftig müssen die Staaten, ob sie wollen oder nicht, ihre Ausgaben kappen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, oder ihren Bürgern höhere Steuern abverlangen – oder beides.“ Wir dürfen getrost davon aussehen, dass man sich in den Zentralen der Parteien und der Wirtschaftsverbände bereits eine ganze Weile mit dieser Frage beschäftigt. Vermutlich liegen die entsprechenden Maßnahmenpakete bereit zum Gebrauch in der Schublade. Allerdings achtet man offenbar penibel darauf, dass von alledem nichts nach Außen dringt. In der Öffentlichkeit sind konkrete Maßnahmenpakete kein Thema. Sieht man einmal von den unterschiedlichen, im Vagen verbleibenden Nuancen von FDP und CDU/CSU einerseits und der SPD beim Thema Steuersenkungen ab, lässt keine der etablierten Parteien erkennen, welche Maßnahmen sie im Falle eines Wahlsiegs ergreifen würden. Sie handeln gemäß dem Motto: Erst mal die Wahl gewinnen. Bewusst wird jetzt die Kernfrage ausgeklammert: Wer soll die Kosten der Finanzkrise tragen? Wer bezahlt die Aufräumarbeiten für den Müll, den Banken und Spekulanten auf die Gesellschaft abgewälzt haben? Die Menschen sollen im September ihre Stimme abgeben, ohne zu wissen, auf was sie sich damit einlassen. Markus Sievers von der Frankfurter Rundschau (FR) nennt in einem Kommentar, der mit „Das Schweigekartell“ überschrieben ist, folgenden Grund für das Verhalten der Machteliten in Politik und Wirtschaft: „Nichts davon ist schön. Dies erklärt das große Schweigen. Vor der Wahl hatte die Union angekündigt, bei einem Sieg die Mehrwertsteuer für den Umbau der Sozialsysteme um zwei Prozentpunkte zu erhöhen. Das kam im Volk so schlecht an, dass Merkel die schwarz-gelbe Mehrheit verfehlte….. Die Wahlkampfstrategen stellen sich den Ablauf so vor: Erst gewinnt ihre Partei die Wahl. Dann klärt sie mit ihren Bündnispartnern in Koalitionsverhandlungen, wie die Löcher zu stopfen sind.“ ( FR 26.06.2009)

CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne müssen sagen, zu welchen sozialen Grausamkeiten sie bereit sind

Erinnern wir uns, wer für die Kosten des Platzens der IT-Blase ab 2001 zu zahlen hatte: Damals waren die abhängig Beschäftigten und die Arbeitslosen die Leidtragenden der unsozialen Agenda 2010. Die gleichen Bevölkerungsschichten werden auch diesmal die Opfer sein. Und ihre Opfer werden umso größer ausfallen, je geringer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Gegenwehr ist. Würden CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne jetzt auf den Tisch legen, zu welchen sozialen Grausamkeiten sie bereit sind, liefen sie Gefahr, scharenweise der Linkspartei die WählerInnen in die Arme zu treiben. Das wäre zum einen im Voraus schon eine deutliche politische Ohrfeige für die Fürsprecher des Sozialabbaus. Ein solcher Wahlerfolg der Partei „Die Linke“ könnte darüber hinaus für die Lohnabhängigen eine Ermutigung dahingehend sein, den Protest von der Wahlurne auf die Straßen zu bringen. Und womöglich würde sogar noch in den Betrieben etwas in Gang kommen – womit wir bei den „sozialen Unruhen“ wären. Das aber fürchtet die Machtelite in Politik und Wirtschaft wie der Teufel das Weihwasser.

Testballone und Weichenstellungen

Deswegen beschränken sie sich momentan darauf, verstärkt bestimmte Vorfestlegungen von Themenfeldern zu treffen und Testballone steigen zu lassen. Da darf ein Professor Zimmermann vom „Deutschen Institut der Wirtschaft (DIW) mal eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent ins Gespräch bringen und die Bundesbank prescht scheinbar sinnfrei vor mit der Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters auf 69. Der Chef der Bundesärztekammer Hoppe bringt offen eine Zweiklassenmedizin ins Gespräch und Finanzminister Peer Steinbrück keilt öffentlich gegen die Zusage, dass es keine Rentenkürzungen geben dürfe.

Medien unterschlagen wichtige Umstände der Krise

Derweil wird medial schon abgesteckt, welches die wichtigen Themenfelder sind, mit denen sich die künftige Regierung zu befassen haben wird. Das sind Themen, die eine notwendige Begleiterscheinung der Krise sind. Bereits vor ein paar Monaten wurde das 316 Milliarden Steuerloch in die Schlagzeilen befördert. Im Juli wurde hier noch einmal etwas drauf gesetzt: „Steuerloch tiefer als gedacht“ (Südwestpresse 14.07.2009).

Dass die Rezession und steigende Arbeitslosigkeit Löcher in die Sozialkassen reißt, ist nicht verwunderlich. Lange wurde das Thema von den meinungsmachenden Kreise ignoriert. Nun, in Zeiten des Vorwahlkampfes wird es in den Rang eines Top-Themas gehoben. Dazu werden plötzlich astronomisch hohe Zahlen genannt und Umstände unterschlagen, die nicht so recht ins gewünschte Bild passen. Das „Handelsblatt“ berichtet, dass die Ausgaben für steigende Arbeitslosigkeit im Zeitraum 2009 bis 2013 um 100 Milliarden Euro höher liegen sollen als geplant. 46,4 Milliarden davon sollen zusätzliche Ausgaben für Hartz IV sein.

Die Politiker mit der Forderung nach Lösungsvorschlägen bedrängen

Auffälligerweise beschränken sich auch die bürgerlichen Medien bisher weitgehend auf theatralische Anprangerung der Probleme. Nirgends wird die Politik mit der Forderung nach Lösungsvorschlägen bedrängt. Eine gewisse Ausnahme macht hier die Südwestpresse in Person ihres Wirtschaftsspezialisten Dieter Keller. Verbunden mit einer Kurzlaudatio für die Agenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder wirft er – ohne selbst eine Antwort darauf zu geben – die Frage auf: „Brauchen wir eine Agenda 2020, um diese Entwicklung zu bremsen?“ Noch ist diese Fragestellung nicht als Forderung in die Schlagzeilen gerückt. Es ist aber so sicher wie das Amen in der Kirche, dass dies spätestens nach den Bundestagswahlen geschehen wird.

Das soziale Klima wird nach der Wahl erheblich rauer werden

Der Politikforscher Christoph Butterwegge rechnet damit, dass das soziale Klima hierzulande erheblich rauer werden wird. Er rechnet mit einer neuen Debatte über „faule Arbeitslose“ und deren angeblichen Missbrauch von Hartz IV-Geldern. Das Ganze werde zu einer„härteren Gangart gegenüber Armen“ führen. Denn so Butterwegge: „Erfahrungsgemäß wird der Rotstift wohl wieder im sozialen Bereich angesetzt und die ärmere Schicht treffen, die keine Lobby hat.“ Bernd Riexinger von Verdi Stuttgart sagt: „Die Opfer auf Seiten der Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner/innen und ihren Familien werden umso größer, je geringer die Bereitschaft der Gewerkschaften zur Gegenwehr ausgeprägt ist und je weniger sie im Bündnis mit den linken Kräften und sozialen Bewegungen in der Lage sind, einen alternativen Gegenentwurf hervorzubringen und gesellschaftlich durchzusetzen.“

Dem ist von mir nichts hinzuzufügen.

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Was heißt soziale Sicherheit? Oskar Lafontaine im Bundestag

Knapp sieben Minuten zuhören und nachdenken reichen. Nie zuvor hat der Reichtum der Volkswirtschaft zugenommen, aber die Löhne, die Renten und die sozialen Leistungen sind gesunken. Arbeit ist regelrecht entwertet worden. Das ist das Ergebnis der Politik der letzten Jahre.

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

„Und dann ist ja das Tollste immer wieder, man kann es nicht oft genug sagen, wenn die CDU sich als Familienpartei darstellt. Das ist also wirklich absurd, was Sie hier für ein Theater veranstalten. Leute, die nicht wissen, ob sie in ein paar Wochen noch Geld auf dem Konto haben, also wegen befristeter Arbeitsverträge oder Leiharbeit oder was weiß ich alles, die können doch weder eine Ehe schließen geschweige denn Kinder in die Welt setzen. Sie wären doch völlig verantwortungslos, wenn sie das machen würden. Begreifen Sie doch endlich mal: Die Leute brauchen Sicherheit. Keine Mindestlöhne, befristete Arbeitsverträge, die Flexibilisierung der Arbeitswelt – Ihr Credo! – hat nichts anderes zur Folge gehabt als Zerstörung der Familie und der Gemeinschaften. Das ist die entscheidende, verheerende Wirkung dessen, was wir Neoliberalismus nennen.“

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Journalismus light: Noch Fragen? Wenn nicht, kann der Politiker beim Journalisten welche bestellen

Die Grenzen zwischen Staatsmacht und Medien lösen sich auf. Wir nehmen es hin. Wann hat das eigentlich angefangen? Seit wann nehmen die Politiker an solchen Wahlabenden auch noch das Mikrofon selber in die Hand? Sie machen das ja schon eine ganze Weile. Am Abend der dreifachen Landtagswahl vergangenen Sonntag aber ist es erst so richtig aufgefallen, weil man nicht jeden dieser Landespolitiker und örtlichen Journalisten kennt und am Ende gar nicht mehr wusste, wer da jetzt eigentlich wen interviewt.

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Lesenswert, nebst dieser kleinen Anekdote:
>Und wie ist es möglich, dass eine Reporterin eines großen Privatsenders bei der SPD anruft, und Herbert Wehner sprechen will?

Der Soziologe und Historiker Reinhard Müller hatte da gerade seine große biographische Abrechnung mit Herbert Wehner auf den Markt gebracht. Also war Wehner ein paar Tage heftig im Gespräch. Und diese Reporterin ruft nun im Willy-Brandt-Haus an und fragt: „Können Sie mich bitte mit Herbert Wehner verbinden? Ich möchte ein Interview mit ihm machen.“

Der Referent konnte vor Lachen kaum sprechen und sagte: „Ach, tut mir sehr leid, Herr Wehner ist gerade in einem wichtigen Gespräch mit Franz Josef Strauß, da kann ich jetzt nicht stören.“Daraufhin fragt sie: „Okay, dann darf ich also später noch einmal anrufen?“

Klaus Bölling, der diese Anekdote erzählt, hat folgende Erklärung dafür: „Die politische Bildung eines nicht so kleinen Teiles des Berliner Hauptstadt-Pressecorps ist, verglichen mit der politischen Bildung des Bonner Pressecorps, sehr höflich ausgedrückt, bedauernswert gering. Vor allem bei diesen privaten Sendern. Die haben wirklich null Ahnung.“< http://jetzt.sueddeutsche.de/drucken/text/484864/9ceb6449d2f5cea74bc2b7d53f9f8466

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Was uns mit der FDP blüht

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erläutert schon mal, welche Konsequenzen die Umsetzung des Wahlprogramms der FDP für Geringverdiener hätte. Zitat: „Mehr Netto vom Brutto, wenn Pendlerpauschale und steuerfreie Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge wegfallen?“

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

http://wipo.verdi.de/wirtschaftspolitische_informationen/data/09-05-Markt-radikal.pdf

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Wer erpresst Angela Merkel?

Kurz vor den Wahlen, also genau zum richtigen Zeitpunkt, werden hier von Business Crime Control die richtigen Fragen gestellt. Bezug nehmend auf ein Merkel-Zitat wird konstatiert, dass die Politik einer dauerhaften Erpressung ausgesetzt ist.

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Bundeskanzlerin Merkel sagte in einer Rede bei den Berliner Gesprächen der CDU zum Thema: “Nachhaltiges Wachstum – Wege aus der Wirtschaftskrise” vom 17.8.2009: “Ich sehe mit Sorge, dass, je stärker einige Akteure auf den internationalen Finanzmärkten werden, und je größer die Not einiger Staaten ist, weil sie in die Verschuldung gehen mussten um die Volkswirtschaften zu retten, eine alte Arroganz sich wieder Weg bahnt und sagt ‘Ihr seid doch von uns abhängig’. Und ich darf Ihnen für mich persönlich sagen, es ist mir ein festes Anliegen, … dass wir als Politik aus dem Erpressungspotential einzelner Akteure herauskommen”.

Wer sind diese einzelnen Akteure? Die diplomatische Umschreibung des Tatbestands der Erpressung durch Verwendung des Begriff „Erpressungspotential“ ist der Kanzlerin – zum Glück für uns – missglückt, denn sie sagt ja, dass es ihr festes Anliegen sei, dass „wir als Politik“, (sie hätte auch „ich“ sagen können) aus der Erpressungssituation einzelner Akteure „herauskommen“. Sie gibt also zu, drinzustecken, das aber heißt: erpresst zu werden.
Das aber wirft die Frage auf: Wozu wählen wir, wenn die Politik erpressbar ist und die umfangreichen Wahlprogramme der Parteien (das der CDU umfasst 92 Seiten) nichts als Papierverschwendung sind? Denn von Erpressung wird darin mit keinem Wort gesprochen. Hier aber möchte ich nachlesen können, worin diese Erpressung besteht und wer die Akteure sind? Auch wäre gut die Frage zu beantworten: Welche Teile des Parteiprogramms werden wahrscheinlich wegen Erpressung nicht verwirklicht werden können? Ich frage darüber hinaus: Was wird Wählerinnen und Wählern ungeachtet der Erpressung versprochen, obgleich die Partei, zumindest ihre Vorsitzende Angela Merkel, doch weiß, dass sie diese Versprechen nicht wird einlösen können? Was hat sie zu befürchten? Welche Machtmittel benutzen die Erpresser?

http://businesscrime.de/?p=400

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Rente muss sich wieder lohnen

Die private Altersversorgung Riester-Rente, ein Produkt aus der Ära Schröder, galt seinerzeit als sichere Bank. Von wegen. Ein Lehrstück zum Thema Staat und Gemeinwohl.

Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert

Ein exzellenter Artikel in Le Monde diplomatique. Wir haben schon öfter über diese Thema geschrieben, in kürze wird es von mir zu diesem Thema auch eine Buchrezension geben (Diana Wehlau: Lobbyismus und Rentenreform)

Ausführlich wird in dem Artikel in Le Monde diplomatique der Zusammenhang zur Bankenkrise thematisiert:
„Besonders stark wurden jene Länder getroffen, die ihr Rentensystem schon sehr weitgehend auf die private Vorsorge umgestellt haben – also Großbritannien, die Niederlande, Kanada und Australien. Es ist völlig unklar, wie die dortigen Pensionsfonds jemals ihr Versprechen einhalten wollen, in Zukunft auskömmliche Renten an jene zu zahlen, die sich auf die private Rente verlassen mussten. (…)
Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass die Finanzkrise zu einem Umdenken führt. Doch im Wahlkampf wurde eisern geschwiegen. Das weltweite Fiasko der privaten Altersvorsorge war kein Thema. Stattdessen investiert der deutsche Staat weiterhin Milliarden, um die Riester-Rente zu subventionieren. (…)
Die Finanzkrise hat erneut gezeigt, wie sicher die staatliche Rente ist. Sie blieb vom Crash verschont, weil sie auf einem ganz anderen Prinzip basiert: der Umlagefinanzierung. Die heutigen Arbeitnehmer zahlen für die heutigen Rentner. So einfach ist das. Angespartes Kapital entsteht dabei gar nicht erst, das in einer Finanzkrise vernichtet werden könnte.“

Ein weiterer Punkt in dem Artikel ist, wie die Versicherungskonzerne heute ihre Renditen erwirtschaften, nachdem sie sich von der Börse zurückgezogen haben:
„In immer neuen Interviews versichern die Konzernchefs daher, sie würden kaum noch Geld an den Börsen investieren. Tatsächlich dürfte der Aktienanteil in den Portfolios derzeit nur noch bei rund 7 Prozent liegen. Doch wirft diese sehr sicherheitsorientierte Strategie eine interessante Frage auf: Wenn die Versicherungskonzerne die Börsen scheuen – wo investieren sie dann?
Leicht ist es schließlich nicht, das viele Geld unterzubringen. Monatlich werden die Versicherungskonzerne mit Milliarden an Prämien überschwemmt. Wie immens die Herausforderung für die Versicherungskonzerne ist, diese Gelder sicher zu investieren, machen ein paar Zahlen deutlich: 95 Millionen Lebensversicherungen und Riester-Verträge haben sich die Deutschen inzwischen zugelegt – und dafür zahlen sie jährlich fast 80 Milliarden Euro an Prämien. (…)
Der Trick ist ganz einfach: Die Finanzkonzerne investieren direkt oder indirekt beim Staat – was allerdings kunstvoll verbrämt wird. So stellt die Allianz die Anlagepolitik für ihre Versicherungsprämien offiziell wie folgt dar: 15 bis 20 Prozent der Kundengelder steckten in Unternehmensanleihen, rund 50 Prozent seien in deutschen Pfandbriefen und deutschen Staatsanleihen untergebracht. Nur 5 Prozent wurden in Immobilien investiert. Zum Rest gab es keine Angaben.
Dieses Portfolio soll breit gefächert wirken, doch faktisch steckt fast immer der Staat dahinter. Bei den Staatsanleihen ist das offensichtlich.

Wie Parasiten leben die Versicherungen vom Staat – und behaupten doch gleichzeitig, die private Altersvorsorge wäre so besonders sicher, weil sie vom Staat unabhängig sei.
Tatsächlich entsteht jedoch nur ein sinnloser Kreisverkehr, der vereinfacht so aussieht: Erst zahlen die Steuerzahler Schuldzinsen für die Staatsanleihen, die dann als Guthabenzinsen wieder auf ihren Riester-Verträgen landen. Gewirtschaftet wird also von einer Tasche des Steuerzahlers in die andere – und die einzigen Profiteure sind die Versicherungskonzerne, die sich ihre überflüssige Dienstleistung mit teuren Provisionen vergüten lassen.“

http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/rente-muss-sich-wieder-lohnen/

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Milchbäuerinnen aus der Region wollen nicht zusehen, wie ihre Höfe zu Grunde gehen – Infoveranstaltung in Bühlertann

Wir Milchbäuerinnen aus dem Schwäbisch Haller und Hohenloher Kreis wollen nicht länger zusehen, wie unsere Höfe durch die Fehlentscheidungen der Regierung und der Macht- und Geldgier der Großkonzerne zu Grunde gerichtet werden. Wenn nicht wir, wer sonst soll wertvolle und gesunde Milch produzieren, die Landschaft pflegen und erhalten, Arbeitsplätze in ländlichen Regionen bieten und das Erbe unserer Eltern und Vorfahren bewahren?

Pressemitteilung der Milchbäuerinnen Anja Fuchs, Sandra Schirle, Waltraud Baumann

Wir laden Sie (alle Milchbäuerinnen, Frauen und Interessierte) am Freitag, 18. September 2009, um 20.30 Uhr herzlich nach Bühlertann in den Gasthof Zum Bären ein, zu einem Abend

Des Gesprächs: Wie geht es den anderen in der momentanen Situation?

Der Information: Was haben Politik, Molkerei, Verbandsvertreter mit uns vor?

Des Handelns: Was können wir unternehmen, wie können wir uns selbst helfen?

Der Begegnung: Gemeinsamkeit macht stark und gibt neuen Mut!!

Nur durch gemeinsames Aufstehen bilden wir Milchbauern- und bäuerinnen eine große Macht und können in Augenhöhe unseren Geschäftspartnern begegnen. Wir haben diese Möglichkeit – nutzen wir sie.

Wir freuen uns auf Sie:

Am Freitag, 18. September 2009, um 20.30 Uhr im Gasthof Zum Bären in Bühlertann.

Mit herzlichen Grüßen

Anja Fuchs, Sandra Schirle, Waltraud Baumann

Anja Fuchs Tel.07977-292

Anmerkung von Hohenlohe-ungefiltert:

Eine ähnliche Veranstaltung der Milchbäuerinnen aus den Landkreisen Schwäbisch Hall und Hohenlohe hat bereits gestern Abend (Freitag, 11. September 2009) in Gottwollshausen bei Schwäbisch Hall stattgefunden. Am heutigen Samstag, 12. September 2009, ab 11 Uhr, demonstrierten die Bäuerinnen auf dem Milchmarkt in Schwäbisch Hall.

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Europäischer Bauernaufstand ausgerufen – Daniel Kießecker aus Blaufelden-Wittenweiler lässt die Milch laufen

Bei einer Pressekonferenz des European Milkboard (EMB) am Donnerstag 10. September 2009, um 11.30 Uhr wurde der Bauernaufstand ausgerufen. Der Aufstand wurde von den beiden Präsidenten der französischen Milchbauernverbände unmittelbar begonnen und von den Mitgliedern umgesetzt. Er hat sich bis gestern, Freitag, 11. September 2009, auf  zehn europäische Länder ausgeweitet, darunter Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich Italien und das Nicht-EU-Mitglied Schweiz.

Von Walter Leyh, Schrozberg

Nächste Stufe des Protests könnten Molkereiblockaden sein

In manchen Regionen haben sich zwei Drittel der Erzeuger an Lieferstopps beteiligt. Nächste Stufe des Protests könnten Molkereiblockaden sein. Bereits ein Drittel der französischen Milcherzeuger lieferte gestern keine Milch mehr ab, damit fehlte den Molkereien 40 Prozent der Milch.

Milchbauer aus Wittenweiler öffnete Milchhahn vor laufenden Kameras

Gestern Nachmittag (Freitag) solidarisierten sich auch immer mehr Milcherzeuger aus Süddeutschland mit den französschen Milchbauern, so im Allgäu, dem Schwarzwald und Hohenlohe. Daniel Kießecker aus Blaufelden-Wittenweiler öffnete um 13.30 Uhr demonstrativ den Milchhahn vor laufenden Kameras. In Oberharmersbach kamen am Abend fast 1000 Milcherzeuger zusammen, die sich geschlossen für einen Lieferstopp ausgesprochen haben. Hintergrund der erneuten, diesmal noch breiteren Welle des Protestes ist der deutlich zu niedrige Milchpreis. Für die Bauern ist dieser bei weitem nicht kostendeckend. Selbst der etwas höher liegende Preis für Demeter-Milch liegt noch zwölf Cent unter der betriebswirtschaftlichen Deckung.

Ziel ist ein Milchpreis von 42 Cent pro Liter

Noch deutlicher ist die Diskrepanz bei konventionell erzeugter Milch. Deshalb wird jetzt (wieder) für einen Durchschnittspreis von 42 Cent gekämpft. Erschwerend kommen steigende Kosten für Futtermittel, Technik und Hygiene hinzu; auch Kredite müssen bedient werden. „Würden nicht auf vielen Höfen drei Generationen zusammenhelfen, stünden bereits noch mehr Betriebe unmittelbar vor dem Aus“, so ein Betroffener am Freitagabend bei einer Veranstaltung in Gottwollshausen bei Schwäbisch Hall. „Die Bauernfamilien werden aufgebeutet, von gerechtem Lohn kann hier nicht die Rede sein, wir werden immer mehr zu Einkommensschlusslichtern der Gesellschaft.“

Christian von Stetten (CDU) löste seine Versprechen nicht ein

Die Politik hilft den Michbauern in ihrer derzeit prekären Situation kaum weiter. Unterstützungszusagen des örtlichen Bundestagsabgeortneten Christian von Stetten (CDU) – obwohl schon vor Monaten gegeben – wurden bisher nicht eingelöst. Auch eine Äußerung von Landwirtschaftminister Hauk, die gestern Abend zitiert wurde, ist sicher nicht hilfreich, sondern schlicht beleidigend: „Die Frauen (Bäuerinnen) sind an ihrer Situation selbst schuld, sie suchen sich ihre Männer ja selbst aus.“ Die Milchbäuerinnen haben heute (Samstag 11 Uhr) am Milchmarkt in Schwäbisch Hall ihren Protest weiter zum Ausdruck gebracht. Weitere Aktionen sind geplant, so unter anderem am 13. und 14. September 2009 in Ulm. Den Verbrauchern soll deutlich gemacht werden, dass der Boykott der Existenzsicherung dient und so um Solidarität geworben wird. Auch soll mit den Aktionen deutlich gemacht werden, dass durch einen gemeinsamen Boykott mit vielen Beteiligten viel erreicht werden kann, während der Bauer als Einzelkämper oft auf verlorenem Posten steht.

Weitere Informationen zur kritischen Situation der Milchviehbetriebe:

EMB – European Milk Board, Office Bahnhofstraße 31, D – 59065 Hamm, Germany Tel.: 0049 – 2381 – 4360495 Fax: 0049 – 2381 – 4361153 office@europeanmilkboard.org www.europeanmilkboard.org

Pressemitteilung des European Milk Board (EMB) vom 10. September 2009

„Es geht absolut nicht mehr.“

Europäische Milcherzeuger nehmen Dahinsiechen ihrer Höfe nicht hin und verkünden entschlossen Aufstand der Bauern

Paris den 10.09.09: Bei einer Pressekonferenz des European Milk Board (EMB) in Paris haben französische Milchbauern heute entschlossen einen weitreichenden Aufstand angekündigt. Es sei davon auszugehen, dass viele Milchviehhalter bis zum äußersten gehen und ihre Milchlieferungen unterbrechen würden, schätzt Pascal Massol, französischer Milchbauer und Präsident der Milcherzeugerorganisation APLI, die Lage ein.  Allein in Frankreich seien Zehntausende Milchbauern wütend über das nachlässige und wirkungslose Vorgehen der Europäischen Politik bei der Bewältigung der katastrophalen Lage am Milchmarkt. Im Rest Europas sehe es ähnlich aus.

Politiker lassen die Bauern ins offene Messer laufen

Auch Daniel Condat, Präsident der französischen Milcherzeugerorganisation OPL, sieht die Situation sehr kritisch. „Es geht absolut nicht mehr. Die Politik lässt die Bäuerinnen und Bauern ins offene Messer laufen. So viele Familien kämpfen seit Monaten überall in der Landwirtschaft um das Überleben der Höfe, und alles was der EU-Rat und die EU-Kommission bisher getan haben, ist viel Geld für ungeeignete Maßnahmen auszugeben und weiter blind ihren Liberalisierungskurs zu fahren. Das gilt besonders für die Milch, aber auch für Obst und Getreide.“

EMB-Vertreter fordern bedarfsorientierte Mengensteuerung

Die Vertreter des EMB, die an diesem Tag in Paris zusammengekommen waren, riefen die EU-Politik geschlossen zu einer Neuorientierung in der Agrarpolitik auf. Gemeinsam bekräftigten die europäischen Milcherzeuger die Forderungen, die das EMB am 1. September 2009 der europäischen Politik bereits übergeben hatte. EU-Rat und EU-Kommission sind aufgefordert, mittelfristige Maßnahmen zur flexiblen und bedarfsorientierten Mengensteuerung in die Wege zu leiten. Angesichts eines wachsenden Überangebots fordert das EMB zudem, mittels einer raschen Reduzierung der Milchmenge zu einer ersten Entspannung der zugespitzten Preissituation beizutragen. Deutlich kritisierte Romuald Schaber, Präsident der europäischen Dachorganisation EMB und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) die oberflächliche Politik von EU-Rat und EU-Kommission. „Wenn es so offensichtlich ist, dass ein Weg in die Irre führt, dann muss man den Mut haben, die Richtung zu ändern.“ Man müsse einen nachhaltigen Lösungsansatz im Auge haben und nicht versuchen, unverantwortlich die Löcher einer längst gescheiterten Politik zu stopfen.  „Maßnahmen wie Exportsubventionen bieten keine Lösung.  Sie können die Situation  nicht  wirkungsvoll  verbessern  und  schaden zudem Milchbauern  in Entwicklungsländern, indem sie deren Preise stark drücken.“

Bauern kämpfen mit Angst und Wut um die Existenz ihrer Höfe

Die Situation der Milcherzeuger ist in ganz Europa absolut dramatisch. „Die Menschen können auch in vielen anderen europäischen Ländern nicht mehr mit ansehen, wie ein Milchbetrieb nach dem anderen kaputt geht, und darauf warten, bis sie an der Reihe sind“, so Ernst Halbmayr vom Vorstand des EMB und Sprecher des österreichischen Verbandes IG-Milch. „Die Wut und die Angst um die eigene Existenz und die Bereitschaft, um ihre Höfe zu kämpfen, ist nicht nur  bei den französischen Milchbauern akut. Die Regierungen der EU und die Spitze der EU-Kommission sind in der Pflicht, die notwendige Korrektur durchzusetzen.“

Kontakt:

Romuald Schaber, Präsident (DE): 0049/1515503 7174

Sieta van Keimpema, Vizepräsidentin (NL, EN, DE): 0031/612168000

Ernst Halbmayr, Vorstandsmitglied (DE): 0043/6649249635

Pascal Massol, Präsident APLI, Frankreich (FR): 0033/670517303

Daniel Condat, Präsident OPL, Frankreich (FR): 0033/6 07 08 62 40

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