Bei einer Pressekonferenz des European Milkboard (EMB) am Donnerstag 10. September 2009, um 11.30 Uhr wurde der Bauernaufstand ausgerufen. Der Aufstand wurde von den beiden Präsidenten der französischen Milchbauernverbände unmittelbar begonnen und von den Mitgliedern umgesetzt. Er hat sich bis gestern, Freitag, 11. September 2009, auf zehn europäische Länder ausgeweitet, darunter Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich Italien und das Nicht-EU-Mitglied Schweiz.
Von Walter Leyh, Schrozberg
Nächste Stufe des Protests könnten Molkereiblockaden sein
In manchen Regionen haben sich zwei Drittel der Erzeuger an Lieferstopps beteiligt. Nächste Stufe des Protests könnten Molkereiblockaden sein. Bereits ein Drittel der französischen Milcherzeuger lieferte gestern keine Milch mehr ab, damit fehlte den Molkereien 40 Prozent der Milch.
Milchbauer aus Wittenweiler öffnete Milchhahn vor laufenden Kameras
Gestern Nachmittag (Freitag) solidarisierten sich auch immer mehr Milcherzeuger aus Süddeutschland mit den französschen Milchbauern, so im Allgäu, dem Schwarzwald und Hohenlohe. Daniel Kießecker aus Blaufelden-Wittenweiler öffnete um 13.30 Uhr demonstrativ den Milchhahn vor laufenden Kameras. In Oberharmersbach kamen am Abend fast 1000 Milcherzeuger zusammen, die sich geschlossen für einen Lieferstopp ausgesprochen haben. Hintergrund der erneuten, diesmal noch breiteren Welle des Protestes ist der deutlich zu niedrige Milchpreis. Für die Bauern ist dieser bei weitem nicht kostendeckend. Selbst der etwas höher liegende Preis für Demeter-Milch liegt noch zwölf Cent unter der betriebswirtschaftlichen Deckung.
Ziel ist ein Milchpreis von 42 Cent pro Liter
Noch deutlicher ist die Diskrepanz bei konventionell erzeugter Milch. Deshalb wird jetzt (wieder) für einen Durchschnittspreis von 42 Cent gekämpft. Erschwerend kommen steigende Kosten für Futtermittel, Technik und Hygiene hinzu; auch Kredite müssen bedient werden. „Würden nicht auf vielen Höfen drei Generationen zusammenhelfen, stünden bereits noch mehr Betriebe unmittelbar vor dem Aus“, so ein Betroffener am Freitagabend bei einer Veranstaltung in Gottwollshausen bei Schwäbisch Hall. „Die Bauernfamilien werden aufgebeutet, von gerechtem Lohn kann hier nicht die Rede sein, wir werden immer mehr zu Einkommensschlusslichtern der Gesellschaft.“
Christian von Stetten (CDU) löste seine Versprechen nicht ein
Die Politik hilft den Michbauern in ihrer derzeit prekären Situation kaum weiter. Unterstützungszusagen des örtlichen Bundestagsabgeortneten Christian von Stetten (CDU) – obwohl schon vor Monaten gegeben – wurden bisher nicht eingelöst. Auch eine Äußerung von Landwirtschaftminister Hauk, die gestern Abend zitiert wurde, ist sicher nicht hilfreich, sondern schlicht beleidigend: „Die Frauen (Bäuerinnen) sind an ihrer Situation selbst schuld, sie suchen sich ihre Männer ja selbst aus.“ Die Milchbäuerinnen haben heute (Samstag 11 Uhr) am Milchmarkt in Schwäbisch Hall ihren Protest weiter zum Ausdruck gebracht. Weitere Aktionen sind geplant, so unter anderem am 13. und 14. September 2009 in Ulm. Den Verbrauchern soll deutlich gemacht werden, dass der Boykott der Existenzsicherung dient und so um Solidarität geworben wird. Auch soll mit den Aktionen deutlich gemacht werden, dass durch einen gemeinsamen Boykott mit vielen Beteiligten viel erreicht werden kann, während der Bauer als Einzelkämper oft auf verlorenem Posten steht.
Weitere Informationen zur kritischen Situation der Milchviehbetriebe:
EMB – European Milk Board, Office Bahnhofstraße 31, D – 59065 Hamm, Germany Tel.: 0049 – 2381 – 4360495 Fax: 0049 – 2381 – 4361153 office@europeanmilkboard.org www.europeanmilkboard.org
Pressemitteilung des European Milk Board (EMB) vom 10. September 2009
„Es geht absolut nicht mehr.“
Europäische Milcherzeuger nehmen Dahinsiechen ihrer Höfe nicht hin und verkünden entschlossen Aufstand der Bauern
Paris den 10.09.09: Bei einer Pressekonferenz des European Milk Board (EMB) in Paris haben französische Milchbauern heute entschlossen einen weitreichenden Aufstand angekündigt. Es sei davon auszugehen, dass viele Milchviehhalter bis zum äußersten gehen und ihre Milchlieferungen unterbrechen würden, schätzt Pascal Massol, französischer Milchbauer und Präsident der Milcherzeugerorganisation APLI, die Lage ein. Allein in Frankreich seien Zehntausende Milchbauern wütend über das nachlässige und wirkungslose Vorgehen der Europäischen Politik bei der Bewältigung der katastrophalen Lage am Milchmarkt. Im Rest Europas sehe es ähnlich aus.
Politiker lassen die Bauern ins offene Messer laufen
Auch Daniel Condat, Präsident der französischen Milcherzeugerorganisation OPL, sieht die Situation sehr kritisch. „Es geht absolut nicht mehr. Die Politik lässt die Bäuerinnen und Bauern ins offene Messer laufen. So viele Familien kämpfen seit Monaten überall in der Landwirtschaft um das Überleben der Höfe, und alles was der EU-Rat und die EU-Kommission bisher getan haben, ist viel Geld für ungeeignete Maßnahmen auszugeben und weiter blind ihren Liberalisierungskurs zu fahren. Das gilt besonders für die Milch, aber auch für Obst und Getreide.“
EMB-Vertreter fordern bedarfsorientierte Mengensteuerung
Die Vertreter des EMB, die an diesem Tag in Paris zusammengekommen waren, riefen die EU-Politik geschlossen zu einer Neuorientierung in der Agrarpolitik auf. Gemeinsam bekräftigten die europäischen Milcherzeuger die Forderungen, die das EMB am 1. September 2009 der europäischen Politik bereits übergeben hatte. EU-Rat und EU-Kommission sind aufgefordert, mittelfristige Maßnahmen zur flexiblen und bedarfsorientierten Mengensteuerung in die Wege zu leiten. Angesichts eines wachsenden Überangebots fordert das EMB zudem, mittels einer raschen Reduzierung der Milchmenge zu einer ersten Entspannung der zugespitzten Preissituation beizutragen. Deutlich kritisierte Romuald Schaber, Präsident der europäischen Dachorganisation EMB und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) die oberflächliche Politik von EU-Rat und EU-Kommission. „Wenn es so offensichtlich ist, dass ein Weg in die Irre führt, dann muss man den Mut haben, die Richtung zu ändern.“ Man müsse einen nachhaltigen Lösungsansatz im Auge haben und nicht versuchen, unverantwortlich die Löcher einer längst gescheiterten Politik zu stopfen. „Maßnahmen wie Exportsubventionen bieten keine Lösung. Sie können die Situation nicht wirkungsvoll verbessern und schaden zudem Milchbauern in Entwicklungsländern, indem sie deren Preise stark drücken.“
Bauern kämpfen mit Angst und Wut um die Existenz ihrer Höfe
Die Situation der Milcherzeuger ist in ganz Europa absolut dramatisch. „Die Menschen können auch in vielen anderen europäischen Ländern nicht mehr mit ansehen, wie ein Milchbetrieb nach dem anderen kaputt geht, und darauf warten, bis sie an der Reihe sind“, so Ernst Halbmayr vom Vorstand des EMB und Sprecher des österreichischen Verbandes IG-Milch. „Die Wut und die Angst um die eigene Existenz und die Bereitschaft, um ihre Höfe zu kämpfen, ist nicht nur bei den französischen Milchbauern akut. Die Regierungen der EU und die Spitze der EU-Kommission sind in der Pflicht, die notwendige Korrektur durchzusetzen.“
Kontakt:
Romuald Schaber, Präsident (DE): 0049/1515503 7174
Sieta van Keimpema, Vizepräsidentin (NL, EN, DE): 0031/612168000
Ernst Halbmayr, Vorstandsmitglied (DE): 0043/6649249635
Pascal Massol, Präsident APLI, Frankreich (FR): 0033/670517303
Daniel Condat, Präsident OPL, Frankreich (FR): 0033/6 07 08 62 40