Ärzte und Krankenkassen plündern den Gesundheitsfonds: Scheinerkrankungen breiten sich aus, Milliardenbeträge werden mit Hilfe manipulierter Diagnosen falsch verteilt.
Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert
Das Gesundheitswesen steht dem Bankenwesen offensichtlich in nichts nach! Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit nennt man so was!
„Die Kosten für das Medizinwesen sind auf den höchsten Stand aller Zeiten geklettert. Mehr als 107 Milliarden Euro schüttete der Fonds in den ersten acht Monaten aus. Etwa 170 Milliarden Euro werden es am Jahresende sein, etwa 10 Milliarden Euro mehr als 2008. Der Betrag entspricht mehr als der Hälfte des Bundesetats.
Die jüngste Gesundheitsreform entfaltet ihre vollen Auswirkungen auf das deutsche Medizinwesen – und die sind ernster, als Kritiker befürchtet hatten. Das neue System verleitet Ärzte und Krankenkassen in großem Stil dazu, die Versicherten in Kranke zu verwandeln.
Seit das Gesetz vor neun Monaten in Kraft trat, nimmt die Zahl der Siechen und Gebrechlichen auf rätselhafte Weise zu. Es wird therapiert und diagnostiziert wie nie zuvor. Und niemand, so scheint es, achtet auf die Kosten.
Die Arzneimittelausgaben stiegen zuletzt um etwa fünf Prozent, die Krankenhauskosten um knapp sechs Prozent, die Ausgaben für ambulante Behandlungen um gut sieben. Herz-Kreislauf-Beschwerden verbreiten sich in einem Tempo, das man bislang nur von hochansteckenden Infekten kannte. Die Zahl chronischer Erkrankungen wie Asthma und Reflux ist auf gespenstische Weise nach oben geschnellt.
Die Ursache dieser Entwicklung steckt im hochkomplexen Regelwerk, das sich Union und SPD in der vergangenen Legislaturperiode zur Neuordnung der Geldströme im Gesundheitswesen ausgedacht haben. Seither bekommen die Versicherungen für jeden Patienten eine Pauschale, zugleich erhalten Kassen mit vielen Kranken mehr Geld als solche mit vielen Gesunden. So wollte die Große Koalition dafür sorgen, dass der Wettbewerb der Krankenkassen nach fairen Bedingungen verläuft. An sich war es eine gute Idee.
Bei der konkreten Umsetzung freilich hat man es wie so oft vermasselt. Entgegen den Ratschlägen ihrer eigenen Experten setzten Union und SPD eine Liste von 80 Krankheiten fest, für die es Extrazuschüsse aus dem Fonds gibt. Es sind seltene darunter wie Hämophilie und Massenleiden wie Bluthochdruck. Manche Krankheiten sind akut, wie die Lungenentzündung, andere chronisch, etwa Diabetes. Sogar die ganz normale Schwangerschaft schaffte es auf die Liste – aufgrund welcher Systematik, weiß niemand.
Bei Ärzten und Krankenkassen hat sich seither ein fundamentaler Sinneswandel vollzogen. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen steht nicht mehr der möglichst gesunde Mensch, sondern, ganz im Gegenteil, der möglichst kranke. Die Prämisse folgt dem alten Medizinerwitz: Niemand ist wirklich gesund, er ist allenfalls noch nicht ausreichend untersucht.
Es gilt, den Gesundheitsfonds nach Kräften auszuplündern, bevor es die anderen tun. Um möglichst hohe Zuschüsse zu kassieren, setzt jede einzelne Krankenkasse alles daran, ihre Versicherten im Zweifel lieber immer etwas zu krank als zu gesund erscheinen zu lassen. Millionen Versichertendaten werden unter dem Aspekt der „Erlösoptimierung“ geprüft, wie es in einem Leitfaden für AOK-Mitarbeiter heißt. Ideal sind dabei Krankheiten, die niedrige Behandlungskosten verursachen, gleichzeitig aber mit hohen Zuschlägen aus dem Gesundheitsfonds belohnt werden. (…)
Die Ärzte haben sich der Entwicklung bislang nicht in den Weg gestellt, im Gegenteil. Der bayerische Hausärzteverband, dem im Freistaat etwa 75 Prozent aller Hausärzte angehören, hat sich mit der AOK Bayern zusammengetan. Der Vertrag sieht vor, dass die AOK etwa doppelt so hohe Honorare zahlt wie früher üblich. Umgekehrt sollen die Ärzte der AOK helfen, den Gesundheitsfonds anzuzapfen.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,653048,00.html