Die so genannten Hartz-Gesetze, vor allem das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene vierte als ihr unrühmlicher Höhepunkt, sind Kernbestandteil eines Projekts zur Restrukturierung der Gesellschaft, das die ganze Architektur und die innere Konstruktionslogik des bisherigen Sozialstaates in Frage stellt.
Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert
Radikalisierte Arbeitsmarktreform
Es ging dabei nicht bloß um Leistungskürzungen in einem Schlüsselbereich des sozialen Sicherungssystems, vielmehr um einen Paradigmawechsel, anders formuliert: um eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung, die das Gesicht der Bundesrepublik seither prägt. Die rot-grüne, durch eine Mehrheit der damaligen Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP im Bundesrat und die Kompromissbereitschaft der Regierungsparteien radikalisierte Arbeitsmarktreform hat unser Land so tiefgreifend verändert, dass es kaum übertrieben erscheint, von der „Hartz-IV-Republik“ oder der „Hartz-IV-Gesellschaft“ zu sprechen.
Eine vorzügliche Analyse von Christoph Butterwegge auf den NachDenkSeiten. Seine Kernthesen sind:
– Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe führte nicht zu einer Grundsicherung auf höherem Niveau, sondern einer Schlechterstellung von sehr vielen Menschen sowie einer gleichfalls problematischen Aufspaltung der Sozialhilfeempfänger/innen in erwerbsfähige, die Arbeitslosengeld (Alg) II beziehen, und nichterwerbsfähige, die Sozialgeld bzw. -hilfe erhalten.
– Mit dem, was gewerkschaftliche Arbeitsloseninitiativen als „Verfolgungsbetreuung“ charakterisieren, wurde der Kontrolldruck auf (potenzielle) Leistungsbezieher/innen spürbar erhöht sowie eine Verletzung der Privat- und Intimsphäre durch „Sozialdetektive“ vorprogrammiert.
– Durch die Umsetzung des im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat noch weiter radikalisierten Konzepts der sog. Hartz-Kommission (Ausweitung nicht nur „haushaltsnaher“ Mini-Jobs sowie der Leih- bzw. Zeitarbeit) hat der Niedriglohnsektor enorm an Bedeutung gewonnen.
– Durch Einschüchterung der Betroffenen sollten mehr „Beschäftigungsanreize“ im Niedriglohnbereich geschaffen werden. Man zwingt sie mit Hilfe von Leistungskürzungen, schärferen Zumutbarkeitsklauseln und Maßnahmen zur Überprüfung der „Arbeitsbereitschaft“, fast jede Stelle anzunehmen und ihre Arbeitskraft zu Dumpingpreisen zu verkaufen.
– Da trotz des irreführenden Namens „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ auch immer mehr (voll) Erwerbstätige das Alg II als sog. Aufstocker, d.h. im Sinne eines „Kombilohns“ in Anspruch nahmen bzw. nehmen mussten, um leben zu können, etablierte Hartz IV ein Anreizystem zur Senkung des Lohnniveaus durch die Kapitalseite. Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor vermehrt die Armut, statt auch nur ansatzweise zur Lösung dieses Kardinalproblems beizutragen.
– Da die Zumutbarkeitsregelungen mit Hartz IV erneut verschärft und die Mobilitätsanforderungen gegenüber (Langzeit-)Arbeitslosen noch einmal erhöht wurden, haben sich die Möglichkeiten für Familien, ein geregeltes, nicht durch permanenten Zeitdruck, Stress und/oder räumliche Trennung von Eltern und Kindern beeinträchtigtes Leben zu führen, weiter verschlechtert.
– Verschärft wird das Problem durch erhebliche regionale Disparitäten (Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle). So lebten in Görlitz 44,1 Prozent aller Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Haushalten, während es im ausgesprochen wohlhabenden bayerischen Landkreis Starnberg nur 3,9 Prozent waren.
– Hartz IV trug durch das Abdrängen der Langzeitarbeitslosen samt ihren Familienangehörigen in den Fürsorgebereich dazu bei, dass Kinderarmut „normal“ wurde, was sie schwerer skandalisierbar macht. Auf das Leben der Kinder, die zur „unteren Schicht“ gehören, wirkte sich das Gesetzespaket wegen der katastrophalen Lage des Arbeitsmarktes in den östlichen Bundesländern besonders verheerend aus.
– Nicht nur die materielle Situation, sondern auch die Position von Frauen und (alleinerziehenden) Müttern auf dem Arbeitsmarkt hat sich verschlechtert. Die sog. Mini- und Midi-Jobs übernehmen größtenteils Frauen. „Haushaltsnahe Dienstleistungen“, die sie erbringen sollen, heißt im Wesentlichen, dass ihnen Besserverdienende, denen dafür nach einem vorübergehenden Wegfall des sog. Dienstmädchenprivilegs nun auch wieder Steuervergünstigungen eingeräumt werden, geringe (Zu-)Verdienstmöglichkeiten als Reinigungskraft oder Haushälterin bieten. Ist die „Mini-Jobberin“ mit einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verheiratet, braucht sie wegen der kostenfreien Familienmitversicherung keine Krankenkassenbeiträge zu entrichten. Um die vollen Leistungen der Rentenversicherung in Anspruch nehmen zu können, muss eine (Putz-)Frau jedoch ergänzende Beiträge zahlen. Selbst dann lässt sich Altersarmut kaum vermeiden. Gleichzeitig vergrößert sich der Abstand zwischen den Altersrenten von Männern und Frauen weiter zu Lasten der Letzteren.
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