Es ist schon erstaunlich, wie wandlungsfähig manche Menschen sind. Ein bemerkenswertes Exemplar dieser Spezies ist der Lokaljournalist Andreas Harthan, seit rund 25 Jahren Mitarbeiter des Hohenloher Tagblatts in Crailsheim. Der 49-Jährige wechselt die Farben – im aktuellen Fall die beruflichen Seiten – schneller als ein Chamäleon.
Kommentar von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Als leitender Angestellter nun auf der Arbeitgeberseite
Lange Jahre war Harthan Betriebsratsvorsitzender des Hohenloher Tagblatts – mindestens bis ins Jahr 2009. In dieser Funktion sollte er sich für die Interessen der HT-Beschäftigten einsetzen. Für die Gewerkschaft ver.di saß Harthan sogar in der Tarifkommission der Deutschen Journalistenunion (dju) für Redakteure an Tageszeitungen. 2010 darf er endlich richtiger Chef sein – nicht Chef eines Gesamtbetriebsrats oder Chef eines Gewerkschaftsverbands – nein, sondern „zunächst kommissarischer“ Redaktionsleiter des Hohenloher Tagblatts in Crailsheim. Als leitender Angestellter steht der frühere Stuttgarter nun definitionsgemäß auf der Seite der Arbeitgeber.
In jüngster Vergangenheit Kuschelkurs mit der Geschäftsleitung
Eine leitende Stellung bekommt ein Zeitungsmitarbeiter nicht angetragen, wenn er sich bei der Geschäftsleitung in den zurückliegenden Jahren allzu sehr für die Interessen der Beschäftigten eingesetzt hat. Nun stellt sich die Frage, ob es Harthan schon seit längerer Zeit auf eine Leitungsfunktion im Betrieb abgesehen hatte. Einige Tatsachen könnten dafür sprechen. HT-Mitarbeiter kritisierten in den vergangenen jahren Harthans Kuschelkurs mit HT-Geschäftsführer Jürgen Bauder. Von Schwierigkeiten betroffene Mitarbeiter waren schon lange nicht mehr mit Harthans lauwarmer Betriebsratsarbeit zufrieden gewesen. Von Kündigungen oder von beruflichen Einschnitten betroffene Kolleginnen und Kollegen hat Harthan – wenn es hart auf hart ging – oft allein im Regen stehen lassen. Gerne hat sich der heute 49-Jährige weggeduckt. Da ist sein aktueller Stellungswechsel auf die Arbeitgeberseite ein konsequenter und längst überfälliger Schritt. Zuletzt war Harthan eher zum Schein Gewerkschafter, genoss aber noch gerne den erweiterten Kündigungsschutz als Betriebsrat.
Auf halbjähriger Reise für den neuen Job ausgeruht
Seine Arbeit als „zunächst kommissarischer“ Redaktionsleiter kann Harthan mit frischer Energie angehen. Hat er doch Ende 2008 und Anfang 2009 etwa ein halbes Jahr lang eine bezahlte Auszeit genommen. Das bekommt einer von seinem Arbeitgeber sicher nicht, wenn er engagierte Betriebsratsarbeit gemacht hat. Italien und die USA waren die Reiseziele, um von der Redigierarbeit in Crailsheim durchzuschnaufen.
Bartels tritt zurück ins Glied
In der HT-Redaktionsmannschaft hat es keinen echten Wechsel und keinen Neuanfang gegeben. Mathias Bartels, bis Jahresende 2009 Redaktionsleiter, hat sein Amt aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt. Der 55-jährige Nordrhein-Westfale tritt nach etwa neun Jahren zurück ins Glied und arbeitet als normaler Redakteur weiter. Damit hat die siebenköpfige HT-Redaktionsmannschaft gleich zwei ehemalige Redaktionsleiter in ihren Reihen. Wolfgang Rupp, der jahrzehntelang als Redaktionsleiter in Crailsheim tätig gewesen war, wurde bereits Anfang des neuen Jahrtausends von Geschäftsführer Jürgen Bauder ins Glied zurückgemobbt. Gerne hätte Bauder Rupp damals sogar ganz losgehabt. Doch die Alt-Gesellschafter setzten sich für den altgedienten Rupp ein. Er durfte unter der neuen Leitung von Mathias Bartels normaler Redakteur bleiben. Jetzt stehen die beiden Ex-Redaktionschefs in der Betriebshierarchie wieder auf einer Stufe.
Ob Ute Bartels, Ehefrau von Mathias Bartels, die in den vergangenen Jahren unter dem falschen Namen Ute Schäfer als freie Journalistin für das Hohenloher Tagblatt geschrieben hat, unter dem neuen „zunächst kommissarischen“ Redaktionsleiter Harthan noch genauso viele Schreib-Aufträge erhält wie zu Redaktionsleiter-Zeiten ihres Gatten, ist eine spannende Frage.
Geschäftsführer Bauder praktiziert einen Abschied auf Raten
Einen Abschied auf Raten praktiziert der bisherige HT-Geschäftsführer Jürgen Bauder. Der 66-Jährige ist seit Jahresbeginn nicht mehr für den Verlag und die Tageszeitung zuständig, sondern nur noch für das 2009 abgespaltene Druckzentrum Gerabronn. Bauders Nachfolger als Verlagsgeschäftsführer des Hohenloher Druck- und Verlagshauses in Crailsheim (HDV) ist Thomas Scherf-Clavel. Der 55-Jährige war von 1998 bis zum Jahresende 2009 als Verlagsleiter und technischer Geschäftsführer der Rhein-Neckar-Zeitung in Heidelberg tätig, schreibt das Hohenloher Tagblatt in einer Meldung am Samstag 23. Januar 2010.
Scherf-Clavel war bisher vor allem Anzeigenleiter
Ein Blick auf die Internetseite des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zeigt aber, wo Scherf-Clavels bisheriges Haupttätigkeitsfeld tatsächlich lag. Am 1. Oktober 1998 wurde Thomas Scherf-Clavel nämlich zum Anzeigenleiter der „Rhein-Neckar-Zeitung“ in Heidelberg berufen. Zuvor war er laut BDZV-Mitteilung in gleicher Position für den „Donaukurier“ in Ingolstadt tätig. Bekommt die Anzeigenabteilung im Hohenloher Tagblatt mit Geschäftsführer Scherf-Clavel einen noch höheren Stellenwert als bisher schon? Nicht selten kam es bereits in den Bauder-Jahren seit 1997 vor, dass mit einer Werbeanzeige zusätzlich eine wohlwollende redaktionelle Berichterstattung verbunden war. Das ist mit den journalistischen Grundsätzen nicht vereinbar.
Anzeigen, Anzeigen, Anzeigen…
Aktuell (Mittwoch, 27. Januar 2010) steht Thomas Scherf-Clavel, der laut www.goyellow.de in Ellwangen-Röhlingen wohnt, noch im Impressum des „WOCHEN-KURIER – die große Anzeigenzeitung in Nordbaden mit acht Regionalausgaben“ in Heidelberg – nicht als Geschäftsführer, sondern wieder nur als Verantwortlicher für Anzeigen. Die Geschäftsführung des Wochen-Kurier teilen sich laut Impressum der Internet-Ausgabe Nr. 4 vom 27. Januar 2010 Inge Höltzcke und Joachim Knorr. Dem Impressum der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) vom 7. Februar 2008 ist zu entnehmen, dass Scherf-Clavel bei der „Ersten deutschen Zeitung in Württemberg-Baden“ (gegründet 1945) zu diesem Zeitpunkt vor allem als Verantwortlicher der Anzeigenabteilung tätig gewesen sein muss. Den RNZ-Geschäftsführerposten teilte er sich seinerzeit mit Joachim Knorr, dem Geschäftsführer des Wochen-Kurier.
Müssen HT-Redakteure künftig auch Anzeigen verkaufen?
Ob mit Scherf-Clavel ein frischer kreativer Wind durch die HT-Redaktionsstuben weht, ist bei einem Verlagsleiter fraglich, der in seiner bisherigen Laufbahn vor allem für den Anzeigenverkauf zuständig war. Vielleicht muss der neue, „zunächst kommissarische“ Redaktionsleiter Andreas Harthan mit seinem Team bei redaktionellen Terminen auch gleich noch Anzeigen mit verkaufen.
Video-Grüße Scherf-Clavels für die Schwäbische Post in Aalen
Seine berufliche Laufbahn hat Thomas Scherf-Clavel nach eigenen Angaben bei der Schwäbischen Post in Aalen (SchwäPo) gestartet. Zum 60. Geburtstag der Tageszeitung SchwäPo gibt es einen Video-Gruß des ehemaligen SchwäPo-Azubi zum Anschauen unter http://www.schwaebische-post.de/videogruesse/show_video.php?video_id=45
Beitrag von Andreas Harthan in der Gewerkschaftszeitschrift Menschen machen Medien (MMM):
http://www.verdi.de/mmm/archiv/2004/04/titelthema_tarifrunde_redakteure_an_tageszeitungen/die_luft_war_raus
Position dreier ver.die-Gewerkschaftskollegen zum selben Thema:
http://www.verdi.de/mmm/archiv/2004/04/titelthema_tarifrunde_redakteure_an_tageszeitungen/eiertanz
http://www.verdi.de/mmm/archiv/2004/04/titelthema_tarifrunde_redakteure_an_tageszeitungen/viele_kleine_wunder
http://www.verdi.de/mmm/archiv/2004/04/titelthema_tarifrunde_redakteure_an_tageszeitungen/streiks_bis_zur_nacht_der_entscheidung
Qualität von Zeitungen sinkt durch zunehmende nicht-journalistische Tätigkeiten:
http://www.verdi.de/mmm/archiv/2004/04/titelthema_tarifrunde_redakteure_an_tageszeitungen/mein_qualitaetsanspruch_zwingt_mich_zu_ueberstunden