Um die neue griechische Regierung von ihrem Ziel, mit den neoliberalen Troika-Diktaten Schluss zu machen, abzuhalten, nutzen die Machthaber in Brüssel und Berlin ihre gewaltige ökonomische Macht schamlos aus. Sie praktizieren eine Erpressungspolitik, die in Stil und Inhalt eher an Unterweltmethoden im Chicago der 1920er Jahre erinnert als an einen zivilisierten Umgang zwischen Nationen.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
David gegen Goliath
Bei einem ungleichen Kräfteverhältnis, das dem von David gegen Goliath gleicht, führt der Goliath Eurogruppe dem David in Athen ständig vor Augen, dass er zermalmt wird, wenn er nicht das unterschreibt, was Goliath von ihm verlangt. Die demonstrative Zur-Schau-Stellung der eigenen Macht und die permanente Drohung diese Macht zum Einsatz zu bringen, prägt den Umgang der Chefs der Eurogruppe mit der neuen griechischen Regierung. Die Botschaft von Schäubles Spruch („Sie haben noch Zeit bis Freitag. Dann war’s das“) im Vorfeld des so genannten Kompromisses zwischen Griechenland und der Eurogruppe vom 20. Februar 2015, war: Die von den reichen Kernländern der EU beherrschten „Institutionen“, allen voran die EZB, würden Griechenland den Geldhahn abdrehen, mit dem Ziel, dort innerhalb weniger Tage einen Staatsbankrott herbeizuführen.
Erfolg macht die Räuber gieriger
Am 20. Februar 2015 kapitulierte die SYRIZA-Regierung zwar nicht vollständig; sie machte beim Abkommen vom 20. Februar den Herren des großen Geldes aber weitreichende Zugeständnisse, die den eigenen Handlungsspielraum beträchtlich einengen. Wer gehofft hatte, dass die griechische Regierung sich mit diesem Kompromiss etwas Zeit erkauft hat, sieht sich getäuscht. Der Erfolg machte den Räuber nur noch gieriger.
Forderungen immer maßloser
Seither erhöhen die Gralshüter des großen Geldes in Brüssel und Berlin weiter den Druck. Ihr Gebaren wird immer anmaßender, ihre Forderungen immer maßloser. Wohlwissend, dass der griechischen Regierung finanziell das Wasser bis zum Hals steht und bei den griechischen Banken täglich größere Löcher klaffen, starten die Machthaber der EU noch heftigere und bedrohlichere Angriffe. Als Druckmittel dient ihnen der Umstand, dass Athen in diesem Jahr gewaltige Schuldenrückzahlungen beziehungsweise Zinszahlungen an IWF und EZB ins Haus stehen. Im Jahr 2015 wären deutlich über 20 Milliarden Euro an Tilgung oder Zinszahlungen fällig, alleine im März 2016 6,85 Milliarden Euro! Rechnet man das auf BRD-Verhältnisse um, so wären das alleine im März rund 25 Milliarden Euro! Natürlich weiß man in Berlin und Brüssel, dass die faktisch zahlungsunfähige Tsipras-Regierung diesen Zahlungen nicht nachkommen kann. Umso aggressiver bestehen sie auf Erfüllung der einst von den Vorgängerregierungen unter Zwang eingegangenen Verpflichtungen. Ultimativ fordert Klaus Regling, der Chef des Euro-Rettungsfonds: „Griechenland muss diese Darlehen eins zu eins zurückzahlen. Das erwarten wir.“ Jeglichen Gedanken an einen Schuldenerlass oder eine Stundung weist er brüsk von sich: „Die Eurozone ist keine Transfer-Union.“
Politik der EZB schnürt Athen die Luft ab
Gleichzeitig blockiert vor allem die EZB alle Versuche der griechischen Regierung, zur Bedienung der forderten Rückzahlungen weitere Kredite zu bekommen.
– Bereits seit dem 11. Februar 2015 akzeptiert die EZB griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite und erschwert damit griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld.
– Die EZB blockiert alle Versuche Athens, sich größeren finanziellen Spielraum zu verschaffen durch die Ausgabe kurzfristiger Schuldtitel, so genannten T-Bills.
– Draghis gigantisches 1140-Milliarden-Euro-Programm zum Kauf von Staatsanleihen würde der griechischen Regierung Kredite zu niedrigen Zinsen zugänglich machen und damit in beträchtlichem Maße ihre finanziellen Probleme lindern helfen. Aber Draghi hat Griechenland explizit von diesem Anleihekaufprogramm ausgeschlossen – weil es die Troika-Verträge ablehnt.
Gianis Varoufakis hat absolut Recht mit seiner Feststellung: „Aus meiner Sicht verfolgt die EZB eine Politik gegenüber unserer Regierung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt“.
Zappeln lassen, Erpressen und Nachtreten
Aktuell stehen im Zentrum der Erpressungsversuche jene 7,2 Milliarden Euro, die noch aus dem laufenden Rettungsprogramm ausstehen. Gemäß der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar sollen die Griechen diese letzte Kredittranche aus dem zweiten Rettungspaket erst dann erhalten, wenn die anderen Eurofinanzminister das von der griechischen Regierung ihnen vorgelegte Reformprogramm absegnen. Während die griechische Regierung auf rasche Verhandlungen drängt, spielen die Herren des Euro genüsslich auf Zeit – wohlwissend, dass mit jedem Tag sich die Finanzierungsprobleme der griechischen Regierung verschärfen. Schäubles Sprecher im Finanzministerium Martin Jäger stellt fest: Für mögliche Vorabzahlungen gebe es keine Grundlage.
Diplomatische Flegelhaftigkeit
Zudem werden die Bedingungen für eine Zustimmung ständig verschärft, indem die Herren von der Eurogruppe die im Abkommen vom 20. Februar getroffenen Kompromisse der „konstruktiven Mehrdeutigkeit“ (Varoufakis) ganz in ihrem Sinne auslegen. Man fordert: Athen muss bei Reformen nachlegen und meint damit die totale Unterwerfung unter die alten Troika-Vorgaben. Die Vorschläge, die Janis Varoufakis im Vorfeld des Treffens vom 9. März 2015 schriftlich der Eurogruppe hatte zukommen lassen, werden abgebürstet: „Ein Brief hin oder her ändert nicht viel“. Die FAZ vom 9. März 2015 meldet noch vor dem Treffen: „In der Eurogruppe war schon klargestellt worden, dass der Brief des Ministers nicht einmal im Ansatz für weitere Kreditzahlungen genutzt werden kann.“ Gerade mal 30 Minuten dauerten die Beratungen über die Vorschläge von Varoufakis. Dann trat der Chef der Eurogruppe, Dijsselbloem vor die Kameras und erklärte, die bisher von Griechenland vorgestellten Reformpläne reichten nicht aus – eine bewusste Brüskierung von Varoufakis seitens des Chefs der Eurogruppe. Diese diplomatische Flegelhaftigkeit angesichts des Gebarens der „Chefs“ im Vorfeld des Treffens waren auch keine Überraschung mehr.
Harte Maßnahmen angedroht
In der Kommunikation nach außen stellen Schäuble und Dijsselbloem jetzt heraus, dass ab sofort alle in den Troika-Verträgen festgeschrieben Bedingungen auf Punkt und Komma zu erfüllen sind. Alle Vorschläge von Varoufakis werden abgebürstet. Intern hat man sich vermutlich längst darüber verständigt, dass es um die Wiederherstellung der Vertragsbedingungen und der Umgangsformen wie zu Zeiten von Samaras geht. Nichts mehr und nichts weniger! Das beinhaltet, dass sie als „Reformschritte“ nur harte Sparmaßnahmen akzeptieren. Die von der Tsipras-Regierung angepeilten Maßnahmen zur Verbesserung der humanitären Situation der Menschen sind für Schäuble und Dijsselbloem Unterschriftsverhinderungsgründe! Dies wurde deutlich, als am 18. März 2015, das griechische Parlament ein 200 Millionen Euro teures Hilfsprogramm für die Ärmsten der Armen verabschiedete: Verarmte Haushalte sollen Gratisstromlieferungen sowie Essensmarken und Wohngeldzuschüsse erhalten. Der Direktor für wirtschaftliche und finanzielle Fragen bei der EU-Kommission Declan Costello sieht in diesem Gesetz einen Verstoß gegen die Abmachungen vom 20. Februar 2015 und drohte daraufhin mit „harten Maßnahmen“.
Die Rückkehr der Troika
Statt sich mit der eklatanten finanziellen Notlage in Athen oder gar dem Leiden der Menschen in Griechenland zu befassen, erpressten die Statthalter des großen Geldes auf dem Treffen am 9. März 2015 von der griechischen Regierung ein Zugeständnis von hohem Symbolwert: Sie erzwangen faktisch die Zustimmung zur Rückkehr der internationalen Kontrolleure. Gemeint sind damit die bisher als Troika bezeichneten Prüfer von EU-Kommission, EZB und IWF. Für Tsipras und Varoufakis ist dies ein schwerer Rückschlag. Sie hatten sich immer vehement gegen die die Rückkehr der verhassten „Men in Black“ gewehrt. Es gehen Gerüchte um, dass bei diesem Erpressungsmanöver EZB-Chef Draghi eine zentrale Rolle gespielt habe: Die „Süddeutsche Zeitung“ meldete, dass Draghi Yanis Varoufakis gedroht habe, dass er in zwei Wochen Konkurs anmelden kann, wenn Athen nicht der Rückkehr der Kontrolleure zustimmt. Wolfgang Schäuble nutzte die Chance zum Ausleben sadistischer Triebe: Wohl wissend, dass das von den griechischen „Partnern“ als Beleidung und Erniedrigung verstanden wird, trat er nach und sprach gleich wieder von den Kontrolleuren der „Troika“.
Der mit dem Feuer spielt…
Schäuble, Dijsselbloem, Draghi und Madame Lagarde ziehen die Schlinge um den Hals der SYRIZA-Regierung immer enger. Offenbar wollen sie einen Verbleib Griechenlands im Euro nur um den Preis der vollständigen Unterwerfung unter die neoliberalen Troika-Diktate ermöglichen. Am Freitag, 13. März 2015 zeigte Schäuble, dass er zur Durchsetzung dieses Ziels bereit ist, den Konflikt bis zum Äußersten zu eskalieren. In einem ORF-Interview äußert er, dass er einen „Grexit aus Versehen“, natürlich auf Grund von unbedachten Maßnahmen der griechischen Regierung, für möglich hält. Die wirkliche Botschaft von Schäubles Interview in Richtung Athen ist aber. Wenn ihr nicht spurt, müsst ihr mit der Höchststrafe rechnen.
Der angebliche Feuerlöscher erweist sich als Brandstifter
Dabei ist es beileibe nicht ausgemacht, dass eine Staatspleite Griechenlands und ein “Grexit“ so schön beherrschbar sind, wie das offenbar Planstudien in seinem Finanzministerium glauben machen. Wolfgang Münchau von der „Financial Times“ erwartet für den Fall eines „Grexit“ einen massiven Finanzschock, der um ein Mehrfaches größer ist als der, der durch den Kollaps von Lehman Brothers ausgelöst wurde. Der angebliche Feuerlöscher erweist sich als Brandstifter.
Schäuble: Die Verkörperung des hässlichen Deutschen
Insbesondere Schäuble und Dijsselbloem tun sich derzeit bei ihren öffentlichen Auftritten durch Demütigungsrhetorik gegenüber der griechischen Regierung hervor. Der blasse Technokrat aus Holland befindet sich offenbar auf einem zwanghaften Rachefeldzug dafür, dass ihn Varoufakis bei seinem ersten Auftritt in Griechenland hat schlecht aussehen lassen. Er spielt praktisch den kläffenden Hampelmann für Schäuble. Schäuble selbst ist bei seinen öffentlichen Auftritten richtig anzusehen, wie er die Machtausübung genussvoll auskostet. Unentwegt stichelt er in Richtung der griechischen Regierung. Herablassend schulmeistert er die Journalisten, zynisch fertigt er die Griechen ab. Er höhnt „Die Griechen tun mir leid“ (womit gemeint ist, er bedauere sie dafür, die falsche Regierung gewählt zu haben) und nach dem nächtlichen Deal in der Eurogruppe kann er es sich nicht verkneifen, triumphal zu bekunden: „Griechenland wird es ganz schwierig haben, diesen Deal den Wählern zu erklären.“ Während in Deutschland selbst das imperial anmaßende Auftreten von Schäuble von der veröffentlichten Meinung weitgehend für gut befunden wird, gilt Wolfgang Schäuble außerhalb Deutschlands offenbar immer mehr als zeitgenössische Verkörperung des hässlichen Deutschen. Möglicherweise ist Schäuble dabei, in seinem Machtrausch den Bogen zu überspannen. Das ist wohl auch der Hintergrund dafür, dass selbst EU-Kommissionspräsident Juncker sich bemüßigt fühlt, Schäuble zu ermahnen, etwas weniger krawallig zu Werke zu gehen.
Hörbarer Widerspruch anderer Länder nötig
Es wäre zu hoffen, dass in anderen Ländern hörbar Widerspruch zu den Ausfällen des knorrigen deutschen Feldwebels geäußert wird. Ein Blick auf die Kräfteverhältnisse in der Eurogruppe gibt allerdings wenig Grund zu Hoffnung.