„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden erster Teil

„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte zu „Irgendwo in Hohenlohe“ von Birgit Häbich: Der Episoden erster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

I Voodo

… Carl Eugen Friedner sah aus den Augenwinkeln, wie sein Freund zu einer Salzsäule erstarrte und erbleichte. Was war so schrecklich anzusehen, dass es Paul derart aus der Fassung brachte? Carl hatte gerade die Schuhe ausgezogen, versuchte sein blaues Mäntelchen irgendwo an dem völlig überfüllten Kleiderhaken aufzuhängen und war auf dem Weg aus der kleinen Diele ins Wohnzimmer. Da stand sein Freund und schaute mit geweiteten Augen in die Küche. Pauls zweiter Sohn Yann saß am Esstisch und richtete seinen Blick ebenfalls gebannt in dieselbe Richtung. Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war im Profil unverkennbar. Gern hätte er diese, schon länger geplante, Männerrunde jetzt genossen, aber irgendetwas schien da vor sich zu gehen, etwas, das die gute Stimmung und das abendliche Vorhaben einer gemütlichen Zusammenkunft in Nullkommanichts zunichte zu machen drohte. Yann schien konzentriert interessiert; fast schon belustigt zogen sich seine Mundwinkel leicht nach oben, während er, wie sein Vater, die Augen keine Sekunde von dem Schauspiel abwendete, das da in der Küche stattfand.

Imaginärer Rhythmus

Als Carl näher trat und dabei besorgt den verzerrten Gesichtsausdruck seines Freundes Paul studierte, hörte er ihre Stimme. Sie sang und wiegte ihre schmalen Hüften zu einem imaginären Rhythmus. Ihre kleinen Brüste zeichneten sich unter dem engen und ziemlich knapp sitzenden Oberteil ab. Die Brustwarzen traten deutlich groß und erregt hervor. Ihr Bauch war frei, die ebenfalls engen, modernen schwarzen Hosen betonten ihre wohlgeformten langen schlanken Beine. Pauls Tochter Gisléne nahm nichts und niemanden wahr außer sich selbst. Sie tanzte ihrem Bruder, wie in Trance, zur Untermalung ihrer Worte vor: „Vodoo, hörst du, Yann! Ich kann Vodoo! Ich, ich habe ihn angeschaut, tief in die Augen habe ich ihm geschaut, so von unten herauf, Vodoo.“, wobei sie den Kopf, der auf der linken Schulter lag, leicht nach rechts oben schraubte und dabei ihre Brüste ausdrücklich nach vorne und ihren kleinen Hintern zurück schob. „Vodoo, das mag der Papa, hat die Oma gesagt, tanzend, mit den Augen soll ich es machen.“
„Und die Arme soll ich dabei hilflos hängen lassen, Vodoo.“ Das hochaufgeschossene Mädchen war kein Kind mehr – deutlich zeigte sie die betörende Weiblichkeit einer heranwachsenden Frau und setzte nochmals nach: „Vodoo! Ich kann Vodoo! Ich habe sie vertrieben, tief in die Augen habe ich ihm geschaut, damit er sie vergisst.“ Und setzte abfällig ein „Pah!“ und den aus tiefster Seele kommenden zufriedenen Schluss „Die ist weg!“ hinzu. Gisléne drehte sich nochmals wirbelnd im Kreis, wobei ihre langen, krausen, roten Haare wogten, hob ihre Arme und ließ die Hände fließend in einer eleganten Drehung nachfolgen, um dann, mit wiegenden Hüften und einem sich monoton wiederholenden „Vodoo, Vodoo“ ins Bad zu verschwinden.

Scham

Paul war fahl im Gesicht, er schien plötzlich um Jahre gealtert. Er wollte sich an einer Stuhllehne festhalten und griff ins Leere. Carl packte geistesgegenwärtig den Arm des Freundes und verhinderte, dass er stürzte. Paul ließ sich die Hilfe gefallen, sah aber schweigend mit gesenktem Kopf zu Boden. Er konnte vor Scham nicht aufblicken, nahm am Tisch Platz und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Carl setzte sich neben Paul und bemerkte, dass Yann nun unruhig auf seinem Stuhl herumrutschte und ihm ebenfalls nicht in die Augen schauen konnte. Der zweitgeborene Sohn hatte vor lauter Faszination über das Schauspiel, welches seine kleine Schwester aufgeführt hatte, das Kommen seines Vaters nicht bemerkt und war jetzt nicht minder peinlich berührt. Abrupt stand er auf und stürmte aus dem Zimmer, kurz hörte man ein Geraschel aus der Diele, dann das laute Krachen der Wohnungstüre und Yanns leiser werdende Schritte, mit denen er hastig die Treppen hinunter stürzte.

Zurechtgemacht

Dann verließ Gisléne das Badezimmer und kam in aller Ruhe durch die Küche ins Wohnzimmer. Sie hatte sich zurechtgemacht, die Lippen dezent geschminkt und ihre roten krauseligen Haare unter einem hohen Turban aus buntem Tuch verschwinden lassen, sie trug nun einen langen, dunkelgrünen, gestrickten Rollkragenpullover zu ihren Leggins, der ihren milchkaffeebraunen Teint auf angenehme Art betonte. Hocherhobenen Hauptes und mit ausdruckslosem Gesicht stolzierte sie rasch und grußlos an ihrem Vater und an dem Gast vorbei und verschwand ebenfalls durch die kleine Diele in ihr Zimmer.

Männerrunde

Carl überlegte kurz, wie er dem Freund nun am besten aus der unmöglichen Lage helfen könnte. Er ging in die Küche und schaute sich um, fand das Gesuchte bald. Es war alles für die geplante Männerrunde vorbereitet. Auf dem Boden stand ein Kasten mit Tannenzäpfle* und ein paar Tüten salziges Gebäck lagen auf dem Fenstersims parat. Er holte einen Öffner aus der Schublade unter dem Ablauf der Spüle und setzte sich mit zwei Flaschen Bier gegenüber von Paul an den Esstisch. Dann drehte er sich um, holte aus der Anrichte zwei Gläser und stellte sie vorsichtig auf den Tisch. Paul nahm die Hände immer noch nicht von seinem Gesicht. Carl Eugen beobachtete ihn besorgt und öffnete nebenbei die erste Flasche Bier.

„Karinakrise“

Der arme Mann, dachte Carl und war in dem Moment unsagbar froh darüber, keine Kinder in diese Welt gesetzt zu haben. Reicht es nicht aus, jetzt ganz besondere Sorgen wegen der neu aufgezogenen „Karinakrise“ zu haben? Nein – diese kindischen Heranwachsenden malträtierten* ihre Eltern mit den neu zu entdeckenden sexuellen Reizen – egal was sich da draußen in der Welt sonst noch abspielte. Er schenkte ein, prostete dem Freund danach still zu und trank das Glas in einem Zug leer.
Ah, das tat gut. Carl Eugen Friedner spürte die feinherbe Flüssigkeit durch seine Gurgel den Hals hinunter in seinen Magen rinnen und freute sich auf die Wirkung des erfrischenden Gerstensaftes. Seit er vor sieben Jahren begonnen hatte sein Leben nochmals gründlich zu ändern, waren die Magenschmerzen verschwunden und er konnte sich wieder sorglos das eine oder andere Flaschenbier oder auch zwei kleine Gläser Wein gönnen… Fortsetzung folgt.

Erläuterungen:

*Tannenzäpfle: Eine Sorte Flaschenbier der Brauerei Rothaus, Internet: www.rothaus.de

*malträtieren: Jemandem böse mitspielen bzw. das Leben schwer, bzw. zur Hölle machen

Kontaktaufnahme zur Autorin ist möglich unter folgender E-Mail-Adresse:

b.haebich@web.de

   Sende Artikel als PDF