„Jüdische Kulturwochen in Stuttgart“ – Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster

Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht in voller Länge das Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, zur Eröffnung der Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart am 2. November 2020.

Vom Zentralrat der Juden in Deutschland

Froh über digitale Möglichkeiten

Vermutlich geht es uns allen ähnlich: Wir hatten uns darauf gefreut, zur Eröffnung der Jüdischen Kulturwochen tatsächlich in Stuttgart zusammenzukommen und uns nicht nur digital, sondern ganz in echt zu begegnen. Jetzt haben uns die steigenden Infektionszahlen leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und wir sind einerseits enttäuscht, wieder nur per Video Kontakt miteinander zu haben, und andererseits froh, dass es diese digitalen Möglichkeiten gibt. Und ich hoffe sehr und das wünsche ich Ihnen von Herzen, dass wenigstens ein Teil der Veranstaltungen der Jüdischen Kulturwochen real stattfinden können.

Nach Kriegsende wollten viele Leute nicht zuhören

Die Jüdischen Kulturwochen sind ein fester Bestandteil des Stuttgarter Stadtlebens. In diesem Jahr erinnern sie vor allem an den 75. Jahrestag der Befreiung und an die Wiedergründung der hiesigen Gemeinde. Und hätte damals den Überlebenden jemand gesagt, dass einst Jahr für Jahr die Stadt Jüdische Kulturwochen erlebt, so hätten sie wohl ungläubig den Kopf geschüttelt. Ungläubig, weil 1945 ein wieder erblühtes jüdisches Leben ebenso unvorstellbar war wie der Gedanke, dass sich so viele Bürger für das jüdische Leben interessieren. Denn die Überlebenden stießen nach Kriegsende überwiegend auf Deutsche, die ihnen nicht zuhören wollten, die wegsahen, die verdrängten und verschwiegen. Willkommen waren die jüdischen Überlebenden nicht!

Erfolgsgeschichte

Was sich seitdem an jüdischem Leben etabliert hat, hier in Stuttgart, in Baden-Württemberg und ja, in ganz Deutschland, das ist eine Erfolgsgeschichte. Und auch das Miteinander von jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern, von Juden und Christen ist eine Erfolgsgeschichte. Natürlich gibt es Schattenseiten. Gibt es eine Reihe von antisemitischen Anschlägen und Vorfällen, die immer wieder Zweifel aufkommen ließen und Zweifel aufkommen lassen, wie sicher Juden in Deutschland sind. Zuletzt der Anschlag in Halle im Oktober 2019 und der Angriff auf den jüdischen Studenten in Hamburg an Sukkot.
Doch die ganz deutliche Mehrheit der Bevölkerung ist nicht antisemitisch eingestellt. Und sehr viele engagieren sich im Dialog und im Austausch. Wenn wir den Blick zurück richten, auf die Anfänge, auf das zerstörte Stuttgart 1945 und die Überlebenden, die aus den Lagern und Verstecken kamen, die ihre Familien verloren hatten – dann sollten wir vor diesem historischen Hintergrund diese Entwicklung der vergangenen 75 Jahre so positiv sehen, wie sie ist.

Brauchen gute Wissensvermittlung über das Judentum

Manchmal, meine sehr geehrten Damen und Herren, habe ich allerdings den Eindruck, dass das Wissen über unsere jüngere Geschichte immer geringer wird. Daher bin ich sehr dankbar, dass Sie in vielen Veranstaltungen der Kulturwochen historische Themen aufgreifen, beginnend heute Abend mit dem Vortrag von Professor Wolfssohn. Wir brauchen dieses Wissen. Und daher brauchen wir auch eine gute Wissensvermittlung, vor allem über das Judentum. Hier sehe ich in den Schulen noch Nachbesserungsbedarf: Fundierte Kenntnisse über den Holocaust und genügend Raum für die jüdische Geschichte jenseits der Schoa. Denn es ist wichtig, dass Schüler Juden nicht nur als Opfer wahrnehmen. Und dass sie verinnerlichen, wie lange bereits Juden zu Deutschland gehören und unsere Kultur mitgeprägt haben. Dies alles zu vermitteln, ist für die Lehrkräfte nicht leicht. Daher arbeitet der Zentralrat der Juden mit der Kultusministerkonferenz und den Schulbuchverlagen an guten Lehrmaterialien sowie einer gezielten Fortbildung für Lehrer. Es gilt, sie sowohl zum Thema Judentum zu schulen als auch sie im Kampf gegen Antisemitismus zu stärken.

Projekt „Meet a Jew“

Daneben bieten wir über unser Projekt „Meet a Jew“ die Möglichkeit an, junge Juden zu treffen und sich auszutauschen. Auch dies halte ich für einen wichtigen Mosaikstein, um das Wissen über das Judentum zu erhöhen und Vorurteile damit zugleich abzubauen oder am besten von vorneherein zu verhindern.

Fotowettbewerb „Jüdischer Alltag“

Jetzt gerade und noch bis zum 20. Dezember 2020 läuft übrigens ein Fotowettbewerb zum jüdischen Alltagsleben, den wir u. a. mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters gemeinsam ausrichten. Hier sind alle Bürger aufgefordert, Fotos einzureichen, die das heutige jüdische Leben abbilden. Ich hoffe sehr, dass der Wettbewerb Menschen animiert, sich mit unserem modernen jüdischen Leben auseinanderzusetzen. Da ich Mitglied der Jury bin, darf ich dann auch über das Siegerfoto mitentscheiden.

„Jede Generation muss sich wieder neu mit der braunen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzen“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den Jüdischen Kulturwochen finden sich viele Veranstaltungen, die die Zeit des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit behandeln. Die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten, ist nicht nur bleibende Verpflichtung der jüdischen Gemeinschaft. Nein, diese Verpflichtung liegt auch und vor allem bei der Mehrheitsgesellschaft. Es geht darum zu erklären, was geschehen ist. Vor allem aber: Wie es dazu kommen konnte. Dazu sollte auch die kritische Reflexion über die Rolle der eigenen Vorfahren gehören. Sehr viele Bürger denken, in ihren Familien habe es Widerstandskämpfer oder Menschen gegeben, die Juden geholfen hätten. Wenn es nur so gewesen wäre! Die Realität sah leider anders aus! Jede Generation muss sich wieder neu mit der braunen Vergangenheit Deutschlands auseinandersetzen. Das gilt auch für Einwanderer. Denn wenn die Lehren aus der Geschichte verinnerlicht werden, ist man besser gewappnet für die neuen Gefahren, die immer wieder drohen. Mal kommen sie als im Gewand von Rechtspopulisten daher. Mal als Verschwörungsmythen zum Corona-Virus. Es sind Gefahren für Minderheiten. Gefahren für unsere Demokratie. Die Weitergabe der Erinnerung, des Wissens über die Schoa, schulden wir daher regelrecht unserer Demokratie. Wir schulden es den kommenden Generationen. Bei den jüdischen Kulturwochen wird diese Verpflichtung eingelöst.

Physisch mit Abstand, aber innerlich aufgeschlossen

Ich danke ganz herzlich der IRGW – hier möchte ich stellvertretend meine Präsidiumskollegin Barbara Traub nennen – für das auch im Corona-Jahr ungebrochene Engagement sowie der Stadt für ihre Unterstützung! Mögen viele Besucher, vor allem auch junge Besucher real oder digital die Veranstaltungen besuchen, physisch mit Abstand, aber innerlich aufgeschlossen!

   Sende Artikel als PDF   

„Intensiv nach geeigneten Standorten gesucht“ – Stadtverwaltung Crailsheim bedauert mögliche Teilverlagerung der Biermanufaktur ENGEL“

Trotz intensiver Unterstützung durch die Stadtverwaltung Crailsheim bei der Suche nach einem neuen Standort im Stadtgebiet hat sich die Biermanufaktur ENGEL dazu entschlossen, einen seit längerem angestrebten Neubau außerhalb des Crailsheimer Stadtgebiets weiterzuverfolgen. Bis zuletzt hatte die Stadtverwaltung daran gearbeitet, dem Traditionsunternehmen die Perspektive für eine Erweiterung in Crailsheim zu geben.

Pressemitteilung der Stadtverwaltung Crailsheim

Entscheidung der Unternehmensführung

Seit 1738 braut das familiengeführte Unternehmen ENGEL sein Bier in Crailsheim. Seit jeher ist die Biermanufaktur eng mit der Stadt und ihren Menschen verbunden. Dementsprechend groß ist das Bedauern in der Stadtverwaltung über die Entscheidung der Unternehmensführung, Crailsheim wohl teilweise den Rücken zu kehren und an einem anderen Standort einen Neubau zu errichten – zumal bis zuletzt weitere Alternativen im Stadtgebiet verfolgt und aufgezeigt worden waren.

Langwieriges Zielabweichungsverfahren als Hürde

„Schon vor meinem Amtsantritt gab es das erste Treffen mit Wilhelm und Alexander Fach. Sowohl die jetzige Verwaltungsspitze mit Sozial- & Baubürgermeister Jörg Steuler und mir als auch unsere Vorgänger haben das Traditionsunternehmen im Bemühen um ein erfolgreiches Zielabweichungsverfahren unterstützt“, erklärt Oberbürgermeister Dr. Christoph Grimmer. „Leider müssen wir registrieren, dass Genehmigungsverfahren manchmal kompliziert, langwierig und unsicher sind. Die dem Unternehmen am nun neu gefundenen Standort gebotene Perspektive können wir leider nicht geben.“ Bis zuletzt habe sich die Verwaltung mit der Unternehmensleitung über Alternativen zum diskutierten Standort Saurach ausgetauscht.

Vorhaben seit mehreren Jahren unterstützt

Tatsächlich war die Verwaltung seit mehr als sechs Jahren mit der Familie Fach als Inhaberin der Biermanufaktur in engen Gesprächen. Zunächst ging es darum, die Brauerei bei der Erweiterung des Betriebes am bisherigen Standort zu unterstützen. Die Stadt Crailsheim prüfte bis Mitte 2015 unterschiedliche Varianten. Dabei stellte sich heraus, dass aus städtebaulichen, betrieblichen und emissionsrechtlichen Gründen letztendlich eine umfangreiche Betriebsvergrößerung, wie sie die Familie
Fach plante, in der Haller Straße nicht realisierbar war. Von beiden Seiten wurde daher dieser Standort nicht weiterverfolgt.

Standort für eine Natur-Erlebnisbrauerei

Veränderungen des Biermarktes und des Brauereiwesens ließen die Brauerei im Folgenden ein neues, auf Nachhaltigkeit ausgelegtes Konzept entwickeln. Daher trat die Familie Fach erneut an die Stadt mit dem Wunsch heran, sie bei der Suche nach einem neuen Standort für eine Natur-Erlebnisbrauerei zu unterstützen. In der neuen Brauerei sollte ein direkter Bezug zur hohenlohischen Natur und Landschaft sowie zur Landwirtschaft hergestellt werden. Dabei sollte auch das touristische Potential einbezogen werden. Mit diesen Anforderungen schied ein klassisches Gewerbegebiet aus Sicht der Familie Fach als Möglichkeit aus, was die Standortsuche maßgeblich einschränkte.

Standort Saurach war erste Wahl

Mitte 2016 hatte sich auch der Crailsheimer Gemeinderat mit der Thematik auseinandergesetzt und sprach sich grundsätzlich für eine Unterstützung der ENGEL-Brauerei aus. Bis zu 16 Flächen innerhalb der Crailsheimer Gemarkung wurden von 2016 bis 2018 gemeinsam von der Familie Fach und der Stadtverwaltung untersucht und diskutiert. Im Verlauf des Prozesses legte sich die Biermanufaktur ENGEL auf ein Gebiet bei Saurach fest.
In mehreren Etappen versuchten Stadt und Inhaber, den landesplanerischen Vorgaben gerecht zu werden, auf die das Regierungspräsidium Stuttgart als obere Planungsbehörde verwies. Bereits ab Ende 2016 fanden Abstimmungen hierzu zwischen der oberen Planungsbehörde, dem Regionalverband Heilbronn-Franken, der Stadtverwaltung Crailsheim und der Familie Fach statt. Diesen ersten Abstimmungen folgten bis heute zahlreiche weitere. Aufgrund der besonderen und isolierten Lage im Außenbereich mussten zunächst verbindliche Vorgaben aus dem Landesentwicklungsplan und dem Regionalplan sowie weiteren nachgeordneten Entwicklungsvorgaben als Hürden gemeistert werden. Das Regierungspräsidium hätte der Aussiedlung planungsrechtlich nur zustimmen können, wenn es auf der gesamten Gemarkung keine besser geeigneten Standorte als Alternative zur „grünen Wiese“ in Saurach gegeben hätte.

Verwaltung im Dialog mit dem RP Stuttgart

Die Stadtverwaltung hat insgesamt sechs Gutachten bei Fachbüros in Auftrag gegeben, die die Eignung des anvisierten Grundstücks fachlich nachwiesen und darüber hinaus aufzeigten, dass bestehende Siedlungsbereiche und landwirtschaftliche Strukturen durch die geplante Entwicklung nicht beeinträchtigt werden. Mit den Gutachten sollten die planungsrechtlichen Möglichkeiten dargestellt werden, um den Wünschen der Familie Fach nachzukommen. In der Folge wurden noch weitere Experten wie unter anderem eine Anwaltskanzlei hinzugezogen. All diese Maßnahmen konnten bis heute an den Vorgaben des Regierungspräsidiums (RP) nichts ändern. „Es gibt strenge Auflagen, an die das Regierungspräsidium gebunden ist. Das RP setzt geltendes Recht um und stellt dessen Einhaltung sicher, was wir akzeptieren müssen. Wir haben dennoch bis zuletzt versucht, in Saurach eine Lösung zu finden“, betont Stefan Markus, Leiter des Ressorts Stadtentwicklung. Nachdem das Unternehmen gegenüber der Stadt mitteilte, den Standort Saurach in seinen Planungen aufgeben zu wollen, hat auch die Verwaltung ihre Bemühungen, dem Regierungspräsidium weitere Unterlagen aufzuarbeiten und zur Verfügung zu stellen, nicht mehr weiterverfolgt.

Suche nach Alternativstandorten

Sowohl die Brauerei als auch die Stadtverwaltung hatten in den vergangenen Jahren viel Zeit und Energie in das planungsrechtliche Genehmigungsverfahren für dieses Gebiet investiert. In den zurückliegenden Monaten wurden diese Bemühungen noch einmal intensiviert. Nachdem das Regierungspräsidium nur wenig Spielraum sah, etwas an den Vorgaben ändern zu können, schlug die Verwaltung 2019 weitere Standorte außerhalb des „Regionalen Grünzugs“ vor, von denen zwei in diesem Jahr genauer untersucht wurden. Einer davon schied aufgrund der Eigentumsverhältnisse aus. Bei der zweiten Fläche fungierte Oberbürgermeister Grimmer in diesem Sommer noch persönlich als Mittler zum Eigentümer.
Zusätzlich nahm Oberbürgermeister Grimmer Kontakt mit der baden- württembergischen Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut sowie dem baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl auf, um auf die große Bedeutung der Traditionsbrauerei für Crailsheim hinzuweisen und die Verlagerung der Biermanufaktur ENGEL abzuwenden, indem auf politischer Ebene eine verlässliche Perspektive für die Umsiedlung auf Crailsheimer Gemarkung gegeben wird. Das Wirtschaftsministerium verwies in dessen Rückmeldung auf das Planungsrecht und die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums; aus dem Innenministerium ist bislang keine Rückantwort eingegangen.

Verständnis für unternehmerische Entscheidung

„Aus meiner Sicht hat die Verwaltung über Jahre versucht, was sie konnte, um der ENGEL-Brauerei eine Perspektive in Crailsheim zu bieten. Leider sind die Anforderungen an eine Zielabweichung hoch. Für die unternehmerische Entscheidung der Familie Fach, nicht länger warten zu können und warten zu wollen, habe ich auch Verständnis“, betont Grimmer. „Nun gilt es, mit der Inhaberfamilie zu klären, welche Teile des Unternehmens verlegt werden und was eines Tages mit der bisherigen Produktionsstätte sowie dem Firmengelände am hiesigen Standort geschehen soll“, schaut Jörg Steuler nach vorne. Sowohl er als auch Oberbürgermeister Grimmer betonen: „Wir hoffen, dass die Biermanufaktur Crailsheim weiterhin verbunden bleibt und wir im Interesse der Region auch zukünftig gut zusammenarbeiten.“

   Sende Artikel als PDF