„Wir streiten weiter für Frieden, gute Löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit“ – Rede von Irene Gölz am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall

Irene Gölz, Landesfachbereichsleiterin Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft von ver.di Baden-Württemberg hat am 1. Mai 2022 als Hauptrednerin bei der Mai-Kundgebung in Schwäbisch Hall gesprochen. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Rede von Irene Gölz in voller Länge.

Rede von Irene Gölz, Landesfachbereichsleiterin Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft von ver.di Baden-Württemberg


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es tut so gut, dass wir nach mehr als zwei Jahren endlich wieder zusammenkommen können. Ich bin froh, euch alle hier live zu sehen. Gewerkschaften leben vom Miteinander, dem gemeinsamen Handeln, von Solidarität und spürbarer Kollegialität. Überall auf der Welt versammeln wir uns heute, um für unsere Rechte, gute Löhne, gute Arbeit, aber auch für eine friedliche, gerechte und lebenswerte Welt einzutreten. Auch hier in Schwäbisch Hall. Ein herzliches Willkommen euch allen!

Völkerrechtswidriger Angriffskrieg

Der 1. Mai 2022 – das ist jedoch auch ein Tag der Arbeit, der aus einem anderen Grund so anders ist als in den letzten Jahren. Es ist auch ein Tag des klaren Zeichens gegen den Krieg und ein Tag der Anteilnahme. Seit dem 24. Februar hat der völkerrechtswidrige, imperialistische Angriffskrieg auf die Ukraine tausende Opfer gefordert. Auf Befehl Putins wurde die Bevölkerung und zivile Einrichtungen, die Infrastruktur, Krankenhäuser, Entbindungskliniken und vor allem Wohnhäuser gezielt angegriffen. Hunderttausende sind eingekesselt, verletzt und leiden Hunger. Die Heimat von Millionen ist nach zwei Monaten völlig zerstört.
In Butscha und höchstwahrscheinlich an weiteren Orten wurde brutal gemordet. Im Übrigen ein Vorgehen Russlands, das bereits in Syrien zu unsäglichem Leid und Zerstörung geführt hat. Auch die Türkei geht im Nordirak so vor – ohne, dass dies genauso verurteilt wird. Die Verantwortlichen, vor allem Präsident Putin müssen dafür vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Rechenschaft gezogen werden!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die gemeinsame Botschaft der freien, der demokratischen Gewerkschaften lautet: Unser Respekt, unsere Anteilnahme und unsere Solidarität gehören den bedrohten Menschen in der Ukraine. Unser Respekt und unsere Solidarität gehören aber auch den Menschen in Russland und Belarus, die sich trotz massiver Repressionen mutig gegen diesen Krieg stellen.

Freiheit für die Ukraine! Stoppen Sie diesen Krieg, Präsident Putin!

Unsere Anteilnahme und Solidarität gilt allen Menschen, die unter Krieg und Vertreibung leiden! In viele Ländern der Welt herrscht Krieg. Von unserem Ziel, eine Welt ohne Krieg, sind wir meilenweit entfernt. Schmerzhaft zeigen uns diese Kriege was Willy Brandt gesagt hat: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Wir müssen die europäischen Grenzen gemeinsam offenhalten, um allen Geflüchteten vor Krieg und Vertreibung helfen zu können – ohne Unterschied. Es macht mich so wütend, dass Geflüchtete in zwei Klassen eingeteilt werden. Da sind auf der einen Seite die Menschen aus der Ukraine, die zu uns fliehen. Auf der anderen Seite Menschen z.B. aus Syrien oder Afghanistan, die z.B. hier in quälend langen Anerkennungsverfahren stecken und nicht arbeiten dürfen, obwohl wir viele von ihnen so dringend brauchen würden. Viele, die abgeschoben werden in eine ungewisse, oft bedrohte Zukunft. Zweite-Klasse-Geflüchtete sind aber auch aus der Ukraine geflüchtete Roma-Familien, denen unter anderem der Zugang zu Aufenthaltsräumen im Mannheimer Bahnhof verwehrt wurden.

Blanker Rassismus

Das, liebe Kolleginnen und Kollege, ist blanker Rassismus, dem wir uns mit aller Kraft entgegenstemmen müssen. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist auch für uns deutlich spürbar. Da ist die große Welle der Solidarität. Tausende Freiwillige versorgen die Geflüchteten mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten, unterstützen mit Unterkünften. Allen gilt unser Respekt und Dank. Es kommt jetzt aber auch erneut eine riesige Aufgabe auf die Städte und Gemeinden zu, ebenso wie z.B. auf die Bundesagentur für Arbeit.

Schuldenbremse und Aufrüstung

Was durch unsere Kolleginnen und Kollegen in den Wohlfahrtsverbänden und den verschiedenen öffentlichen Institutionen und Einrichtungen geleistet wird, ist großartig! Darunter sind sehr, sehr viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter – und wir sind gemeinsam stolz auf unsere Kolleginnen und Kollegen!
Damit sie ihre Arbeit weiter tun können, muss unsere Daseinsvorsorge jetzt aber endlich personell und finanziell besser ausgestattet werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Genau das Gegenteil droht nun aber mit Hinweis auf die Schuldenbremse und die Aufrüstung.
Die Bundesregierung hat in Reaktion auf Putins Angriffskrieg ein milliardenschweres Aufrüstungsprogramm angekündigt. Deutschland soll zukünftig zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Damit steigen die Militärausgaben um jährlich weitere 25 Milliarden Euro. Zusätzlich soll durch eine Grundgesetzänderung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro geschaffen werden. Beides lehnen wir ab. Bereits jetzt beträgt der Verteidigungshaushalt 50 Milliarden Euro jährlich. Völlig unverständlich ist zudem, dass jetzt als erste große Investition ausgerechnet ein atomwaffenfähiger Kampfjet für Deutschland gekauft werden soll. Die Diskussion um mehr Sicherheit in Europa darf nicht allein aus einer militärischen Perspektive geführt werden.

George B. Shaw sagte dazu sehr treffend: „Krieg ist ein Zustand, bei dem Menschen aufeinander schießen, die sich nicht kennen auf Befehl von Menschen, die sich wohl kennen, aber nicht aufeinander schießen.“

Ziel bleibt eine Welt ohne Waffen

Die Probleme des 21. Jahrhunderts sind herauffordernd genug, wir brauchen dazu nicht noch die Irrwege des 20. Jahrhunderts. Unser Ziel bleibt eine Welt ohne Waffen. Insbesondere mit ohne atomaren Waffen. Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf, der auf Kosten der dringlichen Investitionen in Soziales, in Bildung und den Schutz des
Klimas geht. Waffenlieferungen müssen immer verbunden sein mit einer Verhandlungsoffensive für Frieden. Und schwerwiegende Entscheidungen müssen mit sehr viel Bedacht und Abwägung getroffen werden und dürfen nicht der Spielball für parteipolitische Winkelzüge sein oder über die Sozialen Medien getrieben werden – so erlebe ich die Diskussion um das Thema schwere Waffen. Das ist widerlich und brandgefährlich. Denn zu groß ist die Gefahr eines dritten Weltkrieges.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Herausforderungen, die durch die Beendigung der Abhängigkeit von Importen von Öl und Gas aus Russland entstehen, bleiben enorm. Um die Lücke zu füllen, müssen die erneuerbaren Energien deutlich schneller ausgebaut werden als geplant. Die Automobilindustrie ist mitten im Umbruch. Um die Klimaziele zu erreichen, muss massiv in den Öffentlichen Personennahverkehr investiert werden.

Fatale Folgen für solidarische Belegschaften

Corona hat zu einem Digitalisierungsschub geführt. In vielen Dienstleistungsbranchen wird Homeoffice zum hautsächlichen Arbeitsort. Und um Kosten zu sparen, geben beispielsweise Banken und Versicherungen im großen Stil Büroflächen ab, auch wenn die Beschäftigten daheim nur unter improvisierten Bedingungen arbeiten können, mit meiner Meinung nach fatalen Folgen für solidarische Belegschaften, die sich gemeinsam für Veränderungen einsetzen. Wie soll das gehen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen so gut wie nicht mehr sehen – eine große Herausforderung für uns Gewerkschaften, der wir uns stellen werden.

Mehr Personal und bessere Bezahlung

Im Handel und auch der Gastronomie kommen bestehende Geschäftsmodelle unter Druck – Amazon und Lieferando boomen. Und auch das haben die letzten zwei Jahre der Pandemie schonungslos offengelegt. Vom Gesundheitswesen und der Pflege bis zur Kita und den Schulen – der Bedarf an Investitionen in mehr Personal und einer besseren Bezahlung ist unübersehbar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter können Veränderung! Viele Dinge kommen zusammen: Die Digitalisierung, ein umweltfreundlicher Umbau unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft. Die Sicherung der Daseinsvorsorge. Wir Gewerkschaften fordern, dass diese Veränderungen gemeinsam mit den Beschäftigten organisiert werden. Veränderungen werden nur dann im Sinne der Menschen gestaltbar sein, wenn es in Deutschland eine Politik für mehr Gerechtigkeit, einen faireren Arbeitsmarkt und einen modernen Sozialstaat gibt. Dafür treten wir als Gewerkschaften an – das fordern wir gerade an diesem 1. Mai ein. Das machen wir selbstbewusst und unabhängig – auch gegenüber der neuen Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.

Gesetzlicher Mindestlohn steigt im Oktober 2022 auf zwölf Euro pro Stunde

Wir begrüßen, dass noch im Oktober diesen Jahres der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben werden soll. Damit wird eine der wichtigsten Forderungen der Gewerkschaften umgesetzt. Er ist wichtig, um die Tariflöhne von unten zu stabilisieren. Von der Anhebung des Mindestlohns profitieren mehr als sechs Millionen Beschäftigte und das ist angesichts steigender Inflation mehr als notwendig! Und gleichzeitig gilt leider: von zwölf Euro kann niemand in Baden-Württemberg leben, schon gar nicht in den Großstädten oder Städten mit Universitäten. Die Arbeitgeberverbände haben nun angekündigt, gegen die Anhebung des Mindest-
lohns klagen zu wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieses Ereignis belegt: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände will Armutslöhne verfestigen – und das in Zeiten rasant steigender Preise und Mieten. Das ist nicht hinnehmbar und da werden wir gegenhalten. Es gibt noch immer zu viele unsichere Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland. – viele Arbeitgeber nutzen das aus. Viele der betroffenen Kolleginnen und Kollegen werden darüber krank.

Deshalb fordern wir:
– Weg mit allen sachgrundlosen Befristungen und Ketten-befristungen!

– Weg mit Minijobs, denn sie sind die Vorprogrammierung von Altersarmut, insbesondere
für Frauen.

– Zur Neuordnung des Arbeitsmarktes gehört auch die Überwindung des Hartz-IV-Systems. Das Sanktionsregime, die verschärften Zumutbarkeitsregeln und die niedrigen Regelsätze machen Hartz IV zu einer Stütze des Niedriglohnsektors. Damit muss Schluss sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

– Wir fordern das Ende von prekärer Arbeit! Wir kämpfen für mehr Tarifschutz – auch durch eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeit! Wir streiten für eine Arbeitswelt, in der es fair und gerecht zugeht!

– Niemand darf unter unsäglichen Arbeitsbedingungen arbeiten müssen, nirgendwo auf
der Welt.

Pseudo-Gewerkschaft „Zentrum

Und wir tun dies gemeinsam – liebe Kolleginnen und Kollegen. Gemeinsam als Gewerkschaftskolleginnen – in den Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen und in der Tarifpolitik. Wir sind mitten in den Betriebsratswahlen. In über 10.000 Betrieben bundesweit wählen die Beschäftigten in diesen Wochen ihre Interessenvertretungen. Jede abgegebene Stimme stärkt die Demokratie und stärkt die Beschäftigten in den Betrieben. Erste Ergebnisse liegen vor – die Kandidatinnen und Kandidaten der DGB Gewerkschaften gehen bislang gestärkt aus den Wahlen hervor. Rechte Listen z.B. der rechtsextremen Pseudo-Gewerkschaft Zentrum (bisher Zentrum Automobil) haben bislang kaum einen Stich machen können und das, obwohl sie im Windschatten der Debatte um die einrichtungsbezogene Impfplicht im Sozial- und Gesundheitswesen versucht haben, auch dort Fuß zu fassen! Dass die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben diesen rechten Gruppierungen nicht auf dem Leim gegangen sind, ist ermutigend, aber wir werden weiter wachsam sein müssen. Allen bereits gewählten Kolleginnen und Kollegen gratuliere ich herzlich und wünsche ihnen viel Kraft und Energie für ihre so wichtige Arbeit.

Arbeiten über dem Limit

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gewerkschaften im DGB verhandeln dieses Jahr für knapp zehn Millionen Beschäftigte Tarifverträge. Eine riesige Herausforderung in einer Zeit mit stark steigenden Lebenshaltungskosten und Mieten. Ganz besonders wichtig ist es mir als Teil des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft, die Kolleginnen und Kollegen aus den Sozial- und Gesundheitsberufen hier auf dem Platz herzlich zu begrüßen. Wir streiten seit vielen Jahren gemeinsam dafür, dass Sozial- und Gesundheitsberufe aufgewertet und entlastet werden. Wir haben Erfolge erzielt, sind aber noch nicht am Ziel. Fast jede und jeder fünfte Beschäftigte arbeitet heute in einem Erziehungs-, Gesundheits- oder Pflegeberuf – 80 Prozent davon sind Frauen. Die seit Jahren vorgebrachten, dringenden Anliegen u.a. der Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Heilerziehungs-pflegerinnen, Pflegepersonen werden noch immer nicht ernst genommen. Der Arbeitsalltag sozialer Berufe ist körperlich und psychisch anstrengend. Ständig ist das Personal knapp und die beruflichen Anforderungen
nehmen zu. Die Pandemie hat diese schwierige Situation noch verschärft. Die Kolleginnen arbeiten seit Beginn der Coronapandemie nicht mehr nur am, sondern über dem Limit, auch hier in der Region im Diak, im Krankenhaus Crailsheim, im Sonnenhof oder in der Samariterstiftung in Obersontheim. Nun kommt mit der wichtigen Aufgabe der Integration der Geflüchteten eine weitere Herausforderung auf die ohnehin schon überlasteten Kolleginnen des Sozial- und Erziehungsdienstes zu. Es braucht deshalb Entlastung und Aufwertung! Das ist die Botschaft, die gehört werden muss – jetzt endlich!

Soziale Berufe aufwerten

Und wir sind da dran. Wir befinden uns aktuell in einer heftigen Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst, die wir im Auftrag und mit den Kolleginnen und Kollegen führen, die täglich für Kinder und Jugendliche da sind, die sich in der sozialen Arbeit für Menschen einsetzen, die Menschen mit Behinderungen begleiten, haben sich aufgemacht und kämpfen um die Aufwertung ihrer Berufe. Sie fordern mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel.
Die kommunalen Arbeitgeber dagegen warnen vor zu hohen Personalkosten. Sie beziffern die gewerkschaftlichen Forderungen auf mindestens 500 Millionen Euro. Glauben die Arbeitgeber im Ernst, dass diese Zahl im Jahr 2022 noch jemanden beeindruckt? Andersherum wird ein Schuh draus. Wenn die Aufwertung und Entlastung sozialer Berufe ernsthaft an 500 Millionen Euro scheitern sollte, dann ist das erbärmlich. Es sind im Übrigen dieselben Arbeitgeber, die in Sonntagsreden den Fachkräftemangel beweinen und sich dann, wenn es in Tarifverhandlungen drauf ankommt, an dieses Problem nicht erinnern. Ich bin stocksauer. Schade, dass der OB heute nicht da ist. Ich hätte ihn sonst aufgefordert, hier und heute zu versprechen, sich für die Kolleginnen und Kollegen einzu-
setzen, die zum Beispiel die Betreuung der Kitakinder in seiner Stadt gewährleisten.

Noch kein verhandlungsfähiges Angebot der Arbeitgeber

Es braucht jetzt in der dritten Verhandlungsrunde am 16./17. Mai 2022 endlich ein verhandlungsfähiges Angebot, verehrte Arbeitgeber! In den nächsten beiden Wochen wird es deshalb bundesweit zu weiteren Streiks kommen. Wir rechnen mit zehntausenden von Streikenden und nochmal so vielen Unterstützerinnen aus Bereichen wie der Diakonie und der Caritas, die im Nachgang von einem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst profitieren. Ich rufe euch alle auf: jetzt kommt es auf Jeden und Jede an. Seid dabei bei den Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen – als von der Tarifrunde Betroffene oder als Unterstützerin.

Solidarisch mit Kolleg:innen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst

Wir wissen, dass die Streiks für Eltern eine weitere Belastung sind. Aber vergessen wir nicht: Im Gegensatz zu den Schulen waren die Kitas nie zu: Notbetreuung, erweiterte Notbetreuung und fast immer Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen haben die letzten zwei Jahre geprägt. In der Omikronwelle war zweitweise sage und schreibe ein Viertel des Personals erkrankt. Seid deshalb solidarisch – unterstützt die Kolleginnen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst! Ihr Kampf ist unser gemeinsamer Kampf!

Steigende Preise

In den allermeisten weiteren Tarifrunden dieses Jahres stehen – angesichts stark steigendender Preise – die Forderungen nach prozentualen Einkommenssteigerungen im Vordergrund. In der chemischen Industrie ebenso in den Unikliniken in Baden-Württemberg konnte ein Zwischenergebnis bis in den Herbst erzielt werden – dann geht es weiter. In diesem Jahr stehen unter anderem noch Tarifverhandlungen bei der Telekom und in der Metall- und Elektroindustrie an. Ab Januar 2023 dann im öffentlichen Dienst und bei der Post – und dann folgen weitere Tarifbereiche.

Beschäftigte verzichten nicht

Arbeitgeber und einige Ökonomen malen jetzt das Schreckgespenst einer so genannten Lohn-Preis-Spirale an die Wand. Sie warnen davor, durch zu hohe Lohnabschlüsse die Inflation anzuheizen. Deswegen sollten wir uns bei den Lohnforderungen zurückhalten. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns nicht ein! Es kann doch nicht sein, dass in den Vorstandsetagen dank steigender Gewinne die Vergütungen in den Himmel klettern und außerdem die Aktionäre bedient werden – die Beschäftigten aber verzichten sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir stellen uns auf harte Tarifrunden ein – und wir nehmen die Herausforderung an! Noch ein weiterer Punkt. Seit Jahren fordern wir Entlastung für die Beschäftigten in den Krankenhäusern und Altenpflege durch ein verbindliches Verfahren, das festlegt, wie viel Personal es für wie viele Patientinnen oder Bewohnerinnen braucht. Sowohl für die Altenpflege als auch für die Krankenhäuser lagen Konzepte in der Schublade von Herrn Spahn und liegen noch in der von Herr Lauterbach. Wir fordern den Gesundheitsminister auf, umgehend für Entlastung der Beschäftigten durch mehr Personal auf der Basis eines verbindlichen Personalbemessungsverfahren zu sorgen.

Als letzten Punkt noch mal ein Wort zu den Preisen:
Die derzeitige hohe Inflation hat eine soziale Schieflage. Die steigenden Preise belasten Menschen, die durchschnittliche oder eher niedrige Einkommen haben, besonders stark. Das gilt erst recht für die Menschen, die von der Grundsicherung leben müssen. Und die Preise steigen immer weiter – auch für wichtige Nahrungsmittel. Es braucht daher jetzt auch politische Maßnahmen, um die Auswirkungen der Preissteigerungen zu begrenzen. Die Bundesregierung hat erste Schritte auf den Weg gebracht – das reicht aber noch nicht! Es braucht mehr und mutigere Maßnahmen: Der Gaspreis muss für Normal- und Geringverdiener gedeckelt werden. Wir fordern ein Mobilitätsgeld – damit der Weg zur Arbeit nicht den Lohn auffrisst. Und es darf nicht wieder vorkommen, dass ausgerechnet Rentnerinnen und Rentner bei den Entlastungen vergessen werden!

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat neulich gesagt:
„Der Krieg in der Ukraine macht uns alle ärmer – und diesen Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen.“ Und das Beraterumfeld von Christian Lindner – beispielsweise Professor Lars Feld, geht dann noch einen Schritt weiter und führt aus, ein Rückbau des Sozialstaates und Rentenkürzungen seien unausweichlich. Aber stimmt die These überhaupt – werden wirklich „alle ärmer“?

Die Antwort ist eindeutig Nein.

Einige werden trotz Corona und Krieg immer reicher – und gleichzeitig leidet die Breite der Bevölkerung unter stark steigenden Preisen. Jeder sechste Mensch in Baden-Württemberg ist von Armut bedroht, ist heute in der Presse zu lesen. Zwischen Kiel und München leben über 130 Milliardäre und 1,2 Millionen Millionäre, davon überproportional viele in Baden-Württemberg. Das private Vermögen wiegt mehr als 13 Billionen Euro. Und dieses Vermögen ist trotz Corona weiter gewachsen.

Reichste Menschen sind Eigentümer von Handelsunternehmen

Das reichste Promille der Bevölkerung – 70.000 Reiche – besitzt ein Viertel des gesamten Vermögens in Deutschland. Die Hälfte der Bevölkerung geht hingegen völlig leer aus. Das ist übrigens alles nachzulesen. Das Magazin FORBES hat die aktuelle Liste der reichsten Deutschen erst vor ein paar Tagen veröffentlicht. An der Spitze der Reichen-Liste in Deutschland stehen übrigens die Eigentümer von Handelsunternehmen.

International wirksame Besteuerung von Unternehmensgewinnen

Ich frage: Wann, wenn nicht jetzt ist es endlich an der Zeit, dass die Reichen und die Superreichen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls übernehmen?! Durch eine Abgabe auf hohe Vermögen. Durch eine angemessene Besteuerung von Kapitaleinkünften und von hohen Erbschaften, durch eine international wirksame Besteuerung von Unternehmensgewinnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Botschaft an diesem 1. Mai ist klar und deutlich: Wir stehen für eine solidarische und gerechte Gesellschaft, in der Menschen gleich welcher Herkunft, gleich welchen Glaubens, teilhaben können. Wir stehen solidarisch an der Seite des ukrainischen Volkes und fordern ein Ende der Gewalt – überall auf der Welt. Und wir streiten weiter für gute Löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit. Das machen wir gemeinsam – hier in Schwäbisch Hall – und solidarisch mit unseren Kolleginnen und Kollegen weltweit! Herzlichen Dank, dass Ihr heute hier seid und fürs Zuhören!

Link zur Rede des DGB-Kreisvorsitzenden Jochen Dürr am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall:

„Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“ – Rede des DGB-Kreisvorsitzenden Jochen Dürr am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall

https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=29395

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„Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“ – Rede des DGB-Kreisvorsitzenden Jochen Dürr am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall

Der DGB-Kreisvorsitzende Jochen Dürr hat am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall eine Rede gehalten. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Rede des Schwäbisch Haller DGB-Kreisvorsitzenden in voller Länge.

Von Jochen Dürr, DGB-Kreisvorsitzender Schwäbisch Hall

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
was sind das für spooky Zeiten, in denen wir heute zu unserem Tag der Arbeit am 1. Mai 2022 auf der Straße zusammen kommen. Seid herzlich willkommen! Ich begrüße Euch alle als Kolleginnen und Kollegen aus den Einzelgewerkschaften unseres Deutschen Gewerkschaftsbundes – der IG Metall, Ver.di, GEW, NGG, IG BAU, IG BCE, EVG, IG BCE, GdP! Ich begrüße ganz besonders unsere Hauptrednerin, unsere Kollegin Irene Gölz aus Stuttgart – Irene ist Landesfachbereichsleiterin Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft – ich freue mich ganz
persönlich, dass Du heute da bist , weil wir seit Jahren sehr intensiv im Landesfachbereichsvorstand zusammenarbeiten und schon viele gemeinsamen Aktionen auf der Straße gerockt haben – schön, das Du da
bist.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
viele von Euch sind mit einer Selbstverständlichkeit Mitglied in einer DGB Gewerkschaft und aktiv im Betrieb und in Gremien Eurer Gewerkschaft. Das ist super. Aber wir müssen noch mehr werden! Viele von Euch sind gewählte Vertrauensmänner und Frauen Eurer Gewerkschaft im Betrieb / Vorsitzende der Vertrauensleutekörper – ihr
seid das Gesicht in den Betrieben! Viele von Euch sind in einen Personalrat einer Verwaltung / Behörde / Krankenkasse oder Mitarbeiterinnenvertretung in einer diakonischen Einrichtung gewählt worden Viele von Euch wurden in den letzten Wochen als Betriebsrätinnen wiedergewählt oder ihr wurdet als neue Mitglieder in einen Betriebsrat Eures Arbeitgebers gewählt. Dazu gratuliere ich Euch ganz herzlich – eure Gewerkschaften im DGB brauchen starke und mutige Persönlichkeiten, die mit uns aktiv zusammenarbeiten und uns noch stärker machen.

Betriebsräte von ebm papst und Würth

Besonders begrüße ich zwei Kollegen unter – der Kollege Michael Stieglitz, frisch gewählter Betriebsratsvorsitzender bei ebm Papst, Mulfingen und der Kollege Jürgen Daffner, Betriebsrat beim Würth in Künzelsau. Beide werden nach der Rede von Irene in zwei kurzen Beiträgen ihre betriebliche Situation uns berichten. Seid Ihr und Eure Kolleginnen aus Euren Betrieben heute ganz besonders willkommen Liebe Kolleginnen, seid uns ganz herzlich willkommen … Ich begrüße in unserer Mitte als Vertreterinnen zahlreicher Verbände und befreundeter Organisationen stellvertretend …. für den VdK Herrn Walter Frank / für die AOK Heilbronn – Franken, Herr Thomas Kruck. Ich begrüße aus dem Bereich der Politik zahlreiche Vertreterinnen der SPD / Bündnis – Die Grünen und der Linken, stellvertretend hierfür für die SPD Kevin Leiser, für Bündnis 90/Die Grünen Jutta Niemann, für die Linke Ellena Schumacher-Koelsch.

Für die Forderungen einsetzen

Viele von Euch / Ihnen sind als Zuhörerinnen und Teilnehmerinnen auf unserer DGB Demo und Kundgebung – Ihr und Sie werden heute mit klaren Botschaften in Eure / Ihre Parteien zurückkehren und wir erwarten als Deutscher Gewerkschaftsbund, dass Ihr / Sie sich aktiv für unsere Forderungen und Haltungen in ihren Mandaten einsetzen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
als neugewählter Kreisvorsitzender des DGB in Schwäbisch Hall ist es mir zu Beginn unserer Abschlusskundgebung hier auf dem Unterwöhrd in Schwäbisch Hall wichtig, vor der Hauptrede von Irene Gölz ein paar Botschaften an Euch loszuwerden.

  1. Der Krieg gegen die Ukraine ist ein Angriffskrieg des Autokraten Wladimir Putin und wird von uns als DGB eindeutig verurteilt. Es muss ein sofortiger Waffenstillstand von Russland hergestellt werden – die Waffen müssen schweigen, sonst kann hier kein dauerhafter Frieden hergestellt werden. Ein Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro und die Festschreibung von zwei Prozent Rüstungsausgaben ins Grundgesetz durch Deutschland ist nicht nur als DGB kritisch zu sehen, sondern ich sage ganz persönlich: es ist abzulehnen. Waffenlieferungen und Aufrüstung sorgen in der ganzen Welt für Krieg, Leid und Zerstörung und führen dazu, dass viele Menschen zu uns nach Europa als Flüchtlinge kommen. Es darf hier keine Unterscheidung geben, wenn Menschen vor Kriegen, Elend zu uns kommen – sie verdienen alle eine dezentrale Unterkunft, eine schnelle Klärung ihres Aufenthaltsstatus und ihrer Arbeitsgenehmigung. Wir liefern aus Deutschland Waffen und wundern uns, dass Menschen aus ihren Ländern ohne ihre Familienangehörige zu uns kommen. Deswegen arbeitet der DGB Kreisverband im neu gegründeten Schwäbisch Haller Friedensnetzwerk mit.
  2. Die Corona-Pandemie hat nicht nur seit über zwei Jahren uns als Gewerkschaften schwer belastet, sondern vor allem uns als Beschäftigte noch einmal einen erhöhten Arbeitsdruck verschafft. Es ärgert mich sehr, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, dass für VerkäuferInnen, Erzieherinnen, Pfleger*innen und andere besonders hart getroffenen Berufsgruppen in Schaufenster-Reden Beifall gezollt wurden. Davon kann sich aber niemand erhöhte Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise leisten, sondern wir brauchen andere Arbeitsbedingungen und eine Aufwertung dieser Arbeit, die auch den Namen dazu verdient. Dazu wird Irene nachher ausführlich reden.
  3. Wir Gewerkschafterinnen fordern für die Beschäftigten im Einzelhandel, der Pflege und Betreuung, der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Ämtern der Landkreise eine Aufwertung Ihrer Arbeit durch eine bessere tarifliche Aufwertung. In vielen Betrieben im Organisationsbereich der IG Metall flüchten Arbeitgeber aus der Tarifbindung – das muss aufhören. Viele Beschäftigte im Bereich der NGG wie die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft in Schwäbisch Hall wenden keinen Tarifvertrag an und haben keinen Betriebsrat in ihren Einrichtungen. Hier sind oft Beschäftigte aus Osteuropa unter schlechtesten Tarifbedingungen beschäftigt. Wer vorgibt, hochwertige Lebensmittel zu produzieren, muss auch ordentliche Tarifverträge anwenden. Gemeinsam mit unseren Kolleginnen dernNGG werden wir hier nicht locker lassen – das verspreche ich Euch! Werkverträge und Leiharbeit sind Sklavenarbeit und muss als Beschäftigungsgrundlage verschwinden – das war und bleibt die klare Haltung des DGB Kreisverbands Schwäbisch Hall, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
  4. Hier wende ich mich an Euch / Sie anwesenden Stadträtinnen / Kreisrätinnen besonders: Für die Kommunen und Landkreise heißt das: Wenn öffentliche Aufträge in ihren Gremien vergeben werden, dann genügen uns als DGB Kreisverband Schwäbisch Hall nicht die Bedingungen des Landestariftreuegesetzes in Baden-Württemberg. Hier sind zum Beispiel soziale Anbieterinnen ausgenommen. Zwei Grundbedingungen sind hier zu erfüllen: es muss ein Tarifvertrag einer DGB-Gewerkschaft angewandt werden und die Anbieterinnen müssen einen Betriebsrat haben. Nehmen sie / nehmt das als klare Botschaft in die Gremien mit! Ladet uns / laden sie uns ein – wir kommen gerne!
  5. Ich möchte zum Schluss kommen. Um unsere Solidargemeinschaft der Gewerkschaften zu stärken, brauchen wir noch mehr Mitglieder in unseren Einzelgewerkschaften des DGB – werbt in Euren Bekannten- und Familienkreisen für eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft. Mischt Euch in Euren Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen ein – wir brauchen Euch alle! Es sind die Gewerkschaften, die immer wieder und gerade heute eine solidarische Gesellschaft einfordern, und dies selbstbewusst und im Wissen unserer Geschichte mit der Forderung NIE WIEDER KRIEG / NIE WIEDER RASSISMUS verbinden. Will Bleicher, der ehemalige Buchenwaldhäftling und langjährige Bezirksleiter in Baden Württemberg drückte dies mit wenigen Worten aus:
    Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken! Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

Link zur Rede von Irene Gölz am 1. Mai 2022 in Schwäbisch Hall:

„Wir streiten weiter für Frieden, gute Löhne, gute Arbeit und soziale Sicherheit“

https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=29398

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„Atomkrieg verhindern“ – Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz unterschreiben

28 Intellektuelle und KünstlerInnen schreiben einen Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie befürworten seine Besonnenheit und warnen vor einem 3. Weltkrieg. Der vollständige Brief hier. Ebenso die Gesamtliste der ErstunterzeichnerInnen. Ab sofort kann jede und jeder den Offenen Brief online unterzeichnen.

Informationen zugesandt von Ulrike Hölzel, Michelbach/Bilz

Offenen Brief unterschreiben:

https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=1263059096&recruited_by_id=707cc780-c7b0-11ec-b13c-f51ede250610&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=petition_dashboard

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.

Bruch des Völkerrechts

Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.

Keine schweren Waffen liefern

Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.

Kein Motiv für atomaren Konflikt geben

Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.

Gemeinsame Vielfalt

Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.

Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft

Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung – und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.

Wir hoffen und zählen auf Sie!

Hochachtungsvoll

DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN:

Andreas Dresen, Filmemacher
Lars Eidinger, Schauspieler
Dr. Svenja Flaßpöhler, Philosophin
Prof. Dr. Elisa Hoven, Strafrechtlerin
Alexander Kluge, Intellektueller
Heinz Mack, Bildhauer
Gisela Marx, Filmproduzentin
Prof. Dr. Reinhard Merkel, Strafrechtler und Rechtsphilosoph
Prof. Dr. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler
Reinhard Mey, Musiker
Dieter Nuhr, Kabarettist
Gerhard Polt, Kabarettist
Helke Sander, Filmemacherin
HA Schult, Künstler
Alice Schwarzer, Journalistin
Robert Seethaler, Schriftsteller
Edgar Selge, Schauspieler
Antje Vollmer, Theologin und grüne Politikerin
Franziska Walser, Schauspielerin
Martin Walser, Schriftsteller
Prof. Dr. Peter Weibel, Kunst- und Medientheoretiker
Christoph, Karl und Michael Well, Musiker
Prof. Dr. Harald Welzer, Sozialpsychologe
Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist
Juli Zeh, Schriftstellerin
Prof. Dr. Siegfried Zielinski, Medientheoretiker

Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz unterzeichnen:

https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=1263059096&recruited_by_id=707cc780-c7b0-11ec-b13c-f51ede250610&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=petition_dashboard

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