Gelochte Augenblicke – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden dreizehnter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
Feudal XIII
… Carl seufzte, eigentlich war er froh nicht mehr lange leben zu müssen. Es würde ihm erspart bleiben wie seine einstigen liberalen Jungmännerhoffnungen weiterhin an den jetzt herrschenden Realitäten zerschellen und wie sich nun, zu allem Überfluss, die im letzten Jahrhundert aufkeimenden Hoffnungen einer grünen Zukunft als einer der erbärmlichsten Schwindel aller Zeiten offenbarte.
Käuflich
Ein wenig amüsierte es ihn, dass gerade die alleroberste deutsche Linke, ausgebuchte Finanzexpertin und Autorin, ihre Bundestagskollegen beim Erzielen von erheblichen Nebenhereinkommen deutlich übertrumpfte. Gekauft von Finanzinstitutionen weiß sie, wie das System funktioniert und vor allem, wie die gegenwärtige Feudalwirtschaft zu
ihren Gunsten ausnehmbar ist. Würde man sie dazu jedoch konkret befragen, wäre ihre Antwort sicherlich genauso lapidar wie bei anderen Verdienern im Bundestag: Sie sähe da keinen Interessenskonflikt zwischen ihrer privaten Geldmacherei und dem parlamentarischen Volksvertretungsauftrag. Die geläufige Käuflichkeit, mit welcher Abgeordnete neben ihrer Blindheit geschlagen zu sein scheinen, wirkt sich ja nicht nur auf die persönliche Gewinnanhäufung aus – liefern sie doch nämlich genau mit diesem Verhalten demokratische Strukturen ans Messer und betonieren damit neuzeitliche feudale Herrschaftsstrukturen.
Kocherstrand
Missbilligend verzog Carl Eugen Friedner sein Gesicht, denn es tauchten allmählich in sämtlichen Teilen der Gesellschaft die hässlichen Fratzen machtmissbrauchender Persönlichkeiten auf. So kam erst vor Kurzem dem einst, aus der wohlbekannten Rattenfängerstadt, an den Kocher zugewanderten Rudi Blech seine unverhohlen bocksgeile Art und Weise, sich überall und jederzeit ungeniert billigstes sexuelles Vergnügen zu verschaffen, an den Tag. Im Namen gelungener Revolutionen wurden am Ende des letzten Jahrtausends von der Arbeitsplatzinhaberpartei ziemlich günstige Sexreisen organisiert. Und der Blecherne – immer auf dem Sprung ein Schnäppchen auf Kosten abhängiger Frauen zu machen – buchte sich geifernd seinen Jahresurlaub nach Übersee. Ah! Willige Frauen im Überfluss. Er konnte sich die üppigsten und jüngsten Frauen nehmen. So viele, wie ihm das tägliche und nächtliche Programm für kurze Nummern erlaubten. Mit einer fein säuberlich im Voraus berechneten Anzahl von Fünfmarkscheinen ausgestattet, flog er seinerzeit zu dem karibischen Inselstaat und kehrte dann, für eine geraume Zeit einigermaßen befriedigt, wieder an den, von ihm mittlerweile abgegrasten, Kocherstrand zurück.
Unterwerfung
Als der wahre Zweck der Reiseangebote der traditionellen Arbeitsplatzinhaberpartei irgendwann zu ziemlich ätzenden Diskussionen führte, besann er sich und rechnete korrekt aus, wie viel monetäre Ausgaben für den Flug, er sich ersparen könnte und kalkulierte dann, ganz schlau, mit der Geldnot der vielen, aus anderen Erdteilen eingewanderten, Frauen. Diese wären bestimmt willfährig genug für seine Begehrlichkeiten. Er wollte es sich einmal wieder so richtig gut gehen lassen und sich ein günstiges, aber doch besonderes Erlebnis leisten – man hatte ihm nämlich von unglaublich erotischen Erfahrungen erzählt – und der Einfaltspinsel folgte eben wie eh und je seinem nimmersatten Begehren nach weiblicher Unterwerfung.
Wohlgefühl
Im hohenlohischen Meditationsraum über der Jagst wollte er seine Lust von zwei Paar langbewimperten, dunkelbraunen Augen befriedigen lassen und buchte einen Stirnölguss. Der Shirodara ist die beruhigendste Art den Gedanken des Alltags zu entfliehen. Er ist wohltuend und wirkt entspannend. Der Stirnguss ist ein fester Bestandteil ayurvedischer Therapie. Dabei wird mit ein paar Zentimetern Abstand kontinuierlich angewärmtes und mit heilenden Kräutern versetztes Kokos- und Sesamöl auf die Stirn geträufelt. Kali Ma und ihre engelsgleiche Tochter Dakini waren
bereit. Bereits im Treppenhaus erklangen leise indische Weisen; das empfindsame Gemüt bewegende Tonfolgen, durch zweifellige Doppelkonustrommeln und langhalsige Zupfinstrumente hervorgerufen. Mit Hilfe der durch die Gänge wabernden edlen Düfte, wie Sandelholz, Zimtrinde, Patschuli, Lotus und Rosenholz war das indisch anmutende Wohlgefühl perfekt. Bereits bei der Aussicht sich kundigen Händen hinzugeben, welche zielgerichtet über seinen Körper wandern würden, begann Rudis Männlichkeit sich bereits hinlänglich zu regen.
Watteblättchen
Rudi ließ sein Handtuch auf den Boden fallen und legte sich arglos mit dem Rücken auf den hölzernen Behandlungstisch. Zuerst legte Dakini eine Art Wattewurst an den Augenbrauen über die Stirn hinter den Ohren entlang, um damit die Augen und beide Ohren zu schützen. Dann bedeckte sie seine geschlossenen Augen sanft mit in duftendes Rosenwasser getränkte Watteblättchen. Nachdem alle anderen Vorbereitungen von Kali Ma getroffen waren, begann das Öl an einem Docht aus Baumwollgarn aus dem Dharagefäß zu fließen. Im Abstand von acht bis zehn Zentimetern wurde das Gefäß in kleinen kreisenden Bewegungen über die Stirn hin und her bewegt. Nach etwa zwanzig bis dreißig Minuten war der sanfte Fluss beendet.
Leblos
Danach ist eine Ruhephase vorgesehen, um dem Körper Gelegenheit zu geben, die Behandlung ohne Aufregung zu verarbeiten. In dieser Phase müssen vor allem Kälte und Luftzug unbedingt vermieden werden. Kali Ma und Dakini schlossen leise die Türe hinter sich und überließen Rudi Blech der nötigen Stille. Abschließend wird das Öl mit warmem Wasser und einem milden, ayurvedischen Schampoo ausgewaschen. Doch zu dieser milden Auswaschung kam es nicht mehr – Rudi Blech wurde nach der Ruhepause mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden. Ein
einziger glatter Schnitt, von einem Ohr zum anderen, hatte sein Leben beendet. Einer der neuen Jogis, der die abschließende schamponierende Waschung vornehmen sollte, fand ihn leblos daliegen. Als das scharfe Messer an seiner Kehle angesetzt wurde, wähnte Rudi einen aufreizenden Fingernagel an seinem Hals, welchen er als
den spürbaren Beginn, der von ihm so begehrten authentischen Ganzkörpermassage erhoffte. Am einen Ende der Wattewurst aufgenommen, und dann, spürbar schneidend für ihn, bis zum anderen Ende der Kehle fortgesetzt, wurde dies jedoch ein sauberer Durchschnitt der Kehle. Der augenblicklichen Auslöschung seines Lebens nicht
bewusst, trat Rudi wenigstens vollkommen entspannt vom hier und jetzt über ins Jenseits.
Jagstschloss in Verruf
Das teilweise geronnene Blut troff mit öligem Glanz die wie ein vertieftes Oval ins Holz hineingearbeiteten Auffangrinnen entlang, in den geschnitzten Abfluss. Darunter nahm ein bereitgestellter Bottich das Rinnsal des zäh abfließenden Blutölgemischs in sich auf. Der erste Verdacht fiel natürlich sofort auf Kali Ma und Dakini. Trotz
langwieriger Untersuchungen konnte den beiden jedoch nichts nachgewiesen werden. Dieses Blutbad aber brachte das grünlich angehauchte Jagstschloss bedauerlicher Weise jedoch abermals in Verruf. Nicht nur, weil sie vor ihm gegangen waren, sondern auch das so stimmige Ableben verschiedener miserabler Zeitgenossinnen und Zeitgenossen gaben Carl, in seinen letzten Minuten, ein sattes Gefühl der Genugtuung. Und weil Findus ihm laufend auch von guten Unternehmertaten aus dem Ländle berichtete, schöpfte er ein wenig Hoffnung auf eine gute Zukunft für die Überlebenden. … Fortsetzung folgt
Erläuterungen und Quellen:
Diäten:
https://taz.de/Wie-viel-Abgeordnete-nebenher-verdienen/!5925423/
Ernst Wolff:
https://www.kla.tv/2023-01-16/24784&autoplay=true
https://www.youtube.com/watch?v=TIdBkcJ820o
Kubanische Revolution:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fidel_Castro
Indische Bräuche:
https://www.yoga-vidya.de/prana/nadis-und-chakras/sushumna-nadi/
https://www.spiritwiki.de/w/Dakini
Hofdienerinnen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Holofernes#/media/Datei:Judit_decapitando_a_Holofernes,_por_Artemisia_Gentileschi.jpg
Mitarbeiterstiftung:
https://www.tagesschau.de/inland/regional/badenwuerttemberg/swr-eigentuemerwechsel-bei-modehaus-marc-cain-im-kreis-tuebingen-100.html