„Irgendwo in Hohenlohe“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden achtundzwanzigster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
XXVIII Reuchlin*
… Carl sah, dass Paula keinesfalls bereit war sich auf irgendwelche lapidaren Erklärungen einzulassen. Würde sie aber, wenn er ihr reinen Wein einschenkte, die Freundschaft an erste Stelle stellen – oder würde sie ihn dann ohne großes Federlesen in die Pfanne hauen ?
Rachegelüste
Es war gefährlich für ihn, denn Paula könnte ihn wegen Mandantenverrats verklagen. Dies würde ihn heute zwar nicht mehr seine Existenz kosten – er war bestens abgesichert – aber doch einen beträchtlichen Schaden an seinem Renommee anrichten. Und vor allem aber, wäre die nun wiedergefundene Freundschaft keine mehr. Die Aussicht mit Paula vor Gericht ziehen zu müssen, war ihm vollkommen zuwider. Paula blickte ihn ausdruckslos an, sie war durch die einstigen Geschehnisse immer noch tief verletzt und konnte Carl offensichtlich nicht verzeihen. Die Erinnerungen in Verbindung mit seinem Schweigen, lösten bei ihr immer noch heftige Rachegelüste aus, die schier unstillbar nach Genugtuung verlangten. Selbst wenn er bereitwillig erzählen würde – war Paula überhaupt in der Lage Großmut zu zeigen?
Nichts mehr zu verlieren
Carl Eugen Friedner wägte nochmals für sich ab. Er hatte bei Paula nichts mehr zu verlieren, wenn sie nicht bereit wäre, ihm zu verzeihen. Er könnte auch nichts daran ändern. Den Versuch, sie mit Offenheit zu einem Verständnis der Zusammenhänge zu bringen, jedoch wollte er wagen. Und er erzählte Paula weiter aus der Zeit als er mit Fieläckerle auf dasselbe Bubengymnasium der Kreisstadt ging.
Aus begüterten Familien
Er erkannte schon sehr bald, dass man mit Wissen gutgehende Geschäfte betreiben konnte. Und so sammelte Carl Eugen stets alle abgelegten Schulbücher ein. Er erhielt die Erlaubnis einen leerstehenden Teil der Schrankwand, im Gang neben dem Lehrerzimmer zu belegen. Dort stapelte er feinsäuberlich die Schulbücher, geordnet nach den verschiedenen Klassenstufen. Vor den Ferien musste Carl stets fleißig sein. Manche der Kameraden kamen aus begüterten Familien und hatten es nicht nötig, für nachkommende Geschwister die teuren Bücher vorsorglich aufzubewahren. Die lästigen Drucke wurden einfach am letzten Schultag achtlos in Klassenzimmern oder auf den Fenstersimsen liegen gelassen.
Cleverer Fleiß
Im neuen Schuljahr kam Carls Stunde, man brauchte schnell das eine oder andere Buch. Die Lehrer waren streng und fuhren unerbittlich mit dem Unterricht fort. Es gab empfindliche Strafen für diejenigen, die ihre Sachen zum Lernen nicht vor sich liegen hatten. Manche seiner Kameraden hatten von Haus aus sowieso wenig Geld. Sie waren von vorneherein dazu gezwungen die Materialien für das neue Schuljahr so günstig wie möglich zu kaufen. Andere hatten die von den Eltern gegebene und für die Bücher im neuen Schuljahr gedachte Barschaft bereits für Kinkerlitzchen ausgegeben und mussten sich jetzt schnell behelfen, damit ihre Mogelei daheim nicht auffiel. So florierten Carls Geschäfte besonders nach den Sommerferien. Auf diese Art verwandelte sich Carl Eugen Friedner im Geist des Humanismus nicht nur zu einem strebsamen Schüler, sondern auch seinen cleveren Fleiß in bare Münze.
Vielseitige Bekanntschaften
Ein weiterer Vorteil der gutgehenden Gebrauchtbücherhandlung waren die vielseitigen Bekanntschaften, die Carl in dieser Schulzeit machte. Jeder musste irgendwann einmal zu ihm kommen und brauchte dringend ein Buch, das unauffindbar geworden war oder einen schnellen Ersatz für die verlorengegangene Formelsammlung. Seine gutgeführten und günstigen Vorräte waren in der Kreisstadt so begehrt, dass sogar zuweilen Schülerinnen aus der Mädchenschule zu ihm kamen. Sie machten ihm zwar überwiegend nur schöne Augen, vergrößerten aber seinen Status erheblich. Auf wen kamen Mädchen schon von alleine und auch noch mit freundlich bittenden Blicken zu?
Blumige Worthülsen
Aus diesen vielfältigen Bekanntschaften konnte er später immer wieder profitieren. Überblickte er auf diese Weise alle Jahrgänge, die über ihm waren und zudem alle, die nach ihm kamen. Als er sich in der Kreisstadt als Rechts- und Geschäftsberater niederließ, war ihm nicht nur jeder Kollege, sondern auch jeder Konkurrent mitsamt seinen Charaktereigenschaften aus der gemeinsamen Jugendzeit gut bekannt. Fieläckerle war damals neidisch auf den ländlichen Schmiedabkömmling, erkannte er doch, dass Carl fleißig und gescheit hantierte. Die Rolle Carls, in der jeder als Bittsteller zu kommen hatte, hätte Fieläckerle an und für sich zwar gefallen – aber Fleiß und Ordnungssinn langten bei weitem nicht aus, um ein so komplexes Amt erfüllen zu können. Zudem fiel das korrekte Rechnen dem späteren Politiker schon in der Schulzeit eher schwer. Im Hofhalten war Fieläckerle besser – er hatte eine bewundernswerte Begabung darin, blumige Worthülsen zu entwickeln und mit augenscheinlich gescheiten Reden die Leute in seinen Bann zu ziehen.
Vor den Kadi ziehen?
Über seine Erzählungen war es dunkel geworden, Paula fror und hatte genug von der frischen Luft. Carl bat Paula sie auch auf dem Heimweg zu chauffieren. Als sie im Wagen saßen, sinnierte Carl wieder darüber, ob Paula ihm jemals verzeihen würde. Er nahm allen Mut zusammen und fragte sie offen, ob sie vorhatte gegen ihn vor den Kadi zu ziehen…. Fortsetzung folgt.
*Johannes Reuchlin (1455-1522) rief Christen, Juden und Muslime zum Dialog auf. Er schuf die Grundlagen für die Bibelübersetzung ins Deutsche und wurde zum Wegbereiter der Aufklärung. Zitiert aus: http://www.pforzheim.de/kultur-freizeit/museen/geschichte/museum-johannes-reuchlin.html
Selbst eine Immobilie verloren?
Sollte sich jemand aus der Leserschaft, durch die Beschreibung der Machenschaften daran erinnert fühlen, wie eine Immobilie verloren gegangen ist, können sich diejenigen gern an die Autorin wenden.
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b.haebich@web.de