In diesen Tagen jähren sich zum 75. Mal die Ereignisse, die in die Crailsheimer Stadtgeschichte als ihre größte Katastrophe eingegangen sind. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu schweren Kämpfen mit großen Zerstörungen. Die Innenstadt war verloren.
Vom Stadtarchiv Crailsheim
„Schlacht um Crailsheim“
Über etwas mehr als zwei Wochen stand die Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges im Zentrum militärischer Kampfhandlungen, der „Schlacht um Crailsheim“, die zur fast kompletten Zerstörung der Innenstadt führten. Nicht nur die historische Altstadt fiel damals in Schutt und Asche, viele Crailsheimerinnen und Crailsheimer verloren ihr Hab und Gut, etwa 350 Menschen, Zivilisten wie Soldaten, starben.
Erschreckende Bilanz
Am Ende von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft stand eine erschreckende Bilanz: eine Spur der Verwüstung und des Todes durch ganz Europa, Verbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes und ein kriegszerstörtes Deutschland, in dem Crailsheim mit zu den am schwersten getroffenen Städten gehörte.
Crailsheim – „ein einziger Trümmerhaufen“
Dieser Tage gedenkt Crailsheim der Geschehnisse kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Das Stadtarchiv zeigt auf eindrückliche Weise, wie es zur katastrophalen Zerstörung Crailsheims im April 1945 kam.
Radiobericht 1950
In einem Beitrag für den Rundfunk Stuttgart im März 1950 berichtete der Crailsheimer Polizeimeister Karl Hörner über einen Einsatz fünf Jahre zuvor in seiner Heimatstadt Crailsheim. Gerade war die Stadt von deutschen Truppen zurückerobert und Hörner „mit der Totenbergung beauftragt“ worden:
„Eine Stange mit einem Fetzen Leinwand diente als weiße Fahne, und so zogen wir durch die Trutenbach-Allee, dem Wachholderberg zu … Die Toten lagen teilweise wie hingemäht. Es waren meist deutsche Soldaten, aus allen Einheiten zusammengesetzt. Junge und ältere Leute. Wir hatten einen Handkarren bei uns. … Wir luden immer zehn bis zwölf Tote auf und fuhren sie zum Alten Friedhof. Dieser Anblick der aufgestapelten Toten auf einem Pritschenwagen wird mir unvergesslich bleiben. Der Abtransport war mit großen Schwierigkeiten verknüpft, da der Weg mit Stolperdraht und Panzerminen versperrt war …, und nur mühselig konnten wir uns einen Weg bahnen. So trugen wir ungefähr drei Offiziere und 140 Mann und 85 Zivilisten weg. Die Leichen waren teilweise verbrannt. Die Kleider der Toten waren wahrscheinlich nach Wertsachen durchwühlt. … Die Leichen waren schon teilweise in Verwesung übergegangen, und mussten wir Kalk besorgen und dieselben bestreuen. Es dürften in den Gräbern des Alten Friedhofs zirka 200 Tote liegen. Tote, auf deren Rückkehr auch heute noch Angehörige warten und deren Namen niemals festgestellt werden können.“
Die Innenstadt war verloren
Die Situation in Crailsheim Mitte April 1945, die Hörner in seinem Bericht schildert, ist für die meisten Bewohner der Stadt heute unvorstellbar. Man kennt Vergleichbares höchstens aus Nachrichtensendungen über aktuelle Kriegsgebiete. Vor 75 Jahren war Crailsheim ein solches Kriegsgebiet, in dem geschossen, getötet und gestorben wurde. Dabei erlitt die Stadt furchtbare Schäden: Auf die Gesamtstadt gerechnet lag der Zerstörungsgrad bei etwa 65 Prozent, im Bereich der Innenstadt, also der Bebauung innerhalb der früheren Stadtmauer, waren 95 Prozent der Gebäude zerstört oder so schwer beschädigt, dass sie nicht mehr bewohnbar waren.
Zerstörung in mehreren Etappen
Wie ist diese Katastrophe zu erklären, vor allem auch im Blick auf Städte der Umgebung, die sehr viel glimpflicher über die letzten Kriegstage kamen?
Die Kriegszerstörung Crailsheims 1945 ereignete sich in mehreren Etappen und ihr Ablauf weist Besonderheiten auf, die Crailsheim von den Nachbarstädten deutlich unterscheidet.
Erste größere Schäden verursachten zwei schwere Luftangriffe am 23. Februar und am 4. April 1945, die sich gegen den Bahnhof und gegen den im Westen der Stadt gelegenen Fliegerhorst richteten. Teile der westlichen Innenstadt inklusive des Rathausturms wurden dabei schwer getroffen. Die beiden Angriffe forderten knapp 100 Menschenleben. Trotz der verursachten Schäden war die Stadt von einer Komplettzerstörung noch weit entfernt, weite Bereiche des Stadtgebietes noch intakt.
Ein zweifelhaftes „Alleinstellungsmerkmal“
Die „Sonderrolle“ Crailsheims begann am 5./6. April 1945, als motorisierte Einheiten der US-Armee die starken deutschen Verteidigungsstellungen an Neckar und Jagst bei Heilbronn umgingen und in schnellem Tempo entlang der heutigen Bundesstraße (B 290) nach Süden vorstießen. Am Spätnachmittag des 6. April erreichten sie Crailsheim und besetzten die Stadt ohne große Kampfhandlungen. Damit hätte der Krieg für die Bewohner der Stadt zu Ende sein können und es wäre – alles in allem – ein glückliches Ende gewesen.
Massive Gegenangriffe von Wehrmacht und SS
Aber der Vorstoß der US-Truppen, dessen eigentliches Ziel die Umfassung der deutschen Stellungen bei Heilbronn war, was die gesamte deutsche Front in Südwestdeutschland bedrohte, rief massive Gegenangriffe von Wehrmacht und SS hervor – und diese richteten sich vor allem gegen Crailsheim. Ab dem 8. April beschoss deutsche Artillerie die Stadt, alle verfügbaren deutschen Truppen, bis hin zu Gebirgsjäger-Einheiten aus dem Alpenraum, wurden in die „Schlacht um Crailsheim“ geworfen. Und es gelang dem deutschen Militär etwas, was ihnen an der Westfront außer in Crailsheim nie gelang: Sie konnten die Stadt, wenn auch unter enormen Verlusten, für zehn Tage, vom 11. bis zum 20. April, von den Amerikanern zurückgewinnen – ein zweifelhaftes „Alleinstellungsmerkmal“ Crailsheims.
Die Stadt wurde in der Folge mit Panzersperren und Maschinengewehr- Stellungen befestigt, die Bevölkerung durch SS und Parteifunktionäre massiv unter Druck gesetzt.
Der 20. April 1945
Aber natürlich war der deutsche „Sieg“ in Crailsheim nur ein kurzes Intermezzo. Die US-Truppen rückten in den folgenden Tagen wieder auf Crailsheim vor – diesmal auf breiter Front – und standen am Abend des 20. April 1945 zum zweiten Mal vor der Stadt. Nach ersten Beschießungen versuchten die Amerikaner die Stadt zur Übergabe zu bewegen, es fand sich jedoch auf Stadtseite kein Verantwortlicher, der die Verhandlungen geführt hätte. Daraufhin erfolgte der massive Beschuss der Stadt, der zu schweren Bränden und großen Zerstörungen führte. Die Crailsheimer Innenstadt war verloren.
Weißes Bettlaken und Hakenkreuzfahne
Eine fast bizarre Szene, die aber vielleicht einen kleinen Einblick in die Gefühlslage der Crailsheimerinnen und Crailsheimer in diesem Moment gibt, berichtet eine der wenigen zu diesem Zeitpunkt noch in der Stadt befindlichen Personen. Herr Kirn, der noch versucht hatte, beim Löschen in der Innenstadt zu helfen, befand sich am Spätnachmittag des 20. April auf dem Heimweg in seine Wohnung am östlichen Stadtrand. In der Schönebürgstraße sieht er zwei Fahnen aus dem Fenster hängen: zum einen ein weißes Bettlaken als Zeichen der Kapitulation, der Hoffnung auf die Beendigung der Kämpfe, zum anderen eine Hakenkreuzfahne! Der 20. April war schließlich auch der Geburtstag Adolf Hitlers.
Kriegsende für manche Crailsheimer auch die Rettung
Auch wenn die Geschehnisse des Kriegsendes im April 1945 von den allermeisten Bewohnern der Stadt als Katastrophe wahrgenommen wurden und mit Erfahrungen von Angst, Zerstörung und des Verlustes von Eigentum oder gar Menschenleben verbunden waren, gab es auch Crailsheimerinnen und Crailsheimer, die den Vormarsch der Alliierten sehnsüchtig erwarteten.
In den Lagern und Gefängnissen der Nationalsozialisten saßen auch Menschen aus Crailsheim, für die das Kriegsende mit der vernichtenden Niederlage Nazi-Deutschlands die Rettung bedeutete:
So wurde die 45-jährige Betty Essinger, geborene Pappenheimer, aus der Wilhelmstraße, Anfang 1945 von der Roten Armee in einem Lager in Lettland befreit, desgleichen die gebürtige Crailsheimerin Lina Kohn (Jagststraße), die Auschwitz überlebte. Mehrere KZ-Lager durchstand Moritz Eichberg, bevor er am 9. Mai 1945 in Theresienstadt befreit wurde und ab 1951 seine Pferde- und Viehhandlung in der Langen Straße betrieb.
Gymnasialprofessors Fritzmartin Ascher
Nach dem Einmarsch der Franzosen am 20. April 1945 endete auch die mehr als zweijährige Haftzeit Eugen Grimmingers im Zuchthaus Ludwigsburg. Er war als Unterstützer der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Und im April 1945 endete schließlich auch die Leidenszeit des Gymnasialprofessors Fritzmartin Ascher, der als jüdischstämmiger Mann das „Dritte Reich“ nur aufgrund seiner Ehe mit einer „Arierin“ überlebte („privilegierte Mischehe“). Unter diskriminierenden Bedingungen hatte er als Straßenkehrer und Totengräber in Mühlacker die NS-Zeit überstanden. Im Mai 1948 wurde er Schulleiter am späteren Albert-Schweitzer-Gymnasium in Crailsheim.
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