Zwei Männer suchen einen Raum, in dem sie eine Nazi-Geschichte erzählen können. Nicht irgendeine, sondern eine über Fürst Ernst II. von Hohenlohe-Langenburg, der Hitler für ein Geschenk Gottes hält. Die beiden Männer finden keinen Saal, weil sie keinen kriegen sollen. In Langenburg und anderswo.
Von Josef-Otto Freudenreich, Erstveröffentlichung am 26. Februar 2020 in Kontext:Wochenzeitung, Stuttgart
Wo Joschka Fischers Vater schaffte
Langenburg liegt auf einem Bergrücken, an dessen einem Ende der Fürst lebt und am anderen seine Vorfahren ruhen. Das eine Ende markiert das Schloss, das andere ein Mausoleum auf dem Friedhof. Dazwischen drängt sich das Städtchen mit seinen 1800 Einwohnern, das schön anzuschauen ist, mit seinen Fachwerkhäuschen, den Gasthäusern und den kleinen Geschäften, von denen zwei Großes hervorgebracht haben. In einer Metzgerei hat Joschka Fischers Vater geschafft, und in einem Kaffeehaus sind die Wibele erfunden worden, jenes Kleingebäck, mit dem schon Queen Elisabeth II bei ihrem Besuch 1963 erfreut worden ist.
In der britischen Thronfolge auf Platz 189
Das war kein Zufall, sondern die Folge der engen Verwandtschaft des englischen Königshauses mit den Fürsten von Hohenlohe-Langenburg, die seit Jahrhunderten in dem eingangs erwähnten Schloss wohnen. Heute residiert dort Prinz Philipp Gottfried Alexander, 50, der in der britischen Thronfolge auf Platz 189 rangiert, und deshalb auch zur Hochzeit von Kate und William eingeladen war, zusammen mit Frau Saskia, einer Münchner Investmentbankerin. Häufiger widmet sich der studierte Betriebswirt jedoch bürgerlichen Belangen.
Auch ein Fürst hat’s schwer, wenn er 476 Fenster hat
In seinem Wald, der zu den größten Deutschlands zählt, pflanzt er gerne Windräder, weil die nicht so anfällig sind wie Holz. In seinem Schloss, das einen eigenen Hundefriedhof unterhält, lädt er zum „Langenburg Forum für Nachhaltigkeit“, gemeinsam mit der Firma des einstigen Vizekanzlers, die „Joschka Fischer & Company“ heißt, und die einstige US-Außenministerin Madeleine Albright, Ministerpräsident Wilfried Kretschmann sowie Prinz Charles (per Video) zu den Gästen zählt. Darüberhinaus sitzt der Fürst noch für die Freien Wähler im Langenburger Gemeinderat, und klagt darüber, wie aufwendig es ist, 476 Fenster, vier Hektar Dach und fünf Hektar Mauern in Schuss zu halten. Das hat er dem Südwestrundfunk verraten.
Die lange, etwas faktenüberladene Einleitung war jetzt nötig, damit das Folgende besser verstanden werden kann: Vor zwei Jahren machte sich der freie Journalist Ralf Garmatter, 55, daran, die NS-Geschichte derer von Hohenlohe-Langenburg zu erforschen. Der Faschismus in der Region, das ist seit 1995 eines seiner Themen, weil er, im Rahmen seiner Möglichkeiten, verhindern will, dass Deutschland wieder ein antidemokratisches Land wird. Und weil er erklären will, wie es kommen konnte, dass die Nazis von diesen Herrschaften geadelt wurden. Zu all dem betreibt er auch einen Blog. Diesmal kümmerte er sich um Fürst Ernst II. (1863 – 1950), den Urgroßvater des amtierenden Standesherrn Philipp.
Fürst Ernst II. und seine Familie – alle für den Führer
Die gesamte Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter, ein Sohn, war Mitglied in der NSDAP, als Patron der evangelischen Kirchengemeinde sorgte Ernst II. 1936 dafür, dass das „Gebet für den Führer“ in den Gotteshäusern legitimiert wurde. Für ihn war Hitler ein „Geschenk Gottes“ an das deutsche Volk, das sich „nach starken Führern“ sehnt, die Demokratie war des Übels, der Parlamentarismus zum Erbrechen. Als Abgeordneter im Berliner Reichstag konnte er den „Ekel nicht überwinden“, schrieb er 1906 an seinen Vater, wenn Bebel oder Erzberger sprachen.
1936 zum Ehrenbürger ernannt
Die Stadt Langenburg machte ihn 1936 zum Ehrenbürger, erhielt dafür zwei Parzellen Land (rund 600 Quadratmeter) zwischen Schloss und Friedhof, welche fortan „Fürst-Ernst-Platz“ hießen, auf dem die Jugend, so der Namensgeber, sich tummeln und zu „tüchtigen deutschen Menschen“ heranwachsen solle. Was zunächst wie eine Schenkung aussah, notiert Heimatforscher Garmatter, bezahlte die Gemeinde mit 1.500 Reichsmark in bar. Den Ehrentitel gibt es noch immer, den Platz auch. Er ist ein wenig trostlos.
Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“
Nachzulesen ist diese Geschichte in dem Buch „Täter Helfer Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg“, herausgegeben von Wolfgang Proske, erschienen 2018. Garmatter und Proske hätten gerne daraus gelesen, am liebsten in einem Raum der Stadt, in dem sich ihre Geschichte erzählen ließ. Aber das war ihnen nicht vergönnt. Was folgt gleicht einer Odyssee.
Die erste Absage kommt von der Stadt Langenburg
Die erste Absage ereilt sie am 2. August 2018. Sie kommt aus dem Langenburger Rathaus. Der „Philosophenkeller“ werde nicht fremdvermietet, meldet die Kulturbeauftragte Doris von Göler, und präzisiert am 21. November 2018: „Das Programm steht.“ In ihrem Portfolio hat sie unter anderem einen Vortrag des Langenburger Stadtrats Axel Dittrich, der über die „glanzvollen Verbindungen“ des Hauses Hohenlohe-Langenburg referiert. Aber sie wünscht viel Erfolg „bei der Suche nach weiteren Präsentationsmöglichkeiten“.
Das fürstliche Haus versendet Post auf noblem Büttenpapier, des Inhalts, dass man an einer Zusammenarbeit nicht interessiert sei. Und was die Räumlichkeiten betreffe, so fänden Vorträge „zu historischen Büchern oder ähnlichem“ auf Schloss Langenburg nicht statt. Im Übrigen sei dies durch das Programm seines Hohenlohe Zentralarchivs in Neuenstein abgedeckt, schreibt der Fürst am 16. Oktober 2018, was Garmatter insoweit bezweifelt, als seine Anfragen nach Akteneinsicht jedes Mal abschlägig beschieden wurden. Alles, was jünger ist als 100 Jahre, ist gesperrt.
Geschichtsverein: „Für einen Vortrag ist kein Bedarf“
Kurz und knapp äußert sich der Geschichts- und Kulturverein vor Ort. Man habe das Buch in der Langenburger Stadtbücherei eingestellt, dort könnten sich die Bürger informieren, befindet der Verein am 14. Oktober 2018 – „für einen Vortrag ist kein Bedarf“. Beim Auftritt des Fürstenfans Dittrich ist der Klub als Kooperationspartner dabei.
Das Landesarchiv will den Fürsten nicht verärgern
Deutlich schwerer tut sich das Landesarchiv Baden-Württemberg, dessen Außenstelle auf Schloss Neuenstein das Hohenlohe-Zentralarchiv verwaltet. Immerhin eine staatliche Einrichtung, getragen durch Steuergelder. Er würde sehr gerne Ja sagen, verrät ein Mitarbeiter (Name der Redaktion bekannt) am 29. Oktober 2018, „und würde damit doch den Fürsten tief verärgern“. Er überlege aber, wie er den Autoren trotzdem ein „gutes Podium“ bieten könne. Das Grübeln hält bis heute an.
Verwaltungsgemeinschaft Langenburg-Gerabronn
Garmatter versucht es nun im fünf Kilometer entfernten Gerabronn beim „Historischen Arbeitskreis“. Selbiger wird bei Bürgermeister Christian Mauch vorstellig. Ohne Erfolg. Wenn Langenburg keinen Raum stelle, werde es auch für die Nachbargemeinde schwierig, heißt es, schließlich befinde man sich in der Verwaltungsgemeinschaft Langenburg-Gerabronn. Das sei „sehr bedauerlich“, berichtet der Arbeitskreis am 22. November 2018, aber ihnen seien nun die „Hände gebunden“.
„Stahlhelmpfarrer“ Borst
Fehlt nur noch die Kirche. Am 19. November 2018 fragt Ralf Garmatter bei der Evangelischen Kirchengemeinde Langenburg an. Ein Vortrag wäre in ihren Kreisen besonders interessant, begründet er, weil ihr früherer Dekan Albert Borst (1892 -1941) nicht nur der Seelsorger der Fürstenfamilie gewesen sei, sondern auch ein strammer Nationalsozialist. Ernst II. saß bei ihm regelmäßig in der Kirchenbank und im Kirchengemeinderat, dessen Aufstellung im „engsten Einvernehmen“ mit der Ortsgruppenleitung der NSDAP erfolgt sei, notierte der „Stahlhelmpfarrer“ Borst 1933.
Absage ohne Begründung
Am 15. April 2019 erreicht Garmatter die Absage. Die Mehrheit des Kirchengemeinderats habe sich dagegen ausgesprochen, der Grund sei aber nicht gewesen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „generell abgelehnt wird“, verkündet das Langenburger Pfarramt. Wie es sich im Besonderen verhält, verrät Marianne Mühlenstedt, die Vorsitzende des Gremiums, nicht.
Die Kirche sagt zuerst zu und erteilt dann Hausverbot
Am 26. November 2019, also nach mehr als einjähriger Suche, scheint es zu gelingen: ein öffentlicher Vortrag über die Nazi-Geschichte des Fürstenhauses Hohenlohe-Langenburg – in Gerabronn. Die dortigen Kirchengemeinden, evangelisch und katholisch, versprechen Ralf Garmatter und Wolfgang Proske eine Bühne zum Thema „Täter Helfer Trittbrettfahrer“. Bis zum 21. November 2019.
An diesem Tag kündigt die Kirche, ein Hausverbot inbegriffen. Mit der Begründung, Autor, Herausgeber sowie der kooperierende Verein „Ohne Rechtsaußen e. V.“ hätten eine Vereinbarung gebrochen, die da lautete: „Es dürfen in keiner schriftlichen/öffentlichen Werbung für die Veranstaltung die vollen Namen von mutmaßlichen ‚Tätern‘ genannt werden“. Ernst II. auf einem Täter-Plakat? Undenkbar!
„Gewisse Kontinuität“ beim Beschützen von NS-Tätern
Weder Garmatter noch der Vorsitzende des Vereins, David Jäger, können sich an eine solche Absprache erinnern, zumal sie auch völlig irrsinnig wäre. Sie können nur vermuten, dass die Veranstaltung bewusst klein gehalten werden sollte, ein geheimer Klub der Wissenden, die Verhinderung der Aufklärung, die man vorgab zu leisten. Er erkenne eine „gewisse Kontinuität“ seitens der Kirche – beim Beschützen von NS-Tätern, resümiert Jäger.
Hohenloher Tagblatt veröffentlicht Leserbrief nicht
Jetzt hilft nur noch die Presse, mag sich der Journalist Garmatter gedacht haben, als er am 1. Januar 2020 einen Leserbrief an das „Hohenloher Tagblatt“ (HoTa) schickt. Er vermerkt darin, dass kein Kirchenvertreter vor der Absage mit ihnen gesprochen, geschweige denn eine solches Namensnennungsverbot ausgesprochen habe. Einleuchten mag auch ihm nicht, warum bei der Bewerbung des Vortrags dessen Hauptpersonen Ernst II. und Tochter Alexandra, die es immerhin bis zur NS-Kreisfrauenschaftsführerin gebracht hat, nicht erwähnt werden sollten. Von der Absage des Abends erfahren die LeserInnen des HoTa nie etwas, von dem Leserbrief auch nicht. Er erscheint dort nicht.
Das Oberamt Gerabronn war einst Hochburg der Nazis
Warum wird hier soviel geschwiegen, hier in der Region Hohenlohe, die heute für jeden Besucher eine Sonnenblume bereit hält? Verspricht die Tourismuswerbung. Was war früher, als das Oberamt Gerabronn eine Hochburg der Nationalsozialisten war, nirgendwo in Württemberg prozentual soviele Menschen zwischen 1932 und 1934 die NSDAP gewählt haben?
Der Untertanengeist sei hier noch nicht verloren gegangen, sagt Folker Förtsch, der Leiter des Crailsheimer Stadtarchivs. Ihn wundert die Odyssee der Aufklärer nicht, sie deprimiert ihn eher, weil Monarchie und Feudalismus fröhliche Urständ feiern, und kämen sie nur im Gewand des vorauseilenden Gehorsam daher. Förtsch ist forsch. „Niemand will sich offenbar mit dem Fürsten anlegen“, betont der Historiker, die Absagen erfolgten aus „fadenscheinigen Gründen“. Er selbst hatte kein Problem damit, das Duo Garmatter/Proske am 10. September 2018 ins Rathaus einzuladen, um über den früheren Crailsheimer Landrat Werner Ansel, der ein Nazi war, zu sprechen.
Wolfgang Proske ist kein historischer Hasardeur, er hat sich mit seinem mittlerweile zehnbändigen Werk über die NS-Täter bleibende Verdienste erworben. Etwa durch seine Entmystifizierung des „Wüstenfuchses“ Erwin Rommel.
Der Bürgermeister sagt, das Fürstenhaus nehme keinerlei Einfluss
Er kennt die Debatten, sei’s aus Heidenheim, Giengen, Meßkirch oder Donauwörth, das Gar-nicht-wissen-wollen, was gewesen ist, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Er nennt es das „Große Beschweigen“. Aber in dieser Ausschließlichkeit wie in Langenburg? Das hat ihn überrascht. „Niemand wagt sich aus der Deckung“, sagt er, „sie verhalten sich wie Sektenangehörige.“ Allein die Erwähnung des Fürstenhauses im NS-Zusammenhang löse „Panikattacken“ aus.
Nicht bei Wolfgang Class, dem Langenburger Bürgermeister, parteilos. Sein Rathaus liegt gegenüber dem evangelischen Pfarramt, quasi in einem spitzwinkligen Dreieck mit dem Schloss. Gegenüber Kontext möchte er zunächst klarstellen, dass das Fürstenhaus „keinerlei Einfluss“ auf die Stadtverwaltung nimmt. Außer, dass der Fürst als Ratsmitglied die Kommunalpolitik mitgestalte. Im Übrigen könnten „die Herren“, gemeint sind Garmatter und Proske, ihren Vortrag „jederzeit“ in Langenburg halten. Die Gastronomen böten hierzu „geeignete Räumlichkeiten“ an. Er könne sich freilich des Eindrucks nicht erwehren, dass es die Herren bewusst darauf anlegten, einen Keil zwischen Schloss und Stadt zu treiben. Das aber werde, aufgrund der „sehr guten und erfolgreichen Zusammenarbeit“, nicht gelingen. Da ist er sich ganz sicher.