„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden siebzehnter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
XVII Jagst
… Als er gerade die letzten Zeilen der Transformationsforscherin gelesen hatte und mit sich und der Welt zufrieden das Buch schloss, läutete es. Das müsste jetzt Paul sein, dachte sich Carl und ging an die Haustür, um dem Freund die Tür zu öffnen. Paul Malibo lächelte ihn freudig an und Carl breitete seine Arme aus, um den Freund fest an sich zu drücken. Paul erwiderte die freundschaftliche Umarmung herzlich, und noch bevor sie in der Küche angekommen waren, diskutierten sie bereits heftig die politischen Neuigkeiten und die derzeitige wirtschaftliche Lage – Paul war als weit Gereister stets über alles im Bild was sich in Deutschland, in Europa und auf der Weltbühne tat. Den intellektuell anregenden Austausch mit Paul als ebenbürtigem Diskussionspartner genoss Carl in vollen Zügen. In Hoheitshausen beschränkten sich die gewöhnlichen Wortwechsel mit seiner Schwiegermutter auf alltägliche Rituale, und seit Gisléne nicht mehr da war, brachte ihn niemand mehr mit erfrischenden Wortgewittern zum Lachen, geschweige denn auf andere Gedanken.
Weggelaufene Tochter
Carl Eugen machte seine obligatorische Kanne Melissentee und stellte die feinen skandinavischen Süßigkeiten auf einem Teller zusammen. Als sie dann zusammen das Geschirr, den Tee und den großen beladenen Teller auf dem Gartentisch platziert hatten und sich gemütlich zurücklehnten, ging ihr reger Gedankenaustausch zu persönlichen Dingen über. „Und, Paul, wo ist Deine Gisléne?“, fragte Carl irgendwann, als Paul nicht von sich aus die Rede auf seine weggelaufene Tochter brachte. Abrupt veränderte sich Pauls offener Gesichtsausdruck. Sein Blick erstarrte zu einer unbeweglichen Maske und seine Stimme war rau und hart, als er antwortete: „Morgen fahre ich zum Ältesten meiner Söhne nach Nürnberg.“ Carl fiel auf, dass Paul noch immer seinen Erstgeborenen in der Rangfolge seiner ihm nachfolgenden männlichen Linie benannte, und nach alter Sitte nicht seinen Namen, sondern seine Funktion in der Familie benannte. „Dort gibt es einen Familienrat. Yann wird auch dabei sein, seine Schwester bereitet unserer Familie Schande.“ Als keine weiteren Erklärungen folgten und Paul seine steinerne Haltung beibehielt, insistierte Carl weiter: „Hat Gisléne sich bei Dir gemeldet?“ „Nein“, erwiderte Paul, „Yann hat angerufen.“ Auf weitere Fragen Carls antwortet Paul nicht mehr und blickte nur noch mit kalten Augen und stumm vor sich hin.
Traditionelle Haltung
Diesen Wesenszug kannte Carl bei Paul nur zu gut. Über familiäre Themen war nicht mit ihm zu reden. Pauls Verhalten in Bezug auf seine traditionelle Haltung stand im krassen Gegensatz zu seinen sonstigen liberalen Ansichten, welche er freudig und mit einer schier unglaublich heiteren Sanftmut predigte. Carl würde warten müssen, bis Paul sich ihm wieder von alleine zuwenden und sich mit ihm unterhalten würde. Also räumte er den Tisch ab, spülte das Kaffeegeschirr und brachte die Küche in Ordnung. Als Carl nach einer Stunde mit zwei Gläsern und einer Kanne Wasser wieder zu Paul an den Tisch trat, sah er, dass das Gesicht des Freundes sich etwas erhellt hatte.
Unvermittelte Frechheit
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung setzte er sich zu Paul an den Tisch. Sie klärten kurz ab, wann sie morgen früh aufstehen und wie Paul zum Bahnhof kommen würde, und verbrachten noch ein paar Minuten bei belanglosem Geplauder über das Wetter. Paul verabschiedete sich bald, um früh ins Bett zu gehen, er wollte morgen früh ausgeruht sein.
Und so nützte Carl die Gelegenheit, um noch bei Paula anzuläuten, unter anderem wollte er auch das geplante Treffen am Wochenende konkretisieren. Sicherlich saß die nachtaktive Frau noch an ihrem Computer bei einer Bildbearbeitung; und tatsächlich erreichte er Paula Engel, wie erwartet, zu dieser späten Stunde bei bester Laune. „Engel?“, tönte ihre Stimme fragend an Carls Ohr und er lächelte: „Friedner, wenn es erlaubt ist?“ „Ah Carl, du bist es. Treibt dich dein schlechtes Gewissen um und kannst Du nicht einschlafen?“ Diese unvermittelte Frechheit ließ Carl Eugen verstummen, er hatte nicht damit gerechnet, dass Paula ihm als allererstes sein einstiges Versagen vorhalten würde – er hätte es angemessen gefunden, wenn sie sich in liebevollem Tonfall nach seinem Befinden erkundigt hätte.
Unselige Gerichtsverhandlungen
Wie, so fragte er sich, sollte er dieser Frau nur begegnen? Ständig änderte sie ihre Art mit ihm umzugehen und jetzt so eine entmutigende Frage; Carl wollte ihr eigentlich ein Gedicht vorlesen. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, Verse in Mundart zu finden, welche nicht nur seinen aufrichtigen Liebesgefühlen ihr gegenüber, sondern auch ihrer beider treuer Heimatverbundenheit Ausdruck verlieh. Enttäuscht und unfähig etwas zu antworten, kamen ihm auch noch unvermittelt die unseligen Gerichtsverhandlungen in Heilbronn in den Sinn und er schloss die Augen.
„Carl? schallte es nun wesentlich sanfter aus dem Hörer, „Carl, bist du noch da?“, erkundigte sich Paula Engel nochmals vorsichtig. Carl Eugen Friedner atmete noch ein paar Mal deutlich hörbar ein und aus – diese Atemtechnik hatte er sich einst in der Herzklinik in Hoheitshausen angewöhnt, um in belastenden Situationen besser zu bestehen. Zwar konnten sehr aufmerksame Menschen – zu denen auch Paula gehörte – seine gefühlsmäßige Betroffenheit erahnen, aber Carl nahm dies eben billigend in Kauf; ersparte ihm diese Umgangsform doch, den Unmut in sich hinein zu fressen. Er wollte weder einen Herzinfarkt noch ein Magengeschwür riskieren.
Ein Gedicht
„Carl, was ist?“, Paulas Stimme klang jetzt derart besorgt, dass Carl sich aufraffte, ihr eine gescheite Antwort zu geben: „Ja Paula, ich war irritiert über deine Frage. Eigentlich wollte ich Dir etwas sagen“, und er schwieg abermals. „Was wolltest du mir denn sagen, Carl? fragte sie nach einer weiteren Pause erneut. Er beschloss ihr zu vertrauen und hub an, ohne weitere Erklärung, Paula das romantische Gedicht vorzutragen:
D ́Jogscht
„Was for de Schwob dr Necker isch, fors deitsche Reich dr Rhei,
des is for uns halt unser Jogscht: sou ischs un sou muß ́s sei!
A so e sauwers Flüßle geits
Sunscht nerchends uf dr Welt,
un wenn erscht d ́Sunne einischeint no glänzts wie Silwergeld.
Die schene Renkli guck d`r ou, die Schlößli uf dr Höh,
die sauwre Höft im grüne Dool, mei Liewer, des muscht seh!
Der Kocher schlupfet gar zu gern noch näher zure nou; er denkt: Zu so
ner schiene Fraa ghört aa en schiener Mou.
Am Summer pfuddle dBouwe drin Mit dene Gensch um d
Wett,
die Kerli schlooche Borzelbeem wie klaane Borsch im Bett.
Un Schwälwli fliecha driwer her, un unde schnalzet dFisch; des geit e Bild, soe friedlich schee, daß
s net zom Sooche isch.
Drum hörsch du bei uns iwerool, wud gehsch und schtehsch un hockschd,
s schönst Flüßle uf der ganze Welt isch unscher liewe Jogschd!*
… Fortsetzung folgt.
Erläuterungen:
* Gedicht von N. Landwehr 1932,
Seite 160 in „Die Jagst von der Quelle bis zur Mündung“ von Bernhard H. Lott erschienen im Swiridoff Verlag
https://de.wikipedia.org/wiki/Jagst#Die_Urspr%C3%BCnge_der_Jagst
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