„Lang beschattete Täler“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden achtzehnter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.
Von Birgit Häbich
XVIII Schwein
… Carl Eugen Friedner öffnete die Türe. Mit der lapidaren Bemerkung: „Gedichte konnte ich noch nie leiden“ begrüßte Paula Engel ihn mit einem gleichzeitig heftigen Glitzern in ihren grünen Augen. Er musste sehr tief durchatmen, aber immerhin: Sie war gekommen. Das telefonisch vorgetragene Gedicht hatte Paula vor zwei Tagen nicht mehr weiter kommentiert, sie nahm die Einladung zum Abendessen mit dem knappen Satz „Bin um achte bei Dir, bis dahin Tschüss“ an, und als kein weiterer Ton mehr aus dem Apparat kam, legte Carl den Hörer auf die Gabel. Wenn ich sie schon zum Essen einlade, könnte sie doch wenigstens ihre Freude darüber Ausdruck bringen, dachte sich Carl verstimmt und haderte kurz mit der ihm überheblich erscheinenden Umgangsform Paulas. Und jetzt begrüßte sie ihn unvermittelt in der selben Manier sogar an seiner eigenen Haustüre – Carl wiederholte konzentriert seine Atemübungen und verlegte seine Widerworte auf später. Nach einem Glas Wein und dem feinen Essen von Knolleries würde sie sicher sanfter gestimmt sein.
Gunst erringen
Paula trat ein und er führte sie direkt in seine Küche. „Darf ich Dir einen Honigwein anbieten? Nur ein Glas, bis Du nach Hause fährst, ist der Alkohol verflogen.“ Paula runzelte ihre Stirn, „Honigwein?“ „Ja, neuer Met vom Jagwald. Eignet sich vorzüglich als Aperitif!“, rief Carl nun wieder gut gelaunt und in der Hoffnung, Paulas Unmut damit beschwichtigen zu können. Diese nickte zustimmend und blickte sich unauffällig in der Küche um; Carl hielt Ordnung. Und sie sah, dass er alles gut vorbereitet hatte. Sogar an ein weißes Tischtuch und einen kleinen Strauß Wiesenblumen in einer schlichten Vase und an Kerzen auf dem hübsch gedeckten Tisch hatte er gedacht. Nachdem Carl ihr ein Glas von dem duftenden Wein überreicht hatte, holte er das Essen aus dem Warmhaltebehälter und fing an aufzutischen. „Nimm doch bitte Platz Paula“, forderte Carl sie höflich lächelnd auf. Und Paula ging ohne Bemerkungen auf seine Bitte ein. Als Carl sich ebenfalls hingesetzt hatte, erhob er sein gefülltes Glas und prostete ihr symbolisch zu. „Auf uns!“, und machte ein abwartendes Gesicht. Paula erwiderte: „Aus was auch immer das >uns< besteht“, wobei Carl meinte, aus dem Wort >uns< eine leicht ironische Note heraushören zu können. Atmen, dachte sich Carl, atmen, und ruhig bleiben; schließlich wollte er heute ihre Gunst erringen. „Was darf ich Dir schöpfen?“, fragte Carl, um abzulenken, „magst Du zuerst ein Kräutercremesüppchen mit frischem Brot?“ „Ja, gern“, erwiderte Paula, deren Miene sich nun etwas aufhellte, „und guten Appetit wünsche ich Dir Carl.“
Ferkelzuchtanstalt
Als Carl vor dem nächsten Gang die tiefen Teller und die Suppenschüssel abräumte, herrschte zu seiner Beruhigung eine harmonische und friedliche Stimmung in der Küche. Sie unterhielten sich über allerhand und Paula brachte zu Carls großem Erstaunen mit keinem Wort die Sprache auf die alte unselige Geschichte, die ja noch zu bereinigen war. Auch streifte Paula nicht mit einer Silbe ihr letztes Wiedersehen vor sechs Jahren und seinen damaligen Heiratsantrag. Und sie erwähnte auch nicht den hinterhältigen lebensbedrohlichen Überfall der auf sie verübt wurde. Sondern erzählte ihm, wie früher, unermüdlich unterhaltsame kleine Geschichten. Um diesen Frieden auch ja nicht zu stören, schöpfte er ungefragt aus den Schüsseln den Hauptgang auf ihre Teller. Carl fragte sich dabei innerlich, was Paula im Schild führte, aber bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, hub sie mit sanfter Stimme an: Carl? Bei dem herrlichen Schweinegeschnetzelten fällt mir ein, was ich Dich unbedingt fragen wollte: Was hältst du eigentlich von der Ferkelzuchtanstalt im Rahmen der geplanten Schweinestallerweiterung in Brauneck? Man hat da letzthin in den Haller Kirchen Unterschriften gegen diese Massentierhaltung gesammelt, welche vom Braunecker Gemeinderat befürwortet wurde.“
Sauerei
Mit diesem unappetitlichen Thema hatte Carl überhaupt nicht gerechnet. Wollte Paula jetzt allen Ernstes, über die dampfenden Teller, mit dem feinsten Geschnetzelten von Schweinen aus biologischer Haltung und den edlen Dinkelspätzle und der guten Soße hinweg, mit ihm über stinkende Massentierhaltung diskutieren? Er atmete abermals regelmäßig und wickelte mit dem Messer elegant ein paar Spätzle, von denen die glänzende Rahmsoße tropfte, um seine Gabel, um diese dann möglichst schnell in den Mund zu schieben. „Was meinst Du zu dieser Sauerei Carl?“, und setzte nach: „Bei Deiner soliden bäuerlichen Herkunft? Und gerade du, als heimatliebender Hohenloher, musst da doch zu bald zehntausend Schweinen, die man in engen Verschlägen halten wird, eine Meinung haben.“ Carl kaute derart bedächtig auf seinen Spätzle herum, als wolle er die genaue Bodenbeschaffenheit vom regionalen Anbaugebiet des Dinkels herausschmecken.
Stinkendes Abwasser
„Und, Carl, was ist? Oder fällt dieses Thema ebenfalls unter das unsinnige Schweigegelübde aus der Bubengymnasiumszeit?“ Und weil Carl weiterhin schwieg, setzte Paula nach einer Weile nach: „Stecken da etwa auch welche von den Brüdern aus der guten alten Zeit dahinter?“ Ohne Pause ergänzte sie mit der nächsten Frage: „Ist etwa das stinkende Abwasser, das dann den Schattenbach hinunterlaufen wird, besonders liberal und schützenswert?“ Die letzte Frage Paula Engels galt nun Carl persönlich: „Wozu eigentlich sagst du mir inbrünstig ein liebliches Heimatgedicht auf, wenn die beschriebene Idylle in Wahrheit nun schon wieder ernsthaft und dieses Mal aber unwiederbringlich von der Zerstörung bedroht ist?“
Kurzer Weg vom Dulden zum Verschulden
Es fiel ihm ein Zitat* aus dem Deutschunterricht am Bubengymnasium der Kreisstadt ein: „Vom Dulden zum Verschulden führt häufig nur ein kurzer Weg.“ Und Carl bekam ein schlechtes Gewissen. Er erinnerte sich an die verheerende Vergiftung der Jagst vor fünf Jahren. Die Jagst hatte sich zwar scheinbar gut davon erholt, doch der ständige Zufluss nährstoffreicher und mit Giften angereicherter Oberflächengewässer aus der mit chemischer Keule geführten Landwirtschaft, schadete nicht nur ihr erheblich. Auch waren längst noch nicht alle Kläranlagen der anliegenden Gemeinden und Städte auf dem neuesten Stand der Technik und so flossen zusätzlich sämtliche Medikamentenrückstände in die Flüsse Hohenlohes – Bühler und Kocher erlitten ja in dieser Hinsicht durchweg dasselbe Schicksal, wie der bei sanften Touristen überaus beliebte *Silberfluss. „Paula, ich weiß nicht was ich sagen soll“, gab Carl unumwunden mit leiser Stimme zu. … Fortsetzung folgt.
Erläuterungen:
*Sanfter Tourismus in Hohenlohe:
https://freiraum-bw.de/blog/reiseinspiration/erholsames-wochenende-mit- einmaligem-ausblick/
https://kocher-jagst-trail.de/content.php?cont_id=1&src=1&la=de
*Berichterstattung: https://www.swp.de/suedwesten/landkreise/lk-schwaebisch-hall/buerger- befuerchten-den-garaus-fuer-nesselbach-23590945.html
*Zulassungsverfahren: Erweiterung und Neubau einer Schweinemastanlage: https://www.uvp-verbund.de/trefferanzeige?docuuid=126C5978-B42B-4C28-8D57- CBF8D523D818&plugid=/ingrid-group:ige-iplug-bw&docid=126C5978-B42B-4C28- 8D57-CBF8D523D818
*Zitat von Erich Limpach: https://gutezitate.com/autor/erich-limpach
*Silberfluss – So nennt die Autorin Agnes Günther in ihrem Roman „Die Heilige und ihr Narr“ die Jagst.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.100-todestag-von-agnes-guenther-das- auflagenwunder-der-pfarrersfrau.28e5ae57-6693-4690-8f8c-e0194fbb1e22.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Heilige_und_ihr_Narr
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