„Das M-Wort ist Geschichte?! – eine Kritik am vielgestaltigen Gebrauch und Verbleib eines rassistischen Begriffs als Teil der Erinnerungskultur in Schwäbisch Hall“ lautet der Titel der Bachelorarbeit von Sandra Neu-Neitzel. Die Bachelorarbeit hat Neitzel im Sommersemester 2021 an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg im Bachelorstudiengang Lehramt Sekundarstufe 1 eingereicht. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Einleitung der Arbeit und eine Begriffserklärung der Autorin zum Thema. Unten ist ein Link zur vollständigen Bachelorarbeit von Sandra Neu-Neitzel angehängt.
Von Sandra Neu-Neitzel, Schwäbisch Hall
Gebäude einer Apotheke in Schwäbisch Hall
In der Bachelorarbeit „Das M-Wort ist Geschichte?! – eine Kritik am vielgestaltigen Gebrauch und Verbleib eines rassistischen Begriffs als Teil der Erinnerungskultur in Schwäbisch Hall“ geht es um das Gebäude der ehemaligen „Mohren-Apotheke“, an dem der jetzige Besitzer in großen Lettern den Schriftzug „Haus des Mohren seit 1566“ angebracht hat, aber auch um die M-straße, die Biersorte und die namensgebende Schweinerasse. Auch die Figur am Haus ist nicht wertschätzend gemeint, wie das Infoschild glauben machen soll, im Gegenteil, sie entspricht der zeitgenössischen kolonialromantischen Werbeikonografie. Für viele schwarze Menschen ist ein derart ignoranter Umgang mit dem Wort und seinen Darstellungen verletzend und diskriminierend. Sie sehen aber uns Weiße in der Verantwortung und fordern mehr Einsatz und vor allem Einsicht von unserer Seite. Das ist meiner Ansicht nach richtig und längst überfällig. In meiner Arbeit habe ich das M-Wort etymologisch untersucht. Das Wort hat eine rassistische und kolonialistische Begriffsgeschichte und sollte dringend aus der Stadtlandschaft und auf Produkt-Etiketten verschwinden.
1 Einleitung
Die Stadt Schwäbisch Hall ist nicht nur durch die gleichnamige Bausparkasse überregional bekannt, ihr Reichtum an mittelalterlichen Gebäuden macht sie zu einem beliebten Touristenziel. Wie vielerorts wird auch in Schwäbisch Hall die Debatte um die Verwendung des M-Wortes und dessen Bedeutung leidenschaftlich geführt. Auf den Wunsch nach Umbenennung von M-Straßen und M-Apotheken reagiert eine große Mehrheit mit Unverständnis und argumentiert, das M-Wort sei keineswegs rassistisch, sondern drücke sogar Bewunderung aus, da es zum Beispiel auf katholische Heilige zurückgehe. Viele fühlen sich in ihrer Freiheit beschränkt, sagen zu dürfen, was sie möchten. Der Journalist und Autor Harald Martenstein drückt sich in seiner wöchentlich im „ZEITmagazin“ erscheinenden Kolumne folgendermaßen aus: „Welchen Beigeschmack ein Wort hat, hängt von der Einstellung der sprechenden Person ab.“ (1)
„Herabsetzung Schwarzer Menschen„
Diese Arbeit soll dies widerlegen und zeigen, dass die Verwendung des Begriffs gerade wegen der ihm eingeschriebenen Traditionen nicht weiter fortgeführt werden kann. Dies belegt die Begriffsgeschichte des M-Wortes, die eng verbunden ist mit dem Kolonialismus. Die europäische Expansion ging mit bis heute wirksamen Mechanismen der Herabsetzung Schwarzer Menschen einher (2).
Von der Versklavung der Kolonisierten profitiert
Kolonialgeschichte wurde in Deutschland lange Zeit verdrängt oder nur auf den kurzen Zeitraum von der „Kongo-Konferenz“ 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 bezogen, als Deutschland selbst eine Kolonialmacht war. Weniger bekannt ist, dass schon im 15. und 16. Jahrhundert deutsche Kaufleute, wie die Welser und Fugger als Finanziers und Unternehmer direkt von der Versklavung der Kolonisierten profitierten und an der Ausbeutung der neu „entdeckten“ Gebiete beteiligt waren (3).
In vielfältiger Weise im Stadtbild präsent
Das M-Wort ist in Schwäbisch Hall in vielfältiger Weise im Stadtbild präsent. An der ehemaligen M-Apotheke prangt seit 2014 die Aufschrift „Haus des M“, eingerahmt von zwei rassistisch klischeehaften M-Signets. Am selben Gebäude findet sich die Statuette eines M. Eingehende Recherchen zum M-Wort in Apothekennamen und führten zu einer These, die sich auf den kolonialen Handel stützt.
Durch Archivrecherchen, die allerdings coronabedingt erschwert wurden, konnten einige Lücken in der Geschichte der Apotheke und des Gebäudes geschlossen und fehlerhafte Angaben geklärt werden. Allerdings geht es nicht nur um die historische Genauigkeit, sondern auch darum, wer bisher Geschichte und ihre Narrative dominiert hat. Dieses Problem stellt sich auch beim Restaurant „M*köpfle“, dessen Name sich auf eine alte Schweinerasse bezieht. Ist diese „alte Tradition“ wirklich so wichtig, dass man an ihr festhalten muss?
Erinnerungskultur dekolonisieren
Am Schluss der Arbeit geht es – unter Bezugnahme auf postkoloniale Theorie – um konkrete Vorschläge und Ideen, an welchen Stellen und durch welche Maßnahmen Schwäbisch Hall seine Erinnerungskultur dekolonisieren kann.
2 Das M-Wort
Mithilfe der Etymologie und in Bezugnahme auf die Aspekte europäische Versklavung afrikanischer Menschen (4), Rassismus und Konsum sollen die in den Begriff eingeschriebenen Traditionen beleuchtet werden. Die folgenden Ausführungen legen dar, wie sehr das M-Wort in die deutsche Geschichte verwoben ist und wie sich die Bedeutung des Wortes mit dem Blick der Weißen auf Schwarze Menschen verändert hat. Die darauffolgende Darlegung der Verwendung des M-Wortes heute, zeigt auf, mit welchen Konnotationen der Begriff gegenwärtig verbunden wird.
Rassistische Fremdbezeichnung
In dieser Arbeit wird das M-Wort nicht ausgeschrieben, auch in direkten Zitaten wird es vermieden, da es sich um eine rassistische Fremdbezeichnung handelt, die nicht fortgeschrieben werden soll. Stattdessen wird es als M-Wort, M-Figur oder M* umschrieben. Ich halte mich hier an das Beispiel des BER (Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag) / (5) und beziehe mich auf Anti-Rassismus-Aktivist*innen, wie Tupoka Ogette (6) oder die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) / (7).
2.1 Etymologie
Als älteste deutsche Bezeichnung für Schwarze Menschen und People of Color geht das Wort ursprünglich auf das griechische >moros< zurück, das dumm, töricht, einfältig oder gottlos bedeutet und auf das lateinische Wort >maurus<, welches für afrikanisch, schwarz oder dunkel steht. Daraus wurde das althochdeutsche Wort >mor< abgeleitet, aus dem schließlich >M*< entstand (8).
Herabsetzend verwendet
Das M-Wort hatte bereits vor dem Zeitalter der Aufklärung und in der Frühaufklärung je nach Kontext negative Bedeutungen. Es war mehrdeutig und bot vielschichtige kulturelle, geografische und biblische Konnotationen (9). In der Literatur gab es jedoch „neben Beschreibungen von Schwarzen als Teufel und Ungestalten“ auch positive Bilder, wie die sakralen Darstellungen von Schwarzen Heiligen und Königinnen (Priesterkönig Johannes und Dreikönigsdarstellungen, Königin von Saaba, heiliger Mauritius, schwarze Madonnen), insofern diese „nicht mehr als das apodiktisch Fremde schlechthin, sondern als Teil der christlichen Welt“ erschienen (10). Es gibt aber auch Beispiele aus der religiösen Erbauungsliteratur, die zeigen, dass der Begriff herabsetzend verwendet wurde und M* (in der Rolle von Dienern) als lasterhaft, faul, rabenschwarz und ungehorsam charakterisiert wurden (11). // (…)
Link zur vollständigen Bachelor-Arbeit von Sandra Neu-Neitzel:
Im Text oben verwendete Quellen:
(1) Martenstein, Harald (2020): Über ein umstrittenes Wappen, den Umgang mit Klischees und die Message der Möhren. Online: https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/30/harald-martenstein-rassismus-wappen-umbenen-
nung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com (abgerufen am 9.03.2021)
(2) Die verwendeten Bezeichnungen Schwarze Menschen oder People of Color entstammen dem Selbstbezeichnungsprozess. >Schwarz< wird bewusst großgeschrieben, da es sich in diesem Fall nicht um ein Adjektiv für eine Farbe handelt, sondern Menschen bezeichnet, die mit Rassismus konfrontiert sind bzw. waren. People of Color (PoC) entstammt der Black-Power-Bewegung der 1960er Jahre und ist ebenfalls ein politisch geprägter
Begriff, der sich an alle Mitglieder rassifizierter und unterdrückter Minderheiten wendet. (vgl. Ogette, Tupoka (2020): Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Münster. S.77)
(3) Terkessidis, Mark (2019): Wessen Erinnerung zählt. Koloniale Vergangenheit und Rassismus heute. Hamburg. S.19
(4) Anstatt den Begriff >Sklaverei< zu verwenden, wird in der Bezeichnung „europäische Versklavung afrikanischer Menschen“ das Prozesshafte deutlich, die Akteure und Profiteure werden benannt. (vgl. Arndt (2012): Die 101 wichtigsten Fragen. Rassismus. München. S. 52
(5) Kopp, Christian / Aikins, Joshua Kwesi (2016): „Mohrenstraße“. Online: https://eineweltstadt.berlin/publikationen/stadtneulesen/mohrenstrasse/ (abgerufen am 1.03.2021)
(6) Ogette, Tupoka: exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen. Münster 2020. S.75
(7) Wamkow Jonas: Warum nicht Anton-W.-Amo-Straße? In: taz vom 17.08.2018. https://taz.de/Protest-gegen-Strassennamen-in-Berlin/!5525274/ (abgerufen am 1.03.2021)
(8) Vgl. Arndt / Hamann 2019, S. 649
(9) Vgl. Kuhlmann-Smirnov, Anne (2013): Schwarze Europäer im Alten Reich. Handel, Migration, Hof. Berlin. S. 93-94
(10) Vgl. ebd., S.96 f.
(11) Harsdörffer, Georg Philipp (1650): Nathan und Jotham: Das ist: Geistliche und Weltliche Lehrgedichte [in ger]. Endter, Nürnberg. Online: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/id/PPN790763141 (abgerufen am 14.04.2021)