Eine Woche lang streikten vor kurzem bundesweit SchülerInnen und Studierende, Azubis und teils sogar Lehrende. Sie standen unter anderem ein für eine bessere Finanzierung des Bildungssystems, kleinere Klassen, Bildungsgebührenfreiheit von der Kita bis zur Uni, aber auch für ein Mehr an demokratischer Mitbestimmung und Zurückdrängen wirtschaftlicher Interessen.
Kommentar von David Jäger, Student aus Gerabronn, einer der Streikaktivisten in Hohenlohe
60 Schüler aus Gerabronn und Crailsheim demonstrierten in Würzburg
Höhepunkt der Proteste waren Demonstrationen am Mittwoch, 17. Juni 2009 in mehr als 100 Städten mit über 270.000 Teilnehmern. Eine Delegation von 60 SchülerInnen aus Gerabronn und Crailsheim reiste nach Würzburg um sich den Demonstrationen anzuschließen. 5000 Demonstranten fanden sich nach Angaben der Veranstalter in der katholischen Beamtenstadt ein. Dabei kann die Gruppe Schüler aus der Region auf ihre Mobilisierungskräfte stolz sein. Bei einer Studentendichte von 30.000 und sicher ähnlich vielen Schülern in Würzburg ist die Unterstützung der Gerabronner Schule, prozentual gesehen, mit fast 60 Leuten ein großer Erfolg. Doch auch an den anderen Tagen kam es zu Aktionen. Provozierende Mobilisierungensaktionen in den Hörsäalen sorgten für Aufsehen, genauso wie Plakatierungsaktionen mit riesigen Bannern vom Dach des Gerabronner Schulgebäudes. In Würzburg gab es einen inszenierten Banküberfall, bei dem, natürlich symbolisch, das Geld zurückgeholt werden sollte, das den Banken in Krisenzeiten problemlos gewährt wurde, dem Bildungssystem aber fehlt. Den Abschluss der Bildungsstreikwoche bildete in Würzburg die Blockierung des Berliner Rings in einer Aktion des zivilen Ungehorsams.
Lokale Bündnisse prägten das bunte Bild
270.000 Protestierende auf den Straßen, die größte unabhängige Bildungsbewegung seit Jahrzehnten; demokratisch angelegt und durch eine Klammer gemeinsamer Forderungen für die öffentlichen Botschaften zusammengehalten. Nicht herausragende Wortführer, sondern lokale Bündnisse prägten das Bild der Bewegung. Es war ein Streik der vielen tausend Gesichter.
Umsoschwerer ist nachzuvollziehen wie es innerhalb der Politik zu keinen Reaktionen kommen kann – wie von Seiten der anscheinend völlig sprachlosen SPD. Oder ebenso zu Äußerung des Unverständnisses: Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, schrieb in der taz: „Es ist schwer nachzuvollziehen, wie manche Studierende und Professoren derzeit die eigene Hochschulbildung schlechtreden“. Auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) ließ sich nicht lange bitten und demonstrierte ihr Unverständnis für die Proteste, indem sie diese als „gestrig“ bezeichnete (siehe FAZ).
Nur kurzes Gespräch mit vier Kultusministern
Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) reagierte, ihrem eigenen Anspruch entgegen, völlig unverständlich. Ein Diskussionsgesuch der Studierenden und Schüler anlässlich ihrer Konferenz in Berlin wurde zunächst abgelehnt. Erst als der öffentliche Druck größer wurde, bot sie ein knappes Gespräch mit vier Kultusministern an. Man verständigte sich auf eine zu vereinbarende Kommunikation.
Insgesamt fällt auf, wie schwach die Verteidigung der bisherigen Bildungspolitik ist. Kein Politiker von Rang, kein Rektor, kein Professor konnte den Schmalspur-Bachelor noch ernsthaft verteidigen. Die glühendsten Verfechter der Bachelor- und Masterstudiengänge sind ganz leise geworden. Sie sehen offenbar, was damit angerichtet wurde. Kurzum: Der Bachelor in seiner bisherigen Form hat keinen öffentlichen Rückhalt mehr. Kaum ein Professor wird noch mit Überzeugung die Hand für einen sechssemestrigen, verschulten Bachelor heben, wenn eine Prüfungsordnung verabschiedet wird.
In vielen Bundesländern stehen die Hochschulen nach dem Bildungsstreik vor einer Revision, – die im Rahmen des Bologna-Prozesses erlaubt und angemessen ist. Ob die Landesregierungen jedoch die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen werden, steht allerdings in den Sternen. Die grundsätzliche Kritik am System Bologna wurde in der Öffentlichkeit kaum aufgegriffen. Dabei wird Bildung im Rahmen der Lissabon-Strategie auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit reduziert und im Rahmen des Gats-Abkommens nur noch als Dienstleistung aufgefasst.
Europa soll zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Und beim Bologna-Prozess stehen „arbeitsmarktrelevante Qualifikationen“ im Vordergrund.
Studierende und Schüler hingegen fordern eine Bildung, die demokratisch organisiert ist und den Menschen zu kritischem Urteilen befähigt. Dieser grundsätzliche Konflikt über das Verständnis von Bildung bleibt zwischen den Verantwortlichen in der Politik und den Streikenden unausgefochten. Der Bildungsstreik hat zwar Aufmerksamkeit erregt, doch die weltweite Ökonomisierung von Bildung schreitet weiter voran.
Konjunkturpaket und Bund-Länder-Pakt müsste Schülern und Studierenden helfen
Was also folgt aus dem Bildungsstreik? Nach dem großen Mobilisierungserfolg werden sich die Schüler und Studierenden nach den Sommerferien auf weitere gemeinsame Proteste verständigen. Denn eines ist klar: 28 Milliarden Euro durch das Konjunkturpaket und den Bund-Länder-Pakt für Bildung investieren, aber nichts für Schüler und Studierende tun, das geht jetzt nicht mehr.
Wie auch der Erfolg in Gerabronn zeigt, hat der gesellschaftspolitische Kampf um Bildung eine Chance. Ein europäischer Bildungsstreik 2010 könnte eine vielversprechende Perspektive sein.
Resümierend lässt sich sagen: Der Bildungsstreik war ein Erfolg. Es wurde deutlich gezeigt, wie groß die Unzufriedenheit mit den Zuständen im Bildungssystem ist und Forderungen für Verbesserungen in die Öffentlichkeit getragen. Dass die Umstellung auf die Studiengänge Bachelor und Master erstmals seit Jahren kritisch diskutiert wurde, gibt dem Protest und seinen Vertretern, auch innerhalb des Bildungsapparats, Rückhalt.
Links:
http://www.bildungsstreik.net/
Kontakt:
Claas Meyer
claas.meyer@uni-wuerzburg.de
0178 811 61 45
Julia Altenburger
burgino@gmx.net
0178 597 50 41
Lisa Thomas
listh@gmx.de
0163 634 77 44
Kontakt Gerabronn:
David Jäger
DavJaeg@aol.com
01512 4119788
Videos:
Exmatrikulator Würzburg
http://www.youtube.com/watch?v=yIUv3Yijrr4
Beerdigung der Bildung
http://www.youtube.com/watch?v=-cKfUUsPmWc
Bildungsstreik
http://www.youtube.com/watch?v=8FCP7ZwmL60
http://www.youtube.com/watch?v=jZxxxgmSl-w
Ein kleine Ergänzung hierzu: Am 1. Juli 2009 hat der Fachbereichsrat des Fachbereichs 3 (Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften) der Universität Siegen beschlossen, sich mit seinen Fächern künftig nicht mehr am Ranking des von der Firma Bertelsmann gegründeten CHE (Centrum für Hochschulentwicklung gGmbH) zu beteiligen.
http://www.uni-siegen.de/fb3/home/che-ranking/?lang=de