Gedanken zum Zeitungsstreik hat sich der Stuttgarter Journalist Joe Bauer gemacht. Bei einer Veranstaltung in Stuttgart hat er vor Kurzem eine Rede gehalten. Sie ist mit dem Datum 12. März 2018 als 1918. Depesche auf Joe Bauers Internetseite zu finden. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht die Rede in voller Länge.
Rede des Journalisten Joe Bauer beim Zeitungsstreik in Stuttgart
Gedanken zum Zeitungsstreik
Seit Freitag sind Journalistinnen und Journalisten von Tageszeitungen im Streik, der zumindest bis morgen, Dienstag, fortgesetzt wird. Die Arbeitgeberseite bietet Angestellten 0,9 Prozent mehr Gehalt – das ist weit unter der Inflationsrate und wird von uns als Provokation empfunden. Wir fordern 4, 5 Prozent und bessere Bezahlung von Freien und Berufseinsteigern. Am Montag fand auf dem Schlossplatz anlässlich der Tarifverhandlungen im benachbarten Restaurant Alte Kanzlei eine Kundgebung der Streikenden statt. Beteiligt waren erfreulich viele KollegInnen aus Baden-Württemberg und Hessen. Hier mein kurzer Redebeitrag:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
eigentlich hatte ich nicht vor, heute hier etwas zu sagen (ich bin ja fast schon raus aus Altersgründen). Dann aber haben mir bei unserer Streikversammlung in Hoffeld die Bemerkungen zu den Bedenken in unseren Reihen gegenüber unserem Arbeitskampf keine Ruhe gelassen. Ich will kurz an unseren mehr als 30 Tage dauernden Streik vom Sommer 2011 erinnern: Es war für viele von uns damals wirklich hart, nervenaufreibend und auch nicht risikolos, so lange durchzuhalten. Aber im Lauf des Streiks hat uns eine neue, vorher unbekannte Stimmung motiviert: Die meisten von uns haben nach und nach gespürt, was Solidarität bewirken kann. Was möglich wird, wenn wir uns für eine gerechte Sache zusammenraufen – und uns mit Fantasie und Freude an der gemeinsamen Aktion gegen die vermeintlich übermächtigen Gegner, nämlich die Arbeitgeber, zur Wehr setzen. Wenn wir ihnen zeigen, dass ein Streik alles andere ist als Nichtstun – dass Streik eine Demonstration unserer Courage und unserer Fähigkeiten ist.
Es geht ums Tun und nicht ums Siegen
Wir haben in Hoffeld gehört, dass einige die Frage stellen: Lohnt sich denn ein Streik überhaupt? Ist es uns wert, für womöglich zu wenige Prozente oder ein paar Promille mehr Gehalt die Arbeit niederzulegen – und uns diesem psychischen Stress auszusetzen. Liebe Kolleginnen & Kollegen, der Liedermacher Konstantin Wecker hat mal eine Songzeile zum Sinn des Protests geschrieben, die ich mir trotz seiner Neigung zum Pathos gemerkt habe. Sie lautet: Es geht ums Tun und nicht ums Siegen. Das bedeutet: Der Gedanke an das Ergebnis darf nicht wichtiger sein als die demokratische Pflicht, uns zu wehren und zu fordern, was uns zusteht.
Nicht über den Tisch ziehen lassen
Mir ist klar, dass man mit Konstantin Weckers Zeile beim Motivieren und Mobilisieren nicht unbedingt Hurra-Schreie erntet. Aber klar muss auch sein: Ohne etwas zu tun, kannst du nicht siegen. Und wenn wir nichts tun, genießen wir keinerlei Respekt beim Gegner. Dann ziehen sie uns nach Belieben über den Tisch. Deshalb: Es geht ums Tun, wenn man siegen will. Ich weiß, dass einige von uns generell und oft verallgemeinernd nicht gut auf „die“ Gewerkschaft zu sprechen sind. Dazu muss ich sagen: Es gibt Gewerkschaften, die Fehler machen – wie wir –, aber für diese Gewerkschaften arbeiten an der Basis Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die sich bis an die Grenze ihrer Kraft für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also für uns, verausgaben.
Unsere Organisationen stärken
Und speziell in unserer Gegenwart, in der uns vermutlich die härtesten politischen Auseinandersetzungen seit Jahrzehnten drohen, müssen wir unsere Organisationen stärken. Wir erleben zurzeit die Auswüchse des Neoliberalismus, wir sehen, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht – und wir begegnen einem bedrohlichen, einem gefährlichen Rechtsruck. In unserem Landtag da unten stellt die AfD mehr Abgeordnete als die SPD. Das ist unser Alltag vor der Haustür.
Wir brauchen starke demokratische Bündnisse
Jetzt kann man fragen: Was hat das mit unserem Arbeitskampf zu tun? Ich denke: Gerade heute brauchen wir starke demokratische Bündnisse, um die Angriffe auf unsere Rechte und Freiheiten zu stoppen, um uns gegen den Abbau sozialer Errungenschaften zu wehren. Viele unserer Rechte – auch das Streikrecht – wurden in der Vergangenheit durch solidarische Aktionen erkämpft.
Besonders aggressiver Standortnationalismus
Schon vor zehn Jahren hat der Armutsforscher Christoph Butterwege gewarnt: Wenn sich der Neoliberalismus mit dem Nationalkonservatismus verbindet, dann „resultiert daraus ein besonders aggressiver Standortnationalismus, der als politisch-ideologische Steilvorlage für den Rechtsextremismus wirkt“. Heute wissen wir, dass er Recht hatte. Und um dagegenzuhalten, brauchen wir starke Gewerkschaften, vor allem jetzt, da Rechtsextremisten bereits eigene Betriebsräte in ihren Scheingewerkschaften in Unternehmen wie Daimler platzieren. Jeder Arbeitskampf hat deshalb eine politische, eine demokratische Bedeutung.
Mit dieser Haltung können wir auch siegen
Es geht um noch mehr als eine gerechte Gehaltserhöhung und angemessene Bezahlung für Menschen in einem Beruf, der bei der Verteidigung der Demokratie eine wichtige Rolle spielen muss. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf niemals das Argument gelten, ein Streik lohne sich nicht, weil zu wenig Kohle rüberkommen könnte. Wir dürfen doch nicht ein Spiel aus der Hand geben, bevor wir auf den Platz gehen. Heute stehen wir bereits hier gemeinsam auf unserem Platz, und wir in Stuttgart und in weiter Umgebung haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir kämpfen können.
Deshalb: Es geht ums Tun – und nur mit dieser Haltung können wir auch siegen.
Die Rede auf der Internetseite von Joe Bauer:
http://www.flaneursalon.de/de/depeschen.php?sel=20180312
Weitere Informationen im Internet über Joe Bauer:
http://www.joebauer.de/de/portrait.php