Udo Grausam, Kulturwissenschaftler aus Tübingen, hat die Lebensgeschichte einer Hohenloherin erforscht, die 1943 im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz gestorben ist. Für den Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar 2016 veröffentlicht Hohenlohe-ungefiltert die Lebensskizze von Sofie Schneck aus Bretzfeld-Dimbach in voller Länge.
Von Udo Grausam, Kulturwissenschaftler, Tübingen
Lebensskizze von Sofie Schneck:
Sofie Schneck, verwitwete Schneck, geboren am 31. August 1890 in Dimbach (heute bei der Gemeinde Bretzfeld, Hohenlohekreis, Baden-Württemberg). Im „Gedenkbuch“ von 1993 steht über sie: Häftlings-Nummer: Z-3618, Häftlings-Art: „Z.D.“ (=deutsche Zigeunerin), Name: Schneck, Vorname: Sophie, Geburtsdatum: 31.8.90, Geburtsort: Dimbach, Bemerkungstext: gestorben, Bemerkungsdatum: 3.9.43.
Im Armenhaus zur Welt gekommen
Die Geburt von „Sofie“ Schneck am 31. August 1890 steht im Geburtenregister von Dimbach eingetragen. Ihre Mutter hieß Amalia (oder Amalie) Friederike Mettbach, genannt Cäcilie, war von Beruf Schirmmacherin, katholisch und ledig und stammte aus Nordhausen „in Preußen“. Laut Eintrag brachte sie ihre Tochter Sofie „im Armenhaus“ von Dimbach zur Welt. Im Geburtenregister ist beigeschrieben, dass Cäcilie Mettbach am 9. November 1891 in Pfedelbach den Steinschläger Johann Schneck heiratete.
Sofie Schneck, geboren in Dimbach (heute Gemeinde Bretzfeld im Hohenlohekreis)
Dienstmagd und Händlerin
In Unterlagen aus den 1930er Jahren steht, dass Sofie in Ehrenstein bei Ulm sechs Jahre lang zur Schule ging. Sie war die ältere Schwester von Paula Schneck, die 1907 in Bitzfeld geboren wurde, als Sofie 17 Jahre alt war. Sofie Schneck war Dienstmagd und Händlerin. Sie brachte 1913 in Pfedelbach ihr erstes Kind zur Welt, ihren Sohn Johann. Wilhelm Schneck aus Gründelhardt, geboren am 2. Juni 1894 in Spaichbühl, von Beruf Händler, erkannte am 11. September 1915 die Vaterschaft über Johann an. Sofie und Wilhelm heirateten am 29. Oktober 1915 in Stuppach. In den zeitgenössischen Unterlagen ist Wilhelm Schneck als „einmarschiert“ bezeichnet, das heißt er tat als Soldat Dienst. Die Heirat in Stuppach fand vermutlich während eines Urlaubs vom Dienst statt.
Unterlagen im Gemeindearchiv Kupferzell
Die Namensgleichheit der Brautleute erklärt sich wie folgt: Wilhelm Schneck war ein ‚Großcousin‘ von Sofie Schneck. Der Vater von Sofies Vater Johann, der Großvater Paul, hatte eine Schwester Magdalene Friederike, deren Sohn Heinrich der Vater von Sofies Bräutigam Wilhelm war. Am 15. Juli 1916 bekam Johann eine Schwester Amalie, die in Weikersheim geboren wurde. 1917 zog die Mutter Sofie Schneck mit ihrer Familie aus Pfedelbach nach Kupferzell um, wo ihr Sohn Johann in den folgenden Jahren zur Schule ging. Im Gemeindearchiv von Kupferzell gibt es Unterlagen über Sofie Schneck und ihre Familie.
Geburt der Tochter Wilhelmine
Der Vater der beiden Kinder Wilhelm Schneck starb am 13. Februar 1919 in einem Lazarett in Würzburg. Offenbar starb er an einer Verwundung oder Erkrankung, die er als Soldat erlitten hatte. Seine Witwe erhielt als Kriegshinterbliebene später staatliche Unterstützung. 1920 gebar Sofie Schneck in Winzenhofen nahe Adelsheim, damals in Baden, heute zur Gemeinde Schöntal im Hohenlohekreis gehörend, ihre Tochter Wilhelmine. Einer der jüngeren Brüder von Sofie, der Händler Philipp Schneck, zeigte die Geburt dem Standesamt an. Die Geschwister wohnten damals in Kupferzell und waren auf der Durchreise in Winzenhofen.
Mehrere Delikte wurden angezeigt
Sofie Schneck fiel in den 1920er Jahren in Nordwürttemberg, Nordbaden und in Mittelfranken offenbar mehrfach den Landjägern oder Gendarmen oder anderen Behördenvertretern auf, von denen sie wegen „unerlaubten Umherziehens in Horden“, „Landstreicherei“, „Bettels“ und anderer Delikte angezeigt und mit Strafen belegt wurde. Die Strafen, meist Geldstrafen oder ersatzweise wenige Tage Haft, wurden ins Strafregister von Sofie Schneck eingetragen, das in Heilbronn am Neckar beim Landgericht geführt wurde. Mitnotiert sind die damaligen Amtsgerichtsstädte bzw. Kreisverwaltungssitze von Nordbaden bis Mittelfranken, wo die Behörden diese Strafen ausgesprochen hatten. Vermutlich war Sofie Schneck dort unterwegs gewesen, um nach Arbeit und Auskommen zu suchen. Sie hat vermutlich so in den zwanziger Jahren, der Zeit der Weltwirtschaftskrise, noch innerhalb der agrarischen Umgebung ihrer Geburtsregion ihr Leben zu fristen und ihre Kinder zu ernähren versucht. Vielleicht hat sie wie anderen Sinti-Familien aus der Gegend im Sommer bei den Ernten auf den größeren, herrschaftlichen landwirtschaftlichen Domänen im Zabergäu geholfen oder sich im Herbst und Frühling aushilfsweise bei den kleineren Bauern von Hohenlohe als Dienstmagd verdingt; möglicherweise arbeitete sie während des Sommers auch im Straßenbau für die Gemeinden der Gegend, dann aber in größeren Gruppen von Arbeiterinnen und Arbeitern.
Umzug nach Köln
Die Familie wohnte später in Niedernhall, wo die Tochter Wilhelmine zur Schule ging. Mitte der 1930er Jahre zog Sofie Schneck mit ihrem Vater Johann, möglicherweise auch noch mit ihrer Mutter Cäcilie, und mit ihren Kindern nach Köln um. Auch ihr Bruder Philipp zog nach Köln um. Ob die Familie auf der Suche nach einem besseren Auskommen umzog, oder man dem erstarkenden Nationalsozialismus auswich, muss offen bleiben. In Köln wohnte Sofie Schneck in der Kämmergasse 14. Ihr Sohn Johann wurde Musiker; er spielte Saxophon und Schlagzeug. Er hatte ein festes Engagement in einem Kölner Tanzlokal und trat nebenher mit einer eigenen Gruppe auf. Zeitweise arbeitete er auch auf dem Bau oder für Schrotthändler. Die Tochter Wilhelmine arbeitete in einer Brauerei, ihr Ehemann, den sie 1941 heiratete, war Eisenbieger und Eisenflechter und Hilfsarbeiter; er trug wie der Mann der Schwester Amalie den Familiennamen Kreuz. Amalie ließ sich mit ihrer Familie in Wiesbaden nieder.
Amalie gebar einen Sohn
In dieser Zeit wurde Sofie Schneck Großmutter. Ihre Tochter Amalie brachte am 20. März 1933 in Zipplingen ihren Sohn Karl zur Welt. Ihr Sohn und der Enkel Adalbert kam am 20. März [so] 1935 in Köln zur Welt. Sofies Enkelin Mariette wurde am 15. April 1938 in Köln geboren.
Staatliche Rente bezogen
Am 22. März 1938 wurde die Großmutter Sofie Schneck in Köln von den nationalsozialistischen „Rasseforschern“ „rassenanthropologisch“ erfasst. Sie wurde anthropologisch vermessen und es wurde eine so genannte „Messkartei“-Karte über sie angelegt, die im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde erhalten ist. Drei ebenfalls erhaltene Fotos bei den Unterlagen waren vermutlich bereits während eines früheren Aufenthalts vom Bezirksamt Mosbach in Baden angefertigt worden, gelangten aber mit zu den Unterlagen der „Rasseforscher“. Laut Eintrag in der „Messkartei“-Karte bezog Sofie Schneck 1938 als Kriegshinterbliebene eine staatliche Rente. Laut Eintrag war Sofie Schneck Mitglied in der NS-Frauenschaft. Sie habe seit immer in festem Wohnsitz in Pfedelbach, Kupferzell, Niedernhall und Köln gewohnt. Laut der „Messkartei“-Karte hat sie drei Kinder geboren, einen Sohn und zwei Töchter: es lebten 1938 alle drei, so ist notiert.
Nach Auschwitz deportiert
Die Tochter Wilhelmine gebar 1939 in Köln ihren Sohn Manfred, 1942 den Sohn Emanuel und am 17. März 1943 Johann. Sofie Schneck hat diese letzte Geburt nicht mehr selbst erlebt, weil sie eine Woche zuvor, am 11. März 1943, aus Köln nach Auschwitz deportiert wurde. Wilhelmine und ihre Familie wurden zunächst nicht deportiert.
Meldungen und Hinweise gesammelt
Seit Dezember 1938 hatte die damalige „Kriminalpolizeileitstelle“ Köln, von jedem, der in der Stadt Köln lebenden Sinto oder Rom eine sogenannte „Zigeunerakte“ angelegt. Dies traf auch alle anderen Sinti und Roma im „Deutschen Reich“, z. B. auch die württembergisch-hohenzollerischen Sinti und Roma, die von der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart erfasst wurden. Dazu wurde ein vorgedruckter Fragebogen zur Person ausgefüllt und es wurden Fotos der Person gesammelt und eingefügt; entweder vorhandene private oder vom Erkennungsdienst der Kripo angefertigte. Außerdem wurden von den Polizeirevieren der Stadt oder der Gemeinde und anderen mit diesen Personen befassten Ämtern Meldungen und Hinweise gesammelt.
Strafregisterauszug
Auch korrespondierte die Kölner „Dienststelle für Zigeunerfragen“ mit den Geburtsgemeinden der außerhalb von Köln geborenen Sinti und Roma, so z. B. über Sofie Schnecks Sohn Johann mit der Gemeindeverwaltung von Pfedelbach im damals neu geschaffenen Kreis Öhringen. Die „Dienststelle“ in Köln forderte eine Geburtsurkunde von Johann an – und erhielt sie. Außerdem holte die „Dienststelle“ einen Strafregisterauszug vom zuständigen Staatsanwalt bzw. Landgericht ein, der ebenfalls in die „Zigeunerakte“ aufgenommen wurde.
Akte mit der Signatur BR 2034 Nr. 1194
Sofie Schneck ist in den Unterlagen zu ihrem Sohn Johann Schneck in den Akten der „damaligen „Kriminalpolizeistelle Köln“ bzw. deren „Dienststelle für Zigeunerfragen“ erwähnt. Die Akte befindet sich heute im Bestand des Polizeipräsidiums Köln im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, am Archivort Duisburg, und hat die Signatur BR 2034 Nr. 1194. Sie ist einer der wenigen aus der Nazi-Zeit erhaltenen Original-Akten, aus der die staatliche Verfolgung der Sinti und Roma aus Württemberg-Hohenzollern ersehen werden kann. Die von der KPLST Stuttgart geführten „Zigeunerakten“ wurden bei Kriegsende zerstört, die Akten von Köln blieben erhalten.
Hungertyphus
Bereits Mitte 1938 wurde aus Köln Sofie Schnecks Schwager Theodor Dreschner, der Ehemann ihrer jüngeren Schwester Pauline oder Paula, die 1907 in Bitzfeld geboren worden war, in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Im Mai 1940 wurde dann ein Bruder von Sofie, Philipp, mit seiner Familie in das „Generalgouvernement“ deportiert, wo die Familie Zwangsarbeit leisten musste und zusammen mit Juden in Ghettos festgehalten wurde. Die Kriminalpolizei von Köln drohte den Deportierten, dass sie, wenn sie eigenmächtig nach Köln zurückkehrten, in ein Konzentrationslager eingewiesen würden! Im „Generalgouvernement“ starben später, im Ghetto von Siedlce, Söhne von Theodor Dreschner am Hungertyphus oder sie wurden erschossen.
„Gemischrassisches Paar“
Sofie Schneck bekam 1941 noch in Köln von ihrem Sohn Johann einen Enkel mit dem Namen Hans Dieter. Seine Mutter war eine Frau, die den Nationalsozialisten als „deutschblütig“ galt. Seit der Geburt wurden Johann und Gertrud von den NS-Behörden als ‚gemischrassisches‘ Paar beargwöhnt, und von Berlin aus regierten das Reichsgesundheitsamt, das Reichsinnenministerium und das Reichskriminalpolizeiamt in die Beziehung hinein.
Geheime Staatspolizei-Staatspolizeileitstelle Köln, Fernschreibstelle:
Ein Dokument der Verfolgung und des Schicksals von Sofie Schneck stellt folgendes Fernschreiben des Reichskriminalpolizeiamts Berlin an die Kriminalpolizeileitstelle Köln von 1943 dar, das in Johann Schnecks „Zigeunerakte“ erhalten geblieben ist:
„Geheime Staatspolizei -Staatspolizeileitstelle Köln
Fernschreibstelle
Aufgenommen Befördert Raum für Eingangsstempel
Tagstempel: Uhrzeit: Kriminalpolizeileitstelle Köln Kriminalpolizeileitstelle Köln
6.3. 43 10.50 7. MRZ. 1943 6. MRZ. 1943
Durch [unleserlich, UG] 13. K. 13. K. [Handzeichen „Waj.“, UG]
Fernschreib-Nr. Verbleib: (Abteilung)
2382 Kripo
++ Reichskriminalpolizeiamt FS [Fernschreiben] Nr. 2309 63.43 1055 =Fl.=
Kriminalpolizeileitstelle – Dienststelle für Zig[euner]fragen.-
Koeln.–
– Betr.: Johann S c h n e c k, geb. 16.9.1913 Pfedelbach,
und Sofoe [so] S c h n e c k, geb. Schneck, geb. 31.8.1890
Dimbach.—
Bez.: Schreiben vom 1.3.43. – Tgb. Nr. 1194 Zig.—
Unter Beruecksichtigung der zahlreichen Vorstrafen ist Einweisung der Sofie und des Johann
S c h n e c k in Konzentrationslager erforderlich. —
Reichskriminalpolizeiamt – A 2 B – I. A. gez. Otto. Krim. Rat.+
13.K. Köln, den 7.3.1943.
1.) fernmündlich voraus an 11.K.
Erl. Lu.
2.) U.
Dem 11. K.-Dienststelle für Zig.Fragen –
übersandt.
[Unterschrift, unleserlich, UG]“
Verstoß gegen Erlass
Diese Begründung für die Verschleppung von Sofie und Johann Schneck nach Auschwitz verstößt tatsächlich gegen den „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“, vom 14.12. 1937“-Erlass der Nationalsozialisten. Denn die Einträge ins Strafregister von Sofie Schneck unterschreiten die Strafdauer und die Deliktart, die vom „Vorbeugehaft“-Erlass als Mindestbedingungen für die Haft formuliert wurden. Die erste und höchste Strafe wegen Betrugs von 1918 war vier Monate Gefängnis gewesen, spätere Strafen waren von geringerer Dauer und hatten andere Gründe. Auch waren in den letzten fünf Jahren vor 1943 keine Strafen erfolgt. Die älteren Strafen waren 1943 zwar längst gesühnt aber offenbar nicht aus dem Strafregister gelöscht worden. Heute gelten die Delikte von Sofie Schneck als Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikte. Dieselbe Behauptung in dem Telegramm über die angeblich „zahlreichen“ Vorstrafen ihres Sohnes Johann war ebenfalls falsch.
Eigenmächtig und willkürlich
Das entsprechende, oben zitierte Fernschreiben aus Berlin, beugte das eigene Nazi-Unrecht eigenmächtig und willkürlich. Die Kripo von Köln nahm die Anordnung jedoch zum Anlass, Sofie Schneck und ihren Sohn Johann zu der Deportation der anderen Kölner Sinti und Roma nach Auschwitz hinzu zu nehmen und sie gemeinsam zu verschleppen. Sofie Schneck ist fünf Tage nach Eingang dieses Fernschreibens, am 11. März 1943, mit ihrem Sohn Johann und ihrer Tochter Amalie von Köln nach Auschwitz deportiert worden. Nach drei Tagen Fahrt wurden am 14. März 1943 im Konzentrationslager Auschwitz an diesem Tag 966 Deportierte registriert, darunter 82 aus Köln, Bonn und Bad Kreuznach. Dies waren Städte aus dem Bereich der Kriminalpolizeileitstelle Köln, die für die Deportation der Sinti und Roma von dort verantwortlich war. (Siehe Karola Fings/Frank Sparing 2005, S. 307). Die Mitglieder der Familie Schneck müssen bei diesen 82 gewesen sein. In Auschwitz erhielt Sofie Schneck die Nummer Z-3618 zwangstätowiert und Amalie die Nummer Z-3616 nach der Zählung für die Frauen, und Johann die Nummer Z-3219 nach der Zählung für die Männer. Über ihr Schicksal im Vernichtungslager ist nur wenig bekannt. Unterlagen außerhalb der historischen Häftlingsliste, dem „Hauptbuch Frauen des Lagers BIIe“, das im „Gedenkbuch“ 1993 veröffentlicht wurde, fehlen.
Bombenopfer
Ob Sofie, Johann und Amalie noch erfahren haben, dass Johann, der Vater und Großvater, und Wilhelmine, die Tochter und Schwester, in Köln am 29. Juni 1943 durch einen Bombenangriff der Alliierten ums Leben kam? Mit ihnen starben Wilhelmines Mann und ihre drei Buben. Die Kriegsopfer der hohenloher Familie Schneck wurden als deutsche Bombenopfer auf zwei Kölner Friedhöfen bestattet und ihre Namen finden sich noch heute in den Friedhofslisten der Stadt.
Sofie Schneck wurde 53 Jahre alt
Sofie Schneck starb am 3. September 1943, so ist es ins Hauptbuch Frauen des Lagers B II e in Auschwitz-Birkenau eingetragen worden. Später bestätigte das Sonderstandesamt Bad Arolsen den Tod von Sofie Schneck in Auschwitz am 3. September 1943 und beurkundete den Todesfall neu unter der Nr. 403/1958. In Sofie Schnecks Geburtenregistereintrag von Dimbach lautet der Hinweis mit der Namensangabe „Sofie Schneck geb. Schneck“: „Verstorben am 3.9. 1943 [so] in Auschwitz wurde beim Sonderstandesamt Arolsen Kreis Waldeck unter Nr. 403 Abt. A Jahrgang 1958 neu beurkundet […]“. Dieser Eintrag ist undatiert, stammt offenbar von 1958 oder später. Es ist im Standesamt von Dimbach bzw. Bretzfeld offenbar auch eine Unterlage im Familienregister erhalten. Sofie Schneck wurde 53 Jahre alt.
Toterklärung
In der Internet-Datenbank „auschwitz.org.pl“ steht „Amalia Kreutz“, geboren am 15. Juli 1916, als Häftling verzeichnet. Nach den Angaben dort musste sie die Nummer Z-3616 tragen. Sie ist also höchstwahrscheinlich identisch mit der in den Kölner Akten geführten Amalie Schneck verheiratete Kreuz, der Tochter von Sofie Schneck. „Amalia“ Frauen wurde am 14. März 1943 nach Auschwitz-Birkenau ins Lager B II e eingewiesen. Laut dem Gedenkbuch starben Amalia Kreutz/Amalie Kreuz aus Weilersheim/Weikersheim und Sofie Schneck aus Dimbach, Tochter und Mutter, in Auschwitz-Birkenau am selben Tag, am 3. September 1943. Im Geburtenregister von Weikersheim ist mit einem abweichenden Todesdatum für Amalie der gerichtliche Beschluss zur Toterklärung vom Amalie Kreuz mit Datum 21. September 1950 eingetragen: demnach starb sie am 5. August 1943. Musste der Sohn und Bruder Johann Schneck in Birkenau miterleben, wie seine Mutter und Schwester am selben Tag starben? Oder starb erst Amalie und dann seine Mutter?
Eidesstattliche Versicherung
Das Staatsarchiv Ludwigsburg hat im Bestand des Landesamtes für die Wiedergutmachung Stuttgart eine Einzelfallakte aus einem Entschädigungsverfahren für Amalie Kreuz geb. Schneck (Signatur EL 350 I Bü. 50463). Darin findet sich die Eidesstattliche Versicherung durch Johann Schneck, Händler in Karlsruhe, vor dem Notariat 5 in Karlsruhe, am 25. November 1964:
An Entkräftung gestorben
„Ich, Johann Schneck, habe selbst gesehen, daß meine Schwester Amalie Kreuz geb. Schneck geb. am 15.7. 1916 in Weickersheim [richtig ist: Weikersheim, UG] im Jahre 1943 im KZ-Auschwitz an Entkräftung gestorben ist. Monat und Tag des Todes sind mir nicht bekannt. Ich versichere die Richtigkeit meiner vorstehenden Angaben hiermit an Eidesstatt [so, UG] gegenüber allen Dienststelle und Behörden, die es angeht“ (Staatsarchiv Ludwigsburg, Bestand EL 350 I, Bü. 50463, Blatt 1 und 2).
KZ Bergen-Belsen
Der Bruder Johann Schneck entging der ihm von den Nationalsozialisten zugedachten Vernichtung. In einer Liste von ehemaligen Häftlingen des befreiten KZ Bergen-Belsen ist er am 2. Oktober 1945 als Überlebender genannt. Nach seiner Befreiung durch die Alliierten heiratete er am 16. Oktober 1945 in Norddeutschland die ebenfalls verfolgte überlebende Leopoldine Krems aus Österreich.
Zuerst keine Entschädigung
Er erhielt keine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz von 1954. Sein erlittener Schaden an Freiheit durch die Haft in den KZs Auschwitz, Buchenwald und Bergen-Belsen und der Schaden am beruflichen bzw. wirtschaftlichen Fortkommen, durch den Entzug der Arbeit als Musiker, blieben zu seinen Lebzeiten unabgegolten, sein gesetzlicher Anspruch blieb unerfüllt.
Erst 1989 Entschädigung gezahlt
Johann Schneck starb 1976 in Freiburg im Breisgau. Erst lange nach seinem Tod erhielten seine verwitwete Ehefrau und seine Kinder für seinen Schaden an Freiheit und am wirtschaftlichen Fortkommen doch noch eine Entschädigung. Da hieß die Entschädigungsbehörde von Baden-Württemberg längst „Landesamt für Besoldung und Versorgung“, und die Auszahlung des Betrages erfolgte schließlich am 2. November 1989[!].
Keine Witwenrente
Die Ludwigsburger Akte über die Entschädigung von Herrn Schneck schließt mit einem Briefwechsel aus dem Jahr 1995. Damals erkundigte sich seine Witwe bescheiden, ob eine Witwenrente an sie gezahlt werden könne. Das Landesamt lehnte bedauernd ab: Denn dies sei von einer zuvor erfolgten Entschädigung eines Körper- und Gesundheitsschadens bei Johann Schneck abhängig und vom Erweis eines solchen Schadens durch Dokumente in der Akte bzw. im Verfahren. Diese Dokumente fehlten aber in den Unterlagen von Johann Schneck. Außerdem, so teilte das Landesamt mit, hätte der Antrag auf Witwenrente im ersten halben Jahr nach dem Tod des Ehemannes 1976 gestellt werden müssen.
Öffentlicher Vortrag in der Realschule Pfedelbach
Der 1941 in Köln geborene Sohn von Johann Schneck und Enkel von Sofie Schneck besuchte im September 2013 die Gemeinde Pfedelbach im Hohenlohekreis, den Geburtsort seines Vaters, und erzählte in einem öffentlichen Vortrag in der Realschule von seinem Leben als Sohn eines Sinto – und als Enkel von Sofie Schneck.
Einer der Hauptverantwortlichen für die Verschleppung von Sinti und Roma
Noch ein Wort zu der Textzeile „Reichskriminalpolizeiamt – A 2 B – I. A. gez. Otto. Krim. Rat.“ aus dem oben zitierten Fernschreiben von Berlin nach Köln vom 6. bzw. 7. März 1943. Der Kriminalrat Johannes Otto vom Reichskriminalpolizeiamt in Berlin war in der NS-Diktatur einer der Hauptverantwortlichen für die Verschleppung von Sinti und Roma in die Konzentrations- und Vernichtungslager. In der Bundesrepublik wurde Anfang der 1960er Jahre in Köln ein Strafprozess gegen ihn und andere dafür Verantwortliche eröffnet.
Katrin Seybold schrieb 2005 über das Kölner Verfahren:
„Es wurde gegen 58 Personen Anklage erhoben, gegen ehemalige Angehörige des Reichssicherheitshauptamtes, insbesondere des Reichskriminalpolizeiamtes, des Reichsinnenministeriums, der Rassenhygienischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes in Berlin-Dahlem, des Kriminalbiologischen Institutes des RKPA sowie Kriminalbeamter der örtlichen Dienststellen. Das Gericht verfügte die Einstellung des Verfahrens bei 57 der 58 Beschuldigten, bei 20 Beschuldigten, weil die Strafverfolgung verjährt war, und bei 37 Beschuldigten, weil keine strafbare Handlung festgestellt werden konnte. Ein Einziger, Johannes Otto, Kriminalrat in der Reichszentrale für das Zigeunerunwesen im Reichssicherheitshauptamt (richtig: Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens, UG) sollte zur Verantwortung gezogen werden. Nach dem Krieg war Otto Kriminaloberrat und Leiter der Kriminalpolizei Recklinghausen geworden. Dem Verfahren entzog er sich durch Selbstmord.“
Quellen:
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R 165/5 Nr. 569; R 165/13 3041 u. Nr. 569; R 165/57 keine Blattnummer; R 165/138 Blatt 47.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Bestand BR 2034, Polizeipräsidium Köln, Nr. 1194 zu Johann Schneck. Darin ist seine Mutter Sofie Schneck mehrfach erwähnt.
Gemeindearchiv Kupferzell, Büschel A 563, A 850.
Staatsarchiv Ludwigsburg, Bestand FL 300/33 I, Bü. 13943.
Staatsarchiv Ludwigsburg, Neuzugang am 20.10. 2011, vom Landesamt für Besoldung und Versorgung Fellbach, Akte ES 3201 zu Johann Schneck, geb. am 16.09. 1913.
Staatsarchiv Ludwigsburg, Bestand EL 350 I, Bü. 50463. Über Amalie Kreuz geborene Schneck.
Sonderstandesamt Bad Arolsen, Auskunft vom 01.04. 2010.
Standesamt der Gemeinde Bretzfeld, Auskunft vom 08.10. 2009. Kopie des Geburtenregistereintrags Nr. 9/1890 Standesamt Dimbach.
Standesamt der Gemeinde Pfedelbach, Auskunft vom 21.01. 2010. Kopie des Heiratsbuches vom 09.11. 1891, zur Eheschließung von Johann Schneck und Amalia oder Amalie genannt Cäcilie geborener Mettbach.
Internationaler Suchdienst Bad Arolsen, Auskunft vom 12.07. 2010.
NS-Dokumentationszentrum Köln, Auskunft vom 30.04. 2010.
„Grundlegender Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“, Pol. S-Kr. 3 Nr. 1682/37 – 2098 – vom 14.12. 1937. In: Sammlung der auf dem Gebiete der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung ergangenen Erlasse und sonstigen Bestimmungen. Bearbeitet von SS-Hauptsturmführer Kriminalrat Richrath im Reichssicherheitshauptamt. Herausgegeben vom Reichssicherheitshauptamt – Amt V –. Blatt 41-44. Berlin 1941. (=Schriftenreihe des Reichskriminalamts Berlin)
Gedenkbuch. Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Herausgegeben von dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg. 2 Bände. München u.a., 1993. Hier Band 1 S. 258f., Hauptbuch Frauen S. 233f. zu Sofie Schneck und Amalie Kreuz.
Gedenkbuch Band 2 S. 918f., Hauptbuch Männer S. 95 zu Johann Schneck.
Danuta Czech: Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945. Deutsch von Jochen August u.a. Reinbek bei Hamburg 1989.
Karola Fings: Die „Gutachtlichen Äusserungen“ der Rassenhygienischen Forschungsstelle und ihr Einfluss auf die nationalsozialistische Zigeunerpolitik. In: Michael Zimmermann (Hrsg.): Zwischen Erziehung und Vernichtung. Zigeunerpolitik und Zigeunerforschung im Europa des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2007, S. 425-459 (=Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft; Band 3), besonders S. 451 Anmerkungen 167, 173 und 175.
Seybold, Katrin „‚Wir brauchen nicht aufzuschreiben, wer die Mörder an uns Sinte waren, wir wissen es.‛ In Memoriam Melanie Spitta (2.6. 1946-27.8. 2005)“, in: Benz, Wolfgang und Distel, Barbara (Hg.): Häftlingsgesellschaft Heft 21/21 (2005), S. 197-216. (=Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, im Auftrag des Comité International de Dachau, Brüssel; Heft 21 (November 2005)).
Das Originalfoto von Sofie Schneck stammt aus dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde aus dem Bestand R 165/ 57, ohne Blattnummer.
Autor: Udo Grausam, M. A., Mathildenstraße 19, 72072 Tübingen.
Stand: 17. Januar 2016.