In der Jagst, einem Nebenfluss des Neckar, ist ein katastrophales Massensterben in Gang. Nach dem Brand einer Mühle bei Kirchberg am Sonntag (23. August 2015) ist mit Kunstdünger verseuchtes Löschwasser in den Fluss gelangt und tötete dort viele tausend Fische und andere Tiere.
Informationen des Umweltschutzverbands NABU
Der NABU beantwortet häufig gestellte Fragen zur Umweltkatasrophe in der Jagst (Stand: 27. August 2015):
Wie schlimm ist es?
Bereits nach zwei Tagen waren vier Tonnen toter Fische geborgen worden. Tendenz: schnell steigend. Die Jagst ist von Kirchberg flussabwärts praktisch fischfrei, denn die Konzentration des Giftes ist so hoch, dass kaum Fische überleben konnten. Stellenweise wurden zu Anfang Werte gemessen, die 100 Mal höher waren, als der Wert, ab dem die Konzentration für Fische tödlich wirkt.
Neben den Fischen trifft die Vergiftung die gesamte Tierwelt im und am Fluss: Von Insektenlarven, Bachflohkrebse, Schnecken und Würmern bis hin zum Eisvogel und anderen Tieren, die sich von Fischen ernähren. Ihnen ist bis auf weiteres die komplette Nahrungsgrundlage entzogen. Dass das Unglück ausgerechnet die Jagst trifft, ist besonders tragisch: Sie war bislang in einem ökologisch guten Zustand, weshalb auch viele Natura 2000- und Naturschutzgebiete dort eingerichtet wurden.
Welche Giftstoffe sind verantwortlich?
Mit dem Löschwasser sind große Mengen landwirtschaftlichen Kunstdüngers in die Jagst gespült worden. Dieser wurde in der ehemaligen Mühle in größerer Menge gelagert. Sobald der Kunstdünger ins Flusswasser gerät, beginnen chemische Reaktionen – abhängig von unterschiedlichen Faktoren wie Temperatur und ph-Wert. Dabei entstehen verschiedene Stoffe, so zum Beispiel Ammoniak, das für Fische äußerst giftig ist.
[Aktualisierung vom 02.09.2015: Bislang teilten die Behörden mit, dass es sich bei dem Kunstdünger um Ammoniumnitrat handelte. Das hatten wir an dieser Stelle so weitergegeben. Inzwischen gibt es neuere Meldungen, dass es sich stattdessen um Kalkammonsulfat gehandelt haben soll. Die Auswirkungen wären in beiden Fällen sehr ähnlich.]
Sind Menschen gefährdet?
Für Menschen geht nach derzeitigem Kenntnisstand keine Gefahr aus. Die Behörden haben ein Trink- und Bade-Verbot für die Jagst erlassen. Daran muss man sich auf jeden Fall halten. Es wird voraussichtlich in den kommenden Wochen relativ zügig wieder aufgehoben werden können.
Was wird derzeit getan, um den Schaden zu begrenzen? Und ist das sinnvoll?
Es wird versucht, belastetes Wasser aus der Jagst abzupumpen. Dieses Wasser kann entweder in Kläranlagen aufbereitet oder auf Feldern ausgebracht werden. Eine weitere Maßnahme ist, das belastete Wasser zu verdünnen, etwa mit sauberem Wasser aus dem Kocher. Dieses Vorgehen kann den natürlichen Verdünnungsprozess unterstützen und helfen, die Konzentrationen schneller zu senken.
Zudem wird versucht, Sauerstoff ins Gewässer zu bringen. Da die Jagst derzeit wenig Wasser führt und dieses relativ warm ist, ist der Sauerstoffgehalt im Wasser niedrig. Mehr Sauerstoff beschleunigt zum einen das Bakterienwachstum, das wiederum den Abbau der Giftstoffe fördert. Zum anderen unterstützt der Sauerstoff die überlebenden Fische und anderen Tiere direkt. Deshalb kann auch diese Maßnahme dabei helfen, den Schaden zu begrenzen.
Das belastete Wasser wird auf Felder gepumpt. Vergiftet das nun die Äcker?
Nein. Da der im Wasser gelöste Kunstdünger sowieso auf Äcker der Region hätte ausgebracht werden sollen, entsteht kein zusätzlicher Schaden. Die verheerende Giftwirkung entfaltet der Stoff in Gewässern.
Wann erreicht das belastete Wasser den Neckar?
Das hängt sehr stark von der Fließgeschwindigkeit ab, die nicht konstant ist. Daher kann noch niemand vorhersehen, wann das giftige Wasser den Neckar erreicht. Aufgrund der derzeitigen Fließgeschwindigkeit gehen die Fachleute davon aus, dass das Wasser Anfang der kommenden Woche (31.8.15) den Neckar erreicht. Es besteht Hoffnung, dass die Giftwelle bis dahin so weit verdünnt ist, dass es im Neckar zu keinem Massensterben kommen wird – sicherlich aber zu einer ernsten Belastung des Ökosystems.
Wann wird sich der Zustand der Jagst normalisiert haben?
Das belastete Wasser fließt relativ zügig ab. Am Unfallort selbst ist die Belastung mittlerweile deutlich abgeklungen, wenn auch bei weitem noch nicht verschwunden. Das giftige Wasser fließt weiter flussabwärts. Unklar ist, ob sich dauerhaft Giftstoffe etwa in der Sohle absetzen. Die Giftwelle lässt einen fast tierfreien Fluss zurück. Dieser wird in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren wieder besiedelt werden. Bis jedoch der Fischreichtum und das übrige tierische Leben wieder so vielfältig und stabil sind wie vor dem Unfall, werden voraussichtlich fünf bis zehn Jahre vergehen.
Welche Konsequenzen fordert der NABU?
Die Möglichkeiten, die Schäden jetzt noch zu minimieren, sind leider sehr begrenzt. Umso wichtiger ist, dass in den kommenden Wochen intensiv erforscht wird, wie es zu diesem Unglück kommen konnte, ob Fehler gemacht wurden und ob gegebenenfalls Vorschriften geändert werden müssen. So ist es nach derzeitigem Stand für den NABU schwer nachvollziehbar, wieso derart gewässergefährdende Stoffe so nah an einem Fluss gelagert werden dürfen. Die Ursachen des Unglücks müssen restlos aufgeklärt werden, um die richtigen Konsequenzen daraus ziehen zu können. Dafür setzt sich der NABU bei den Behörden intensiv ein.
Danke für Notfall-Hilfe!
Allen Helferinnen und Helfern – vor allem den vielen hundert Feuerwehrleuten sowie den Mitgliedern von Fischereivereinen und Naturschutzgruppen – dankt der NABU für den großen Einsatz, den sie in dieser akuten Notsituation erbringen.
Weitere Informationen im Internet:
https://baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/gewaesser/19411.html
Jagst: LNV und NABU fordern Konsequenzen
Behörden waren anfangs überfordert
Bei Landesnaturschutzverband (LNV) und NABU herrscht Entsetzen über das Ausmaß der Umweltkatastrophe an der Jagst. NABU und LNV fordern strengere Auflagen und Kontrollen bei der Lagerung gewässertoxischer Stoffe und einen Maßnahmenplan für die ökologische Gesundung der Jagst.
Informationen des NABU vom 27. August 2015
Maßnahmenplan für ökologische Gesundung gefordert
Es sei zu befürchten, dass der sehr hohe Artenreichtum dieses baden-württembergischen Naturschutzjuwels – mit zahlreichen Schutzgebieten dekoriert – auf absehbare Zeit verloren sei. NABU und LNV fordern strengere Auflagen und Kontrollen bei der Lagerung gewässertoxischer Stoffe und einen Maßnahmenplan für die ökologische Gesundung der Jagst.
Hilfsbereitschaft ist beeindruckend
Beeindruckt sind die beiden Naturschutzverbände von der Einsatzbereitschaft der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer. „Was die Freiwilligen von Feuerwehren, Fischereivereinen und Naturschutzgruppen hier leisten, ist absolut beeindruckend. Für diesen großen Einsatz danken wir im Namen der Natur ganz herzlich“, sagt der NABU-Landesvorsitzende Andre Baumann.
Behörden ließen wertvolle Zeit verstreichen
Von den Behörden indes habe man den Eindruck, dass sie insbesondere zu Beginn der Gewässerkatastrophe überfordert waren. Weil lange unklar war, welche Maßnahmen die richtigen sind, ging wertvolle Zeit verloren. „Wir stellen daher die Frage, ob man sich bei Katastrophen- und Brandschutzübungen zu sehr auf Schadensfälle im Verkehrs- und Siedlungsbereich konzentriert hat und daher auf solche Umweltkatastrophen zu wenig vorbereitet ist“, sagt der LNV-Vorsitzende Gerhard Bronner. Das gelte es für die Zukunft nachzubessern. Inzwischen läuft der Großeinsatz nach Einschätzung von LNV und NABU zufriedenstellend. Es gebe Hoffnung, dass wenigstens der Unterlauf der Jagst sowie der Neckar geringeren Schaden erleide.
NABU und LNV fordern Konsequenzen:
LNV und NABU legen größten Wert darauf, dass aus den gesamten Ereignissen Konsequenzen gezogen werden. „Die der Katastrophe zugrunde liegenden Vorgänge müssen in völliger Offenheit analysiert werden“, fordern Bronner und Baumann. Dies beginne bereits bei der Bau- und Betriebsgenehmigung des Lagergebäudes und bei der Frage, welche Informationen über Gefahrgut und Wasserableitung auf dem Betriebsgelände der Feuerwehr beim Einsatz vorlagen.
Regelmäßige Kontrolle gewährleisten
Da es zum einen landesweit zahlreiche ähnliche Konstellationen gibt, wo an Flüssen liegende Mühlen auch Handel mit Dünger und Pflanzenschutzmitteln betreiben, es zum anderen in Mühlen relativ häufig brennt, müsse auch grundsätzlich über die Lagerung von hoch gewässertoxischen Stoffen in Flussnähe nachgedacht werden. Zur Diskussion stehe ein grundsätzliches Verbot der Lagerung in Gewässernähe oder eine besonders abgeschirmte, völlig brandsichere Lagerung, wie sie heute schon für bestimmte Pflanzenschutzmittel gilt. Im Übrigen gelte diese Problematik auch für Landwirtschaftsbetriebe, die größere Vorräte solcher Dünger in Gewässernähe lagern. Die regelmäßige Kontrolle der ordnungsgemäßen Lagerung, der Brandschutzeinrichtungen und der Oberflächenentwässerung für Dünger- und Gefahrstofflagerstätten müsse gewährleistet sein.
Selbstheilungskraft des Gewässersystems stärken
LNV und NABU fordern, sich bereits jetzt Gedanken zu machen, wie dem Ökosystem Jagst am besten geholfen werden kann. „Bevor man darüber nachdenkt, Fische einzusetzen, müssen die Kleinstlebewesen als Basis der Nahrungskette aus Seitengewässern und Oberlauf der Jagst wieder einwandern sowie die natürliche Zuwanderung von Fischen gefördert werden“, sagen Bronner und Baumann. Die Zuflüsse zur Jagst und ihr Oberlauf spielen daher eine entscheidende Rolle bei der Wiederbesiedlung. „Ziel muss es sein, die Selbstheilungskraft des Gewässersystems zu stärken“, betonen die Vorsitzenden. Mit einem Monitoring müsse die Entwicklung überwacht werden. LNV und NABU sehen dazu das Regierungspräsidium in der Pflicht, die Koordination für einen solchen Maßnahmenplan zu übernehmen und bieten ihre Mitwirkung an.
Weitere Informationen im Internet:
https://baden-wuerttemberg.nabu.de/natur-und-landschaft/gewaesser/19412.html
Weitere Informationen zur Ökokatastrophe in der Jagst von der Internetseite des Umweltschutzverbands Greenpeace:
Giftiges Löschwasser in der Jagst bedroht Lebensräume in Flüssen im Südwesten Deutschlands. Verseuchtes Wasser macht den Nebenfluss des Neckars zur Todesfalle für Tausende Fische. Behörden warnen vor Kanufahren und Baden, Angler kritisieren das Krisenmanagement.
Von der Deutschen Presseagentur (Stand: 25. August 2015)
Schon tausende tote Tiere
Kirchberg an der Jagst (dpa) – Löscharbeiten bei einem Mühlenbrand in Baden-Württemberg haben eine Umweltkatastrophe ausgelöst. Über das Löschwasser wurde giftiges Ammonium in den Fluss Jagst gespült, der in den Neckar mündet. Fischvereine holten schon tausende tote Tiere aus dem Wasser. Das Landratsamt Schwäbisch Hall bemüht sich laut einer Sprecherin darum, die Giftkonzentration zu verringern. «Das ist eine ökologische Katastrophe. Das ist das Aus für die Lebewesen in der Jagst», sagte sie am Dienstag. Aus Sicht von Achim Thoma vom Angelsportverein Jagst Langenburg hat die Behörde viel zu spät reagiert. Er sieht das gesamte Ökosystem in Gefahr. Wie weit sich das Gift im Wasser noch verbreitet, ist nicht absehbar.
Sauberes Wasser hineinspritzen
Bei dem Großbrand in der Nacht zum Sonntag in Kirchberg an der Jagst war auch ein Gebäude betroffen, in dem größere Mengen Düngemittel lagerten. Darin ist Ammonium enthalten. Trotz Vorsichtsmaßnahmen der Feuerwehr gelangte verunreinigtes Löschwasser in die Jagst. Eine Behördensprecherin erklärte, die Feuerwehr erhöhe den Sauerstoffgehalt im Fluss durch Zuspritzen sauberen Wassers. Das solle den Schadstoffabbau beschleunigen. Andererseits werde belastetes Wasser an einem Wehr in Langenburg in eine Kläranlage gepumpt. Landwirte transportierten verseuchtes Wasser ab und verteilten es auf Feldern. Ein Speicherbecken wurde geöffnet, um Frischwasser in die Jagst zu leiten.
Wasser fließt nur langsam
Dennoch fließe kontaminiertes Wasser flussabwärts, sagte die Sprecherin. In rund einer Woche könnte es die Neckarmündung erreichen. Mit einer Fließgeschwindigkeit von 400 Metern pro Stunde sei der Fluss dieser Tage vergleichsweise ruhig. Das Landratsamt im benachbarten Hohenlohekreis rechnete für den Abend damit, dass belastetes Wasser in seinem Zuständigkeitsbereich ankommt. Die Freiwilligen Feuerwehren stünden zur Belüftung bereit.
Kritischen Wert 200-fach überschritten
Je nach Fischart sei eine Ammonium-Konzentration von 0,5 bis 1 Milligramm pro Liter für die Tiere tödlich, hatte das Landratsamt Schwäbisch Hall mitgeteilt. Der kritische Wert wurde nach früheren Angaben anfangs an einigen Stellen bis zum 200-Fachen überschritten. Am Dienstag habe eine Probe in der Schadstoffblase 23 Milligramm pro Liter ergeben, sagte die Sprecherin. «Das ist zwar deutlich weniger – aber natürlich immer noch viel zu viel.»
„Krisenmanagement des Landratsamts ist sehr schlecht“
Die Sprecherin räumte ein, die Behörde sei anfangs davon ausgegangen, die Maßnahmen zur Verdünnung des Wassers griffen schneller. Der Angelvereinsvorsitzende Thoma sagte: «Das Krisenmanagement des Landratsamts ist sehr schlecht.» Die einzige wirksame Maßnahme sei es, die Jagst komplett zu sperren und das Wasser abzupumpen.
Großer Schaden an der Natur
«Das ist ein ökologisches Desaster», sagte Thoma. Zum einen seien in der Jagst geschützte Fischarten wie Mühlkoppe, Schneider und Nase beheimatet. Zum anderen seien von der Vergiftung auch andere Lebewesen betroffen wie etwa unmittelbar Bachflohkrebse oder infolge des Fischsterbens auch der Eisvogel. «Der frisst lebende Fische. Nun werden ganze Populationen abziehen», sagte Thoma. «Es werden viele Jahre nötig sein, um das Ökosystem wieder aufzubauen.»
Fische in die Tierkörperbeseitigungsanlage
Wie hoch der Schaden und die Kosten für den Einsatz sind, lässt sich derzeit weder aus Sicht von Thoma noch vonseiten der Behörde beziffern. Allein in Kirchberg habe der Fischverein schon sechs bis acht Tonnen tote Fische aus dem Wasser geholt, sagte Thoma. In Langenburg würden es schätzungsweise ebenso viele. Die Kadaver sollen laut Landratsamt in einer Tierkörperbeseitigungsanlage entsorgt werden. Hunderte Helfer sind im Einsatz.
Nicht baden, fischen und kein Wasser entnehmen
Das Landratsamt im benachbarten Heilbronn machte auf Gefahren auch für Menschen aufmerksam und riet dringend davon ab, in der Jagst zu baden, zu fischen, Wasser zu entnehmen oder Kanu zu fahren. Die Warnung gilt bis Montag. Das Feuer in dem Mühlenbetrieb hat einen Schaden in Millionenhöhe angerichtet. Die Brandursache war am Dienstag zunächst unklar.
Info zu Kunstdünger:
Ammonium (NH4+) ist eine ionisierte, positiv geladene Form der Chemikalie Ammoniak (NH3), das wiederum eine gasförmige Verbindung von Stickstoff (N) und Wasserstoff (H) ist. In Verbindung mit anderen Stoffen bildet Ammonium laut Gesellschaft deutscher Chemiker feste Salze. Diese sind typischer Bestandteil in Düngemitteln.
Weitere Informationen auf der Internetseite von Greenpeace:
https://www.greenpeace-magazin.de/tickerarchiv/giftiges-loeschwasser-bedroht-lebensraeume-fluessen-suedwesten-von-nico-andel-und-marco