Die Machthaber der EU versuchen den Eindruck zu erwecken, als sei mit dem so genannten „Dritten Hilfspaket“ nach Monaten von Turbulenzen, endlich eine Lösung gefunden, die die Lage beruhigt und die Voraussetzung für eine Stabilisierung und eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands schafft.
Leserbrief von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Troika übernimmt die politische Kontrolle über Griechenland
Eine solche Sicht der Dinge hat mit der Wirklichkeit nur insofern zu tun, als es den europäischen Institutionen durch eine brutale Erpressungspolitik gelungen ist, die bis dahin widerspenstige Syriza-Regierung sozusagen per Holzhammernarkose ruhig zu stellen. Um diese Unterwürfigkeit dauerhaft sicherzustellen übernimmt die Troika faktisch die politische Kontrolle über Griechenland. Mit dem neuen Memorandum wird das griechische Parlament praktisch ausgeschaltet. In diesem Memorandum heißt es: „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“
Status eines Protektorats
Griechenland bekommt damit faktisch den Status eines Protektorats. Mit typisch deutscher Gründlichkeit gehen die europäischen Machthaber auf Nummer Sicher. Die griechische Regierung wird zusätzlich „engmaschigen Kontrollen“ unterworfen. Die Hilfsgelder werden in Tranchen gesplittet und in halbjährlichen Abständen überprüft, ob Athen gefügig war. Ansonsten wird der Geldhahn zugedreht.
Den Irrsinn auf die Spitze getrieben
Selbst ZEIT-Online kommt um die Feststellung nicht umhin: „Wie schon bei den ersten Rettungspaketen gilt: Die Bevölkerung erhält davon fast nichts.“ Der Großteil der neuen Kredite fließt in die Schuldenbedienung, die Zinsen für laufende Kredite und die Tilgung alter Kredite. Dazu kommen 25 Milliarden für die Rekapitalisierung der griechischen Banken. Kaum etwas, zirka 4,5 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen, die griechischen Staatsreserven wieder aufzufüllen. Schaut mensch sich an, wer beim dritten Hilfspaket Geber und wer Empfänger sind, so reibt mensch sich verwundert die Augen: Griechenland bekommt Geld von EZB, IWF, ESM/ESSF, um damit Schulden bei IWF, EZB und ESM/ESSF zu begleichen. Das ist so schräg, dass man es für den Gag eines Kabarettisten halten möchte.
Schuldenlast wird noch unerträglicher
Obwohl selbst der IWF und neuerdings auch die EU-Kommission einen deutlichen Schuldenschnitt in Griechenland für unabdingbar halten, wird dieser von der Bundesregierung und ihrer unsäglichen Koalition der Willigen aus Niederlande, Finnland und den baltischen Ländern verweigert. Nach Schätzungen aus dem Gläubigerlager (!) wird die griechische Schuldenlast durch das neue Kreditpaket nicht tragfähiger, sondern noch unerträglicher. Sie wird nächstes Jahr wohl die Rekordschwelle von 200 Prozent des BIP überschreiten. Die Staatsverschuldung bleibt damit eine permanente Bremse für das griechische Wirtschaftswachstum. Sie wirkt wie ein Mühlstein am Hals Griechenlands und verhindert eine weitere wirtschaftliche Erholung des Landes.
„Totsparpaket“
Vermutlich wissen die verantwortlichen Spitzenpolitiker und Topbürokraten in Brüssel und Berlin, dass all ihr Gerede, wonach das neueste Totsparpaket eine wirtschaftliche Erholung oder auch nur eine Stabilisierung der Lage in Griechenland bewirken wird, wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat. Denn selbst innerhalb der EU-Kommission geht man davon aus, dass die griechische Wirtschaft 2015 um 2,3 Prozent und im Folgejahr um weitere 1,6 Prozent schrumpfen wird. Nach Außen aber stellt man Zweckoptimismus zur Schau, um so bei der Bevölkerung Akzeptanz für das eigene Wirken zu schaffen.
Mit heißer Nadel gestrickt
Jetzt schon ist klar, dass das Hilfspaket mit heißer Nadel gestrickt ist. Viele der ihm zugrunde liegenden Kalkulationen, sind offenkundig völlig unrealistisch. Bezeichnenderweise meldete die Süddeutsche Zeitung noch vor der Verabschiedung des 86 Milliarden-Pakets im Bundestag, dass die veranschlagte Summe von 86 Milliarden nicht ausreichend sei. Berechnungen des Bundesfinanzministeriums hätten ergeben, dass der Finanzbedarf um weitere 6,2 Milliarden gewachsen sei. Angeblich soll die Lücke durch höhere Einnahmen aus Privatisierungen gedeckt werden. Dabei ist jetzt schon abzusehen, dass der Privatisierungsfond deutlich weniger als die von seinen Erfindern vorgesehenen 50 Milliarden Euro einbringen wird. Bei der Festlegung der Einnahmen aus der Privatisierung von öffentlichem Besitz war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens. Die Zielvorgabe 50 Milliarden Einnahmen ist völlig unrealistisch, sagen praktisch alle – außer der Bundesregierung. Der IWF geht in den kommenden drei Jahren nur von einem Erlös von 1,5 Milliarden Euro, die EU-Kommission bis 2018 lediglich von einem Erlös von 2,5 Milliarden aus. Auch schon beim ersten Anlauf des Privatisierungsfond in Griechenland im Jahr 2011 waren die Erwartungen völlig realitätsfern. Mit 50 Milliarden Einnahmen war von der Troika gerechnet worden. Bislang belaufen sich die Einnahmen auf weniger als drei Milliarden Euro.
Wir machen den Weg frei – für Schnäppchenjäger
Nutznießer des Hilfspakets werden finanziell potente griechische und internationale Anleger, Konzerne und superreiche Individuen sein. Schon vor einigen Wochen war zu lesen, dass das Privatisierungsprogramm Superreichen aus aller Welt die Möglichkeit eröffnet, sich, selbstverständlich zu Schnäppchenpreisen eine griechische Insel als Urlaubsdomizil unter den Nagel zu reißen. Für internationale Hotelkonzerne steigt die Möglichkeit, vom Staat Grundstücke in landschaftlich reizvoller Umgebung wie Naturschutzgebieten zu erwerben, um dann renditeträchtige Betonburgen in reizvollem Ambiente zu errichten.
Schäuble bedient Fraport-Interessen
Schäuble hat im „Memorandum of Understanding“ (MoU), dem Vertragstext für das Dritte Hilfspaket, die Interessen von FRAPORT, der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens, bedient. Sie bekommt auf 40 Jahre die Konzession für 16 lukrative Regionalflughäfen übereignet – für günstige 1,23 Milliarden Euro. Die anderen 30 Flughäfen, die für die griechische Infrastruktur wichtig sind und keine Gewinne abwerfen, bleiben beim griechischen Staat.
Wasserversorgung soll privatisiert werden
Mit dem Abschluss des MoUs ist der Startschuss zur großen Schnäppchenjagd für internationale Investoren gefallen. Auf der Angebotsliste stehen die diversen Betriebe der Energieversorgung, die noch öffentlich betriebene Hälfte des Hafens von Piräus, der Hafen von Thessaloniki, Helleniko, das riesige Gelände des früheren Flughafens von Athen (wo sinnigerweise ein riesiger Vergnügungspark entstehen soll!). Dazu kommen wohl weitere öffentliche Betriebe (wie die Wasserversorgung der großen Städte Athen und Thessaloniki) und zahllose Inseln als potentielle Feriendomizile für Vermögende.
Neuer Katalog der Grausamkeiten
Zacharias Zacharakis stellt in der ZEIT fest: „Die Griechen dürften angesichts dessen vom dritten Hilfsprogramm vor allem eins spüren: die vereinbarten Sparmaßnahmen.“ Tatsächlich besteht für die griechischen Normalbürger die Hilfe der Regierungen der Gläubigerstaaten darin, dass sie ihnen mit Mehrwertsteuer und weiteren Einschnitten bei der Rente noch tiefer in die Taschen greift, dass wegen des Primats der „Konsolidierung der Haushalte“ die durch die vorangegangen Sparpakete verursachten Verwüstungen im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich und der sozialen Infrastruktur weiterbestehen und sich tendenziell weiter zuzuspitzen. Es spricht Bände, dass es den politischen Statthaltern der europäischen Eliten ein besonderes Anliegen war, in das neue MoU einen Passus aufzunehmen, wonach eine Arbeitsmarktreform durchzuführen sei, die in einem Land der Massenarbeitslosigkeit weitere Massenentlassungen erleichtern soll.
„Griechenlandrettung“ zum Unwort des Jahres küren
Vor diesem Hintergrund sollten wir uns darum bemühen, dass das Wort „Griechenlandrettung“ zum Unwort des Jahres gekürt wird.