Einen Kommentar zur Veranstaltung mit dem ESM-Chef Klaus Regling bei Walter Döring in der Schwäbisch Haller Hospitalkirche hat Klaus Michel geschrieben. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Kommentar in voller Länge.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Der sachliche Vollstrecker (Teil 1)
Rund 70 Zuhörer waren der Einladung von Walter Dörings Tarnverein gefolgt, der sich, nicht gerade unbescheiden, „Akademie Deutscher Weltmarktführer“ (ADWM GmbH) nennt. Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass dieser Verein sich als selbst ernanntes Sprachrohr der Weltmarktführer in der Region Heilbronn/Hohenlohe versteht, die nach Dörings Auffassung sich mit Fug und Recht „Die Region der Weltmarktführer“ nennen sollte.
Das Ambiente
Auffällig am Publikum des 26. September 2013 war zunächst der hohe Anteil von Herren in gediegenen dunklen Anzügen mit den dazu passenden Krawatten. Allerdings hatte der in Fragen wie „Who is Who in Hohenlohe“ zugegebenermaßen unbedarfte Schreiber dieser Zeilen den Eindruck, dass in den dunklen Anzügen nicht die führenden Repräsentanten der regionalen Weltmarktführer steckten. Jedenfalls waren Herren wie Würth oder der Chef der Bausparkasse oder die durchaus nicht PR-scheuen Chefs der Kreissparkasse oder Volksbank ebenso wenig zu sehen wie die Herren Firnkorn oder Optima-Bühler.
„Werbeblock in eigener Sache“
Deswegen sei hier die These gewagt, dass in den dunklen Anzügen überwiegend Herren von der Südwestbank steckten, die von ihrem Chef zu einer Sonderschicht verdonnert worden waren. Der Grund für diese Vermutung: Die Südwestbank firmierte als finanzieller Schirmherr des Treffens und zum Dank durfte ihr Chef Einleitungsworte sprechen, die von peinlich-aufdringlichem Selbstlob so sehr strotzten, dass der Redner selbst in einem Moment der Selbsterkenntnis von „einem Werbeblock in eigener Sache“ sprach.
Nur ein Fotograf statt Blitzlichtgewitter
Walter Döring war das egal. Für ihn war wichtig, dass er einen prominenten Referenten aufgetan hatte und dass er endlich wieder einmal auf einer Bühne hinter einem Mikrofon stand – auch wenn es kein Blitzlichtgewitter, sondern nur einen einzigen Fotographen, Jürgen Stegmaier vom „Haller Tagblatt“ gab.
Der Redner
Egal, nach einem Vorgeplänkel mit Überzeit stieg endlich der Mann des Abends zum Rednerpult hinauf, dessen Bedeutung in Europa vermutlich größer ist als sein Bekanntheitsgrad. Klaus Regling, der deutsche Finanzbürokrat, wie stets im korrekten Anzug mit Krawatte, ist Leiter des European Stability Mechanism (ESM), jener Finanzorganisation der EU, die über 700 Milliarden Euro verfügt. Seine Biographie gibt schon einen Eindruck aus welchem Stall er kommt und wessen Geistes Kind er ist:
Erste Station IWF
Klaus Reglung studierte Volkswirtschaft und begann Mitte der 1970er Jahre seine Karriere beim Internationalen Währungsfonds in Washington. 1981 wechselte er ins Bundesfinanzministerium und befasste sich dort auch schon mit der Idee einer Europäischen Währungsunion.
Beim Hedgefonds Moore Capital Group in London
Als Oskar Lafontaine Finanzminister wurde, gab er Regling 1998 den Laufpass – worauf dieser sich beim Hedgefonds Moore Capital Group in London verdingte. 2001 wurde er Chef der Währungsbehörde der EU-Kommission. 2010 schließlich übernahm er die EFSF, und jetzt bei dessen Nachfolgeorganisation, dem ESM.
„Landesspezifische Empfehlungen“
Klaus Regling spricht die Sprache des Finanzmarktes – allerdings nicht in der überdrehten, narzisstisch anmaßenden Variante des Börsenzockers. Hier spricht ein sachlicher älterer Herr in ruhigem Ton darüber, wie dank seiner Institution die Eurokrise gemeistert werden kann. Er spricht über die hohen Defizite der Krisenländer und das Ziel der EU-Kommission, diese Länder wieder auf den Pfad der ausgeglichenen Haushalte zu führen. Die Diktate der Troika in Griechenland oder Portugal heißen bei ihm „europäische Semester“ oder „landesspezifische Empfehlungen“.
Beschönigend: „Möglichkeit von Sanktionen“
Aber er vergisst nicht zu erwähnen, dass „zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte“ es die „Möglichkeit von Sanktionen“ gibt – eine dezente Umschreibung für einen in der Realität brutalen Vorgang: Denn bevor Schuldnerländer wie Griechenland oder Portugal aus Reglings Fond Gelder erhalten, müssen sie als Nachweis ihres guten Willens erst mal Lohnsenkungen durchsetzen, im öffentlichen Dienst Leute entlassen und bei Bildung und medizinischer Versorgung die Axt ansetzen. Die dann ausgezahlten Gelder – das hat ATTAC am Beispiel Griechenlands nachgewiesen – kann die Regierung des Schuldnerlandes keineswegs zum Stopfen von Löchern im Bildungs- oder Gesundheitssystem und auch nicht für technische Neuerungen in der Industrie ihres Landes verwenden. Nein, 95 Prozent der „Rettungsgelder“ bleiben nur einen logischen Moment auf einem Konto der Regierung. Dann werden sie weitergeleitet auf die Konten der Gläubiger zur Bezahlung der fälligen Zinsen oder zur Rekapitalisierung der Banken.
„Klar, entschlossen und souverän“
Darüber redet Herr Regling selbstverständlich nicht. Aber über Zahlen redet der Chef von einer wichtigen europäischen Finanzinstitution selbstverständlich. Wir erfahren von Regling, dass der ESM ein Volumen von 700 Milliarden Euro hat, von denen bisher 213 Milliarden ausgezahlt wurden. Wir erfahren von ihm auch etwas über Kosten und Risiken für die BRD, erhalten aber sogleich von ihm die Versicherung, dass die Kosten allenfalls über 30 Jahre hinweg anfallen würden und die Erfahrungen mit dem IWF gezeigt hätten, dass es keine Verluste für die Steuerzahler gibt.
Kein Banker fragte nach
Zwar gäbe es bei den Zahlen durchaus einigen Anlass zu Nachfragen. Aber angesichts der Ausstrahlung des Redners („klar, entschlossen und souverän“, so Jürgen Stegmaier im „Haller Tagblatt“) sieht keiner der anwesenden Banker einen Grund zur Nachfrage. Im Gegenteil: Einer von ihnen drückt dem Referenten gegenüber in der anschließenden Aussprache seine Dankbarkeit dafür aus, dass er bei ihm alle Sorgen zerstreut habe.
Massenelend in Griechenland, Portugal oder Spanien
Und Jürgen Stegmaier kommt im „Haller Tagblatt“ zu dem Urteil: „Wie Regling die finanz-und steuertechnischen Vorgänge rund um die Rettung der Krisenstaaten erklärt, verschafft den Zuhörern den sicheren Eindruck, dass da einer schon sehr genau weiß, wovon er spricht: „Dem Regling weniger geneigten Zuhörer fällt allerdings auf, worüber Regling nicht spricht: Nämlich darüber, was seine Milliarden und die damit verknüpften Auflagen für die Menschen bringen: Massenelend in Griechenland, Portugal oder Spanien.
Regling erfindet die Wirklichkeit neu
Dieser Frage werde ich im Teil 2 meines Artikels nachgehen. Doch so viel sei schon verraten: Der Mann mit der vertrauenserweckenden Stimme interessiert sich nur für einen Teil der Wirklichkeit. Wo die Wirklichkeit nicht ganz so ist, dass sie mit Reglings Weltsicht im Einklang ist, erfindet der Herr Regling die Wirklichkeit eben neu – „klar, entschlossen und souverän“