„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden dritter Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden dritter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

III Frucht

… Paul Malibo saß am Esstisch und stierte auf die Glasfläche seines mobilen Telefons, der imaginäre Hörer leuchtete dort bei jedem neuen Antippen der gespeicherten Nummer seines Freundes auf. Warum nahm Carl nicht ab? Sie waren doch zum Telefonat miteinander verabredet. Paul war verzweifelt und hegte, seit dem Brief den er gestern im Briefkasten vorfand, nun ernsthafte Gedanken daran sich selbst zu entleiben.

Bären aufgebunden

Wenn Carl ihm jetzt nicht weiterhalf, würde er sich heute Abend eine derartige Dosis von Schlaftabletten und Schmerzmitteln verabreichen, die er nicht überleben würde. Er hatte gezielt alle Verpflichtungen, mit der Begründung, sich über das Wochenende gründlich auszuruhen und endlich einmal lang ausschlafen zu wollen, abgesagt. Für den Anfang der kommenden Woche, kündigte er an, wichtige Termine zu haben. Sogar seine sonst so aufmerksame Schwiegermutter bemerkte seinen Kummer nicht und ließ sich den Bären, den er ihr heute am Vormittag aufgebunden hatte, zwar etwas pikiert, aber dennoch fraglos aufbinden. Sie und die übliche Katanrunde würden eben ohne ihn spielen und die obligatorische Flasche des guten roten Weins würde an diesem Abend ungeöffnet bleiben. Wo Paul sich gern an mehreren gut gefüllten Gläsern am vergorenen Saft labte, bis er, für seinen Begriff, angenehm betrunken war, nippten alle anderen nur andeutungsweise an ihren mager eingeschenkten Gläsern, um weiterhin aus den nicht leer werdenden Kelchen, stetig auf das gegenseitige Wohl anstoßen zu können.

Schwaches Herz

Und sie wäre schuld daran, dass er sich umbringen würde, seine eigene Tochter, so dachte sich Paul das aus. Sie war schuld! Gislène brachte mit ihrem ausschweifenden Lebenswandel immer mehr Schande über ihn. Ihr naiver jugendlicher Leichtsinn wuchs sich, seit sie volljährig war, zu einem ganz und gar exzentrischen Verhalten aus, welches durch nichts mehr einzudämmen war. Sie kam manchmal wochenlang nicht mehr nach Hause, und wenn sie einmal kurz daheim war, grüßte sie ihn nicht, sondern räumte gezielt den Kühlschrank leer und verlangte Geld von ihm. Nach ihren Aufsuchungen fehlten auch sämtliche Weinflaschen, welche Paul an gemütlichen Abenden daheim zu leeren gedachte. Und jetzt dieser Brief. Schriftliche Vorwürfe zu seiner geleisteten Arbeit in Afrika, er konnte es einfach nicht fassen. Wie kam dieses, sein jüngstes Kind, nur auf solche Gedanken? Die Vorwürfe schmerzten ihn, trafen ihn mitten in sein schwaches Herz. Tränen liefen ihm übers Gesicht und er weinte stumm. Was ihn mehr traf, wusste Paul gar nicht so genau – dass seine eigene Tochter ihm sein Versagen vorwarf oder dass sie ein Lotterleben führte, das dieser Tochter, bei seiner Abstammung, einfach nicht gebührt. Sie schämte sich nicht für ihre ständig wechselnden Geliebten bei denen sie immer wieder für einige Wochen unterkam. Sie sandte ihm von hier und da illustre Postkarten, um ihm zu zeigen in welchem Reichtum sie schwelgte und an welchen Stränden sie badete, war bei gut situierten Sportlerinnen zu Gast und reiste in der Weltgeschichte herum.

Elterliches Ehebett

Er würde seinem Leben mit einem Schmerzmittel ein Ende bereiten. Paul hatte sich schon lange darauf vorbereitet und in verschiedenen Apotheken ab und an unauffällig kleine Päckchen Lamaclop besorgt. Mit genug Schlaftabletten dazu wäre er das leidige und endlose Theater los. Als Akademiker wusste er um die langsame Wirkung von diesem Schmerzmittel. Die Leber würde nur langsam und letztlich schmerzlich versagen. Daher brauchte er eine satte Ladung Schlaftabletten, um sich lange und gut genug zu betäuben. Im Rechnen war er noch nie eine Leuchte und hoffte eben, dass die anvisierte Dosis so pi mal Daumen langen würde. Gislène sandte ihm nicht nur Postkarten, manchmal kritzelte sie auch ein paar Zeilen auf ein Papier, das in guten Hotels samt Schreibzeug, auf einem Tisch parat lag. So bekam Paul Briefe von seiner Tochter. Die einzige Art und Weise in der sie sich ihm noch mitteilte, geschah schriftlich. Darin warf sie ihm alles vor, was aus ihrer Sicht falsch an ihm war: „Ich durfte jahrelang nicht alleine in meinem eigenen Zimmer in meinem Bett schlafen, Du hast von mir, nach Mamas Tod, immer verlangt bei Dir im elterlichen Ehebett zu übernachten.“

„Du bist nicht mehr mein Vater“

Im neuesten Brief stand geschrieben: „Du hast Afrikas Frauen schändlichst verraten. In Kenia hat man zwischen 2013 und 2015 alle Mädchen ab zwölf und alle Frauen bis zum neunundvierzigsten Lebensjahr, unter dem Vorwand von Tetanusimpfungen und bei scharfer Polizeiaufsicht unfruchtbar gespritzt. Und das alles geschah mit Hilfe der
Kinderfürsorgeorganisation in der Du jahrelang als Berater tätig warst. Als ich ein kleines Mädchen war, bist Du ständig in allen Ländern Afrikas herumgereist. Du musst davon gewusst haben – warum hast Du das geduldet? Wo ist da Dein Stolz als Afrikaner? Wo ist die globale und universale Menschenwürde von der Du so gern geredet hast? Diese Würde gilt für Frauen wohl nicht? Und Du! Du würdest mich noch heute als Deine Tochter, gegen einen Brautpreis an irgendeinen Deiner >Brüder< verhökern, wie das früher üblich war!“ Als ob das nicht genug wäre, stellte sie abschließend fest: „Du bist nicht mehr mein Vater.“

Gezielt ausrotten

Paul war des Lebens müde. Woher wusste Gislène derart konkret von den Vorgängen in Afrika und von den Taten der Fürsorgeorganisation? Jahrelang las man gar nichts darüber in den Zeitungen. Kaum ein Europäer regte sich darüber auf, als man, ganz offensichtlich, damit begann die afrikanische Bevölkerung im modernen Kleid der gesundheitlichen Vorsorge gezielt auszurotten. Nur ganz wenige Christen vor Ort und in der westlichen Welt setzten sich aktiv dafür ein, diese verwerfliche Tat in Kenia zu beenden. Doch seit Neuestem, seit dieser elenden Karinakrise kam sehr vieles ans Licht, was man gern weiterhin vertuscht hätte. Bedächtig begann Paul Malibo die vielen kleinen Pappschachteln zu öffnen. Nach und nach, drückte er alle verfügbaren Tabletten aus den Plastikverpackungen in eine stabile Metallschüssel. Dann ging er in die Küche und öffnete eine Flasche Wein. Mit schlurfendem Gang und gebeugter Haltung trug er die Flasche, ein Glas und einen zierlichen Mörser ins Wohnzimmer und stellte sie zu der Schüssel auf den Esstisch. Ein kurzer Blick auf sein mobiles Telefon zeigte ihm, dass Carl immer noch kein Lebenszeichen von sich gab …

Fortsetzung folgt.

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„Vergiftete Heimat – Die netten Rechten von nebenan“ – Dokumentarfilm in der Mediathek des Fernsehsenders 3Sat

Der Dokumentarfilm „Vergiftete Heimat – Die netten Rechten von nebenan“ ist bis 16. Januar 2023 in der Mediathek des Fernsehsenders 3Sat zu sehen. Der ARD-Film lief am 18. Januar 2022 im Programm des Senders 3Sat. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Ankündigungstext und den Link zum Film in der 3Sat-Mediathek.

Informationen des Fernsehsenders 3Sat

Zentrale Positionen der Identitäten Bewegung (IBD) sind nicht mit dem Grundgesetz vereinbar

Sie sind smart, klug und argumentationsstark: Die Mitglieder der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) kommen modern daher und haben mit „rechtsextremen Dumpfbacken“ nichts gemein. Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung lehnen sie ab. Der Verfassungsschutz stuft sie nach dreijähriger Prüfung dennoch als rechtsextremistisch ein. Zentrale Positionen der IBD sind danach nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Link zum Dokumentarfilm „Vergiftete Heimat – Die netten Rechten von nebenan“:

https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/vergiftete-heimat-die-rechten-100.html

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„Was ist mit den umgeimpften Kindern?“ – Karin Osti aus Ilshofen hat „mit Entsetzen die neue Corona-Verordnung gelesen“

Mit Entsetzen habe ich die neue Coronaverordnung, die seit heute gilt, gelesen. Bei Ausnahmen für 2G+ steht: „Also bspw. vollständig geimpfte Kinder und Jugendliche bis einschließlich 17 Jahre…“

Kommentar von Karin Osti aus Ilshofen

Sollen immer nur die Schwächsten der Gesellschaft leiden?

Und was ist mit den ungeimpften Kindern, für die es auch noch keine Empfehlung der Stiko gibt oder die sich nicht impfen lassen möchten? Sollen denn nur immer die Schwächsten der Gesellschaft darunter leiden, dass Sie viele Erwachsenen nicht von einer Impfung überzeugen können? Es wundert mich nicht, wenn immer mehr Menschen auf die Straße gehen und gegen die nicht mehr nachvollziehbaren Maßnahmen protestieren.

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„Angeeignet – Museumsobjekte jüdischer Familien im Stadtmuseum Crailsheim“ – Ausstellung bis 13. März 2022

Die Ausstellung „Angeeignet – Museumsobjekte jüdischer Familien im Stadtmuseum Crailsheim“ ist noch bis – Ausstellung bis Sonntag, 13. März 2022, zu sehen. Die Öffnungszeiten des Stadtmuseum im Spital: Mittwoch: 9.00 – 19.00 Uhr, Samstag: 14.00 – 18.00 Uhr, Sonn- und Feiertag: 11.00 – 18.00 Uhr.

Informationen des Stadtmuseum Crailsheim

Rund 200 Objekte

Wie kommen Dinge ins Museum? Welche historischen und politischen Zusammenhänge stehen hinter den Sammlungen? Diese Fragen beschäftigen Museen und ihr Publikum zunehmend. Im Fokus der sogenannten Provenienzforschung stehen Objekte, die ihren ehemaligen Eigentümerinnen und Eigentümern geraubt oder auf andere Weise unrechtmäßig entzogen wurden: in der Zeit der NS-Diktatur oder in kolonialen Kontexten. Auch in der Sammlung des Stadtmuseums Crailsheim befinden sich rund 200 Objekte, die nach heutigem Verständnis auf inakzeptable Weise in die Sammlung gelangten. Sie wurden ihren Besitzerinnen und Besitzern in den Jahren 1933 bis 1945 abgepresst. Diese mussten ihre Familienstücke unter dem Druck der Verfolgung und der finanziellen Ausplünderung verkaufen.

Rechtmäßige Eigentümerinnen und Eigentümer finden

Die Ausstellung zeigt Objekte, die während des Nationalsozialismus unrechtmäßig in die Sammlung des Museums gekommen sind. Sie versteht sich als Bericht zum aktuellen Stand der Provenienzforschung im Stadtmuseum Crailsheim. Die Ausstellung rekonstruiert Verlust- und Aneignungsumstände und zeigt offene Fragen auf. Sie beleuchtet das Handeln der Akteure und Akteurinnen sowie damalige Sammlungsinteressen. Wir möchten Sie einladen, die Menschen kennen zu lernen, denen die Dinge einst gehörten. Mit dem Projekt ist die Hoffnung verbunden, die rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümer der heutigen Museumsobjekte, die Nachkommen der Verfolgten und Ermordeten, zu finden, um ihnen die Stücke zu übereignen.

Für einen Besuch gelten die aktuellen Corona-Auflagen

Für den Besuch im Stadtmuseum Crailsheim gilt laut Stadtverwaltung Crailsheim (Internetseite) derzeit die 2G+ Regel, Alarmstufe II. Ein Test wird nicht benötigt, wenn Sie eine Auffrischungsimpfung erhalten haben oder die vollständige Impfung oder Genesung nicht länger als­­­­ 3 Monate zurück liegt. Aufgrund der aktuellen Situation sind leider noch keine öffentlichen Führungen durch die neue Sonderausstellung „Angeeignet“ möglich. Es gelten die jeweils aktuellen Corona-Auflagen.

Weitere Informationen und Kontakt:

Stadtmuseum Crailsheim, Spitalstraße 2, 74564 Crailsheim

Telefon: +49 7951 403-3720

Fax: +49 7951 403-2720

E-Mail: info.stadtmuseum@crailsheim.de

Internet: https://www.museum-crailsheim.de/sonderausstellungen/aktuelle-sonderausstellungen/

Öffnungszeiten Stadtmuseum:
Mittwoch: 9.00 – 19.00 Uhr
Samstag: 14.00 – 18.00 Uhr
Sonn- und Feiertag: 11.00 – 18.00 Uhr

Info für Menschen mit Handicap: Der Zugang zu den Museumsräumen ist mit Rollstuhl leider nur zum Teil möglich.

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„2022 im Zeichen der Menschlichkeit“ – Informationen der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Crailsheim und Ellwangen

„2022 steht im Zeichen der Menschlichkeit. Der Beste unter den Menschen ist Jener, der Anderen eine Hilfe ist (der Heilige Prophet Muhammad)“, schreibt Adnan Mohammad, Sprecher Ahmadiyya Muslim Gemeinde Crailsheim und Ellwangen in einer Neujahrsbotschaft. In Crailsheim und Ellwangen gibt es 100 Mitglieder der Ahamdiyya Gemeinde. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht den Text Adnan Mohammad in voller Länge.

Neujahrsbotschaft von Adnan Mohammad, Sprecher Ahmadiyya Muslim Gemeinde Crailsheim und Ellwangen

Liebe Freunde,

ich heiße Adnan Mohammad, bin 38 Jahre alt und lebe in Crailsheim. Ich bin Geschäftsführer eines Unternehmens in Crailsheim, lebe seit 30 Jahren in Deutschland und bin Sprecher der Ahmadiyya Muslim Gemeinde Crailsheim und Ellwangen. Ich werde oft nach meiner Gemeinde, die Ahmadiyya Gemeinde gefragt, deshalb habe ich Ihnen eine kurze Zusammenfassung geschrieben. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Bei Fragen können Sie gerne unsere Website www.ahmadiyya.de besuchen oder uns eine E-Mail an ahmadiyya-crailsheim@gmx.de senden.

AMJ ist in über 204 Ländern aktiv

Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) wurde 1889 in Indien von Hazrat Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Hazrat Mirza Ghulam Ahmad beanspruchte aufgrund von Offenbarungen Gottes, der Verheißene Messias des Islam und von allen großen Religionen erwartete Reformer der Endzeit zu sein. AMJ stellt mit ihren vielen zehn Millionen Mitgliedern in über 204 Ländern weltweit die größte Gemeinschaft unter den organisierten Muslimen dar. In den einzelnen islamischen Staaten ist sie dennoch eine Minderheit. Gleichzeitig ist die AMJ, die sich ausschließlich durch Spenden ihrer Mitglieder finanziert, die am schnellsten wachsende islamische Reformbewegung unserer Zeit. Ihr Hauptsitz befindet sich aktuell in London, Großbritannien.

über 50 Moscheen, etwa 225 lokale Gemeinden sowie einen TV-Sender und einen Verlag in Deutschland

Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, absolute Gerechtigkeit, Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Trennung von Religion und Staat, Beendigung gewalttätiger Aktionen im Namen der Religion sowie die Menschenrechte, wie sie im Koran festgelegt worden sind. In Deutschland stellt die AMJ mit über 55.000 Mitgliedern eine der größten Gemeinden unter den organisierten Muslimen dar. Sie unterhält deutschlandweit über 50 Moscheen mit Minarett und Kuppel und etwa 225 lokale Gemeinden sowie einen TV-Sender und einen Verlag.

Die am meisten verfolgte islamische Gemeinde der Welt

Die AMJ ist seit 2013 die erste islamische Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit den großen Kirchen rechtlich gleichgestellt. Aufgrund ihrer zeitgemäßen Interpretation des Islam wird die AMJ von vielen orthodoxen Muslimen als häretisch gebrandmarkt und in fast allen islamischen Ländern verfolgt. (Anmerkung der Hohenlohe-ungefiltert-Redaktion zum Begriff häretisch: 1. von der offiziellen Kirchenlehre abweichend, 2. bildungssprachlich: ketzerisch, verdammenswert, Thesaurus/Religion/Synonymgruppe: abgefallen, häretisch; siehe: https://www.dwds.de/wb/h%C3%A4retisch). Die muslimischen Geistlichen sehen in ihr die größte Gefährdung ihrer bestehenden Machtstrukturen, so dass die AMJ heute die am meisten verfolgte islamische Gemeinde der Welt ist.

Dagegen setzt sich die AMJ für die Freiheit des Glaubens ein, denn im Heiligen Koran heißt es:

„Es soll kein Zwang sein im Glauben!“ (2:257)

Das von der AMJ weltweit propagierte Motto lautet:

„Love for All, Hatred for None“- „Liebe für Alle, Hass für Keinen!“

Iislamische Reformgemeinde von rein spirituellem Charakter

Islam und Ahmadiyya sind Synonyme, also ein und dasselbe. Demnach ist sie keine Abspaltung innerhalb des Islam, sondern stellt vielmehr die Renaissance des tatsächlichen Islam dar. Die AMJ ist eine islamische Reformgemeinde von rein spirituellem Charakter. Für sie lehrt der Islam im Kern zwei Dinge: Den Weg zu Gott zu finden und seiner Schöpfung zu dienen. Darüber hinaus setzt sich die AMJ richtungsweisend für alle anderen islamischen Gruppen traditionell für einen überkonfessionellen und interreligiösen Dialog ein und veranstaltet regelmäßig Informationstreffen oder auch öffentliche Frage- und Antwortsitzungen. Sie fördert Frieden und Verständnis zwischen der Gefolgschaft der unterschiedlichen Glaubensrichtungen genauso wie die Integration ihrer Mitglieder in die jeweiligen Gesellschaften, als deren aktiver Teil sie sich versteht.

Interreligiöse Dialoge fördern

Die AMJ ist auch im Bereich des gesellschaftlichen Engagements führend. Dies geschieht in Deutschland durch Projekte wie beispielsweise dem alljährlichen Neujahrsputz (Reinigung von zentralen Plätzen), den Charity Walks (Wohltätigkeitsläufe), Baumpflanzungen (Pflanzung von Friedensbäumen), Altenheimbesuchen, Blutspendenaktionen, Tag der offenen Tür in den Moscheen, Koran-Ausstellungen, interreligiösen Dialogen und Frage-Antwort Sitzungen.

„Ein Dienst aus Liebe zur Menschheit“

In Crailsheim und Ellwangen sind 100 Mitglieder der Ahamdiyya Gemeinde. Dies sind nur einige Bereiche und Erklärungen zur Ahmadiyya Muslim Jamaat und Ihren Aktivitäten.

Ihr Adnan Mohammad

Weitere Informationen und Kontakt:

Internet: www.ahmadiyya.de

E-Mail: ahmadiyya-crailsheim@gmx.de

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„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden zweiter Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden zweiter Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

II Rechnung

… stetig leicht pulsierend rann das Blut aus der Innenseite von Carls Oberschenkel. Trotz des arg dünnen Rinnsals, verfärbte sich jedoch seine Leinenhose ganz langsam durch und durch in ein helles, leicht regenbogenfarben schimmerndes Rot. Bei diesem Anblick wurden ihm die Knie schwach und er ließ sich auf den Boden sinken. Es fröstelte ihn und er fragte sich still: Soll das nun tatsächlich mein Ende sein? Nachdem er die Frage widerstrebend mit einem eindeutigen Ja beantworten musste, erinnerte sich Carl Eugen Friedner an ein Buch, in dem Erzählungen von Menschen auf dem Sterbebett wiedergegeben werden. Es wurde berichtet was letzten Endes wirklich zählt. Das man wohl am meisten bereuen würde, was man hätte tun können, aber unterlassen hat, es zu Lebzeiten in die Tat umzusetzen. Während Carl Eugen begann die Unumgänglichkeit seines eigenen letzten Stündchens anzuerkennen, machte er in seinem Innersten eine Unterlassungsrechnung auf.

Heiligenschein

Dabei wurde ihm dann wieder heiß – waren es doch ziemlich gemeine und schlimme Unterlassungen, die er sich da geleistet hatte. Zuerst kam ihm nämlich seine geliebte Paula in den Sinn. Er hatte sie mit Fleiß betrogen und verraten. Als ihr vertrauter Steuerberater, Rechtsanwalt und Freund ließ er sie ganz gezielt geplant und eiskalt hinterrücks in die Falle laufen, die man für sie passgenau aufgestellt hatte. Und er half danach jahrzehntelang mit, den Betrug zu verschleiern und deckte die Täter samt seiner Selbst mit Schweigen zu. Leicht wäre es ihm möglich gewesen, Ross und Reiter bei der Staatsanwaltschaft, unten am Kocher in der Kreisstadt zu benennen – aber er zauderte wie eh und je. Bei seinen in letzter Zeit gemachten Versprechungen an Paula, die Bande endlich anzuzeigen, fehlte es ihm keinesfalls am Mut, den einst geschehenen Betrug aufzudecken. Nein, Carl war in den hintersten Winkeln seiner Seele lediglich beseelt von einem Heiligenschein, unter dem er sich zu weilen wähnte nämlich bei anderen im richtigen Licht dazustehen.

Schönmehlreden

In dieser selbstgefälligen Sichtweise fühlte er sich Paula artverwandt. Jedoch Paula Engel, stets darauf bedacht, in scheinbar betuchten mächtigen und einflussreichen Kreisen Eindruck zu schinden, überholte ihn in dieser Disziplin um Längen. Gewandt und mit einem undurchsichtigen Lächeln im Gesicht, schlängelte sie sich durch die kunstverständige und kulturbeflissene Öffentlichkeit der Kreisstadt. Sie gab nirgends und auch keinesfalls ein deutliches Widerwort. Nie und nimmer hätte sie sich einer Diskussion mit guten Argumenten gestellt – Paula hängte durch unterhaltsames Schönmehlreden, geflissentlicher Zustimmung und beredtem Schweigen ihr Fähnlein
nach dem Wind. Eine deutliche Parteinahme geschah ausschließlich und wohlüberlegt zugunsten von Männern in Amt und Würden. Diese waren bevorzugt Inhaber gehobener regional angesiedelter politischer Ämter und Vorsitzende verschiedener örtlicher Vereine und namhafter Einrichtungen.

Bubengymnasium

Zu Carls Bedauern waren diese Herren weit oberhalb seiner engen Wirkungskreise angesiedelt, was ihn wiederum neidisch machte. Somit verstärkte sich damals sein Wunsch und Streben, Paula aus Rache für ihre gelungene Anbiederung an andere, scheinbar einflussreiche Männer, so richtig reinzureiten. Es war nicht nur die vermeintliche Solidarität zu seinen Altersgenossen und Schulkameraden aus der Zeit im Bubengymnasium. Und selbst die Schuldigkeit, die man sich üblicherweise in honorigen Zusammenhängen zu erbringen hat, war nicht ausschlaggebend für sein schofeliges Verhalten, sogar einen ganzen Prozess für Paula Engel haushoch zu verlieren. Es war seine eigene arrogante Überheblichkeit, seine ziemlich verbohrte Besserwisserei, die er seinerzeit auch gar nicht überwinden wollte. Lieber setzte er, auch heute noch, so manchen Prozess für seine Mandanten in den Sand. Selbst seine Vorliebe für Paula Engel brachte ihn nicht dazu sein Verhalten zu ändern. Erst jetzt, im Angesicht des Todes, bereute er seine ganze gezeigte Liederlichkeit.

Geschmeichelte

Carl Eugen, er erkannte zudem, dass auch das Verbergen seines Neides und seiner Eifersucht einen falschen Eindruck bei Paula Engel entstehen ließen. Aus der jetzigen Sicht, hätte er Paula wegen ihrer Großmannssucht, in einer ausgewählten und sehr ruhigen Stunde, ansprechen müssen. Um verständlich zu machen, dass er dieses Verhalten als Verrat empfand. Weiterhin hätte er sie dann vor die Wahl stellen sollen, ob sie mit ihm so wie er war, oder mit den doch unerreichbaren Geschmeichelten zu tun haben wollte. Carl Eugen lächelte milde über seine späte Erkenntnis und konnte sich den deutlichen Nachklang nicht verkneifen, dass seine geliebte Paula damit aber sicherlich für alle Zeiten verloren für ihn gewesen wäre. Seufzend lehnte er sich mit dem Rücken an den einen Pflock des vermaledeiten Schildes und blickte aus den Augenwinkeln auf die Durchgangsstraße. Es war kein Mensch zu Fuß unterwegs, den er hätte um Hilfe anrufen können. Lediglich ein paar Laster donnerten durch die enge Kurve direkt vor seinem Eckhaus. Er spürte direkt wie die Schrift sich auf der Haut seines Rückens abzeichnete: „ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“

Aus den Fugen geraten

Wer hatte das Schild derart bombensicher auf seinem Grund und Boden befestigt? Paula sicher nicht, so einen Aufwand hätte sie niemals bewerkstelligt. Es gab mehrere Mandanten, die dafür in Frage kommen würden. Weiter kam er in seinen geistigen Nachforschungen aber nicht, denn von weitem hörte er sein Telefon läuten. Sicherlich war das sein Freund Paul. Dieser würde nun in Zukunft alleine mit seinem vollkommen aus den Fugen geratenen Familienleben zurechtkommen müssen. Was sollte gerade er auch dazu sagen? Carl hatte keine Kinder und Problemen mit heranwachsenden Töchtern stand er schulterzuckend vis a vis.

Einfühlungsvermögen

Carl Eugen Friedner resümierte: Sein Einfühlungsvermögen gegenüber sich selber als Mann und gegenüber dem weiblichen Geschlecht, ja, das hätte er allerdings intensiver schulen müssen, um sein Mitgefühl zeigen zu können. Womöglich hätte er dann, anstatt neidisch und eifersüchtig zu sein, ein aufrichtiges Bemühen um ein liebevolles Miteinander an den Tag gelegt und wahres Verständnis, auch für sich selber, aufbringen können…

Fortsetzung folgt.

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„Todeszone“ Generalgouvernement – Vortrag in Schwäbisch Hall des Historikers Folker Förtsch über die deutsche Besatzungspolitik in Polen

Einen Vortrag in der Volkshochschule Schwäbisch Hall hat der Historiker Folker Förtsch am 29. November 2021 über die deutsche Besatzungspolitik in Polen gehalten. An der deutschen Besatzung im von den Nazis Generalgouvernement genannten Teil Polens war auch der spätere Crailsheimer Landrat Werner Ansel beteiligt. Er war von Herbst 1939 bis März 1942 Kreishauptmann in Bilgoraj und von April bis Dezember 1942 Kreishauptmann in Cholm, wo er auch noch einmal im Jahr 1944 als Kreishauptmann im Amt war. Im Kreis Cholm befand sich das Vernichtungslager Sobibor. Auch viele Häftlinge des Konzentrationslagers Hessental im Kreis Schwäbisch Hall stammten aus dem Generalgouvernement – vor allem aus dem Distrikt Radom.

Informationen zusammengestellt von Hohenlohe-ungefiltert

Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht das Manuskript von Folker Förtsch in voller Länge:

Folker Förtsch
„Todeszone“ Generalgouvernement (GG)
(VHS Schwäbisch Hall, 29. November 2021)

Begrüßung
→ Häftlinge Hessental
→ Partnerstädte Zamosc (Schwäbisch Hall) und Bilgoraj (Crailsheim)

Gliederung:
1 „Generalgouvernement“ (GG) – 2 Deutsche Besatzung, v.a. Judenpolitik (1939-1941)-„Terrorzone“ – 3 Entscheidungsfindung Massenmord-„Von der Terrorzone zur Todeszone“ – 4 Ablauf – 5 Bilanz

I. Besetzung Polens 1939 und die Schaffung von Besatzungsstrukturen („Generalgouvernement“)

September 1939 deutscher Überfall auf Polen; Zerschlagung des polnischen Staates und Aufteilung infolge Hitler-Stalin-Paktes;

► Politische Neuordnung des eroberten Gebietes:
– Annexion der neuen Gaue Danzig-Westpreußen und Wartheland, dazu Teile Ostoberschlesiens und der Region Zichenau (Ciechanów); von dort Umsiedlung von Polen und Juden;
– Schaffung des Generalgouvernements als „Nebenland des Reiches“ (Proklamierung am 25.10.1939);
– Bevölkerungszusammensetzung: 12 Millionen EW, davon 9,6 Millionen Polen (80 Prozent), 1,5 Millionen Juden (12,5 Prozent), 750.000 Ukrainer (6,3 Prozent) und 90.000 Volksdeutsche (0,8 Prozent);

► Institutioneller Aufbau der Verwaltung im GG – dreistufiger Verwaltungsapparat:
– Generalgouverneur Dr. Hans Frank (Krakau); parallel Strukturen der SS- und Polizeikräfte; an der Spitze HSSPF SS-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger (1939-1943);
– Distriktsgouverneure (4, später 5 Distrikte); vier Distrikte Warschau, Radom, Lublin und Krakau, ab Juni 1941 zusätzlich Galizien;
– 47 Stadt- und Kreishauptmannschaften (als „Vollstrecker des deutschen Willen“), z.B. Dr. Wilhelm Schäfer für Busko (1939-1945) und Werner Ansel für Bilgoraj (1939-März 1942), Cholm (April -Dez. 1942) und wieder Cholm (1944);
– Aufgaben insbesondere:
Festigung der deutschen Herrschaft in ihren Wirkungsgebieten + optimale Ausnutzung der wirtschaftlichen Ressourcen + Beschaffung von Lebensmitteln und finanziellen Mitteln + Erfassung benötigter Arbeitskräfte + Aufsicht über polnische „Selbstverwaltung“;

► vollkommen neue Dimension des „Judenproblems“ durch Besetzung Polens (2,1 Mllionen Juden unter deutscher Besatzung);
– bisherige Politik zur Forcierung der Auswanderung keine Chance;

► Herkunft der Hessentaler Häftlinge (675 Personen)

► vor der deutschen Besetzung: vor allem in ländlichen Gebieten typische „Ostjuden“
Juden bewohnen eigene Stadtviertel („Schtetl“); 75 Prozent der Juden orthodox und mit charakteristischem Aussehen (spezifische Kleidung und Haartracht); gängige Sprache Jiddisch, im Kontakt mit Außenwelt oft nur gebrochenes Polnisch; meist sehr ärmliche Verhältnisse;
→ Bestätigung antisemitischer Vorurteile (vgl. auch Thema: Flucht und Untertauchen)
berufliche Struktur: große Mehrheit der Juden in Handel, Handwerk und freien Berufen tätig (z.B. Radom: Judenanteil 32,3 Prozent und 90,3 Prozent der Besitzer handwerklicher Betriebe);

II. Beginn und Durchführung der antijüdischen Politik der deutschen Besatzung

► Einmarsch der deutschen Truppen: noch während des Feldzuges Gewalttätigkeiten von Wehrmachtsoldaten gegen Zivilbevölkerung, vor allem Juden;
z.B. Misshandlungen vor allem orthodoxer Juden (z.B. Zitate Kielce 53 und Opatow 54);
z.B. Freischärler-Psychose mit brutalen Ausschreitungen (z.B. Lagow 54); Niederbrennen von jüdischen Häusern und Synagogen;
z. B. willkürliche Durchsuchungen von Häusern, Beschlagnahmung von Lebensmitteln und anderem nützlichen Eigentum, teilweise Weitergabe an Volksdeutsche;
– Vertreibung der Juden aus ihren Wohnungen und Konfiszierungen zugunsten der Ansiedlung deutscher Dienststellen;

Aber: noch keine systematische antijüdische Mordpolitik (Opfer von Exekutionen vor allem polnische Führungsschicht und Intellektuelle);

► Polizeieinheiten (Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD): „Bekämpfung aller reichs- und deutschfeindlichen Elemente rückwärts der fechtenden Truppe“ – Unternehmen Tannenberg: Unschädlichmachung von 61.000 Personen aus der polnischen Intelligenz – Massenexekutionen (Professoren, Intellektuelle, Geistlichkeit, Adel, darunter mehrere Tausend Juden);

► Rechtliche Gestaltung der Judenpolitik durch Regierung des Generalgouvernements (Zivilverwaltung):

→ erste rechtliche Grundlagen der „Judenpolitik“:
– 26.10.1939 VO über den Arbeitszwang für alle Juden (im Alter zwischen 14 und 60 Jahren);
– 15.11.1939 VO über die Errichtung einer Treuhandstelle für das GG („gesetzliche“ Handhabe, um konfisziertes und „herrenloses“ Vermögen zugunsten der Zivilverwaltung im GG einzuziehen – Rechtskonstruktion der „fiktiven Herrenlosigkeit“ für das jüdische Eigentum);
– 20.11.1939 VO zur Beschränkung der Verfügungsgewalt polnischer Juden über ihr Vermögen (Sperrung aller Konten, Depots und Schließfächer – Einzahlung von Barbeträgen über 2.000 Zloty auf gesperrte Konten – Anlass für Personen- und Hausdurchsuchungen);
– 23.11.1939 Einführung der Kennzeichnung jüdischer Personen durch Armbinden und jüdischer Geschäfte (als starke Demütigung empfunden); da im rechtlichen Sinne praktisch schutzlos, damit Übergriffen jeder Art ausgesetzt;
– 28.11.1939 VO zur Einrichtung der Judenräte (erzwungenes Vollzugselement der deutschen Besatzungspolitik);
– 24.1.1940 VO über die Pflicht zur Anmeldung jüdischen Vermögens (inkl. Beschlagnahme-VO);

► Konkrete Umsetzung der antijüdischen Maßnahmen – einzelne Aspekte

→ Ghettoisierung:
Räumliche Isolierung der Juden – zunächst mit provisorischem Charakter – einheitliches Vorgehen scheitert immer wieder an mangelnden Wohnkapazitäten und fehlendem Baumaterial; erst allmähliche Durchsetzung (Ghettoisierungswelle ab Herbst 1941);
– auch Vorstellung der baldigen „Entfernung“ der Juden verhindert einheitliche Ghettoisierungspolitik;

Sonderfall: Aussiedlungen zur „Verschönerung des Stadtbildes“ – bloßer Anblick der Juden als „unerträglich“ empfunden, z.B. Krakau, oder Erholungsgebiete für Deutsche, Zakopane oder Kurort Kazimierz (Musial 130);

– „Aussiedlungen“ und Konzentration der Juden in bestimmten Ortschaften oder Stadtvierteln (häufig sehr schlechte Qualität des Wohnraums);
– z.B. Dezember 1939 Radomsko: 20 Minuten Zeit – Konzentrierung von 7.000 Menschen auf engstem Gebiet (pro Zimmer im Schnitt 10 Personen);
– z.B. 15.4.1941 Bezirk Busko (KH Schäfer) – schlimmste Bedingungen in Wislica: ärmstes Viertel der Stadt wird für 2.000 Juden zum Wohnviertel (76 Häuser mit 452 Räumen); kein Brunnen – Wasser nur aus Fluss Nida, in welchen auch die Abwässer der Stadt geleitet wurden;
– größtes Ghetto in Warschau (ab Okt./Nov. 1940) mit 450.000 Insassen (Bevölkerungsdichte: 150.000 EW/qkm);

– Zunehmend Verbote, Wohnbezirke zu verlassen – Verschärfung der Bestimmungen zur Isolation der Juden, v.a. Vorstellung der Juden als „Seuchenträger“ und Verursacher von Krankheiten;
– 15.10.1941 „Dritte VO über Aufenthaltsbeschränkungen im GG“ mit vollständiger Isolierung der Juden in für sie bestimmten Wohnvierteln; Zuwiderhandlung unter Todesstrafe gestellt, ebenso Hilfeleistung durch christliche Bevölkerung;
– unzumutbare Lebensbedingungen im Ghetto – Schwarzmarkt und „Schleichhandel“ überlebensnotwendig; allen klar, dass Juden damit vor der Alternative, entweder zu verhungern oder erschossen zu werden;

→ Ernährungspolitik:
– einheitliches Lebensmittelkartensystem ab 1.1.1941 (10 Verbrauchergruppen, unterste Gruppe die Juden);
– konkrete Rationen: Normalsatz für Juden pro Woche 700 g Brot, 40 g Getreidekaffee und 50 g Zucker (Hungerrationen); Sonderzuteilungen wie Kartoffeln, Gemüse „nach Bedarf“ oder „nach jahreszeitlichem Anfall“, ¼ l Milch „nach Vorhandensein“; darüber hinaus mögliche „Sonderzuteilungen“ an Hülsenfrüchten, Mehl, Getreide, Fleisch oder Eier „nach Möglichkeit“, in der Praxis vom guten Willen der Kreishauptleute abhängig;
– ohnehin niedrige Rationen immer wieder gekürzt oder einbehalten; z.B. Winter 1941/42 Regierung des GG kürzt Rationen der Juden um die Hälfte;
– mit Angriff auf die Sowjetunion wurde das GG Nachschubgebiet für Militär, weiterhin auch Lieferungen an das Reich;
– z.B. bis Sommer 1942 zirka 80.000 Hungertote in Warschau (1,5 Jahre Ghetto)
– Mindestrationen so niedrig, dass sie in kürzester Zeit zum Hungertod führten – Juden gezwungen, sich zusätzliche Nahrungsmittel auf dem Schwarzmarkt zu besorgen; z.B. im Ghetto Warschau deckten offizielle Lebensmittelzuteilungen nur zirka 10 Prozent des Kalorienbedarfs;
– zum Überleben Versorgung auf Schwarzmarkt und durch „Schleichhandel“; siehe „Schmuggelkinder“ in Warschau;

→ Wirtschaftliche Ausbeutung und „Entjudung“:
– individuelle Raubaktionen: Überfälle, Erpressung von Wertgegenständen; Beschlagnahme von Gebrauchsgegenständen, Möbeln, Geschirr, Kleidung etc.;
– Kontributionen seitens offizieller Stellen; Versorgung von Polizisten, Angehörigen der Zivilverwaltung und Militärangehörigen durch Juden mit Geld, Kleidung oder Wodka; Judenräte persönlich verantwortlich gemacht;
– „Arisierung“ der jüdischen Wirtschaft: planmäßige Verdrängung der jüdischen Bevölkerung aus der Wirtschaft
Ablauf: systematische Registrierung aller jüdischen Betriebe – Schließen von jüdischen Handels- und Handwerksbetrieben – Beschlagnahme von Häusern, Wohnungen, Geschäftsgebäuden und Grundstücken (ehemalige jüdische Besitzer mit Mietzahlungen) – Übernahme durch Treuhandverwaltung – ohne jegliche Entschädigung;
– viele Juden ihrer Existenzgrundlage beraubt;
– parallel: Ausschluss von staatlichen Sozialleistungen, Gesundheitsfürsorge und Rente;

– „Sonderaktionen“, z.B. „Pelzaktion“ im Winter 1941/42 auf persönliche Anweisung Himmlers;

– trotz der grundsätzlichen Politik der „Arisierung“ Erkenntnis, dass sofortige und vollkommene „Entjudung“ nicht durchführbar und vom wirtschaftlichen Standpunkt her nicht erwünscht; totale Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft zunächst nicht zu verwirklichen;
– Fortbestand der billigen Ghettowerkstätten für Bedarf der Zivilverwaltung und der Wehrmacht (Hoffnung der dort beschäftigten Juden auf Eigeninteresse der Deutschen);

→ Zwangsarbeit:
– E. Jan. 1940 „Dienstbefehl an die Judenräte für die Erfassung und Gestellung der Juden zur Zwangsarbeit“ – Versuch einer zentralen Steuerung des jüdischen Arbeitseinsatzes (Ablösung der bisherigen „wilden“ Rekrutierungen (von der Straße weg);
– jüdische Zwangsarbeiter in den wenigsten Fällen bezahlt; Unterhaltung auch ihrer Familien durch Judenräte (Belastung der jüdischen Gemeinden);
– ab Sommer 1940 Einsatz tausender von jüdischen Zwangsarbeitern bei Großprojekten, z.B. „Otto“-Programm (knapp 2.000 Kilometer Straßen zu bauen) sowie beim „Buggraben-Projekt“;
– katastrophale Arbeitsbedingungen, Hunger, Misshandlungen, nicht selten mit Todesfolge; Verletzungen und Krankheiten; Erschöpfungszustände und Gesundheitsschäden; die wenigen Rückkehrer mehr tot als lebendig;
– Einsatz von Juden auch für lokale Arbeiten (Ausbesserungsarbeiten, Flussregulierungen, Straßenbauarbeiten oder in Fabriken); dazu Einrichtung von zahlreichen Zwangsarbeitslagern; „Haus-„ oder „Hofjuden“ in Polizeidienststellen oder SS-Kasernen, aber auch in Privathaushalten (Mendel Gutt);

► Auswirkungen auf die jüdische Bevölkerung:
– Verschlimmerung der Wohnsituation infolge Ghettoisierung;
– Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit (Zwangsarbeit mit minimaler oder keiner Entlohnung); z.B. in Kielce nur ein Viertel der jüdischen Bevölkerung mit regelmäßiger Beschäftigung;
– angespannte, teilweise katastrophale Ernährungslage (fortwährende Unterernährung);
– Mangel an Brennmaterial in den Wintermonaten;
– Defizite bei den einfachsten Mitteln der Hygiene;
→ Kampf ums nackte Überleben für die große Mehrheit der jüdischen Bevölkerung;
– allgemeine Verelendung + ständige Gefahr deutscher Übergriffe (ständiges Angstgefühl); Verzweiflung und Resignation; insgesamt Desintegration der jüdischen Gesellschaft (Polarisierung);
– höhere Anfälligkeit für Krankheiten (Hungerödeme, Hauterkrankungen, Tuberkulose, Typhus, Fleckfieber) und höhere Sterblichkeit;

→ je länger die Besatzung dauerte, umso mehr Juden entsprachen dem Bild vom verlausten, verwahrlosten und verschmutzten Ostjuden; die Gefahren, die die antisemitische Propaganda den Juden als „Schwarzhändler“ und „Seuchenträger“ andichtete, durch Repressionspolitik der Besatzer weitgehend erst hervorgerufen;
– Teufelskreis: je schärfer und restriktiver die Abgrenzung, desto kritischer die materielle Lage; je kritischer die materielle Lage, desto mehr jüdische „Vergehen“ gegen VO der Besatzer;

→ „Judenfrage“ wird für die Deutschen immer mehr zu einem tatsächlichen verwaltungstechnischen Problem – Lösung über „Entfernung“ der Juden – da räumliche „Entfernung“ nicht möglich, wird bei wichtigen Entscheidungsträgern Ermordung mehr und mehr zu einer akzeptablen Lösung;

III. Planungen zur Lösung der „Judenfrage“ und Entschluss zum Massenmord an den polnischen und europäischen Juden

► NS-Pläne zur „Lösung der Judenfrage“ ab Kriegsbeginn 1939:
– Deportation in die südöstlichen Gebiete Polens – „Judenreservat Lublin“ zwischen Weichsel und Bug;
– „Madagaskar-Plan“ (Juni 1940) – scheitert an fehlender Seedominanz;
– Vertreibung über die Grenze nach Osten (Pripjet-Sümpfe), ab März 1941 (realisierbar nur mit Sieg im Osten);

► Handlungsdruck im GG – Initiative von SSPF Lublin Odilo Globocnik (ehemaliger Gauleiter von Wien) zur Schaffung eines im Sinne der Nationalsozialisten „Musterterritoriums“ im Osten;
– Juli 1941 Globocnik in Absprache mit Himmler; beauftragt, in Lublin ein erstes „Großsiedlungsgebiet in den deutschen Kolonien“ zu schaffen;
– Umsetzung der ersten Phase des „Generalplans Ost“ (Konzepte für „Schaffung von Lebensraum im Osten“ (Germanisierung des Distrikts durch die Ansiedlung von Volksdeutschen und „Säuberung“ von „unerwünschten Elementen“, v.a. der Juden);

► Pläne Globocniks massiv behindert durch militärische Gesamtlage, die spätestens ab Frühherbst 1941 einen schnellen deutschen Sieg im Osten nicht mehr erwarten ließ; damit auch die Realisierung der Deportation Hunderttausender polnischer Juden nicht möglich – Suche nach alternativer Option: Massenmord;

► größerer Zusammenhang: auch auf anderen Kriegsschauplätzen Zuspitzung der „Lösung der Judenfrage“ hin in Richtung physische Vernichtung
– Angriff auf die Sowjetunion (Juni 1941) – eindeutiger Befehl zum Völkermord an den Juden (Einsatzgruppen und Bataillone der Ordnungspolizei ermorden zirka eine Millione Menschen – enormer Radikalisierungsschub); Hinweis August Häfner;
– Initiative von Gauleiter Arthur Griese (Wartheland), sein Gebiet „judenfrei“ zu machen (Sommer 1941) – Rückgriff auf Mordspezialisten der „Aktion T4“ (Euthanasie-Programm im August 1941 gestoppt); organisieren Vernichtung der Juden im Warthegau im Lager Kulmhof (Chelmno) mit Gaswagen (ab 8.12.1941); Bilanz Chelmno bis Kriegsende: ca. 150.000 Juden und 5.000 Roma;
– in die gleiche Richtung weist Entschluss, die russischen Kriegsgefangenen im Winter 1941/42 auszuhungern (in Kriegsgefangenenlagern im GG ca. 500.000 Tote);
→ psychologische Schwelle zum Massenmord im Sommer/Herbst 1941 überschritten;

► Zurück zu Globocnik und seinen Plänen für Lublin und das GG:
– 13.10.1941 Globocnik erhält von Himmler Genehmigung zum Aufbau des Vernichtungslagers in Belzec;
– Besprechung in Lublin am 17.10.1941 „Die Juden sollen – bis auf unentbehrliche Handwerker und dergleichen – aus Lublin evakuiert werden.“
→ Tarnwort „Evakuierung“

– Äußerung Hans Franks am 17.10.1941 bei Besprechung: „besonderer Auftrag des Führers“;
vgl. Rede Hans Franks vom 16.12.1941 – offene Ankündigung der bevorstehenden Vernichtung der Juden: „Man hat uns in Berlin gesagt: Weshalb macht man diese Scherereien; wir können im Ostland oder im Reichskommissariat auch nichts mit ihnen [den Juden] anfangen, liquidiert sie selber!“;

→ Weiterer Ablauf:
– Ende Oktober Beginn des Baus von Belzec;
– November Eintreffen der ersten T4-Spezialisten;
– 20.1.1942 Wannsee-Konferenz
– Koordinierung der Maßnahmen zur Durchführung des Genozids an den europäischen Juden;

– 17.3.1942 Beginn des Massenmords an Juden (getarnt als „Umsiedlung nach Osten“) – „Aktion Reinhardt“ – zirka 18.000 Juden aus Lublin innerhalb weniger Tage nach Belzec;
→ Genozid entwickelte sich aus lokalen Dynamiken und Impulsen, Zustimmung aus Berlin sowie der generellen Übereinkunft aller NS-Funktionäre, dass das „Judenproblem“ gelöst werden müsse;
→ Entschlussfassung und Entscheidung Hitlers: Anfang Oktober 1941;

 Neben (eliminatorischen) Antisemitismus der Täter kalkulierte Vorteile der Judenvernichtung:
– ökonomischer Nutzen: erhöhte Lebensmittellieferungen ans Reich + Reduzierung des Schwarzhandels;
– Wohnraumbeschaffung;
-„Verschönerung des Ortsbildes“;
– erhebliche materielle Einnahmen durch Verwertung der Hinterlassenschaften der ermordeten Juden;
– gesundheitshygienische Erwägungen durch Beseitigung der hauptsächlichen Seuchenträger;
– Gewährleistung der Sicherheit im Rücken der in der Sowjetunion kämpfenden Truppen;

IV. Die „Aktion Reinhardt“

► Wichtigste Akteure:
– Generalgouverneur Hans Frank,
– HSSPF SS-Obergruppenführer Friedrich Wilhelm Krüger,
– SSPF Lublin SS-Brigadeführer Odilo Globocnik,
– Viktor Brack und Christian Wirth („Aktion T4“),
– Team von 121 Männern, Angehörige der „Kanzlei des Führers“; nach Abschluss „T4“ Suche nach neuen Einsatzmöglichkeiten („Experten der Vernichtung“); 
– SS-Sturmbannführer Hermann Höfle (Stabschef der „Aktion Reinhardt“) mit 300 Mann eingesetzt vor allem als Verantwortliche für Ghetto-Räumungen;
– Radom: „Sonderkommando Feucht“ (Mitglieder des „Judenreferats“ beim Kommandeur der Sicherheitspolizei);
– unterstützt von fremdvölkischen Hilfswilligen („Trawniki“-Männer – zirka 5.000 zu Handlangern der Deutschen ausgebildet) sowie deutschen und polnischen Polizisten;
– organisatorische und teilweise auch direkte Beteiligung der deutschen Zivilverwaltung im GG: Übersicht über Zahl und Wohnorte der Juden in einzelnen Kreisen – Konzentrierung von Juden an Orten mit Bahnanschluss („Aussiedlungen“) – Aufteilung in arbeitsfähig und nicht arbeitsfähig (Selektionen); Initiative und direkte Beteiligung von Mitarbeitern an Ghetto-Räumungen;

► Ablauf der „Aktion Reinhardt“ (März 1942 bis Oktober 1943):

– Name nachträglich nach dem am 4.6.1942 in Prag getöteten Reinhard Heydrich;
[- Phase 1 (März-Juni 1942): gemeinsame Aktion von SS und Zivilverwaltung;
Phase 2 der „Aktion Reinhardt“ (ab Juni 1942): Übergang von Planung und Kommando an SS; Verbrechen dieser Dimension nur mit zentraler Planung möglich;]

Die „Aussiedlungsaktionen“ der „Aktion Reinhardt“ liefen in allen Ghettos nach einem normierten und eingeübten Schema ab:

→ Die jüdischen Wohnviertel wurden umstellt, gleichzeitig wurde ein Zug bereitgestellt, der die Bewohner abtransportieren sollte.

→ Die Räumung fand in der Regel in der Nacht statt. Die Vertreter des Aussiedlungsstabes versammelten die Angehörigen des jüdischen Ordnungsdienstes und instruierten sie. Deren Aufgabe bestand darin, die Juden in dem Viertel über die bevorstehende Aussiedlung zu informieren und sie zu einer festgelegten Uhrzeit auf die Straße zu treiben. Jeder durfte ein Handgepäck bis 20 Kilogramm Gewicht mitnehmen.

→ Was die Ghettobewohner dann auf der Straße erlebten, war der reinste Horror: Sie wurden von der SS und ihren Hilfskräften mit lautem Geschrei, bellenden Hunden, Schlägen und Schüssen empfangen. Die Menschen wurden in Marschkolonnen gruppiert und im Laufschritt zu den Selektionsplätzen getrieben.

→ Selektion auf der Grundlage von Arbeitsausweisen, die in den Wochen vor der „Aussiedlung“ ausgegeben worden waren. Diejenigen, die über einen solchen Ausweis verfügten, wurden (meist mit ihren engsten Familienangehörigen) separiert. Die übrigen, die große Mehrzahl, wurden zum Bahnhof getrieben und dort in die bereitgehaltenen Waggons gepfercht, die dann planmäßig in eines der Vernichtungslager abfuhren (je nach Größe des geräumten Ghettos Züge mit bis zu 6.000 Passagieren).

→ Während der Selektion lief, wurde das Ghetto noch einmal nach versteckten Juden durchsucht. Die, die man noch aufspüren konnte, wurden an Ort und Stelle erschossen.

→ Der ganze Vorgang wurde in großer Eile und mit äußerster Brutalität durchgeführt. Wer in irgendeiner Weise den reibungslosen Ablauf behinderte, beispielsweise Kranke, Behinderte, Säuglinge, Alte oder Schwangere, wurden sofort exekutiert. Das galt in aller Regel auch für die Insassen der Ghettokrankenhäuser. In vielen Fällen kam es zu Exzesstaten.

– Kaum vorstellbare Geschwindigkeit der Vernichtung: z.B. Distrikt Radom: zu Beginn der „Aktion Reinhardt“ zirka 380.000 Juden, davon innerhalb von dreieinhalb Monaten (Aug.-Nov. 1942) 325.000 in Treblinka, 13.000 vor Ort ermordet, 30.000 noch lebende Arbeitsjuden, Geflohene und Untergetauchte;
– „Menschenjagden“ auf Geflüchtete und Untergetauchte (ab Herbst 1942): Razzien, Durchkämmen von Wäldern; Todesdrohungen gegen polnische Helfer (Schauexekutionen ganzer Familien und Nachbarschaften); Belohnungen für Ergreifung oder Erschießung eines Juden (Kopfprämien); regelrechte Treibjagden;

► „Aktion Erntefest“:
– 100-120.000 Juden überlebten „Aktion Reinhardt“, da sie als Zwangsarbeiter für die Kriegsindustrie arbeiteten – Widerspruch zur „Endlösung der Judenfrage“;
– nach Aufständen in Ghettos und Vernichtungslagern Umdenken bei Himmler: Vernichtung der letzten Überlebenden → ökonomische Aspekte der „Verwertung“ zu keiner Zeit so wichtig wie ideologisches Ziel der „Endlösung“;
– 3.-4.11.1943 „Aktion Erntefest“: Vernichtung der meisten Zwangsarbeitslager; im Distrikt Lublin von 50.000 jüdischen Zwangsarbeitern 42.000 ermordet; Rückkehr zur Methode der Erschießungen;
– nicht in allen Distrikten mit gleicher Schärfe durchgeführt, z.B. Radom kaum betroffen;
– bestehen bleiben allein einige ausgewählte Arbeitslager in direkten Diensten der Wehrmacht und der SS; wenige 10.000 Personen;
– wer bis dahin noch lebte, wurde im Sommer 1944 nach Westen ins Reichsgebiet deportiert (z.B. Häftlinge des Lagers Hessental); einige wenige Juden aus dem GG im Frühjahr 1945 in Deutschland befreit (Bruchteil der ursprünglichen jüdischen Bevölkerung des GG);

V. Die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“

► Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“: Belzec, Sobibor und Treblinka;
– wichtig für Standortauswahl: Abgelegenheit, aber guter Anschluss an Verkehrswege, v.a. Bahn, und vorhandene Bahnrampe;
– Unterscheidung von bisherigen KZs (sehr einfache und vorübergehende Anlagen);
→ alle drei Lager der „Aktion Reinhardt“ nichts weiter als ein Bahnhof mit angeschlossenen Gaskammern; zu einem einzigen Zweck und nur für begrenzte Dauer angelegt;

► Lageplan Treblinka

– Experimentieren mit Tötungsart: Gaswagen wie bei „T4-Aktion“ angesichts der Dimension zu ineffizient; Kohlenmonoxid aus Flaschen; Einsatz von Panzermotoren;

→ in Lagern jeweils 500-700 Arbeitsjuden, die alle Arbeiten außer der Vergasung für die SS erledigen musste; Unterscheidung Lager I (Ärzte, Köche, Wäscherinnen, Arbeiter, die Hinterlassenschaften ordneten und verpackten) und eigentlicher Todesbereich, Lager II; Arbeitsjuden brutalster Gewalt ausgesetzt;

präzise Organisation erlaubte es, dass in den Lagern jeweils nur etwas mehr als 20 Deutsche eingesetzt werden;

→ Vergnügungen, vgl. Foto-Album „Schöne Zeiten“ von Kurt Franz, stv. Lagerkommandant in Treblinka;

→ wirtschaftlicher Aspekt der „Aktion Reinhardt“:
– Arbeitskommandos sammeln und sortieren hinterlassene Habe;
– Ausbeute per Zug oder LKW in Distrikthauptstadt; teilweise Versteigerungen;
– Weiterschicken nach Lublin in zentrales Verwertungslager beim Stab der „Aktion Reinhardt“;
– Bereicherung der beteiligten SS-Leute;

► Eigentliche Herausforderung für die Mörder war Leichenbeseitigung (in Gaskammern 2.000 Menschen in gut 20 Minuten ermordet);
→ Tote zunächst in Gruben verscharrt, in späterer Phase ausgegraben und verbrannt; entscheidende Bedeutung für Mordkapazität;
Beseitigung der Massengräber entsprechend „Sonderaktion 1005“ in der Sowjetunion; Dauer: in Belzec von Dezember 1942 bis März 1943, in Treblinka von Februar bis August 1943;

► Abbau der Vernichtungslager – systematische Verwischung der Spuren; Planierung des Geländes und Umgestaltung zu Bauernhöfen;

► trotz der brutalen Effizienz immer wieder Fluchtversuche und Akte von Widerstand

→ Widerstand der Juden in Treblinka und Sobibor:
– 2.8.1943 Aufstand in Treblinka (noch eher zufällig und wenig organisiert) – Flucht von 200 bis 250 Häftlingen;
– 14.10.1943 Rebellion in Sobibor (mit militärischer Präzision und Planung) – 12 SS-Männer und 10 Trawniki getötet – Flucht von zirka 380 Häftlingen;
[→ Schicksal der Geflohenen – Haltung der Polen (vgl. aber auch „Gerechte unter den Völkern“ + Strafdrohungen durch Deutsche);]
→ Kriegsende erlebten zirka 70 Häftlinge aus Treblinka und 62 aus Sobibor; im Fall Belzec überhaupt nur drei Überlebende;

VI. Bilanz „Aktion Reinhardt“

 Wirtschaftliche Bilanz (Nebeneffekt):
– Abschlussbericht Globocniks über „Aktion Reinhardt“ vom 15.12.1943: 1901 Eisenbahnwaggons mit Kleidung, Bettfedern, Lumpen und Haaren (restlose Verwertung menschlicher Hinterlassenschaften) und knapp 179 Millionen Reichsmark (RM) / (Nettobetrag nach Abzug der Sachkosten, inkl. Rückbau der Lager);
– „Private“ Verwertung: massive Bereicherung der mit den ermordeten Juden in Kontakt kommenden Deutschen und Trawnikis: Abführung von beschlagnahmten Juwelen an SS-Einsatzstab und SSPF Lublin in großem Stil;
– unmittelbar nach Befreiung Durchwühlen der planierten Flächen der ehemaligen Lager durch Polen (mehr als 13 Jahre lang);

► Höfle-Telegramm

► Bilanz der Vernichtung
Belzec (März-Dez. 1942) – 470.000 Todesopfer
Sobibor (April 1942-Okt. 1943) – 180.000 Todesopfer
Treblinka (Juli 1942 Warschau!-Aug. 1943) – 870.000 Todesopfer
insgesamt in Lagern der „Aktion Reinhardt“: mindestens 1.520.000 Menschen;
Gesamtzahl der Toten, inklusive der Toten bei Auflösung der Ghettos oder in Deportationszügen: 1,8 bis 2 Millionen;
die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ überlebten insgesamt weniger als 150 Menschen; Überlebenswahrscheinlichkeit 1: 10.000;

→ „Aktion Reinhardt“ eigentlicher Kern des Holocaust (beinahe vollständige Auslöschung der polnischen Juden);
→ Verknüpfung mit Ermordung der Juden Europas (Deportationszüge);

Nachtrag: Nachkriegsermittlungen und Prozesse

► Verurteilung der Täter:
– Kriegsopfer u.a. Christian Wirth und Franz Reichleitner (Kommandant Sobibor);
– Selbstmord: Odilo Globocnik;

– ab 1945 Dokumentation des Massenmords durch polnische Staatsanwaltschaft; zwischen Frühjahr 1946 und Sommer 1950 Auslieferung von 1.800 Deutschen aus dem Westen (v.a. Komplex Auschwitz und Verbrechen gegen christliche Polen);

– Versagen der deutschen Nachkriegsjustiz und der alliierten Institutionen bei der Verfolgung von Massenmördern („kann eigentlich nur mit Ignoranz erklärt werden“); häufig auch keine Kenntnis von Vorgängen in Ostpolen;
aber: allgemeines gesellschaftliches Klima des Verdrängens und Vergessen-Wollens
;
– Rechtsprechung, die die Täter in den Vernichtungslagern, wenn überhaupt, nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen bereit war (Ausnahme: Exzesstaten) oder ihnen einen angeblichen „Befehlsnotstand“ zubilligte;
– erste Sobibor-Prozesse 1950 („Gasmeister von Sobibor“ Erich Bauer ohne weitere Ermittlungen) – erster Treblinka-Prozess 1951 (entstanden vor allem aus Ermittlungen wegen Euthanasie-Verbrechen);

– systematische Ermittlungen erst ab 1958 (Gründung der „Zentralen Stelle in Ludwigsburg“);
– erst 1960 Beschäftigung mit Vorgängen in Belzec (Verfahren in München); bis dahin Lagerpersonal weitgehend unbehelligt;
– zwei Düsseldorfer Treblinka-Prozesse 1964-1970;
– Sobibor-Prozess in Hagen 1965/66;
– Demjanjuk-Prozess 2011 (Trawniki);

► Lagerpersonal der „Aktion Reinhardt“: ein Drittel zu Beginn der juristischen Aufarbeitung tot (mindestens 46) – bei einem weiteren Drittel (31) Aufenthaltsort nicht feststellbar – 44 Männer als Beschuldigte eingestuft, davon 27 vor Gericht: 9 x lebenslange Haft, u.a. 1965 Kurt Franz und 1970 Franz Stangl (noch vor Entscheid Revision 1971 gestorben), 10 x kürzere Freiheitsstrafen, 1 x Selbstmord, 7 x freigesprochen;

► Von schätzungsweise 120 amtierenden Stadt- und Kreishauptleuten 7 nach Polen ausgeliefert; in Deutschland kein einziger für seine Rolle im Generalgouvernement (GG) belangt;

Weitere Informationen über den Referenten Folker Förtsch:

Folker Förtsch ist hauptberuflich Stadtarchivar in Crailsheim und ehrenamliches Mitglied des Sprecherrats der KZ-Gedenkstätte in Schwäbisch Hall-Hessental

Weitere Informationen im Internet über die KZ-Gedenkstätte Hessental:

https://www.kz-hessental.de/die-initiative/

Weitere Informationen im Internet über Werner Ansel, Kreishauptmann in Bilgoraj und Cholm – Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Werner Ansel zum Landrat des Kreises Crailsheim gewählt. Werner Ansel war als Landrat in Crailsheim bis zur Kreisreform in den frühen 1970er Jahren im Amt:

„Zwischen Bilgoraj und Crailsheim – Werner Ansel, NS-Kreishauptmann und Landrat“ – Vortrag in Crailsheim https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=23948

„Werner Ansel: NS-Kreishauptmann in Bilgoraj – von 1948 bis 1972 Landrat des Kreises Crailsheim“ – Vortrag von Ralf Garmatter und Wolfgang Proske in Crailsheim https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=23770

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„David Jacobs gibt den Schaeff-Scheefen-Preis 2021 des Autorenverbands Franken zurück“ – Namensgeber Georg Harro Schaeff-Scheefen (Ehrenbürger der Stadt Kirchberg/Jagst) habe sich nicht deutlich genug vom Nationalsozialismus distanziert

Der Autor David Jacobs gibt den Schaeff-Scheefen-Preis 2021 des Autorenverbands Franken (AVF) zurück. Das Preisgeld in Höhe von 300 Euro hat er zurückgezahlt. Zur Begründung dieses Schrittes erklärt Jacobs, „dass der 1984 verstorbene Namensgeber des Preises Georg Harro Schaeff-Scheefen sich nicht deutlich genug vom Nationalsozialismus distanziert“ habe. Der AVF könne diese Auffassung bislang nicht mittragen, werde sich aber weiterhin „um eine Aufklärung derartiger Vorwürfe bemühen.“ Diese Stellungnahme veröffentlichte der in Würzburg gegründete Autorenverband Franken mit Sitz in Rudolstadt (Thüringen) auf seiner Internetseite.

Von Ralf Garmatter, Journalist aus Kirchberg/Jagst

97 Arbeiten waren für den Wettbewerb eingereicht worden

Den nach dem Schriftsteller Georg Harro Schaeff-Scheefen benannten Literaturpreis hat Jacobs am 8. Oktober 2021 im Wasserschloss Mitwitz in Oberfranken überreicht bekommen. Coronabedingt konnte der Preis 2021 nicht in Schaeff-Scheefens letztem Heimatort Kirchberg an der Jagst vergeben werden. „Woher der Wind weht!“, lautete das Wettbewerbsmotto 2021. 97 Arbeiten waren eingereicht und von der verbandseigenen Jury bewertet worden. Das Publikum kürte unter den fünf Finalisten den Sieger David Jacobs für seine Kurzgeschichte „Kornweihe“. Der Schaeff-Scheefen-Preis wird seit 2010 im zweijährigen Turnus an Autorinnen und Autoren fränkischer Herkunft oder zumindest fränkischer Prägung vergeben. Am 15. Dezember 2021 hat David Jacobs den Preis offiziell zurückgegeben. Der Autor wohnt in Bad Honnef-Hövel in Nordrhein-Westfalen.

„Umbenennung des Preises überfällig“

Nach Ansicht Jacobs sei die „Umbenennung des Preises überfällig“. Er neige zu der Einschätzung, dass Schaeff-Scheefens Verhalten im Nationalsozialismus von einem gewissen Opportunismus geprägt gewesen zu sein scheint, der auf weniger Gegenliebe gestoßen sei, als er sich vielleicht erhofft habe. In der kritischen Auseinandersetzung mit seiner Biographie und seinen Texten könne man viel über Verführbarkeit, Ehrgeiz, Opportunismus, aber sicher auch über Heimatliebe und Kunstwillen lernen. Ob man bei Schaeff-Scheefen auch bei den Themen Reue und Aufrichtigkeit fündig wird, könne Jacobs nicht sagen. Bei seiner Recherche habe er dafür keine Hinweise gefunden. So bleibe für ihn der Eindruck, dass Schaeff-Scheefen sich zwar mit Sicherheit um die fränkische Literaturszene verdient gemacht habe, sein Wirken könne jedoch nicht darauf reduziert werden und sollte schon gar nicht kritiklos verklärt werden. Jacobs habe beschlossen, die Angelegenheit für sich zu beenden. Er wolle sich nicht weiterhin mit dem Schaeff-Scheefen-Preis „schmücken“.

Ehrenbürger der Stadt Kirchberg/Jagst

Georg Harro Schaeff-Scheefen wurde 1903 als Johann-Georg Schaeff in Ansbach geboren und wuchs dort auf. Stationen in Kitzingen und Würzburg folgten. Von 1936 bis zu seinem Tod 1984 lebte er in seiner Wahlheimat Kirchberg an der Jagst. Der umfangreiche Nachlass Schaeff-Scheefens ist im Sandelschen Museum in Kirchberg/Jagst archiviert. 1938 heiratete Schaeff-Scheefen die Lehrerin Caroline Osberger. Die Ehe blieb kinderlos. 1973 bekam Georg Harro Schaeff-Scheefen das Bundesverdienstkreuz. Den Antrag hatte der Verband fränkischer Schriftsteller gestellt, dessen Gründungsmitglied und Ehrenmitglied der Geehrte war. 1983 wurde das Ehepaar Schaeff-Scheefen zu Ehrenbürgern der Stadt Kirchberg/Jagst ernannt. Schaeff-Scheefen erhielt auch den Ehrenring der Stadt Kirchberg/Jagst. „Herr Schaeff-Scheefen hat sich durch seine kulturelle und publizistiche Arbeit um die Stadt Kirchberg/Jagst und durch seine Stiftungen für das städtische Museum in besonderen Maßen verdient gemacht. Bis ins hohe Alter waren sein Rat und sein Wissen in kulturellen Fragen für uns unentbehrlich“, schreiben der Gemeinderat und die Stadtverwaltung Kirchberg/Jagst in einer Traueranzeige für Schaeff-Scheefen am 23. Mai 1984 in der Lokalzeitung Hohenloher Tagblatt.

Mitglied des antisemitischen Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbands

Schaeff-Scheefen machte zu seinem eigenen Bedauern kein Abitur. Nach dem Schulabschluss fing er bei einem Rechtsanwalt in Ansbach als Kanzleigehilfe an. Zu seinem Aufgabenbereich zählten Verwaltungstätigkeiten, Buchführung und das Erstellen von Bilanzen. Später arbeitete er von Kitzingen aus als Buchhalter und juristischer Berater der „Deutschen Weinkesselwagen-Gesellschaft“. Für den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV) ging er als junger Mann seit etwa Mitte der 1920er Jahre auf Vortragsreisen. Nach eigenen Angaben hat er auch gerne über den völkisch-antisemitischen Schriftsteller Houston Steward Chamberlain referiert, der seit 1923 ein Bewunderer Adolf Hitlers war und enge freundschaftliche Kontakte zum NSDAP-Führer pflegte. Als Teil der völkischen Bewegung vertrat der DHV antisozialistische, radikal nationalistische und antisemitische Positionen – Juden durften nicht Mitglied werden. Auch Frauen war die Mitgliedschaft verwehrt. Ein erklärtes Ziel des DHV war die Beschränkung von Frauenarbeit.

Zur nationalsozialistischen Bewegung bekannt

Von 1929 bis 1935 wohnte Schaeff-Scheefen in Würzburg, wo er sich als Geschichtsforscher und Schriftsteller betätigte. In einem Brief vom 12. September 1933 bekannte er sich zur nationalsozialistischen Bewegung. Er verwahrte sich empört dagegen, als „Pazifist beleidigt zu werden“. Schaeff-Scheefen bot an, „Arbeiter zu sein am neuen deutschen Dom, den die Jugend baut – dann werde ich beweisen, dass ich der Sache nützen kann (…) In diesem Brief vom Spätsommer 1933 versuchte er, darzustellen, warum er sich „verpflichtet fühlt, im Rahmen des neuen Zeitgeschehens mitzuarbeiten. Seine Beweggründe erklären sich nach eigener Darstellung aus „seelischen und schöpferischen Erkenntnissen, die mit Mitteln des Verstandes nicht fassbar sind.“ Sein Bekenntnis zu Adolf Hitler und zur Zeit überhaupt, habe er in seinem Roman gegeben, „der in den ersten Wochen des April entstand. Klarer glaube ich, kann kein Bekenntnis sein“, schreibt Schaeff-Scheefen. Über Adolf Hitler weiter: „Dieser Mensch war besessen von seiner Sendung wie ein germanischer Seher. Er wurde zum Propheten, der an seinen Weg und an sein Werk glaubte, weil er von hoher Warte der Seele aus in die Zukunft schaute und weil sich ihm die geheimnisvollen Gesetze der Geschichte offenbarten.“

NSDAP-Mitglied von 1937 bis 1945

1936 zog Schaeff-Scheefen offiziell von Würzburg in seine neue Wahlheimat Kirchberg an der Jagst, wo er bis zu seinem Tod 1984 lebte. Schaeff-Scheefen selbst bezeichnete sich beruflich als „Privatgelehrter und Schriftsteller“. Am 1. Mai 1937 trat Schaeff-Scheefen der NSDAP bei und blieb Mitglied bis 1945 (Mitgliedsnummer 5206931). Der Reichsschrifttumskammer (Reichsverband Deutscher Schriftsteller) gehörte er von März 1934 bis 1945 an. 1938/39 stellte er das Manuskript zu dem primitiv-antisemitischen Roman „Rebell auf der Kanzel“ fertig. Das Manuskript über „Doktor Johannes Deuschlin aus Rothenburg ob der Tauber – ein Kämpfer für Recht und Reich“ befindet sich im Nachlass Schaeff-Scheefens in Kirchberg. Der Roman sollte 1939 im Verlag J.P. Peter, Gebrüder Holstein Rothenburg ob der Tauber erscheinen. Zur Veröffentlichung der antijüdischen Hetzschrift kam es aber nicht. Warum der Roman nicht gedruckt wurde, ist nicht bekannt. Aber Schaeff-Scheefen hat den Romanentwurf aufbewahrt. Im Manuskript finden sich Textstellen wie diese: „Aber da lag noch ein Geruch im Zimmer, wie ihn gefangene Füchse an sich haben und anderes Raubzeug, scharf und in der Nase beißend. Die Juden stanken ebenso, weil sie wie reißende Tiere waren, tückisch und gefährlich.“ Auch über Hostienschändungen durch Juden, Kinder-Diebstahl, Schächten von Kindern, um Christenblut für das Passahfest zu bekommen, schrieb Schaeff-Scheefen in diesem Roman-Manuskript. „Ist das noch nicht genug der Schuld, um die Juden zu verbrennen, zu rädern und totzuschlagen?“, lässt Schaeff-Scheefen seinen Romanhelden, den Prediger Johannes Deuschlin fragen.

Vom Oberkommando der Wehrmacht: Zweiter Preis für die Novelle „Begegnung mit einem toten Helden“

1940 wurde Schaeff-Scheefen zur Wehrmacht eingezogen. Dort erreichte er den Rang eines Feldwebels. Eingesetzt war er in Frankreich, danach kurzzeitig an der Ostfront. Am 20. April 1941 erhielt Schaeff-Scheefen „Im Namen des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht“ das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern. Nach einem Lazarettaufenthalt wurde er 1942 zur Genesenen-Kompanie des Infanterie-Ersatzbataillons 302 nach Budweis versetzt. Dort arbeitete er die längste Zeit des Krieges im Referat für „geistige Betreuung“ des Regiments. 1942 gewann Schaeff-Scheefen beim Wettbewerb des Oberkommandos der Wehrmacht im Rahmen der geistigen Truppenbetreuung für seine Novelle „Begegnung mit einem toten Helden“ den zweiten Preis zuerkannt. Der Wehrmachtsbevollmächtigte beim Reichsprotketorat in Böhmen und Mähren hat dazu dem Dichter seinen besonderen Glückwunsch ausgesprochen. (Budweiser Zeitung vom 29. Mai 1942). Der Preis war mit 40 Reichsmark dotiert. Die Novelle „Begegnung mit einem toten Helden“ ist im Nachlass Schaeff-Scheefens, in Archiven und Bibliotheken bisher nicht auffindbar gewesen.

Uneheliches Kind in Tschechoslowakei anerkannt

In seinem Nachlass findet sich eine Anerkenntniserklärung für ein uneheliches Kind. „Georg Harro Schaeff, Privatgelehrter in Kirchberg/Jagst erkennt an, der uneheliche Vater des am 7. August 1943 zu Schüttenhofen (Tschechoslowakei) geborenen Mädchens Heidemarie Ulrike Ipser der Frau Josephine Stojetz, geb. Ipser zu sein.“ Diese Anerkenntniserklärung unterzeichnete G. Harro Schaeff mit Datum 24. Mai 1946 in Kirchberg an der Jagst. Seine Unterschrift wurde bereits am 21. Mai 1945 von der Stadtverwaltung Crailsheim „Der Bürgermeister“ beglaubigt, unterschrieben und mit einem Stempel der Stadt Crailsheim versehen.

Schaeff-Scheefen verpflichtete sich, „bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres des Kindes (Anmerkung der Redaktion: 7. August 1959) zur Zahlung einer Unterhaltsrente von monatlich 35 Reichsmark. Die Unterhaltsrente ist (…) in vierteljährlichen Raten von 105 Reichsmark zu entrichten. Als Vorauszahlung für die Unterhaltsrente hat Frau Stojetz von G.H.Schaeff unbestrittenermaßen in der Zeit von Januar bis März 1945 den Betrag von 1200 Reichsmark erhalten. Damit sollte die Unterhaltsforderung für zwei Jahre, gerechnet vom 1. Januar 1945 ab, also bis 31. Dezember 1946 für befriedigt und erledigt gelten. Durch die Ausweisung aus der Tschechei hat jedoch Frau Ipser dieses Kapital verloren, weshalb ich mich verpflichte, den Unterhalt für das Kind ab 1. Januar 1946 mit monatlich 35 Reichsmark nochmals zu entrichten. Durch Zahlung von 420 Reichsmark ist die Unterhaltsforderung bis 31. Dezember 1946 erneut abgeglichen. Über die Abrechnung von 600 Reichsmark, die im Jahre 1945 zu viel bezahlt wurden, ist noch eine besondere Vereinbarung zu treffen, so bald sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kindesmutter gebessert haben. Kirchberg a.d. Jagst, den 24. Mai 1946. Unterschrift G.Harro Schaeff / Vorstehende Unterschrift des G. Harro Schaeff wird hiermit beglaubigt, Crailsheim, den 21. Mai 1946, Der Bürgermeister…Stadtinspektor, unleserliche Unterschrift, Stempel Stadt Crailsheim“.

Bei der Entnazifizierung „Weihnachtsamnestie“ erhalten – Spruchkammerverfahren eingestellt

Nach kurzer russischer Kriegsgefangenschaft in der Tschechoslowakei kehrte Schaeff-Scheefen im Sommer 1945 nach Kirchberg/Jagst zurück. Bei der Entnazifizierung der Spruchkammer Crailsheim am 9. Juni 1947 erhielt er eine „Weihnachtsamnestie“. Sein Spruchkammerverfahren wurde kurzerhand eingestellt. Nach dem Krieg arbeitete Schaeff-Scheefen in Kirchberg wieder als Schriftsteller, Journalist und Vortragsredner. Über die NS-Zeit hat er nicht geschrieben. Es scheint so, dass er das Thema gemieden hat. Viel Zeit und Energie steckte er in Vortragsreisen über kulturelle, historische und touristische Themen aller Art. Seine Vorträge hielt er in Süddeutschland vor allem in Volksbildungswerken, den Vorgängern der heutigen Volkshochschulen. Seit 1958 war er Leiter des Volksbildungswerkes an seinem Wohnort Kirchberg/Jagst. Außerdem übernahm er die Schriftleitung des Holstein-Verlages in Rothenburg ob der Tauber und schrieb für das Hohenloher Tagblatt. Aus dem von Schaeff-Scheefen initiierten Fränkischen Autorenkreis entstand 1964 in Würzburg der Verband Fränkischer Schriftsteller mit Schaeff-Scheefen als Gründungsvorsitzenden.

Frau Schaeff war Hauptverdienerin des Ehepaares

Seine Frau Caroline Schaeff verdiente als Lehrerin den Hauptanteil für den Lebensunterhalt des Paares. Als Lehrerin an der Volksschule Würzburg bezog sie 1932 und 1934 ein Jahresgehalt in Höhe von jeweils 2500 Reichsmark, 1938 in Höhe von 3000 Reichsmark, 1943 die stattliche Summe von 4720 Reichsmark und 1945 nur noch 2400 Reichsmark. Ihr Lebenspartner und ab 1938 verheirateter Ehemann Johann Georg Schaeff (Künstlername Georg Harro Schaeff-Scheefen) gab in seinem Entnazifizierungs-Meldebogen vom 27. April 1946 an, dass er 1934 als selbstständiger Privatgelehrter und Schriftsteller null Reichsmark verdient hatte, 1934: 989 Reichsmark, 1938: 1206 Reichsmark, 1943 als Unteroffizier im Heeresdienst: 1815 Reichsmark und 1945 als Feldwebel im Heeresdienst: 624 Reichsmark.

In ihrem Meldebogen bei der Entnazifizierung gab Frau Schaeff am 27. April 1946 als Karoline Babette Schaeff (geboren 1904 in Kulmbach) an, dass sie folgenden „Naziorganisationen“ angehört hatte: a.) Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) ab 1. September 1934; b.) Deutsches Rotes Kreuz; c.) Reichskolonialbund ab 9. Februar 1937; d.) Verein für das Deutschtum im Ausland (V.D.A.); e.) NS-Lehrerbund ab 1. September 1933. Von April 1929 bis 16. März 1945 wohnte Karoline Babette Schaeff nach ihren eigenen Angaben in Würzburg, ab 18. März 1945 in Kirchberg an der Jagst, Schloss-Straße 10, zwischen dem Rathaus und dem evangelischen Pfarrhaus. Dort war seinerzeit auch die Meldeadresse ihres Mannes Johann Georg Schaeff, der sich den Künstlernamen Georg Harro Schaeff-Scheefen ausgewählt hatte. Trotz ihrer Mitgliedschaft in fünf als Naziorganisationen definierten Vereinigungen galt Karoline Babette Schaeff als „Vom Gesetz nicht betroffen“. Dies bestätigte der Öffentliche Kläger mit einem Stempel auf deren „Meldebogen auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946“, den Karoline Babette Schaeff mit Datum vom 27. April 1946 abgegeben hat. Nach ihren eigenen Angaben auf dem Meldebogen wurde ihr im November 1945 die Anstellung als Lehrerin durch die Militärregierung Crailsheim genehmigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete sie bis zu ihrer Pensionierung in den 1960er Jahren als Lehrerin an der Volksschule Kirchberg/Jagst.

Ehepaar Schaeff-Scheefen 1983 zu Ehrenbürgern der Stadt Kirchberg/Jagst ernannt

1983 erhielt das Ehepaar Schaeff und Schaeff-Scheefen die Ehrenbürgerschaft der Stadt Kirchberg/Jagst. Im Sandelschen Museum Kirchberg gibt es zahlreiche Ausstellungsstücke des Schriftstellers und ein Zimmer mit Biedermeier-Möbeln des Ehepaares Schaeff zu sehen. Georg Harro Schaeff-Scheefen starb 1984, seine Frau Caroline Schaeff 1997. Das Grab des Ehepaares befindet sich im neuen Friedhof in Kirchberg/Jagst. Auf dem Grabstein steht der lateinische Spruch „Amor vincit omnia“, was übersetzt in die deutsche Sprache heißt: „Die Liebe besiegt alles.“

Über den Autor David Jacobs:

David Jacobs hat lange Jahre im fränkischen Marloffstein als Heimleiter gearbeitet und ist heute freiberuflich als Coach im Raum Bonn tätig. Zum Schreiben kam er erst vor vier Jahren. Mit seiner Kurzgeschichte „Kornweihe“ habe er den Nerv der Zeit getroffen. Das Wettbewerbsthema 2021 lautete „Woher der Wind weht!“. Der Schaeff-Scheefen-Preis wird seit 2010 vergeben.

Weitere Informationen im Internet über den in Würzburg gegründeten Autorenverband Franken mit Sitz in Rudolstadt (Thüringen) und den Schaeff-Scheefen-Preis:

http://www.autorenverband-franken.de/Schaeff-Scheefen-Preis/

Weitere Informationen im Internet über den Autor David Jacobs:

https://www.autorenwelt.de/person/david-jacobs

Der Autor David Jacobs weist noch auf folgende Internetseiten zum Thema Schaeff-Scheefen hin:

Schaeff-Scheefens Text „Mutter Deutschland“ im Jeverschen Wochenblatt vom 27. März 1936:
Siehe: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/L5HIQ4Z7HSGX4KGOXHJ5OIL25M5WJGEG?query=schaeff+scheefen&hit=2&issuepage=6

Vortrag Schaeff-Scheefens, über den Joshua Hagen berichtet
Siehe:
https://books.google.de/books?id=b8Wpk_BNUXkC&pg=PA212&lpg=PA212&dq=schaeff-scheefen+antisemit&source=bl&ots=CY3e7_J7UM&sig=ACfU3U2g4oajZCBuq0zveOw7rcwvi9Jy3A&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiVz4bwu8DzAhUOkhQKHQHGA-oQ6AF6BAgWEAM#v=onepage&q=schaeff-scheefen%20antisemit&f=false

Schaeff-Scheefen gründete 1934 die Max-Dauthendey-Gesellschaft. Unter anderem zusammen mit Alfred Richard Meyer. Dieser gehörte zu den 88 Schriftstellern, die 1933 das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler unterzeichneten. Seit 1935 leitete Meyer die Fachschaft Lyrik in der Reichsschrifttumskammer. 1936 war er zusätzlich Referent der in der Reichsschrifttumskammer erfassten Schriftsteller, später Leiter der „Gruppe Schriftsteller“. 1937 trat er der NSDAP bei.
Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Richard_Meyer

Link zum Artikel in der Kontext:Wochenzeitung vom 26. Januar 2022 über den Schriftsteller Georg Harro Schaeff-Scheefen und die Rückgabe des Schaeff-Scheefen-Preises 2021 durch den Autor David Jacobs:

Schaeff-Scheefen-Literaturpreis – Brauner Schatten auf dem Namensgeber

https://www.kontextwochenzeitung.de/kultur/565/brauner-schatten-auf-dem-namensgeber-7958.html

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„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden erster Teil

„Gelochte Augenblicke“ – Eine Fortsetzungsgeschichte von Birgit Häbich: Der Episoden erster Teil. Die geschilderten Handlungen, Personen und Namen sind frei erfunden. Es werden keine realen Namen von Personen angegeben. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder toten Personen wären rein zufällig, und sind weder gewollt noch beabsichtigt.

Von Birgit Häbich

I Loch

… noch einmal las er die Worte, auf dem für ihn mittlerweile verhassten Schild, setzte sich dann rittlings auf das rechte Rohr der Installation, welches man ungefragt und unerlaubter Weise, mit Ketten, fest an zwei Rohren befestigt, tief und unverrückbar in die Erde seines Vorgarten gepflockt hatte. Für diese simple Tätigkeit im Freien hatte er sich eine seiner alten abgeschossenen hellen Sommerleinenhosen angezogen. Ein Seitenschneider, Zangen aller Art und eine alte Kiste für den flegelhaften Unrat, waren schon bereitgelegt. Durch diese unwürdige Haltung inspiriert, meldete sein Gesäß eine zu kleine und unkomfortable Sitzfläche an. Carl Eugen Friedner jedoch, ignorierte die Regung aus den tieferliegenden Gegenden seines Leibes, seine anderen oben und blank liegenden
Nerven machten es nicht mehr mit – heute würde er dem Treiben ein Ende setzen.

Jeden Tag aufs Neue die Inschrift dieses vermaledeiten Schildes lesen zu müssen, war zu viel für ihn:

„ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“, stand da in fett gedruckten schwarzen Druckbuchstaben auf weißem Grund.

Grinsende Gesichter

In letzter Zeit hatte es sich im Städtle herumgesprochen, dass dieses Schild seinen Eingangsbereich zierte. Und nun wurde er laufend gefragt, warum denn das da stehen würde. Nachbarn, die seit Jahrzehnten nicht mehr mit ihm sprachen, fanden auf einmal den Mut ihn, scheinbar besorgt, darauf anzusprechen. Carl befand sich mit der deutlichen Anklage auf diesem Schild wieder im Mittelpunkt des kleinstädtischen Interesses. Dieser neue Umstand schmeichelte anfänglich seiner Eitelkeit und er gab da gern ausführliche Auskunft über die Bewandtnis. Das hämische Grinsen der Fragenden jedoch, übersah Carl ganz und gar. Denn er wusste es ja wie eh und je besser und meinte die nach seiner Meinung allseits herrschende Dummheit aus den grinsenden Gesichtern herauslesen zu können.

Rechtsverdreher

Als die blöde Fragerei nicht nachließ, sich sogar Auswärtige in seinem Vorgarten versammelten, um über den Inhalt des Schildes zu diskutieren und auch noch Fotografen und Fotografinnen angereist kamen, um dieses Schild verschiedentlich abzulichten, gedachte er das Schild mit der Aufschrift: „ANSCHEINEND GILT A BEI DR RECHTSVERDREHER – GUTMIADICHKEIT VERHILFT ZUR LIADRICHKEIT!“, umgehend verschwinden zu lassen. Da letzthin klingelte nämlich sogar ein, ihm von früher bekannter, Schreiberling der Hohenloher Nachrichten bei ihm. Der fragte dann mit gänzlich unschuldigem Gesichtsausdruck an, ob Carl Eugen ihm vielleicht ein Interview zu der beredten Anklage in seinem Garten geben würde. Mit dem Gefühl vollkommen verkannt im Rampenlicht zu stehen, knallte Carl seine Haustüre vor dem verdutzten Journalisten zu und beschloss, diese Posse nicht weiter zu dulden – diese schriftliche und grottenfalsche Anklage würde er nun abmontieren und damit höchstpersönlich niederschmettern.

Blut

Nachdem er die Kette zwischen dem ihm gegenüberliegenden linken Pflock und dem Schild in den scharfen Zangengriff seines nagelneuen Seitenschneiders genommen hatte, drückte Carl mit aller ihm zur Verfügung stehenden Gewalt mit beiden Händen fest zu. Um der Kraft in seinen Armen und im Oberkörper entsprechenden Nachdruck zu verleihen, hob er seinen Hintern an und beugte sich angestrengt nach vorne. Das leise reißende Geräusch, als ob Stoff zerrissen würde, nahm er nur nebenbei wahr. Carl hatte ein scharfkantiges abstehendes Drahtstück übersehen, welches sich ihm nun in die Hose gebohrt hatte. Trotz aller Anstrengungen bekam Carl Eugen aber die Befestigung nicht durchtrennt und wollte sich schon wieder in die unbequeme Sitzposition zurückbegeben, als er sah dass sich sein rechtes Beinkleid hellrot verfärbte. Er richtete sich auf, hielt weiterhin
den Seitenschneider in der linken und tastete mit der rechten Hand an dem alten abgewetzten Hosenstoff entlang. Überlegend, wo wohl auf einmal so viel Blut herkommen sollte, sah er aufmerksam an sich hinab. Er bemerkte beim Abtasten nicht nur den länglichen Riss im Stoff seiner Hose, sondern spürte dahinter ein minimales aber unaufhörliches pulsierendes Loch in der Innenseite seines Oberschenkels.

Leben retten

Dunkel dämmerte es ihm aus seinen Erstehilfekursen längst vergangener Zeiten herauf, dass die Verletzung einer Arterie ein hohes Risiko birgt ziemlich schnell zu verbluten. Die Verletzung einer Arterie erkenne man daran, dass ein pulsierender, ja spritzender starker Blutaustritt geschehe. Weiterhin sei sofort ein Arzt zu rufen und die Blutung zu stillen. Die starke Ausblutung müsse aber, bis zum Eintreffen eines Arztes, durch rigoroses Abbinden oberhalb der Verletzung Richtung Rumpf, und durch starkes Pressen mit einem Verbandsmull auf die Wunde verhindert werden. Nun war weder eine Schnur oder eine andere Schlinge zur Hand um sich das Bein selbst abzubinden, noch lag da ein Päckle mit hygienischem Verbandsmull in seiner sorgsam vorbereiteten alten Kiste. Er überlegte ob er mit seinem mobilen Gerät einen Notarzt rufen könnte und rechnete nach, ob dieser es schaffen würde, ihn und sein Leben noch zu retten. Blutungen der Beinarterie führen in der Regel nach wenigen, höchstens aber nach sieben Minuten zum sicheren Tod. Und wenn er schreien würde, laut und deutlich, würden die Nachbarn ihn erhören? Würden vielleicht Passanten auf dem Gehweg anhalten um ihm zur Hilfe zu eilen? Was aber, wenn sich keiner um ihn scherte?

Carl Eugen Friedner fühlte sich augenblicklich schwach und erschrak zu Tode – er hatte sich wegen diesem Schild die Beinschlagader aufgerissen …

Fortsetzung folgt.

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