Jochen Korte, seines Zeichens Journalist des „Haller Tagblatts“, war tief beeindruckt vom Auftritt des früheren Ministerpräsidenten und heutigen EU-Kommissars Günther Oettinger im Haller Neubausaal.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Professionell die Hände geschüttelt
In freier Rede habe dieser „engagiert und auf hohem Niveau, gespickt mit humorvollen Facetten aus dem Land“ die Zuhörer „gefesselt“. Vor lauter Begeisterung wollte der Redakteur des „Haller Tagblatts“ auch noch festgestellt haben, dass auch drei Stuttgart 21-Gegner, die vor dem Neubausaal Flugblätter verteilten zu Oettingers Anteil an der Verheimlichung der Kosten für das Bahnprojekt ebenfalls von Oettinger beeindruckt gewesen seien – weil er ihnen die Hände geschüttelt habe.
Das Fußvolk liebt’s derber
Dass der Ex-Ministerpräsident Oettinger mich mit einem Händedruck beeindruckt hat, wie es der Haller Tagblatt-Journalist Jochen Korte gesehen haben will, ist mir jedenfalls entgangen. Professionelles Händeschütteln ohne inhaltlich Position zu beziehen, gehört bekanntermaßen zur Grundqualifikation eines Spitzenpolitikers. Genau diese Geschmeidigkeit im Auftreten unterscheidet bei den etablierten Parteien Spitzenleute vom Fußvolk, das es oft etwas derber liebt. Das war übrigens auch beim Neujahrsempfang der CDU festzustellen.
Hinweisen auf drohende Mehrkosten bei S21 nicht nachgegangen
Beeindruckt wäre ich gewesen, wenn Herr Oettinger Stellung genommen hätte zu dem, was wir von „Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ ihm in dem bei dieser Gelegenheit verteilten Flugblatt vorhielten: Nämlich dass er 2009, als er selbst Ministerpräsident war, dafür gesorgt hatte, dass seine eigenen Beamten Hinweisen auf drohende Mehrkosten beim Projekt Stuttgart 21 – die ihnen vorlagen – nicht weiter nachgingen. Wir zitierten dazu einen Artikel auf SPIEGEL-Online vom 6. November 2011, in dem zu lesen war: „Nach Informationen des SPIEGEL hatten Landesbeamte aus Baden-Württemberg auf Grundlage von Bahn-Unterlagen Gesamtkosten von mindestens 4,9 Milliarden Euro kalkuliert. Für wahrscheinlicher hielten sie sogar einen Endbetrag von bis zu 6,5 Milliarden. Der damalige Ministerpräsident und heutige EU-Kommissar Günther Oettinger verbat sich daraufhin weitere Berechnungen. Auf Wunsch des Herr MP“, so hieß es in einem internen Vermerk, der von SPIEGEL-Online veröffentlicht wurde, „solle derzeit von einer neuen Kostenberechnung abgesehen werden.“
„Keine Lust, mich mit Ihnen hier herumzuärgern“
Zu solchen Gesprächen über die genannten Fakten war und ist der Politprofi Oettinger an diesem Tag, und wohl auch sonst nicht bereit. Als er übrigens später am Rande der Veranstaltung von einem weiteren Stuttgart 21-Gegner auf das Thema angesprochen wurde, beendete er sehr rasch das Gespräch mit den Worten: „Wissen Sie, ich habe noch ein paar Jahre zu leben und keine Lust, mich mit Ihnen hier herumzuärgern.“
Der Inhalt des Flugblatts:
Oettinger wusste es schon immer….
Manchmal fördert ein Blick in die Vergangenheit allerlei Interessantes an den Tag. Wer heutzutage den Bericht von SPIEGEL-Online aus dem Jahr 2011 (6. November 2011) über das Zusammenspiel von Oettinger-Regierung und Bahn-Vorstand liest, versteht, was der Bahn-Vorstand meint, wenn er den Zeiten nachtrauert, als ein enges „Vertrauensverhältnis“ zwischen den „Projektpartnern“ herrschte.
Stuttgart 21: Regierung Oettinger verheimlichte Berechnungen
Drei Wochen vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gibt es neue Zweifel an der Finanzierung des Milliardenprojekts. Bislang unbekannte Dokumente zeigen nach SPIEGEL-Informationen, dass die damalige Landesregierung schon 2009 mit höheren Kosten rechnete – Parlament und Öffentlichkeit aber nicht darüber informierte.
Hamburg – Nach Informationen des SPIEGEL hatten Landesbeamte aus Baden-Württemberg auf Grundlage von Bahn-Unterlagen Gesamtkosten von mindestens 4,9 Milliarden Euro kalkuliert. Für wahrscheinlicher hielten sie sogar einen Endbetrag von bis zu 6,5 Milliarden.
Das geht aus der internen Kostenrechnung und einem ausführlichen Vermerk aus dem damals zuständigen Innenministerium von Herbst 2009 hervor, der dem SPIEGEL vorliegt.
Der damalige Ministerpräsident und heutige EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) verbat sich daraufhin weitere Berechnungen: „Auf Wunsch des Herrn MP“, so heißt es in dem Vermerk derzeit von einer „neuen Kostenberechnung abgesehen werden.“
Entsprechende Zahlen seien „in der Öffentlichkeit schwer kommunizierbar“, schrieben Oettingers Beamte. Die Mitarbeiter äußerten zu dem Bedenken, die ebenfalls zu den Bahnhofsbefürwortern zählende SPD über die neuesten Berechnungen zu informieren. Es sei damit zu rechnen, „dass die SPD bei Bekanntwerden der Kostenentwicklung von dem Projekt abrücken wird“.
Die mit der Bahn vereinbarte Kostengrenze für Stuttgart 21 betrug 4,5 Milliarden Euro.
Die GegnerInnen von Stuttgart 21 hatten schon vor der Volksabstimmung errechnet, dass Stuttgart 21 viel teurer werden würde als offiziell veranschlagt. Die Betreiber hatten es immer bestritten.
Jetzt ist die Katze aus dem Sack.
Der Kostendeckel von 4,52 Milliarden Euro wird gesprengt – und zwar deutlich. Selbst die Bahn gibt jetzt zu:
Die Kosten werden auf deutlich über 6 Milliarden Euro steigen. Unabhängige Gutachter gehen von 8 bis 10 Milliarden Euro Kosten aus – und das für einen Rückbau auf einen unterirdischen Bahnhof, der weniger leistungsfähig ist als der aktuelle Kopfbahnhof.
Es ist höchste Zeit, jetzt endlich die Reißleine zu ziehen.
Im grün-roten Koalitionsvertrag steht:
„Überschreiten die Kosten des Projekts Stuttgart 21, einschließlich der Kosten, die sich aus dem Stresstest und dem Schlichterspruch ergeben, den vereinbarten Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro, so beteiligt sich das Land an den Mehrkosten nicht.“
Stuttgart 21 ist bereits jetzt, bevor mit dem Bau richtig begonnen wurde, auf dem besten Weg, den Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie als „Fass ohne Boden“ zu übertreffen.
Deshalb: Herr Schmid und Kretschmann – stehen Sie zu Ihren Aussagen im Koalitionsvertrag!
Es darf jetzt keine Extratöpfe für Stuttgart 21 geben!
Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung als Eigentümer der Bahn die Bahnmanager daran hindert, Milliarde um Milliarde in der S21-Grube zu versenken.
Dieses Geld wird dringend für die Modernisierung maroder Schienennetze, die Sanierung heruntergekommener Bahnhöfe, die Anschaffung neuer Züge und den Ausbau des Regionalverkehrs benötigt.
Sofortiger Baustopp. Es darf kein Cent mehr in dieses Fass ohne Boden fließen!
Schwäbisch Haller Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21
V.i.S.d.P.: Paul Michel, Schwäbisch Hall
Nächste Termine des Schwäbisch Haller Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21:
Donnerstag, 14. Februar 2013, um 19.30 Uhr
Donnerstag, 28. Februar 2013, um 19.30 Uhr
Beide Termine finden in der Gaststätte Dorle in Schwäbisch Hall, Blockgasse 14, statt.