Während im Bundestag eine ganz große, eine schwarz-gelb-rot-grüne Koalition das Hilfspaket für die spanischen und vor allem die deutschen, französischen und englischen Banken durchwinkte, protestierten in Spanien fast vier Millionen Menschen gegen dieses Paket. Aufgerufen hatten alle großen Gewerkschaftsverbände und unzählige weitere Organisationen. Und das mit gutem Grund.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Für Spanien bereits das dritte Sparpaket
Die EU-Partner, und hier allen voran die deutsche Bundesregierung, hatten die 100 Milliarden-Euro-Spritze davon abhängig gemacht, dass die spanische Regierung ein weiteres Sparpaket verabschiedet, das mittlerweile dritte seiner Art seit Beginn der Euro-Turbulenzen im Jahr 2010: Das erste Sparpaket erfolgte noch 2010 unter der sozialdemokratischen Zapatero-Regierung. Es umfasste Lohnkürzungen für den öffentlichen Dienst, Streichung von Zuschüssen für Kinder, eine Einfrierung der Renten, die Anhebung des Rentenalters sowie eine Anhebung der Mehrwertsteuer um 2 Prozent. Ministerpräsident Rajoy strich nach seiner Amtsübernahme im Dezember weitere 27 Milliarden. Die Regionalregierungen sparen überdies 18 Milliarden für Bildung und Gesundheit ein.
Brutales Sparprogramm
Wenn auch im Umfeld des neuen Sparpakets für Spanien auf das demonstrativ-provokative Auftreten der Troika-Kommissare verzichtet wird, sein Inhalt entspricht doch dem gleichen grauenhaften, bei Troika-Paketen üblichen neoliberalen Umverteilungsmuster. Es sieht Kürzungen in Höhe von 65 Milliarden Euro vor und ist damit noch härter als alles, was den Spaniern bisher schon zugemutet worden war. Im Einzelnen sieht es vor:
– Die Mehrwertsteuer, jene Verbrauchssteuer, die die kleinen Leute mit den kleinen Geldbeuteln besonders schwer trifft, soll von 18 auf 21 Prozent erhöht werden. Davon wären Produkte wie Kleidung, Autos, Zigaretten oder Telefondienste betroffen. Der verminderte Mehrwertsteuersatz soll von acht auf zehn Prozent steigen.
– Mit dem neuen Sparpaket sollen die ohnehin nicht üppigen Leistungen für Arbeitslose nach sechs Monaten beschnitten werden. Und das in einem Land mit offiziell mehr als 20 Prozent Arbeitslosen, das sind fünf Millionen Menschen.
– Durch eine Verwaltungsreform sollen in der öffentlichen Verwaltung 3,5 Milliarden Euro eingespart werden – vor allem dadurch, dass man die Serviceleistungen von Rathäusern und öffentlichen Verwaltungen einschränkt. Den Staatsbediensteten, deren Gehalt bereits um zirka 5 Prozent geschrumpft ist, wird für die nächsten drei Jahre das Weihnachtsgeld gestrichen. Werden sie krank, erhalten sie in den ersten 20 Tagen geringere Lohnfortzahlung.
Rente soll es erst mit 68 Jahren geben
Ministerpräsident Rajoy hat bei dieser Gelegenheit angekündigt, das Renteneintrittsalter auf 68 Jahre zu erhöhen. Mit dem Verkauf von Staatsfirmen will Rajoy zusätzliche Einnahmen generieren. Er kündigte an, Flughäfen, Eisenbahnen und Häfen zu privatisieren. Außerdem sollen die Steuern auf Energie steigen – was abermals die Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders hart trifft.
Kapitalbesitzende Eliten bleiben von Sparmaßnahmen unbehelligt
Die klassische Klientel der konservativen Regierungspartei PP, die kapitalbesitzenden Eliten mit den dicken Bankkonten bleiben von Sparmaßnahmen unbehelligt. Der Spitzensteuersatz etwa wird nicht angehoben. Überdies erließ die Regierung Rajoy eine Steueramnestie für all jene, die in den vergangenen Jahren Millionen vorbei am Fiskus erwirtschaftet hatten.
Rezession wird sich noch verschärfen
Der drastischen Sparkurs und die verordnete Rosskur bescheren Spanien dieselben Ergebnisse wie in Griechenland: Die bereits existierende Rezession wird sich noch verschärfen. Das Land ist dicht davor, in eine ähnliche Abwärtsspirale wie Griechenland zu geraten. Nicht einmal kurzfristig wirkt das Sparpaket: Am Tag nach der Verabschiedung stiegen die Renditen für spanische Staatsanleihen auf Rekordniveau – auf 7,2 Prozent für zehnjährige Anleihen.
Wer wird hier eigentlich gerettet?
Das Sparpaket der Rojoy-Regierung ist die von der EU geforderte Begleitmusik zu jenem Bankenhilfsprogramm für Spanien in Höhe von 100 Milliarden Euro, das die Euro-Finanzminister am 20. Juli 2012 verabschiedet haben. Nach offizieller Lesart der EU soll die Überwachung des spanischen Finanzsektors dann verstärkt werden. Genaueres aber weiß man noch nicht, oder will es nicht sagen. Vermutlich wird die spanische Regierung die Aufsicht und Entscheidungsgewalt über die 14 bedrohten Bankkonzerne des Landes weitgehend an die Fachbeamten der EU-Kommission und deren Berater aus der Europäischen Zentralbank (EZB) abtreten müssen. Allerdings ist völlig offen, nach welchen Kriterien entschieden wird, welche Bank oder Sparkasse als „überlebensfähig“ deklariert und welche abgewickelt werden sollen. Klar scheint aber, dass die Gläubiger der maroden Banken auch diesmal nicht für die Begleichung der Kosten der Sanierung herangezogen werden. Ein Sprecher der EU-Kommission hat erklärt, es sei „klar, dass die Besitzer von erstrangigen Anleihen nicht in die Lastenteilung einbezogen werden“. Noch mal auf gut Deutsch: Die institutionellen Gläubiger aus Banken, Fonds von Großanlegern und anderen Zockerbuden werden auch diesmal nicht für die entstandenen Verluste aufkommen müssen.
Deutsche Banken in Spanien mit 112 Milliarden Euro engagiert
Das ist nichts Neues. Auch bei den Pleiten 2008/2009 der Hypo Real Estate oder der Commerzbank war das so. Der Staat spendierte milliardenschwere Bail-Outs, die beteiligten institutionellen Großanleger keinen Cent. Im Fall von Irland setzten die EZB und die anderen Euro-Staaten mit eiserner Hand durch, dass das kleine Land mehr als 100 Milliarden Euro, rund die Hälfte der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres, an die überwiegend ausländischen Anleihegläubiger seiner bankrotten Banken auszahlen musste. Festzuhalten bleibt ferner, dass die „Nothilfe“ für Spanien seitens der deutschen und französischen Regierung keineswegs uneigennützig ist. Denn es geht dabei auch viel „deutsches“ Geld. Nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sind deutsche Banken in Spanien mit 112 Milliarden Euro engagiert. In ähnlich hohem Ausmaß sind auch französische Banken mit im Spiel. Es geht also nicht zuletzt bei diesem Bankenrettungspaket darum, Banken und Vermögende in Deutschland und Frankreich vor möglichen Verlusten zu bewahren. Das erklärt vielleicht auch, warum die Bundesregierung so sehr bemüht war einen Bankenrettungsschirm in die Wege zu leiten.
Kleine Leute als Verlierer
Bluten sollen dagegen jene Kleinanleger, die bei Spaniens Großsparkassen Vorzugsaktien gezeichnet haben. Das sind Leute Kleinanleger, die sich zum Beispiel von Anlageberatern des Bankia Vorgängers Caja de Madrid überreden ließen, ihre Altersversicherung von 30 000 Euro in sogenannten Preferentes anzulegen. Preferentes sind komplexe, hochriskante Finanzprodukte, welche die Banken einst für institutionelle Anleger schufen, die eine höhere Rendite wollten. Als 2007 die Luft aus Spaniens Immobilienblase entwich, wollten die Großanleger keine Preferentes mehr haben. Gerade jetzt aber brauchten die Cajas frisches Eigenkapital nötiger denn je. Also guckten sie sich eine neue Zielgruppe aus, um ihre Finanzlöcher zu stopfen. Sie schickten ihre Berater los und versprachen den arglosen Kleinanlegern fette Rendite ohne Risiko. Bis zu 300.000 gingen ihnen auf den Leim. Jetzt sollen die Preferentes-Besitzer rund 40 Prozent ihres Einsatzes verlieren.
Umverteilung zugunsten der kleinen reichen Minderheit deutlich verschärft
Seit der Amtsübernahmen der konservativen Regierung von Mariano Rajoy im November 2011 ist die Politik der Umverteilung zugunsten der kleinen reichen Minderheit deutlich verschärft worden. Dabei hatte die konservative Partei PP vor den Wahlen versprochen, keine Banken mit Steuermitteln zu retten, keine Steuern zu erhöhen und keine Gehälter zu kürzen. In weiten Teilen der spanischen Bevölkerung kommt zur Wut über die obszön anmutende Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Kosten die Empörung darüber, wie schamlos man/frau von der PP-Regierung belogen wurde. Die Art und Weise wie Kleinanleger jetzt geschröpft werden, während institutionelle Großanleger geschont und reiche Steuerflüchtlinge amnestiert werden, schlägt in der öffentlichen Wahrnehmung dem Fass den Boden aus. Es wird offenkundig, dass nicht nur sozial Schwache, oder die immer gern als Sündenbock benutzten Beamten Ziel der neoliberalen Attacken sind, sondern selbst Teile der Mittelschicht des Landes.
Selbst Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte nahmen an den Protesten teil
Nicht von ungefähr hat die Teilnahme an den Protesten gegen das neue Sparpaket alle Erwartungen übertroffen. Selbst Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte nahmen an den Protesten teil. Auf der Kundgebung am 19. Juli 2012 in Madrid sprach der Chef der Gewerkschaft CCOO, Ignacio Fernando Toxo, von einer „Aggression gegen Arbeitslose, Beamte, Selbstständige und allgemein gegen die Mittelschicht des Landes, die verarmt.“ Die Vereinigte Linke (IU) hat die Bevölkerung zu einem „demokratischen Aufstand“ und zum Sturz einer Regierung aufgerufen, um die Krise von „ihren Verursachern, den Spekulanten und den von den antidemokratischen Eliten in der EU geförderten Finanzbetrügern“ bezahlen zu lassen. Die Gewerkschaften im Baskenland haben bereits für den 26. September 2012 einen Generalstreik angekündigt. Es ist durchaus möglich, dass dies auch in anderen Landesteilen der Fall sein wird.