Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Corona-Pandemie hat uns seit über einem Jahr fest im Griff und den Alltag von uns allen in kurzer Zeit gravierend verändert. Der persönliche Kontakt zu anderen wurde weitestgehend reduziert, Schulen, Kitas, viele Geschäfte, Restaurants und Cafés werden und wurden geschlossen, Urlaube storniert, Veranstaltungen verschoben oder unter eingeschränkten Bedingungen durchgeführt.
Auch die Art wie, wo und ob man arbeitet, mussten viele Beschäftigte binnen weniger Tage komplett umstellen. Auch unsere Gewerkschaftsarbeit hat sich elementar verändert. Unsere Arbeit, die so stark wie kaum eine andere Arbeit vom Miteinander und vom Zusammengehörigkeitsgefühl lebt.
Unser wichtiges politisches Engagement für eine andere Welt, in der die Menschen und die Umwelt im Mittelpunkt stehen und nicht Profite, hat sich elementar verändert. Unser Engagement, das im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet, für eine gemeinsame Sache auch auf der Straße eng zusammenzustehen, war lange und ist auch heute nur eingeschränkt möglich.
…und ihr glaubt gar nicht, wie schön es deshalb ist, euch heute hier live zu sehen und dass wir gerade zusammen durch Schwäbisch Hall demonstriert sind. Und ich finde es richtig und wichtig, dass wir es trotz der widrigen Umstände mit Maske und Abstand getan haben.
Die Straße nicht den Rechten, den Faschisten und Querdenkern überlassen
Ich will mich ganz herzlich für die Einladung bedanken. Ich möchte aber auch allen Entscheidungsträgern des DGB hier in der Region danken, dass ihr diese mutige Entscheidung getroffen habt, eine Demonstration und Kundgebung durchzuführen.
Und es ist wunderbar, dass ihr alle dem Aufruf gefolgt seid. Es ist unser Tag, an dem wir traditionell gemeinsam unsere Werte und Forderungen für eine gerechtere, solidarische, vielfältige und demokratische Welt öffentlich auf die Straße tragen.
Und wenn man sieht, wer in den letzten Monaten regelmäßig mit Kundgebungen und Demonstrationen auf sich aufmerksam machte, ist es auch gerade deshalb wichtig, dass wir heute öffentlich Gesicht zeigen.
Wir sind heute auch deshalb hier, weil wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter die Straße nicht den Rechten, nicht den Faschisten und auch nicht den sogenannten Querdenkern überlassen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Kampf gegen Covid-19 und seine wirtschaftlichen Folgen hat uns vor gewaltige Herausforderungen gestellt. Wir leben in Zeiten, in denen der Ausnahmezustand nun der Normalzustand ist. Wirklich keine einfache Zeit…
In zahlreichen Betrieben sind Aufträge ausgeblieben, Produktionen zum Erliegen gekommen und Umsatzzahlen eingebrochen.
Für uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter galt es in den letzten Monaten, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und trotz alledem mit erhobenem Haupt und Rückgrat gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Interessen der Beschäftigten nicht unter die Räder kommen.
Wir haben um Arbeitsplätze gekämpft und tun das bis heute, wir haben an vielen Stellen die Einkommens- und Arbeitsbedingungen gesichert und sogar verbessern können und wir haben uns noch mehr als je zuvor um die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen gekümmert.
Uns allen heute auch mal auf die Schulter klopfen
Ich finde, das kann sich sehen lassen, was wir in den letzten Monaten geschafft haben. Ich will gar nicht wissen, wie es aussehen würde, wenn es uns nicht gegeben hätte. Wenn wir keinen Einfluss auf die verschiedenen Entwicklungen gehabt hätten. Deshalb will ich uns allen heute auch mal auf die Schulter klopfen und DANKE sagen.
Das ist alles keine Selbstverständlichkeit und hat sicher auch Nerven und Kraft gekostet. Alles in allem haben wir das richtig gut gemacht. Danke für das Engagement!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
schon vor Corona haben Alten- und Krankenpfleger eine verantwortungsvolle Arbeit gemacht, die Respekt, Wertschätzung und vor allem eine anständige Bezahlung verdient hat.
Wir erinnern uns, wie beim Ausbruch der Pandemie viele Menschen auf den Balkonen für die Alten- und Krankenpfleger geklatscht haben. Und wenn es eine erste Lehre aus Corona gibt, dann, dass vom Klatschen niemand satt wird!
Verdiente Aufwertung von Gesundheits- und Pflegearbeit
Es braucht deshalb endlich die verdiente Aufwertung von Gesundheits- und Pflegearbeit. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Es kann doch nicht sein, dass man in Berufen, in denen es um die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, von Alten, von kranken und bedürftigen Menschen geht, die miserabelsten Arbeitsbedingungen und schlechtesten Einkommen hat.
Während gleichzeitig irgendwelche Hedgefonds-Manager Unternehmen kaufen und verkaufen und damit oft Arbeitsplätze und Existenzen vernichten und dafür Millionen bekommen. Damit muss endlich Schluss sein. Die Beschäftigten, die so eng am und mit Menschen arbeiten, brauchen endlich die nötige Wertschätzung und Anerkennung für ihre wichtige gesellschaftliche Arbeit.
Das muss spürbar werden, indem mehr Personal in diesen Bereichen eingestellt wird, aber vor allem muss das auch im Geldbeutel der Kolleginnen und Kollegen deutlich spürbar werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Pandemie zeigt uns wie unter einem Brennglas, welche Ungerechtigkeiten und Probleme auch schon vorher existierten. Die Corona-Krise wirkt auf die schon vorher vorhandenen sozialen Spaltungen wie ein Brandbeschleuniger und wir spüren das an allen Ecken und Enden.
Dabei sind es häufig die ohnehin Benachteiligten, die von der Krise und ihren Folgen mit der größten Härte getroffen werden:
Beispielsweise Menschen in prekärer Beschäftigung, Kinder aus bildungsfernen Haushalten oder Frauen, die häufig wieder verstärkt in alte Rollenmuster gedrängt werden.
Wir sehen mehr denn je, wie der öffentliche Dienst und die öffentliche Daseinsvorsorge kaputtgespart wurden. Wir müssen schlicht feststellen, dass sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse durch die Pandemie nicht verändert haben, ich würde sogar sagen, dass sie sich zugunsten der ohnehin schon Wohlhabenden und Reichen noch weiter verschoben haben.
Die Weltbank spricht in einem Bericht aus dem Herbst letzten Jahres davon, dass zusätzlich 115 Millionen Menschen weltweit durch Corona unter die Armutsgrenze gefallen sind.
Rekordgewinnen für die Reichsten
Währenddessen haben die 2.000 reichsten Menschen auf der Welt Rekordgewinne gemacht. Gleichzeitig haben nach einer Studie unserer Hans-Böckler-Stiftung ein Drittel der Erwerbstätigen in den letzten zwölf Monaten Einbußen beim Einkommen hinnehmen müssen.
Es wurden gigantische Rettungs- und Hilfspakete geschnürt, um Menschen und Unternehmen durch die Krise zu helfen. Das wohl wichtigste Instrument ist das Kurzarbeitergeld zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Weitere Zuschüsse und Kredite verhinderten Insolvenzen und haben dadurch Arbeitsplätze erhalten. Und das ist auch richtig so. Wir wollten immer einen handlungsfähigen Sozialstaat und keinen „Nachtwächterstaat“.
Mit Entgeltreduzierungen in Kurzarbeit geschickt
Anstatt die weiterhin in diesen Unternehmen vorhandenen satten Gewinne auf ihre Beschäftigten zu verteilen, wurden sie mit Entgeltreduzierungen in Kurzarbeit geschickt. Gleichzeitig wurde im hohen dreistelligen Millionenbereich auf Staatshilfe in Form von Kurzarbeitergeld gesetzt und dann die Gewinne an die Aktionäre ausgeschüttet.
Am Beispiel Daimler bedeutete das: 700 Millionen EURO Einsparungen durch Kurzarbeitergeld und eine Dividendenausschüttung an die Aktionäre von insgesamt 1,4 Milliarden EURO. Noch dreister kann man die Umverteilung von unten nach oben nicht vorantreiben und in anderen Ländern ist so etwas richtigerweise verboten.
Dem Gemeinwohl verpflichtet
Wer Geld aus der Staatskasse bekommt, muss dem Gemeinwohl verpflichtet werden und hat mit dem Geld Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern und nicht die Gier der Aktionäre zu befriedigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die „Corona-Pandemie“ dient im Arbeitgeberlager und den Neoliberalen in der Politik dazu, erneut und massiv weitere Angriffe auf Beschäftigte und den Sozialstaat zu fahren. Man versucht die Pandemie dazu zu nutzen, die Schere zwischen Kapital und Arbeit noch weiter zu öffnen.
Erinnert euch an die öffentlichen Debatten in den letzten Monaten: Die Grundrente und eine Erhöhung des Mindestlohns sei nicht finanzierbar wegen Corona. Die Arbeitszeiten müssen ausgedehnt werden – wegen Corona.
In den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes und der Metall- und Elektroindustrie, aber auch in anderen Branchen und Betrieben kann es keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geben – wegen Corona. Die Arbeitgeber haben landauf, landab, fest damit gerechnet, dass die Gewerkschaften aufgrund der Corona-Pandemie nicht in der Lage sind, zu mobilisieren.
Und ja, es war schwieriger und wir mussten kreativer sein. Aber wir sind nach einem einfachen und richtigen Motto verfahren:
Schulter an Schulter streiken
Wo gearbeitet wird, kann auch gestreikt werden. Und wenn von uns auch an vielen Stellen, wo Home-Office nicht möglich ist, erwartet wird, dass wir Schulter an Schulter gemeinsam in den Betrieben arbeiten, dann sind wir auch in der Lage Schulter an Schulter zu streiken.
Der Großteil der Corona-Hilfen zielte aber vor allem auf die großen Unternehmen ab und sie wurden ohne Auflagen und Verpflichtung zum Erhalt von Arbeitsplätzen oder gegenüber dem Gemeinwohl gezahlt.
Die Lufthansa, die mit rund dem Doppelten ihres Unternehmenswert an Hilfen gestützt wurde und dennoch Massenentlassungen vollzieht, ist nur ein Beispiel. Genauso skandalös haben sich auch andere größere Unternehmen und auch Automobilhersteller verhalten.
Für Bewegung in den Verhandlungen gesorgt
Hunderttausende Streikende bundesweit haben für Bewegung in den Verhandlungen gesorgt und solide und erfolgreiche Tarifabschlüsse erzielt und es konnten dabei in der Regel auch die Angriffe der Arbeitgeber erfolgreich abgewehrt werden.
Uns ist damit sicherlich ein kleiner Teilerfolg in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums gelungen. Es ist aber darüber hinaus auch weiterhin dringend notwendig die Umverteilung von unten nach oben umzukehren.
Vermögensabgabe und höhere Steuern auf hohe Einkommen und Gewinne
Wir müssen alles daransetzen und es muss alles dafür getan werden, damit die Corona-Pandemie nicht zu einer noch tieferen sozialen Spaltung der Gesellschaft führt. Und deshalb muss zur Bewältigung der absehbaren Krisenlasten noch mehr denn je gelten, dass starke Schultern mehr leisten können als Schwache und deshalb sind auch mehr denn je eine Vermögensabgabe und höhere Steuern auf hohe Einkommen und Gewinne das Gebot der Stunde. Wir brauchen eine radikale Umverteilung des Reichtums von oben nach unten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die sich abzeichnende dritte Welle zeigt: Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei – und sie ist gefährlich. Um weitere Tote zu verhindern, erleben wir, wie Grundrechte zum Teil massiv eingeschränkt werden. Aber es gibt richtigerweise auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls respektiert werden muss.
Das Virus ist nicht harmlos und es ist auch keine weltweite Verschwörung. Und es braucht auch demokratisch legitimierte Kritik an den Maßnahmen und dem Vorgehen der politischen Entscheidungsträger. Kritik an der Krisenpolitik hat aber ihre Grenzen dort, wo die Gesundheit und das Leben Anderer gefährdet werden.
Wer das Virus und seine Gefahren schlicht leugnet und darauf pocht, sich an keine Abstands- und Hygieneregeln halten zu wollen, kritisiert nicht die staatlichen Entscheidungsträger, sondern ist rücksichtlos, egoistisch und unsolidarisch.
Gegen rechtes Gedankengut und Verschwörungstheorien
Wer gemeinsam mit Rechtsradikalen auf die Straße geht, um gegen die Corona- Maßnahmen zu demonstrieren, verteidigt nicht die Demokratie, sondern der greift sie an. Rechtes Gedankengut und Verschwörungstheorien, wie wir sie bei den Querdenkern erleben, dürfen und werden von uns nicht unwidersprochen stehen bleiben und sie werden auf unseren gemeinsamen Widerstand stoßen in den Betrieben, in der Gesellschaft und auf der Straße und auch gerade heute hier in Schwäbisch Hall.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
statt einer wirklich notwendigen demokratischen Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen wollen die so genannten „Querdenker“ einfache Schuldige suchen. Dieses Gedankenmuster kennen wir und es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, dass diese Bewegung offen ist für rechtes Gedankengut und Verschwörungstheorien. Und allen Ernstes vergleichen sie dann noch ihren durch die Verfassung DEMOKRATISCH garantierten Protest gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen mit der Verfolgung von Menschen im Dritten Reich. Das ist völlig absurd, skandalös und geschichtsvergessen und es macht mich wütend und es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Todesopfer der alten und neuen Nazis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
solche Aussagen müssen bei Angehörigen der Opfer wie Hohn klingen. Noch kein Querdenker musste wegen seinen noch so absurden Positionen um sein Leben fürchten.
213 Opfer von rechtsextremen Morden seit 1990
Im Gegensatz zu vielen anderen, die anders aussehen und die nicht ins rechte Weltbild passen.
Siggi hat es am Anfang gesagt: Wir können mit Sicherheit sagen, dass seit 1990 mindestens 213 Menschen in diesem Land ihr anderes Aussehen oder ihren Kampf gegen Nazis mit dem Leben bezahlt haben und Opfer von rechtsextremen Morden wurden.
Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschenleben mit all ihrer Liebe, ihrem Lachen und ihren Hoffnungen von einem Rechtsextremisten ausgelöscht. Über ihre Familien und Freunde ist dabei unermessliches Leid hereingebrochen. Bis heute liegt diese menschenverachtende Tat wie ein Schatten über der Stadt und wir fühlen und trauern weiter mit den Angehörigen.
Dieser Angriff war ein Angriff auf uns alle. Und die Opfer waren keine Fremden. Wir sind als Gewerkschaften Teil eines lokalen Bündnisses und wir haben uns auf Mahnwachen, Kundgebungen und Beerdigungen ein Versprechen gegeben:
Namen der Opfer nicht vergessen
„Dass die Namen der Opfer nicht vergessen werden und dass es nicht bei folgenloser Betroffenheit bleibt. Wir werden nicht zulassen, dass der 19. Februar 2020 unter den Teppich gekehrt wird – so wie die unzähligen rechten Morde zuvor.“ Das sind wir den Opfern schuldig.
Ich möchte euch heute an sie erinnern. Erinnern an:
Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu
Hinter ihren Namen stehen individuelle Schicksale, Geschichten und Biografien. Unter dem Motto #saytheirnames wollen wir die Erinnerung an die grausame Tat aufrechterhalten und die Opfer als Menschen sichtbar machen, statt den Täter in den Vordergrund zu rücken.
Gökhan Gültekin stammte aus einer kurdischen Familie und war 37 Jahre, als er ermordet wurde. In Hanau wurde er ein „bunter Hund“ genannt. Sein Vater sagte, er sei „der Besonnene und Fleißige in der Familie gewesen“. Gökhan Gültekin arbeitete in einem Café-Kiosk. Er stand kurz vor einer Verlobung.
Der 30-jährige Sedat Gürbüz war der Besitzer der Shisha-Bar, dem ersten Tatort des Anschlags. Ein guter Freund nennt ihn einen „geliebten Bruder. Er hat immer gelacht, konnte keiner Fliege etwas zuleide tun“.
Said Nessar Hashemi, 22 Jahre alt, war gelernter Maschinen- und Anlagenführer. Er wollte eine Weiterbildung zum Techniker abschließen. Seine Schwester sagt über ihn: „Hanau war seine Heimat. Er hat hier Familie und Freunde. Er war immer glücklich gewesen und war immer für Menschen da, die seine Hilfe benötigt haben.“
Die 35-jährige Mercedes K. war Mutter zweier Kinder und wird als Frau mit starker Persönlichkeit beschrieben. „Sie war sehr offen und sympathisch. Man hat sich in ihrer Nähe sofort wohlgefühlt“, sagt ihre Freundin Jade. Mercedes arbeitete am Abend des 19. Februar in der Arena Bar.
Weder von den Medien noch von Behörden erfasst und von staatlicher Seite oft als Todesopfer rechtsextremer Gewalt – Einzelfälle ohne politische Mordmotive eingestuft. Dass sich das geändert hat, war ein Erfolg
der antifaschistischen Bewegung und wir machen weiter. Gerade auch wegen der Ereignisse in Hanau im Februar letzten Jahres.
Hamza Kurtović war mit gerade einmal 20 Jahren das jüngste Opfer des Anschlags. Seine Familie stammt aus Bosnien. Er hatte kurz vor der Tat seine Berufsausbildung abgeschlossen und war gerade ins Berufsleben eingestiegen.
Vili Viorel Păun starb im Alter von 23 Jahren. Als 16-Jähriger kam er von Rumänien nach Deutschland, da seine Mutter krank war und sich dort behandeln lassen wollte. Er arbeitete für eine Kurierfirma.
Der 34-jährige Fatih Saraçoğlu lebte noch nicht lange in Hanau. Er zog aus Regensburg dorthin, um sich selbstständig zu machen. Ein Freund der Familie sagte: „Das sind ganz freundliche, zurückhaltende Menschen. Fatih hatte hier viele Freunde“.
Ferhat Unvar hatte kurdische Wurzeln und war 22 Jahre alt. Seine Familie beschreibt ihn als Menschen mit vielen Träumen und Ideen. Er hatte gerade seine Lehre als Heizungs- und Gasinstallateur abgeschlossen und war dabei, eine eigene Firma zu gründen. Er wollte „dafür sorgen, dass es uns allen zu Hause gut geht und warm ist“, sagte sein Cousin. Er sei ein lebenslustiger Mensch gewesen, der immer gelacht habe.
Der 33-jährige Kaloyan Velkov lebte erst seit zwei Jahren in Deutschland. Er war Wirt der Bar direkt neben der Shishabar und wollte seine Familie in Bulgarien durch seine Arbeit finanziell unterstützen. Kaloyan Velkov hinterlässt einen siebenjährigen Sohn.
Wir haben als Gewerkschaften im Rahmen unserer Möglichkeiten die Angehörigen und Überlebenden unterstützt. Wir haben zu Gedenkminuten in den Betrieben aufgerufen und dort wo noch möglich, es zum Thema in den Betriebsversammlungen gemacht.
Warum hatte der Täter eine Waffenbesitzkarte?
Zentrale Fragen zum Tatablauf wie auch zum Tathintergrund sind nach wie vor offen. Warum hat der Täter trotz seiner Vorgeschichte und einer psychischen Erkrankung Waffenbesitzkarten erhalten? Warum reagierten die Staatsanwaltschaften nicht auf seine Anzeigen im Vorfeld? Warum wurden frühere bewaffnete Vorfälle in Hanau durch ihn nicht aufgeklärt?
Warum waren die Hanauer Notrufnummern nicht erreichbar?
Entgegen der offiziellen Darstellungen hat sich im Vorgehen der Polizei und Behörden eine Mischung aus Überforderung, Ignoranz bis hin zu rassistischen Verhaltensweisen gezeigt. Und auch die Frage, warum die Hanauer Notrufnummern nicht erreichbar waren, ist bis heute nicht aufgeklärt. Damit verbunden die wohl wichtigste Frage: Hätten die neun Morde am 19. Februar 2020 verhindert werden können?
An jedem einzelnen Punkt einer Kette des Versagens, waren es die Familienangehörigen der Ermordeten und die Überlebenden, die diese öffentlich benennen mussten und trotz ihrer Schmerzen immer wieder laut werden mussten. Es gibt bis heute keinen einzigen Fehler, den die Verantwortlichen von selbst eingestanden hätten.
Konsequenzen ziehen und nichts vergessen
Viele Politiker reden nun von einer “Zäsur nach Hanau”. Mit warmen Worten und leeren Versprechungen wird sich aber nichts verändern.
Nachdem die Kameras und Politiker im letzten Jahr die Stadt wieder verlassen hatten wurde die „Initiative 19. Februar“ gegründet, um der Solidarität und den Forderungen nach Aufklärung und politischen Konsequenzen einen dauerhaften Ort zu geben.
Die Initiative will, dass die Angehörigen, Familien und Freunde der Opfer und Verletzten Gehör finden und man will sich gegenseitig Halt geben. Und vor allem will man dafür sorgen, dass Konsequenzen gezogen werden – und dass nichts vergessen wird.
Initiative 19. Februar in Hanau gegründet
Wir fordern deshalb gemeinsam mit der Initiative 19. Februar eine kritische und schonungslose Aufarbeitung mit konkreten Konsequenzen in der Praxis, um damit zukünftige rassistische Mordtaten zu verhindern.
Wir wollen alles tun, damit sich der 19. Februar 2020 nie mehr wiederholt! Wir brauchen lückenlose Aufklärung. Wir brauchen Konsequenzen. Es gibt kein Vergessen und wir werden keine Ruhe geben. Wir werden auch deshalb keine Ruhe geben, weil wir leider feststellen müssen, dass Rassismus und offener Hass weiter zunehmen. Wir erleben, dass die Wahrheit kein Kriterium mehr ist, alles wird behauptet und herbeigelogen, Hauptsache es schürt Ängste und Vorurteile.
Nazis in Nadelstreifen
Der parlamentarische Ausdruck davon sind die Nazis in Nadelstreifen. Aus dem Stand heraus ist die AfD zum Teil mit zweistelligen Prozentzahlen in die Landtage und in den Bundestag eingezogen. Diese rassistische, nationalistische und antidemokratische Partei ist dort überflüssig wie ein Kropf – aber sie ist drin.
Wir konnte es dazu kommen? Die ungleiche Verteilung des Reichtums und die damit verbundenen Verteilungskämpfe spalten die Gesellschaft und verstärken rassistische Tendenzen. Die soziale Sicherheit für die große Mehrheit Menschen in diesem Land und in Europa wurde von den politischen Entscheidungsträgern zu lange ignoriert.
Viele Menschen wurden sozial abgehängt
Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ist und bleibt aber ein unverzichtbares Fundament der Demokratie und des friedlichen Zusammenlebens in einer Gesellschaft und das unabhängig von der Herkunft. Die Ergebnisse der Politik des Sozialabbaus und der Deregulierung haben dazu geführt, dass viele Menschen sozial abgehängt und an den Rand gedrängt wurden oder realistische Befürchtungen vor einem sozialen Abstieg haben.
Wenn Menschen sehen, dass ein demokratisches System eben nicht ausreichend dafür sorgt, dass es der Mehrheit der Menschen in dem Land gut geht, dann wählen sie eben auch Parteien, die sich nicht auf dem Fundament der Demokratie befinden.
AfD arbeitet aktiv an der Zerstörung der Demokratie
Die AfD will zweifelsfrei einen Systemwechsel und sie arbeitet aktiv an der Zerstörung unserer Demokratie. Die Wahlergebnisse der AfD, aber auch ihre diversen außerparlamentarischen Aktivitäten, sind auch weiterhin ein Kampfauftrag für alle Demokraten und Demokratinnen in diesem Land. Und damit für uns alle!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
gerade wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wissen, was es heißt, wenn ein demokratisches System scheitert.
Damals in den 1930er Jahren, als Betriebsräte, und aktive haupt- und ehrenamtliche Gewerkschafter verhaftet, gefoltert und ermordet wurden. Damals im Jahre 1932, als 18,9 Millionen Menschen in diesem Land aus Protest gegen die etablierten Parteien die NSDAP gewählt haben. Mit dem Ergebnis, dass sie wenige Jahre später nicht mehr wählen konnten. Damals, als die Demokratie scheiterte und sie mühsam 1945 wiederaufgebaut werden musste.
Der Täter von Hanau war zwar ein einzelner Täter, aber er war kein Einzeltäter und die Morde waren auch kein Einzelfall.
Wir müssen Antirassisten sein
Diese menschenverachtende Tat 2020 in Hanau hat zum wiederholten Mal gezeigt: In diesem Land können sich nicht alle Menschen gleichermaßen sicher fühlen. Das dürfen wir niemals hinnehmen. Es reicht nicht, kein Rassist zu sein. Wir müssen Antirassisten sein!
Es fing an mit Menschen, die wegschauten
Und auch damals fing es nicht mit Gaskammern an. Es fing an mit einer Politik, die von WIR gegen DIE sprach. Es fing an mit Intoleranz und Hassreden. Es fing an mit der Aberkennung von Grundrechten und es fing an mit brennenden Häusern. Aber vor allem fing es an mit Menschen, die einfach wegschauten.
Daraus haben wir Lehren gezogen und der Antifaschismus gehört deshalb zur gewerkschaftlichen DNA, genau wie unsere Tarifverträge. Wir schauen nämlich nicht weg und werden auch zukünftig nicht wegschauen, wenn durch eine Partei wie die AfD Hass und Intoleranz in unsere Gesellschaft getragen werden. Wir stehen auf und stellen dem unsere Vorstellung einer solidarischen, gerechten, friedlichen und weltoffenen Gesellschaft entgegen.
Dafür wollen und werden wir kämpfen:
Wir wollen nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
was heißt das für uns und wie wollen wir mit dieser Entwicklung umgehen, die auch nicht Halt vor den Betrieben und auch sicher nicht vor unserem Bekanntenkreis gemacht hat?
Klare Kante gegen Rassismus und Hetze
Zum einen wird auch weiterhin kein Weg daran vorbeiführen, klare Kante gegen Rassismus und Hetze zu zeigen. Egal wo und wie sie auftreten. Sie werden nicht geduldet. Punkt! Das muss der Grundkonsens bleiben. Und es gilt auch die überzeugten AfD-Funktionäre und Nazis wo es geht zu bekämpfen.
Auf keinen Fall werden wir den rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Gesinnungen und Positionen entgegenkommen. Auf gar keinen Fall bedarf es eines Politikansatzes, bei dem Positionen der AfD übernommen werden. Damit stärkt man sie nur.
Zurecht Empörten ein Angebot machen
Wir müssen aber auch gleichzeitig denjenigen, die über die schreienden und offensichtlichen Ungerechtigkeiten der letzten Jahre zurecht empört sind, ein Angebot machen, sich in einer solidarischen Bewegung zu engagieren. Eine Bewegung, die auf Vielfalt und Solidarität setzt.
Diese Menschen dürfen wir nicht aufgeben, auch wenn sie sich im Kollegen-, Freundes- und Bekanntenkreis dazu bekannt haben, die AfD gewählt zu haben.
Und wir müssen ihnen sagen: Wer wirklich etwas tun will für mehr Frieden und Gerechtigkeit, für mehr Sozialstaat, für eine wirkliche Umverteilung des Reichtums, für Löhne, Gehälter und Renten, die zum Leben reichen, der gegen die weitere Aufrüstung ist, der ist bei uns, also unter anderem bei den Gewerkschaften, in den außerparlamentarischen und kapitalismuskritischen Bewegungen, Sozialverbänden, auch in weiten Teilen der Kirchen gut und richtig und unter Rassisten und Nationalisten denkbar schlecht aufgehoben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die AfD ist und bleibt keine Alternative für Beschäftigte
und es wird unsere Aufgabe in den Betrieben, Verwaltungen und im Freundes- und Bekanntenkreis in den nächsten Jahren sein, das deutlich zu machen und auch dafür zu kämpfen, dass wir gemeinsam auf die vielen sozialen Fragen die passenden Antworten finden und in der Lage sind, sie auch durchzusetzen.
Der US-amerikanische Unternehmer Warren Buffet sagte einmal: „Es herrscht Klassenkampf, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die diesen Kampf führt, und wir gewinnen!“
Geld ist genug da – es ist nur in den falschen Händen
Wir erleben es seit Jahren: Die Gier in den großen Banken, Konzernzentralen, bei Hedge- Fonds, bei den ohnehin schon Superreichen hat ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Diese Gier hat aber massive Auswirkungen auf uns alle, weil das Geld an anderer Stelle fehlt. Wir wissen aber: Geld ist genug da – es ist nur in den falschen Händen.
Das zu verändern wird nicht einfach vor dem Hintergrund der Kräfteverhältnisse. Aber Kneifen und Aufgeben sind keine Alternativen für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Wir stellen uns der gemeinsamen Herausforderung.
Wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass die richtigen Konsequenzen aus der Pandemie gezogen werden. Unsere Positionen waren vor Corona richtig und haben sich bestätigt.
Die Pandemie und die wirtschaftlichen Einbrüche sind kein Grund zur gewerkschaftlichen Zurückhaltung. Im Gegenteil: Sie sind ein klarer Auftrag für uns.
Sozialstaat wieder aufbauen
Wir werden diese notwendigen Veränderungen auch in Zukunft nicht geschenkt bekommen. Deshalb werden wir gerade jetzt weiter dafür kämpfen müssen, dass der seit langem abgebaute Sozialstaat wiederaufgebaut wird. Wir brauchen unter anderem mehr denn je ein deutlich besser ausfinanziertes Gesundheitssystem.
Wir werden weiterhin kämpfen, für gute und sichere Arbeitsplätze, höhere Löhne, Gehälter und Renten, für bezahlbare Wohnungen und Investitionen in Bildung und Ausbildung.
Lasst es uns anpacken. Solidarität ist Zukunft!
Wir müssen weiter Druck machen für eine andere Politik und auch gegen ein System, das Profite und nicht die Interessen von Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Ich bin mir sicher, dass wir genau damit auch den rechten Rattenfängern das Wasser wieder abgraben können.
Es gäbe dabei noch einige Themen zu beleuchten. Ich sag’s mal so: Wir haben als Gewerkschaften genug zu tun und einen langen Weg bereits hinter uns – aber vor allem auch vor uns.
Lasst uns deshalb Tag für Tag weiterkämpfen. Vor Ort, in den Betrieben und Verwaltungen und für eine solidarische und antirassistische Gesellschaft. Lasst es uns anpacken. Solidarität ist Zukunft! Danke für eure Aufmerksamkeit.