„Tarifrunde Zeitungsredakteure: Streikende erkämpfen Einigung“ – Manche Verlage umgehen Tarifverträge

Nach einem Verhandlungsmarathon von 18 Stunden haben sich die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), der DJV und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) vor kurzem auf eine Tarifeinigung für die rund 14.000 Redakteurinnen und Redakteure sowie die freien Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen verständigt.

Von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di

Redakteure bekommen ab Mai 2012 1,5 Prozent mehr Gehalt

„Die heftig umstrittenen Verschlechterungen für Berufseinsteiger sind vom Tisch, die von den Verlegern beabsichtigte Abwertung des Journalistenberufs ist damit verhindert worden“, betonte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Gleichzeitig sind Tariferhöhungen vereinbart worden. Danach erhalten Redakteurinnen und Redakteure vom 1. Mai 2012 an 1,5 Prozent mehr Gehalt, im Oktober 2011 sowie im Februar 2013 gibt es Einmalzahlungen von jeweils 200 Euro. Die Honorare der Freien werden per Oktober 2011 sowie per August 2012 um jeweils zwei Prozent angehoben. Der Manteltarifvertrag und die Altersversorgung gelten unverändert bis Ende 2013 fort. Gleichzeitig ist eine Beschäftigungssicherungsklausel vereinbart worden, die sich an den bestehenden Regelungen für Verlagsangestellte und der Druckindustrie orientiert.

Massive Eingriffe in den Manteltarif konnten abgewehrt werden

„Dieser Tarifabschluss ist trotz der unbefriedigenden Tariferhöhung insgesamt ein Erfolg, denn die von den Verlegern geplanten massiven Eingriffe in den Manteltarif konnten abgewehrt werden. Das ist der breiten Streikbewegung tausender Redakteurinnen und Redakteure, Volontären sowie freien Journalistinnen und Journalisten zu verdanken – unterstützt durch Streiks von Verlagsangestellten und Kolleginnen und Kollegen aus der Technik“, sagte Werneke. Allein am Mittwoch hatten insgesamt mehr als 2.000 Beschäftigte in mehreren Bundesländern die Arbeit niedergelegt. Die Einigung wird nun der Tarifkommission und anschließend den Streikenden zur Abstimmung vorgelegt. Es wurde eine Erklärungsfrist bis zum 30. September 2011.

Tarifverträge im Internet:

http://dju.verdi.de/tarif/tarifvertraege/#tageszeitungen

Journalistenstreiks waren erfolgreich

Nach siebzehnstündigen Tarifverhandlungen für die rund 14.000 Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen wurde vor kurzem eine Einigung erzielt. Danach erhalten die Redakteure jeweils zum 1. Oktober 2011 und zum 1. Februar 2013 eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro. Am 1. Mai 2012 steigen die Gehälter linear um 1,5 Prozent. Die Honorare der Freien im so genannten 12a-Tarifvertrag sollen um jeweils zwei Prozent zum 1. Oktober 2011 und zum 1. August 2012 angehoben werden. Die Laufzeit des Gehaltstarifvertrags soll bis 31. Juli 2013 dauern.

Vom Deutschen Journalistenverband (DJV)

Dumping-Tarifvertrag für Berufseinsteiger wird es nicht geben

Deutscher Journalisten-Verband, ver.di und Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vereinbarten darüber hinaus, dass der Manteltarifvertrag unverändert wieder in Kraft gesetzt wird und frühestens zum 31. Dezember 2013 kündbar ist. Die Altersversorgung kann erstmals Ende 2013 gekündigt werden. Den von den Verlegern seit Monaten geforderten Dumping-Tarifvertrag für Berufseinsteiger wird es nicht geben. Als Zugeständnis stimmten DJV und ver.di unter bestimmten Bedingungen einer Klausel zur Beschäftigungssicherung zu, die von Verlagen in nachgewiesenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten genutzt werden kann. Sie sieht vor, dass unter Beteiligung der Gewerkschaften in Krisensituationen einzelner Verlage die Sonderzahlungen für Redakteure um maximal 50 Prozent eines Monatsgehalts für maximal zwei Jahre abgesenkt werden. Als Gegenleistung sind die Arbeitsplätze der Journalisten im Jahr der Absenkung und im Folgejahr gesichert.

Annehmbarer Kompromiss zum Erhalt des Flächentarifvertrags

DJV-Verhandlungsführer Kajo Döhring bezeichnete das Tarifergebnis als „annehmbaren Kompromiss zum Erhalt des Flächentarifvertrags“. Die Verhinderung des Dumping-Tarifvertrags für Berufseinsteiger und Jobwechsler sei ein voller Erfolg. „Das ist das Verdienst von Tausenden Journalistinnen und Journalisten, die mit ihren Streiks den Angriff der Verleger auf die Tarifverträge und die Berufsperspektive der Jungen abgewehrt haben.“ Allein am gestrigen Mittwoch hätten sich in mehreren Bundesländern über 2.000 Journalisten an Arbeitskämpfen beteiligt.

Entscheidung über Tarifvertrag am 19. September 2011

Die DJV-Tarifkommission rief im Anschluss an die Hamburger Verhandlungsrunde die Kolleginnen und Kollegen dazu auf, die Streiks einzustellen. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen muss die Urabstimmung über das Ende der Streiks eingeleitet werden, sobald das Tarifergebnis im Wortlaut vorliegt. Der DJV-Gesamtvorstand als Große Tarifkommission wird auf seiner Sitzung am 19. September über das Tarifergebnis entscheiden.

Tarifflüchtige Verleger sollen unter das Dach der Tarifverträge zurückkehren

Nach der Einigung auf neue Flächentarifverträge für die Zeitungsjournalisten hat der DJV die tarifflüchtigen Verleger dazu aufgefordert, unter das Dach der Tarifverträge zurückzukehren. Die Flächentarifverträge für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen sind das Siegel des Qualitätsjournalismus. Wer sich außerhalb der Tarifverträge stelle, negiert die journalistische Leistung der Kolleginnen und Kollegen. Der DJV begrüßt den aktuellen Streik der Journalisten bei dem zur Zeitungsgruppe Süddeutsche Zeitung gehörenden Schwarzwälder Boten, die mit ihrer unbefristeten Arbeitsniederlegung einen Haustarifvertrag bei dem tariflosen Blatt erzwingen wollen. Derzeit praktizieren 21 Zeitungstitel das so genannte Outsourcing von Redaktionen. Auf Redakteure beziehungsweise Volontäre, die dauerhaft als Leiharbeitnehmer beschäftigt werden, greifen 19 Blätter zurück. Und 45 Zeitungen sind Mitglied im BDZV, ohne die gültigen Tarife anzuerkennen. Das geht aus der Liste der tarifflüchtigen Verlage auf der DJV-Homepage hervor.

Viele umgehen die Tarifbindung

In letzter Zeit sind immer mehr Verlage dazu übergegangen, die Tarifbindung zu umgehen. Zu den genutzten Fluchtwegen gehören das Outsourcen von Redakteuren in eigenständige, nicht tarifgebundene Gesellschaften, der Einsatz von Leiharbeitnehmern in den Redaktionen sowie die so genannte OT-Mitgliedschaft im Verlegerverband. OT steht für „ohne Tarifbindung“. Ebenfalls genutzt wird die Möglichkeit, Volontäre nicht mehr im Verlag, sondern an Journalistenschulen anzustellen und so die Tarifverträge für Volontäre, insbesondere hinsichtlich des Gehalts, zu umgehen.

Dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, zeigt die folgende Auflistung. Der DJV hat zusammengestellt, welche Verlage welche Form der Tarifflucht nutzen:

(Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)

http://www.djv.de/DJV-Liste-Tarifumgehung-der-V.629.0.html?&type=123

Bisherige Tarifverträge laut DJV:

http://www.djv.de/DJV-Liste-Tarifumgehung-der-V.629.0.html?&type=123

Bisherige Bezahlung von normalen Tageszeitungsredakteuren nach der alten Berufsjahresstruktur – Erste Zahl ist das Gehalt ab 1. November 2008, in Klammer das Gehalt ab 1. Oktober 2009:

ab 1. 11. 2008
(ab 1. 10. 2009)
II b (alt) im   3. und  4. Berufsjahr 3.412 € (3.467 €)
II c (alt) im   5. und  6. Berufsjahr 3.724 € (3.784 €)
III a (alt) im  7. bis 10. Berufsjahr 4.094 € (4.160 €)
III c (alt) im15. bis 19. Berufsjahr 4.618 € (4.692 €)
III d (alt) im 20. bis 25. Berufsjahr 4.666 € (4.741 €)
III e (alt) ab vollendetem 25. Berufsjahr 4.764 € (4.840 €)

Pressemitteilung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV):

BDZV: Neuer Tarifvertrag bringt Planungssicherheit für Verlage

Bei den Verhandlungen über einen Neuabschluss von Mantel- und Gehaltstarifvertrag für Zeitungsredakteure an Tageszeitungen zwischen dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und den Gewerkschaften Deutscher Journalisten-Verband (DJV) und dju in ver.di am 17./18. August 2011 in Hamburg kamen die Parteien in den frühen Morgenstunden zu einer Einigung. „Damit haben die Verlage Planungssicherheit bis 2013“, sagte der Verhandlungsführer des BDZV, Werner Hundhausen.

Schon 2012 und 2013 Einschnitte bei Einmalzahlungen (Urlaubsgeld und Jahresleistung) möglich

Der neue Manteltarifvertrag (MTV) gilt bis zum 31. Dezember 2013. In den Jahren 2012 und 2013 können die Einmalzahlungen (Urlaubsgeld und Jahresleistung) per Betriebsvereinbarung bei Nachweis einer die Beschäftigung gefährdenden wirtschaftlichen Situation um jeweils 50 Hundertstel eines Monatsgehalts verkürzt werden, sofern auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird. Weitergehende Eingriffe sind bei wirtschaftlicher Notwendigkeit möglich, wenn die Tarifparteien an den Verhandlungen auf betrieblicher Ebene beteiligt werden und dem Ergebnis zustimmen.

Verleger behalten Kürzungen bei Berufseinsteigern im Auge

Der neue Gehaltstarifvertrag (GTV) gilt bis 31. Juli 2013. Mit dem Oktobergehalt 2011 und dem Februargehalt 2013 wird eine Einmalzahlung von je 200 Euro gezahlt; im Jahr 2012 werden die Tarifgehälter ab 1. Mai um 1,5 Prozent angehoben. „Es war unsere Absicht, gleichzeitig eine ergänzende Plattform für Berufseinsteiger mit maßvoll abgesenkten Tarifen abzuschließen, in die dann auch die Onlineredakteure integriert werden sollten“, sagte Hundhausen. Wir bedauern, dass die Gewerkschaften diesen Weg nicht mitgehen wollten.“ Die Notwendigkeit, ein solches Tarifwerk zu schaffen, bleibe jedoch für die Zukunft bestehen.

Erklärungsfrist endet am 30. September 2011

Angeboten hatten die Verleger Eckpunkte, wonach Volontäre im ersten Jahr ein Monatsgehalt von 1.700 Euro  erhalten sollten, im zweiten Jahr 2.000 Euro; Redakteure im ersten Berufsjahr sollten 3.000 Euro bekommen; Redakteure ab dem fünften Berufsjahr sollten 3.300 Euro und ab dem zehnten Berufsjahr 4.200 Euro erhalten. Zum Paket zählten ferner ein 13. Monatsgehalt, bis zu 34 Urlaubstage und eine 36,5 Stunden-Woche. Auch für die Berufseinsteiger hatte der BDZV seine Bereitschaft zum Aufbau einer zusätzlichen tariflichen Altersversorgung signalisiert. Insofern sei es nicht nachvollziehbar, wenn dieses Angebot von den Gewerkschaften als Dumpingtarifvertrag diffamiert werde, sagte Hundhausen. Es wurde eine Erklärungsfrist bis 30. September 2011 vereinbart.

Weitere Informationen über den BDZV im Internet:

http://www.bdzv.de/pressemitteilungen+M59e7e487fc3.html

 

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„Soldat ist kein normaler Beruf“ – Am Antikriegstag 100 DemonstrantInnen in Schwäbisch Hall

100 Menschen demonstrierten am gestrigen (Donnerstag, 1. September 2011) Antikriegstag in Schwäbisch Hall gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan und die Anwerbung junger Menschen in Schulen und Arbeitsagenturen als Soldaten.

Von den Veranstaltern

Veranstalter sprechen von Falschmeldung im heutigen Haller Tagblatt

Der Club alpha 60, die IG Metall, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregims (VVN-BdA) und weitere Organisationen hatten für den 1. September zu einer Kundgebung und Demonstration in Schwäbisch Hall aufgerufen. Rund 100 Menschen kamen zur Rede von Heidi Scharf auf den Marktplatz und beteiligten sich an der anschließenden Demonstration durch die Innenstadt. Den ursprünglichen Plan, an den Parteibüros der SPD, der Grünen, der CDU und der FDP zu demonstrieren und diese als „Kriegsparteien“ auszuzeichnen, haben die Organisatoren wegen der in der Nacht zuvor auf diese Gebäude verübten Farbanschläge kurzfristig geändert. „Das ist nicht unsere Form der Auseinandersetzung“, sagte Rainer Fendt, Vorsitzender des Club alpha 60 zu den DemoteilnehmerInnen. Die Darstellung in der heutigen Ausgabe des Haller Tagblatts (Freitag, 2. September 2011), wonach die Demo-Route an den Parteibüros vorbeiführte, ist falsch.

Durch gezielte Friedensarbeit soll den Ländern geholfen werden

Heidi Scharf forderte in ihrer Rede die Bundesregierung auf, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu beenden und stattdessen die Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen. Nicht durch Lieferung von Waffen, sondern durch gezielte Friedensarbeit soll den Ländern geholfen werden. Sie fordert von der Bundesregierung, „Rüstungsexporte – nicht nur in Krisengebieten – zu verbieten und Rüstungsausgaben nachhaltig zu senken. Denn die Waffen, die die Machthaber gegen ihr eigenes Volk einsetzen, haben unter anderem deutsche und europäische Rüstungsfirmen geliefert. Deutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Für sage und schreibe fast 400 Milliarden Euro werden jährlich Waffen hergestellt und verkauft. Im Vergleich dazu betrug die Entwicklungshilfe im Jahr weltweit zirka 120 Milliarden Euro.“

Keine Anwerbung junger Menschen für die Bundeswehr an Schulen, Universitäten oder in den Arbeitsagenturen

Die 1. Bevollmächtigte der IG Metall lehnt die Anwerbung junger Menschen für die Bundeswehr an Schulen, Universitäten oder an den Agenturen für Arbeit ab: „Was wir auf keinen Fall wollen, ist, dass unseren Kindern die Bundeswehr als idealer Arbeitgeber näher gebracht wird.“ Besonders empörend ist, dass die Arbeitslosigkeit junger Menschen dafür genutzt wird, diese in Arbeitsagenturen von Werdienstberatern rekrutieren zu lassen. „Soldat ist kein normaler Beruf!“

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„Brutaler Überfall auf jüdischen Jungen in Stuttgart“ – Polizei ermittelt wegen schwerer Körperverletzung

Mit großem Entsetzen haben wir vom Übergriff auf einen Jungen unserer Gemeinde erfahren, der sich in der Nacht vom vergangenen Donnerstag auf Freitag in Stuttgart ereignete. Hierbei wurde der Fünfzehnjährige so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Dem Vernehmen nach wurde das Opfer auch als „Jude“ und „Scheißjude“ beschimpft. Die Polizei ermittelt wegen schwerer Körperverletzung.

Von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) in Stuttgart

Zehn gegen Einen

Gewaltausbrüche und Mobbing unter Kindern und Jugendlichen sind ein wachsendes Problem. Die „Andersartigkeit“ des Opfers – sei es, dass es eine andere Hautfarbe hat, eine andere Sprache spricht oder einer anderen Religion angehört – ist häufig Ansatzpunkt für die wiederholten Attacken. Diese Erfahrung machen auch jüdische Kinder und Jugendliche leider immer wieder. Dass zunehmend auch Kinder als Täter in Erscheinung treten, ist seit dem Vorfall in Hannover allgemein bekannt, als bei einer Tanzveranstaltung im Juni 2010 Kinder jüdische Tänzer mit Steinen bewarfen. Doch das Ausmaß der Brutalität und der Enthemmung beim Überfall in Stuttgart lässt aufhorchen: es stand zehn zu eins – zehn schüchterten das Opfer ein. Zwei, darunter dem Vernehmen nach, ein Zwölfjähriger, schlugen unter dem Beifall der Umstehenden zu.

Dürfen unsere Schüler auch in Zukunft unbekümmert zu ihrem Judentum stehen?

Angeblich soll dies kein antisemitisch motivierter Gewaltakt gewesen sein. Warum wurde das Opfer dann als „Jude“ und „Scheißjude“ tituliert, während die Schläge und Tritte auf Kopf und Bauch einprasselten? Handelte es sich dabei nur um eine Art Begleitmusik für einen ansonsten alltäglichen, brutalen Akt von Jugendgewaltkriminalität? – Es bleibt ein Gefühl der Beklommenheit. Können unsere Gemeindemitglieder weiterhin unbekümmert über die Straße gehen? Dürfen unsere Schüler auch in Zukunft unbekümmert zu ihrem Judentum stehen?

Andersgläubige Opfer von Gewalt

Eine ausgeprägte antisemitische oder fremdenfeindliche Ideologie vorauszusetzen, um Gewalt als antisemitisch oder fremdenfeindlich zu problematisieren, greift viel zu kurz. So werden Probleme erst erkannt, wenn es längst zu spät ist. Derjenige, der wiederholt gehänselt, gemobbt oder gar verprügelt wird und dabei immer wieder seine Andersartigkeit vorgehalten bekommt, ist längst Opfer solcher Gewalt.

Der Junge befindet sich weiterhin unter Schock

Im Laufe des Wochenendes konnte der Junge das Krankenhaus wieder verlassen. Er befindet sich jedoch weiter unter Schock. Wir hoffen, dass er sich bald wieder erholen wird und dieser Überfall ein Anlass mehr sein wird, die Fundamente unseres Zusammenlebens mit Nachdruck zu thematisieren – in der Öffentlichkeit, in den Schulen, in den Familien.

Weitere Informationen über die ISRAELITISCHE RELIGIONSGEMEINSCHAFT WÜRTTEMBERGS (IRGW), Hospitalstraße 36, 70174 Stuttgart:

Telefon 0711/228 36-24

Fax 0711/228 36-31

Internet: www.irgw.de

Selbstdarstellung der ISRAELITISCHEN RELIGIONSGEMEINSCHAFT WÜRTTEMBERGS (IRGW):

Die IRGW ist die jüdische Gemeinde für den württembergischen Landesteil Baden-Württembergs. Ihre Wurzeln reichen bis ins Jahr 1832, das Jahr der formellen Gründung der jüdischen Gemeinde in Stuttgart, zurück. 1912 wurde die IRGW als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Seit ihrer Wiedergründung 1945 ist die IRGW auf mittlerweile mehr als 3.000 Gemeindemitglieder angewachsen.

Zur flächendeckenden Betreuung unserer Gemeindemitglieder in ganz Württemberg unterhält die IRGW Zweigstellen in einer Reihe von Städten, unter anderem in Ulm und Heilbronn.

Mit Kindergarten, der Jüdischen Grundschule Stuttgart und einem Hort sichert die IRGW für Familien in ganz Baden-Württemberg die jüdische Erziehung ihres Nachwuchses.

Jüdischer Religionsunterricht kann in ganz Baden-Württemberg wieder – bis zum Abitur – als versetzungsrelevantes Pflichtfach gewählt werden.

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„Börsenchaos, Eurokrise, Rezessionsgefahr – Die Einschläge kommen näher“ – Diskussion in Schwäbisch Hall

„Dem Aufschwung bleibt die Puste aus“, meint der renommierte US-Ökonom Nouriel Roubini. Im Falle eines Abgleitens der BRD in eine erneute Wirtschaftskrise ist zu befürchten, dass Kanzlerin Angela Merkel jene Rezepte, die sie schon Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien aufgenötigt hat, auch hierzulande zur Anwendung bringt – mit verheerenden Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung.

Zugesandt von Paul Michel, Schwäbisch Hall

Diskussion am Mittwoch im Büro des Club Alpha 60 in Schwäbisch Hall

Wahrscheinlich ist, dass zur ideologischen Flankierung solcher Maßnahmen die rechtspopulistische Karte gespielt wird. Es könnte sehr ungemütlich werden. Für die Linke stellt sich die Frage: Was tun? Was sind unsere Alternativen? Darüber sollten wir reden. Am Mittwoch, 7. September 2011, um 20 Uhr im Büro des Club Alpha, 60 in der Pfarrgasse 3 in Schwäbisch Hall. Dazu laden ein: Jochen Dürr, Siggi Hubele, Paul Michel, Silvia Ofori Heidi Scharf  und Herrmann Stribel.

 

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„Zum Jubiläum: Alpha-Slam to go“ – Eigenwillige Poeten auf literarischem Spaziergang durch Schwäbisch Hall

Anlässlich seines 45-jährigen Bestehens lädt der Club alpha 60 in Schwäbisch Hall am Samstag, 3. September 2011, ab 21 Uhr zu einem ganz besonderen Poetry-Slam ein.

Von Elke Schöppler

Harry Kienzler, Nikita Gorbunov und das Duo Hanz n Roses

Auf einem literarischen Spaziergang durch die Schwäbisch Haller Innenstadt machen die Poeten Harry Kienzler, Nikita Gorbunov und das Duo Hanz n Roses an Henkersbrücke, auf der Michaelstreppe und am Grasbödele Station, um ihre poetischen Ergüsse zum besten zu geben. Beginn: 21 Uhr. Eintritt: Spendenbasis.

Weitere Informationen zu den Poeten auf der Internetseite www.clubalpha60.de

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„Westerwelle und der bedingungslose Kriegskurs der Bundesregierung“ – Leserbrief von Jochen Dürr aus Schwäbisch Hall

Am Donnerstag, 1. September 2011 werden in der ganzen Republik, so auch in Schwäbisch Hall, Kundgebungen und Demonstrationen zum Antikriegstag veranstaltet. Wie elementar wichtig das ist, zeigt der momentane Eierkurs von Herrn Westerwelle um Libyen.

Leserbrief von Jochen Dürr aus Schwäbisch Hall, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) Baden-Württemberg

Scheinheilige Empörung über Westerwelle

PolitikerInnen in Deutschland sagen bedingungslos Ja zur NATO und ihren Kampfeinsätzen. Dass er das nicht beachtet hat, wird Noch-Außenminister Guido Westerwelle von seinem Vorgänger Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen ) und anderen vorgeworfen. Vielleicht wird es ihm auch zum Verhängnis … auch okay! Es ist doch eine scheinheilige Empörung, die durch den Blätterwald rauscht: Westerwelle habe die NATO nicht genügend für ihren Kriegseinsatz gewürdigt. Der NATO sei der Sturz Gaddafis zu verdanken, das hört man/frau unisono vom FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler ebenso wie vom Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Verschwiegen wird dabei, dass Gaddafis Sturz, so folgerichtig und notwendig er auch sein mag, nicht Ziel des NATO-Einsatzes war und einen Bruch der ohnehin unzulänglichen Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates darstellt.

Westerwelle ist wieder vor der Bundeskanzlerin eingeknickt

Herrn Westerwelle ist aus meiner Sicht nicht politisch vorzuwerfen, dass Deutschland dem Kriegseinsatz in Libyen im UN-Sicherheitsrat nicht zugestimmt hat. Ich werfe ihm auch nicht vor, dass er die NATO nicht überschwänglich gelobt hat. Ich werfe ihm vor, dass er seine Linie nicht durchgehalten hat und am Ende doch wieder vor der Kanzlerin und dem eigenen Parteichef eingeknickt ist. Die Bundesregierung will den halbherzig eingeschlagenen Kriegskurs nun korrigieren. Verteidigungsminister Thomas de Maizière will stramm an der Seite der NATO Bundeswehrsoldaten für Libyen zur Verfügung stellen, und Vizekanzler Rösler will dafür zum Ausgleich für die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat den Bundeswehreinsatz in Afghanistan verstärken. Alle zusammen stimmen das Hohelied der NATO an. Ist Westerwelle nicht ein Unglückswurm – er hat einfach zu spät in den Chor eingestimmt! Sch…

 

 

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„Freiheit und Frieden für alle – nie wieder Krieg!“ – Am Antikriegstag (Donnerstag, 1. September 2011) Demo und Kundgebung in Schwäbisch Hall

Freiheit und Frieden für die ganze Welt lautete der Mai-Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) im Jahr 1961. Diese Forderung ist heute, 50 Jahre später, aktueller denn je. Dieses Jahr jährt sich der Kriegsbeginn in Afghanistan zum zehnten Mal. (Anmerkung: Der Club alpha 60 in Schwäbisch Hall ruft zu einer Kundgebung und Demonstration am Antikriegstag (Donnerstag, 1. September 2011) auf. Als Kundgebungsrednerin spricht Heidi Scharf, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Verwaltungsstelle Schwäbisch Hall. Die Kundgebung und Demo finden ab 17 Uhr auf dem Marktplatz und der Michaelstreppe in Schwäbisch Hall statt.)

Vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Bundesvorstand Berlin

Bevölkerung braucht Arbeit und Stabilität statt Unsicherheit und Gewalt

Die Nachrichten über Opfer der Kampfhandlungen erreichen uns fast täglich. Die Bevölkerung braucht Arbeit und Stabilität statt Unsicherheit und Gewalt. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu beenden und die Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen.

Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt auch finanziell unterstützen

Der Einsatz in Afghanistan ist der Vorbote für weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ihre Neuausrichtung zur Interventionsarmee lehnen wir ab. Die Bundeswehr braucht als Berufsarmee stärkere demokratische Kontrolle und enge Verbindungen in die demokratische Gesellschaft. Im Frühjahr dieses Jahres begannen große Proteste in der arabischen Welt. Die Welle des demokratischen Aufbruchs breitete sich nach und nach auf die meisten Länder Nordafrikas und der arabischen Halbinsel aus und brachte die Regime in Tunesien und Ägypten zu Fall. Gerade die junge Generation setzt große Hoffnungen darauf, dass diese Gesellschaften ihren Demokratieprozess friedlich und solidarisch fortführen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für die Unterstützung dieses Prozesses stärker als bisher zu engagieren und den Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt auch finanziell zu unterstützen!

Rüstungsexporte in Krisenregionen verbieten und Rüstungsausgaben nachhaltig senken

Und sie muss Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen: Die Waffen, die Machthaber in der arabischen Welt gegen ihr eigenes Volk einsetzen, haben unter anderem deutsche und europäische Rüstungsfirmen geliefert. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wir fordern die Bundesregierung einmal mehr auf, Rüstungsexporte in Krisenregionen zu verbieten und Rüstungsausgaben nachhaltig zu senken.

NPD und alle rechtsextremen Organisationen endgültig verbieten

Das Ende der zivilen Nutzung der Atomkraft muss auch das Ende aller Atomwaffen sein. Trotz der Abrüstung nach dem Kalten Krieg sind noch immer über 23.000 Atomwaffen einsatzbereit. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen. Jede Form von Menschenverachtung, Kriegsverherrlichung und Chauvinismus ist ein Angriff auf die Menschenwürde. Dies zu bekämpfen ist eine zentrale Aufgabe des demokratischen Staates. Dafür müssen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Wir fordern alle politischen Vertreterinnen und Vertreter auf, die NPD und alle rechtsextremen Organisationen endgültig zu verbieten. Rechtsextremismus und Rassismus dürfen in unserer Gesellschaft kein Raum gegeben werden.

Artikel des Club alpha 60 in Schwäbisch Hall zum Antikriegstag am 1. September 2011:

“Kein Frieden mit der Bundeswehr” – Demo und Kundgebung am Antikriegstag in Schwäbisch Hall

Der Club alpha 60 in Schwäbisch Hall ruft zu einer Kundgebung und Demonstration am Antikriegstag (1. September 2011) auf. Als Kundgebungsrednerin spricht Heidi Scharf, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Verwaltungsstelle Schwäbisch Hall. Die Kundgebung und Demo finden ab 17 Uhr auf dem Marktplatz und der Michaelstreppe in Schwäbisch Hall statt.

Von Siegfried Hubele, Schwäbisch Hall

Bundeswehr wirbt für neues Kanonenfutter an Schulen, Unis und Arbeitsämtern

Schon 1968 haben hunderte AntimilitaristInnen auf der Michaelstreppe in Hall gegen den Krieg in Vietnam protestiert. Seit zehn Jahren führt die Bundeswehr Krieg in Afghanistan. Die deutschen Rüstungsexporte sind mit die höchsten weltweit. Unter der verharmlosenden Bezeichnung “Zivilmilitärische Zusammenarbeit (ZMZ)” wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, gegen Streikende und Globalisierungsgegner (Heiligendamm) trainiert und vorbereitet. Die vom Grundgesetz strikt auf Verteidigung beschränkte Bundeswehr wurde zur Berufsarmee umgewidmet, sie wirbt für neues “Kanonenfutter” verstärkt an Schulen, Unis und in Arbeitsämtern. Der weltweite Einsatz der Bundeswehr, für die Interessen der deutschen Wirtschaft, soll zum “Normalfall” werden.

Wir entsprechen nicht dieser “Normalität” des Krieges!

Deshalb demonstrieren wir am 1. September 2011, an dem Tag als die Wehrmacht 1939 Polen überfallen und einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg nie gekannten Ausmaßes, entfacht hat. Kampf dem Krieg! Nie wieder Faschismus!

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„Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet“ – Jean Ziegler wurde als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele ausgeladen: Seine geplante Rede hier zum Nachlesen

Jean Ziegler, als Eröffnungsredner der Salzburger Festspiele zunächst ein- und dann wieder ausgeladen, hätte in seiner Rede die Hungerkatastrophe in Ostafrika thematisiert, Kritik an den „Verursachern und Herren dieser kannibalischen Weltordnung“ geübt und einen „Aufstand des Gewissens“ gefordert. Dies schreibt er in dem Redetext, der vor kurzem im Ecowin-Verlag erschienen ist.

Informationen des ecowin-Verlags, Salzburg

Budget des World-Food-Programms wurde seit 2008 mehr als halbiert

„Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren“, beginnt Ziegler und beschreibt detailreich, wie der Körper unterernährter Kinder langsam zerfällt. Dies geschehe „zig-tausendfach in der Tragödie, die sich gegenwärtig in Ostafrika abspielt.“ In der Flüchtlingsbetreuung fehle das Geld für therapeutische Sondernahrung für Kleinkinder. „Das Budget des World-Food-Programms war 2008 sechs Milliarden Dollar, 2011 nur noch 2,8 Milliarden. Warum? Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele Tausend Milliarden Euros und Dollars ihren einheimischen Bank-Halunken bezahlen mussten: zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulationsbanditen. Für Sofort- und Entwicklungshilfe blieb und bleibt praktisch kein Geld.“

Reiche sind „Verursacher“

Mit dem Bogen zu Salzburg hätte er sein Publikum direkt in seine Kritik miteinbezogen. „Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung.“ Gerade deshalb hätte er an diesem Ort aber auch eine Chance gesehen: „Was ist mein Traum? Die Musik, das Theater, die Poesie transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung (…) Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens! – Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen. Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall stärker als Kunst.“

Vermutlich Druck von Festspiel-Sponsoren

Der Schweizer Globalisierungskritiker war für die Eröffnungsrede von Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (S) zunächst ein-, dann aber wegen seiner angeblichen Nähe zu Muammar Al-Gaddafi wieder ausgeladen worden. Ziegler selbst sowie zahlreiche kritische Stimmen vermuten, dass die Ausladung aufgrund von Druck seitens der Festspiel-Sponsoren erfolgt sei. Dies wird allerdings von den Festspielen und der Landespolitik vehement in Abrede gestellt. Die Einladung zu einer „Gegenrede“ in Salzburg schlug Ziegler aus. Zur Eröffnung wird nun der Bürgerrechtler Joachim Gauck sprechen.

Ziegler hat seine nicht gehaltene Rede nun veröffentlicht. Hier ist sie nachzulesen:

Sehr verehrte Damen und Herren,

alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37.000 Menschen verhungern jeden Tag und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe World-Food-Report der FAO, der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte. Schlussfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.

Gestorben wird überall gleich. Ob in den somalischen Flüchtlingslagern, den Elendsvierteln von Karachi oder in den Slums von Dhaka, der Todeskampf erfolgt immer in denselben Etappen. Bei unterernährten Kindern setzt der Zerfall nach wenigen Tagen ein. Der Körper braucht erst die Zucker-, dann die Fettreserven auf. Die Kinder werden lethargisch, dann immer dünner. Das Immunsystem bricht zusammen. Durchfälle beschleunigen die Auszehrung. Mundparasiten und Infektionen der Atemwege verursachen schreckliche Schmerzen. Dann beginnt der Raubbau an den Muskeln. Die Kinder können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ihre Arme baumeln kraftlos am Körper. Ihre Gesichter gleichen Greisen. Dann folgt der Tod. Die Umstände jedoch, die zu dieser tausendfachen Agonie führen, sind vielfältig und oft kompliziert.

Ein Beispiel: die Tragödie, die sich gegenwärtig (Juli 2011) in Ostafrika abspielt. In den Savannen, Wüsten, Bergen von Äthiopien, Djibouti, Somalia und Tarkana (Nordkenia) sind 12 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit fünf Jahren gibt es keine ausreichende Ernte mehr. Der Boden ist hart wie Beton. Neben den trockenen Wasserlöchern liegen die verdursteten Zebu-Rinder, Ziegen, Esel und Kamele. Wer von den Frauen, Kindern, Männern noch Kraft hat, macht sich auf den Weg in eines der vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge und vertriebene Personen eingerichteten Lager. Zum Beispiel nach Dadaad, auf kenianischem Boden. Dort drängen sich seit drei Monaten über 400.000 Hungerflüchtlinge. Die meisten stammen aus dem benachbarten Südsomalia, wo die mit Al-Quaida verbundenen fürchterlichen Chebab-Milizen wüten. Seit Juni treten täglich rund 1500 Neuankömmlinge aus dem Morgennebel. Platz im Lager gibt es schon lange nicht mehr. Das Tor im Stacheldrahtzaun ist geschlossen. Vor dem Tor führen die UNO-Beamten die Selektion durch: Nur noch ganz wenige – die, die eine Lebenschance haben – kommen hinein.

Das Geld für die intravenöse therapeutische Sondernahrung, die ein Kleinkind, wenn es nicht zu sehr geschädigt ist, in 12 Tagen ins Leben zurück bringt, fehlt. Das Geld fehlt. Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euro. Nur 62 Millionen kamen herein. Das normale WPF (World-Food-Programm) Budget betrug 2008 sechs Milliarden Dollar. 2011 liegt das reguläre Jahresbudget noch bei 2,8 Milliarden. Warum? Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele tausend Milliarden Euro und Dollars ihren einheimischen Bank-Halunken bezahlen mussten: zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits zur Rettung der Spekulations-Banditen. Für die humanitäre Soforthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld.

Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen (Chicago Commodity Stock Exchange, u. a.) umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Der Preis lag im Jahr zuvor genau bei der Hälfte. Reis ist um 110 Prozent gestiegen. Mais um 63 Prozent. Was ist die Folge? Weder Äthiopien, noch Somalia, Djibouti oder Kenia konnten Nahrungsmittelvorräte anlegen – obschon die Katastrophe seit fünf Jahren voraussehbar war.

Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika werden von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind lediglich 3,8 Prozent des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. In Wollo, Tigray und Shoa auf dem äthiopischen Hochland, in Nordkenia und Somalia noch weniger. Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten. Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung.

Was ist mein Traum? Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen. Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Realität, dringen die sterbenden Kinder. Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens! Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen!

Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst. „Unsterbliche gigantische Personen“ nennt Noam Chomsky die Konzerne. Vergangenes Jahr – laut Weltbankstatistik – haben die 500 größten Privatkonzerne, alle Sektoren zusammen genommen, 52,8 Prozent des Welt-Bruttosozialproduktes, also aller in einem Jahr auf der Welt produzierten Reichtümer, kontrolliert. Die total entfesselte, sozial völlig unkontrollierte Profitmaximierung ist ihre Strategie. Es ist gleichgültig, welcher Mensch an der Spitze des Konzerns steht. Es geht nicht um seine Emotionen, sein Wissen, seine Gefühle. Es geht um die strukturelle Gewalt des Kapitals. Produziert er dieses nicht, wird er aus der Vorstands-Etage verjagt.

Gegen das eherne Gesetz der Kapitalakkumulation sind selbst Beethoven und Hofmannsthal machtlos. „L’art pour l’art“ hat Théophile Gautier Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die These von der autonomen, von jeder sozialen Realität losgelösten Kunst, schützt die Mächtigen vor ihren eigenen Emotionen und dem eventuell drohenden Sinneswandel.

Die Hoffnung liegt im Kampf der Völker der südlichen Hemisphäre, von Ägypten und Syrien bis Bolivien, und im geduldigen, mühsamen Aufbau der Radikal-Opposition in den westlichen Herrschaftsländern. Kurz: in der aktiven, unermüdlichen, solidarischen, demokratischen Organisation der revolutionären Gegengewalt. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Der Tag wird kommen, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not, zusammenleben werden.

Mutter Courage, aus dem gleichnamigen Drama von Bertolt Brecht, erklärt diese Hoffnung ihren Kindern:

„Es kommt der Tag, da wird sich wenden

Das Blatt für uns, er ist nicht fern.

Da werden wir, das Volk, beenden

Den großen Krieg der großen Herrn.

Die Händler, mit all ihren Bütteln

Und ihrem Kriegs- und Totentanz

Sie wird auf ewig von sich schütteln

Die neue Welt des g’meinen Manns.

Es wird der Tag, doch wann er wird,

Hängt ab von mein und deinem Tun.

Drum, wer mit uns noch nicht marschiert,

Der mach’ sich auf die Socken nun.“

Ich danke Ihnen

Jean Ziegler

Die Rede zum Nachhören auf Youtube:

Jean Zieglers nicht-gehaltene Festspielrede 2011 (Teil 1) „Der Aufstand des Gewissens“ zum Nachhören auf Youtube http://www.youtube.com/watch?v=74ppqi8vhlU&playnext=1&list=PLA149C701E74BD912

Jean Zieglers nicht-gehaltene Festspielrede 2011 (Teil 2): „Der Aufstand des Gewissens“ zum Nachhören auf Youtube http://www.youtube.com/watch?v=T3ijKpLPINc&playnext=1&list=PLA149C701E74BD912

Aktuelles Interview mit Jean Ziegler in der Schweizer Wochenzeitung „WOZ“ vom 25. August 2011:

http://www.woz.ch/artikel/ressort/thema.html

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