In Gaildorf nimmt die Politik Einfluss auf das Informationsangebot der öffentlichen Bücherei. Es sollen nur noch „wahre“ Bücher ausleihbar sein. Bürgermeister Eggert veranlasste die Entfernung mobilfunkkritischer Bücher der Autoren Thomas Grasberger und Franz Kotteder sowie Dr. Hans-Christoph Scheiner. Auch atomkraftkritische Bücher wurden entfernt. Die lokale Presse berichtet unangemessen und bauscht die Angelegenheit zur „Verhöhnung der Nazi-Opfer“ auf. Die Bürgerinitiativen sind empört und wehren sich. Der Streit ist da. Gerhard Geiger, Kreisrat in Rems-Murr und Träger des Bundesverdienstkreuzes, hat Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bürgermeister Eggert erhoben sowie eine Petition beim baden-württembergischen Landtag eingereicht.
Von Ulrike Hölzel, Vorsitzende der Bürgerinitiative Risiko Mobilfunk Gaildorf und Beate Braun, Kreisrätin im Landkreis Schwäbisch Hall
Mit Lerchl den Bock zum Gärtner gemacht
Über den Vergleich mit dem Umgang des deutschen Faschismus mit gedruckten Medien, wird still und leise der eigentliche Skandal unter den Teppich gekehrt. In diesem Zusammenhang sind einige Richtigstellungen zu dem Artikel der Rundschau Gaildorf vom 11.6.2011 zwingend erforderlich, da dieser geeignet ist, die Tatsachen in einer entstellenden Weise zu verdrehen. Es wurde bekannt, dass Bürgermeister (BM) Eggert per Dienstanweisung neben atomkraftkritischen auch die mobilfunkkritischen Bücher im Bestand der Stadtbibliothek entfernen und dafür zwei Bücher von Alexander Lerchl, einem Privatdozenten der Jakob-Universität Bremen, die von Vodafone gesponsert wird, einstellen ließ. Lerchl wurde vergangenes Jahr von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als befangen eingestuft, wegen seiner Nähe zur Industrie, seiner Einseitigkeit und wegen Zweifel an seiner fachlichen Qualität. Das ist deshalb alarmierend, weil Lerchl neben seiner Lehrtätigkeit den Vorsitz des Ausschusses für nicht-ionisierende Strahlung der deutschen Strahlenschutzkommission innehat. Der höchstrangige deutsche Strahlenschutzbeauftragte und Berater der Bundesregierung und Repräsentant des deutschen Staates in internationalen Gremien wird von der WHO als befangen eingestuft. Die Bundesregierung handelt nicht. Ausgerechnet die Bücher dieses Autors sollen nach Meinung von BM Eggert in Gaildorf die „Wahrheit“ verbreiten. Dabei sind Eggert die Vorgänge um Lerchl bestens bekannt, auch seine Äußerung unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse der REFLEX-Studie 2004, an der sich Eggerts Kritik entzündet. Lerchl wörtlich: „Die Ergebnisse von Diem et al. waren also in der Tat Besorgnis erregend. Sollten sie sich bestätigen, wäre dies nicht bloß ein Alarmsignal, sondern der Anfang vom Ende des Mobilfunks, da DNA-Schäden die erste Stufe zur Krebsentstehung sind“. Nur wenig später begann Lerchl die Forschergruppe zu demontieren und brachte die Fälschungskampagne gegen die REFLEX-Studie ins Rollen. „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“?
WHO-Kommission: Handynutzung führt möglicherweise zu Krebs
Die oben genannte WHO-Kommission IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung) ist mittlerweile zum Ergebnis gekommen, dass die Strahlung, die von Handynutzung ausgeht, möglicherweise Krebs verursacht und gab im Namen der WHO vor zirka zwei Wochen eine entsprechende Warnung heraus. Fernsehen, Radio und die überregionalen Zeitungen berichteten darüber. Die REFLEX-Studie wurde mittlerweile mehrfach von verschiedenen internationalen Forscherteams in ihrem Ergebnis, DNA-Brüche unter Mobilfunkstrahlung, bestätigt. Beide Fakten sind Eggert bekannt, da die Bürgerinitiative Gaildorf der Stadtverwaltung und den Gemeinderäten Anfang dieses Jahres offiziell umfangreiche schriftliche Informationen zur Reflex-Studie übergeben hat. Trotzdem hält er ausgerechnet an Lerchl fest. Warum?
Willkür desjenigen, der über die Wahrheit zu befinden hat
Der eigentliche Skandal ist also die gezielte Selektion von Büchern aus dem Sortiment der Stadtbibliothek. Ein einzelner (Lokal-) Politiker hat, unter Ausnutzung seiner Machtposition als Dienstherr, willkürlich Einfluss auf das Informationsangebot der Stadtbücherei genommen. Entgegen dem im Artikel gemachten Versuch, den Gemeinderat mit in die Verantwortung zu nehmen ist richtig: Der Gemeinderat war an der erfolgten Selektion von Büchern nicht beteiligt, er hatte auch keinerlei Kenntnis von diesem Vorgang. Die Einbringung der neuen Präambel in den Gemeinderat durch den Bürgermeister sowie die Verabschiedung der neuen Präambel soll offenbar eine nachträgliche Legitimation für einen nicht zu legitimierenden Vorgang erwirken. Dass der Gemeinderat eine Formulierung absegnet, der inhaltlich niemand gerecht werden kann, ist bedauerlich. Niemand ist im Besitz einer objektiven Wahrheit, daher ist diese Formulierung ein offenes Tor für die Willkür desjenigen, der über die Wahrheit zu befinden hat.
Petition im Landtag eingereicht
Der im Artikel erweckte Eindruck, bei BM Eggert handele es sich um ein durchaus mobilfunkkritisches, besorgtes Stadtoberhaupt ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich seit Jahren bemühen, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. BM Eggert hat in der Vergangenheit alles in seiner Macht stehende getan, um die mobilfunkkritischen Initiativen und ihre Repräsentanten zu behindern und lächerlich zu machen. Für uns ist die Grenze des Erträglichen erreicht. Niemand muss sich wundern, wenn die Bürgerinitiativen nach den Jahren der Behinderungen und Demütigungen jetzt und an dieser Stelle eine Linie in den Sand ziehen und sagen: Es reicht! Niemand muss sich wundern, wenn ein solches Verhalten auch jenseits der Gemarkungsgrenzen Empörung bewirkt: Herr Gerhard Geiger, Kreisrat aus Rems-Murr und Träger des Bundesverdienstkreuzes, hat zuständige Stellen, den Landtag (Petitionsausschuss) und das Regierungspräsidium, um Hilfe gebeten.
Publizistischer Gehorsam der Lokalzeitung
Bezüglich unserer Erfahrungen mit der lokalen Presse möchten wir abschließend anmerken: Wir wünschen uns, dass die „Neue Rundschau Gaildorf“ sich nicht zur Erfüllungsgehilfin der Willkür eines Einzelnen macht, der seine Weltsicht zum absoluten Maßstab erhebt, über die „Wahrheit“ befinden will und dies in der Presse hinter irreführenden und weichgespülten Formulierungen verstecken will. Dadurch gereicht die „Neue Rundschau Gaildorf“ weder sich noch der Bürgerschaft zum Nutzen. Vorauseilender publizistischer Gehorsam gegenüber einem seit Jahren unverantwortlich handelnden Bürgermeister und Linientreue zur mobilfunkunkritischen Südwestpresse kommen bei einer politisch emanzipierten Leserschaft keineswegs gut an.
Die Bürgerinitiativen gegen Mobilfunk im Landkreis Schwäbisch Hall, 15. Juni 2011
Ulrike Hölzel, Vorsitzende der Bürgerinitiative Risiko Mobilfunk Gaildorf
Beate Braun, Kreisrätin im Landkreis Schwäbisch Hall
Im Internet abrufbare Informationen zum Thema:
Leserbrief von Beate Braun zum Nazi-Vergleich in der Gaildorfer Rundschau:
Angebliche Verhöhnung der Opfer des Naziregimes
Andersrum wird ein Schuh draus, Herr Osswald. Herr Geiger verhöhnt nicht die Naziopfer. Wir würden diese Menschen mit Füßen treten, die für unseren Rechtsstaat gelitten haben und die ihr Leben gelassen haben, wenn wir für diesen Rechtsstaat nicht kämpfen würden. Herr Geiger weiß, welch kostbares Gut unsere Demokratie ist, er hat die Nazi-Zeit erlebt. 2004 wurde ihm im Übrigen das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Ebenso wie hinter Atomkraft stecken hinter Mobilfunk knallharte Wirtschaftsinteressen, die unsere Demokratie gefährden. Die großen Mobilfunkbetreiber sind aus den Energieriesen hervorgegangen. Hier wie dort wird solange verharmlost und Sicherheit vorgegaukelt, werden Kritikerinnen und Kritiker solange als Spinner und Scharlatane dargestellt bis der Schaden eines Tages nicht mehr weggelogen werden kann: So tritt man die Opfer mit Füßen.
Wenn ein stichhaltiger Vortrag, wie der von Dr. Warnke vergangenes Jahr in Gaildorf, vor Augen führt wie Mobilfunk in unsere Zellkommunikation eingreift, sie entgleisen lässt und unter anderem zu Krebs führen kann, fällt dem Rundschau-Journalisten immer noch was ein: Er bedient sich der Meinung einer Schmuddelplattform im Internet, in diesem Fall EsoWatch, und stellt den Wissenschaftler, der im vergangenen Jahr dem Europarat zum oben genannten Thema berichtete, als esoterisch Abgedrehten dar. Dass die Staats- und Amtsanwaltschaft gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen von EsoWatch wegen übler Nachrede und Verleumdung und anderer strafrechtlicher Delikte ermittelt (wäre leicht nachprüfbar für Journalisten), scheint der Rundschau ebenso unbedeutend wie die Tatsache, dass das nur für Eingeweihte zugängliche Forum mit anonymem Impressum seine Internetseite im Ausland angemeldet hat, um im Dunkeln halten zu können, wer sich dahinter verbirgt.
Nach einer aktuellen Verlautbarung der WHO wird die Strahlung, die von Handys ausgeht, als ‚möglicherweise krebserregend‘ eingestuft. Bei besonders intensiven Nutzern von Mobiltelefonen (Menschen, die seit 10 Jahren ein Handy nutzen und damit 30 Minuten am Tag telefonieren) bestehe ein etwa 40 Prozent erhöhtes Risiko einen Hirntumor zu entwickeln. Viele Menschen, vor allem Jugendliche, telefonieren nicht nur eine halbe, sondern mehrere Stunden pro Tag, viele haben gar kein Schnurtelefon mehr. Gleichzeitig nehmen seit den späten 1990er Jahren Krebs, Schlaganfälle, Herzprobleme, Hirntumore, etc. zu. Diese Krankheiten gab es vor 20 Jahren auch schon und nicht für alle ist Mobilfunk die Ursache. Aber sie brachen nicht so gehäuft aus und vor allem nicht bei so vielen jungen und jüngeren Menschen. Herzinfarkte und Schlaganfälle waren alten Menschen ‚vorbehalten‘. Es gibt mehr als genügend Studien, die einen Zusammenhang zwischen diversen Krankheiten und Mobilfunk feststellen. Bürgermeister Eggerts Aussage, die Reflex-Studie sei nicht reproduziert, ist schlicht unwahr. Mehrere Forscherteams verschiedener Länder kamen zum immer selben Ergebnis: Zellbrüche – eine Vorstufe von Krebs – unter Mobilfunkstrahlung.
Gesetzt den Fall die Rundschau hat nicht mehr den Anspruch kritisch und frei zu sein, würde auch ein Stadtamtsblatt mit Vereins-, Sport- und Kirchennachrichten genügen.
Beate Braun, (Kreisrätin), Obere Wiesen 9, 74544 Michelbach/Bilz