Eine Rede hat Jochen Dürr aus Schwäbisch Hall bei der heutigen Antifa-Demonstration (Sonntag, 17. April 2011) in Winterbach und Weiler (Rems-Murr-Kreis) gehalten. Fast 1300 Teilnehmer waren gekommen. Es gab Redebeiträge des Bürgermeister von Winterbach, von Weiler schaut hin, von der Grünen Jugend, den JUSOS, der VVN-BdA, des DGB, der MLPD und der Antifa Stuttgart.
Von Jochen Dürr, Schwäbisch Hall, Landessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der AntifaschistInnen und Antifaschisten, Landesvereinigung Baden-Württemberg e.V. (VVN-BdA)
Die Rede von Jochen Dürr im Wortlaut:
Mehr als 60 Jahre nach der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes durch Überlebende des faschistischen Terrors fühlt sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AnitfaschistInnen Baden-Würtemberg, für die ich hier spreche, dem Schwur von Buchenwald verpflichtet: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Handfraktur, schwere Prellungen, Gehirnerschütterung, Rauchvergiftung
Deswegen ist es folgerichtig, dass wir heute mit einer Demonstration zeigen, dass wir nicht akzeptieren, daß Stiefelfaschisten hier im Rems-Murr-Kreis Migranten bedrohen. In der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag ereignete sich ein Brandanschlag auf drei italienische und sechs türkische Mitbürger. Die Opfer wurden zunächst u.a. mit Streitäxten angegriffen und gejagt. Fünf Angegriffene flüchteten in eine Gartenhütte und versuchten so, den gewalttätigen Nazis zu entkommen. Diese steckten daraufhin die Hütte – vermutlich mit Benzin – in Brand. Nur durch großes Glück entgingen die Opfer dem Flammentod und wurden von der zirka 30-köpfigen Nazibande weiter traktiert. Die Folgen hiervon: Handfraktur, schwere Prellungen, Gehirnerschütterung, Rauchvergiftung, zum Teil Verletzungen durch Dornen am ganzen Körper.
Warum ist das heute immer und immer wieder möglich ?
Thilo Sarrazins „Überfremdungs“-Pamphlet
Es müssen Zusammenhänge hergestellt werden: Thilo Sarrazins „Überfremdungs“-Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ hat – sekundiert von Medien, die es in Rekordzeit zum Bestseller des Herbstes werden ließen – eine neue Runde in der Popularisierung von Rassismus im öffentlichen Diskurs eingeleitet. Zwar distanzierten sich wesentliche Teile der herrschenden Kreise schnell von seiner Rede von einem „jüdischen Gen“, kaum war jedoch diese Kritik geäußert, machten unter anderem Klaus von Dohnanyi und Horst Seehofer deutlich, dass durchaus die Opfer der sozialen Spaltung der Gesellschaft für ihre eigene Ausgrenzung in Haftung genommen werden sollen: als „Integrationsverweigerer“ aus „fremden Kulturkreisen“, die „unsere Sozialsysteme überproportional belasten“.
„Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“
Einen Monat später legte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ vor, die in der Tat eine beunruhigende Zunahme der Zustimmung zu nahezu allen abgefragten Dimensionen des so genannten Rechtsextremismus in der „Mitte der Gesellschaft“ belegt:
– Gut jeder Vierte wünscht sich ein „starke Partei“, die die „Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“.
– Jeder Dritte wünscht „hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“.
– 40 Prozent fordern „Mut zu einem starken Nationalgefühl“.
– Durchgängig mehr als 30 Prozent der Deutschen stimmen zu, dass „Ausländer kommen, um den Sozialstaat auszunutzen“, dass man sie bei knappen Arbeitsplätzen „wieder in ihre Heimat schicken“ solle, und dass Deutschland „in einem gefährlichen Maße überfremdet sei. Diese erschreckenden Zustimmungswerte steigen noch einmal sprunghaft an, wenn es um das Feindbild „Muslime“ geht:
– 55,4 Prozent der Befragten stimmen der Aussage „Araber sind mir unangenehm“ zu und
– 58,4 Prozent der Westdeutschen und 75,7 Prozent der Ostdeutschen wollen die Religionsausübung für Muslime verbieten.
Anknüpfen an Ressentiment-geladene Mitte
Aus diesem Reservoir schöpfen die Faschisten in NPD / REP und PRO-Bewegung, Hoffnung auf Mobilisierungspotenzial und Wahlerfolge. Nun erleiden NPD und REP erhebliche prozentuelle Stimmenverluste bei der Landtagswahl am 27. März 2011, aber es gab immer noch Wahlkreise, wo beide in Addition an die Fünf-Prozent-Hürde herankamen. An diese Ressentiment-geladene Mitte knüpfen auch Faschisten an. Das Entscheidende ist allerdings, dass dieses Ressentiment immer wieder staatlich und Mainstream-medial reproduziert wird. Diskussionen über Deutschkurs- und Kita-Pflicht – wohl wissend, dass es für beides lange Wartelisten gibt – machen aus gesellschaftlich Ausgegrenzten Verantwortliche für die Spaltung der Gesellschaft, deren Opfer sie weitgehend sind.
Am 27. März 2011 wurde 58 Jahre Regierung unter der Staatspartei CDU beendet. Wir als AntifaschistischInnen kritisierten diese Politik vehement:
• Die Verbandelung mit dem Studienzentrum Weikersheim
• Den Schutzschirm über die NPD im bundesweiten Verbotsverfahren
• Berufsverbotepraxis der 1970er und 1980er Jahre – bis vor wenigen Jahren wurde Michael Csaszkosky wegen antifaschistischem Engagement die Berufsausübung als Lehrer verweigert…
• Entwurf eines restriktiven Versammlungsgesetzes
• Schikanierung und Kriminalisierung vor allem junger AntifaschistischInnen wegen Tragen durchgestrichener Hakenkreuze
• Verschleppung der Mörder von Saint Anna / Italien durch Oberstaatsanwalt Häußler
Dies sind nur einige Beispiele …
Was ist aus Sicht der VVN–BdA zu tun ?
Es gibt, wie wir wissen, enge Verbindungen zwischen den freien Kameradschaften und den Parteistrukturen der NPD. Beim Besitzer der Immobilie „Linde“ handelt es sich um den wegen Urkundenfälschung und unerlaubtem Waffenbesitz vorbestraften aktiven NPD-Funktionär Jürgen Wehner. Dieser kandidierte auch für die NPD zur Landtagswahl am 27. März 2011. Wir brauchen in Baden-Württemberg wieder eine neue Initiative für ein Verbot der NPD. Die alte Blockadepolitik gegen eines neues NPD Verbotsverfahren auf Bundesebene muss aufgegeben werden. Als erster Schritt müssen die V-Leute abgeschaltet werden.
Ein zweite wichtige Entscheidung von GRÜN–ROT müsste der sofortige Rückzug des Entwurfes des restriktiven Versammlungsgesetz sein – der Entwurf von Heribert Rech gehört in den Reißwolf !
Wir alle, liebe AntifaschistInnen, machen mit unserer heutigen Demo deutlich, dass Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen ! Den angegriffenen MigrantInnen wünschen wir von dieser Stelle aus baldige Genesung – ihnen gehört unsere volle Solidarität !
Wir sehen uns hoffentlich alle am 1. Mai 2011 in Heilbronn und setzen das um, was in Dresden zwei Mal umgesetzt wurde: Wir blockieren mit vielen Menschen die Straßen um den Heilbronner Bahnhof und lassen es nicht zu, dass sie einen Millimeter laufen können !
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit !
Mit antifaschistischen Grüßen
Jochen Dürr, Landesprecher der VVN-BdA Baden Württemberg
Internet: http://www.npd-verbot-jetzt.de
Kontakt:
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen und Antifaschisten, Landesvereinigung Baden-Württemberg e.V.
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