Wenige Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat die Redaktion von Hohenlohe-ungefiltert Kandidaten der Wahlkreise Schwäbisch Hall und Hohenlohe befragt. Den jeweiligen Fragenkatalog erhielten alle angefragten Kandidatinnen und Kandidaten am Sonntag, 20. März 2011, per E-Mail an Adressen, die sie auf ihren Internetseiten selbst angegeben haben. Die Fragen am schnellsten beantwortet hat Ute Oettinger-Griese (FDP/Wahlkreis Hohenlohe). Deshalb steht sie bei der Veröffentlichung an erster Stelle. Am drittschnellsten antwortete Friedrich Bullinger (FDP/Wahlkreis Schwäbisch Hall).
Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Hohenlohe-ungefiltert: Die schon seit Jahren andauernden Proteste gegen Stuttgart 21 und auch gegen die Atomenergie zeigen, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik und die Politiker verloren haben. Was können Sie als Landtagsabgeordneter konkret tun, damit die Menschen Vertrauen in die handelnden Personen in Politik und Wirtschaft bekommen?
Friedrich Bullinger: Ich werde meine Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis so engagiert fortsetzen wie bisher. Jeder Wahlkreisabgeordnete hat die Verpflichtung, ein offenes Ohr für alle Bürgerinnen und Bürger zu haben. Nur im direkten Gespräch und durch gemeinschaftliche Problemlösung ist es möglich, mangelndem Vertrauen in die Integrität von Politikern entgegenzuwirken. Unser Landtagswahlrecht betont diese Aufgabe ausdrücklich und ich nehme sie gerne an.
Welche Position beziehen Sie als FDP-Mann bei den Themen Hartz-IV und Leiharbeit ?
Wir haben jetzt den Mindestlohn in der Zeitarbeit. Geregelt im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Somit kann die EU-Freizügigkeit ab 01.05.2011 für die „neuen“ Länder keine Verwerfungen mehr auslösen. Wir sind weiterhin gegen einen flächendeckenden branchenübergreifenden Mindestlohn und erst recht gegen ein „Tariftreuegesetz“, wie es die SPD kurz vor der Wahl noch reichlich effekthascherisch in den Landtag eingebracht hatte.
Die FDP ist als Partei für den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs und das Immobilienprojekt (Stuttgart 21). Welche Vorteile bringt der Bau des Stuttgarter Tunnelbahnhofs für die Bürgerinnen und Bürger der Landkreise Schwäbisch Hall und Hohenlohe ? Welche Nachteile gibt es für die Bürgerinnen und Bürger dieser Landkreise beim Bau von Stuttgart 21 ?
Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist ein Projekt für das ganze Land und keinesfalls ein rein städtebauliches Projekt der Landeshauptstadt. Es ist Ausdruck unserer Innovationskraft und unseres Fortschrittswillens.
Mit der Realisierung wird die Erreichbarkeit der Städte und Regionen in ganz Baden-Württemberg verbessert und ein dauerhafter Wertschöpfungszuwachs von rund 500 Mio. Euro pro Jahr erreicht. Gleichzeitig werden rund 10.000 Dauerarbeitsplätze geschaffen. Zu diesen dauerhaften Vorteilen treten enorme bauzeitliche Effekte: Mit dem Gesamtprojekt werden Investitionen in Baden-Württemberg ermöglicht, die das Vierfache des Engagements des Landes betragen. Bezogen auf die Beschäftigung sind damit mehr als 5.000 Vollerwerbsstellen pro Jahr während der Bauphase verbunden. Dazu kommen weitere wirtschaftliche Impulse mit Beschäftigungseffekten durch die städtebauliche Entwicklung in Stuttgart. Außerdem wird eine Steigerung der Immobilienwerte in Baden-Württemberg um 1,2 bis 3,3 Mrd. Euro prognostiziert.
Unter Umweltgesichtspunkten profitiert das Land von der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Die aus den mit der Fertigstellung des Projekts resultierenden deutlichen Verkürzungen der Reisezeiten im Fernverkehr sowie Angebotsverbesserungen und Fahrzeitverkürzungen im Nahverkehr führen zu einer Verlagerung sowohl des überregionalen als auch deslokalen Verkehrs auf die Schiene. Es wird prognostiziert, dass insgesamt rund 1 Mrd. Pkw-km pro Jahr eingespart werden, was zu einer jährlichen Minderung der CO2-Emissionen von rund 175.000 t führt.
Für den Landkreis Schwäbisch Hall ist von besonderer Bedeutung, dass die Einrichtung einer zweistündlichen schnellen Regionalverkehrslinie von Nürnberg nach Stuttgart mit Halt in Crailsheim, Eckartshausen/Ilshofen, Schwäbisch Hall-Hessental und – nach dem gegenwärtigen Planungsstand – in Gaildorf vorgesehen ist, die im Streckenabschnitt Schwäbisch Hall-Hessental–Stuttgart als zusätzliches Angebot die bestehenden stündlichen RE-Verbindungen ergänzen wird. Dadurch wird eine Reisezeit von Schwäbisch Hall nach Stuttgart von unter einer Stunde (konkret 55 Minuten) erreicht und es ergeben sich (einschließlich Kreuzungsbahnhof Fornsbach) aus dem Landkreis Schwäbisch Hall erhebliche Reisezeitgewinne zu vielen Zielen im Land. Beispielsweise reduziert sich die Reisezeit nach Waiblingen, Böblingen, Göppingen, Tübingen und Karlsruhe von Crailsheim und Schwäbisch Hall-Hessental durchschnittlich um 20 bis 30 Minuten.
Schwäbisch Hall wird außerdem vor allem von dem unmittelbaren Anschluss an den Flughafen Stuttgart profitieren. Die Reisezeit zum Flughafen beträgt von Schwäbisch Hall-Hessental mit Regionalexpress und S-Bahn heute 1 Stunde 49 Minuten. Künftig kann der Flughafen mit Regionalzügen umsteigefrei in nur 1 Stunde 16 Minuten erreicht werden. Für Crailsheim ist darüber hinaus vorgesehen, dass die ICE-Linie Zürich–Stuttgart über Aalen und Crailsheim nach Nürnberg durchgebunden wird und dabei die IC-Linie Stuttgart–Nürnberg ersetzt. Dadurch verkürzt sich die Reisezeit von Crailsheim zum Flughafen von heute über zwei Stunden auf künftig 1 Stunde 21 Minuten umsteigefrei im ICE. In der Relation Crailsheim–Heilbronn wird sich die Reisezeit um 2 Minuten reduzieren, jedoch wird künftig ein Umstieg in Schwäbisch Hall-Hessental notwendig. Durch die vorgesehene Durchbindung reduziert sich die Reisezeit von Schwäbisch Hall-Hessental zu Zielen entlang der Gäubahn erheblich, zum Beispiel nach Horb um 40 Minuten.
Sind Sie für einen Bürgerentscheid/Volksentscheid zum Immobilien- und Bahnprojekt Stuttgart 21 ? Meines Wissens ist dafür eine Zweidrittelmehrheit im Landtag erforderlich. Wie sollen diese über 66,6 Prozent der Abgeordnetenstimmen nach der Landtagswahl zusammenkommen?
Die FDP in Baden-Württemberg fordert ausdrücklich eine Stärkung der direkten Demokratie. Neben den von uns initiierten deutlichen Verbesserungen bei der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene fordern wir seit Jahren eine Absenkung der Quoren für Volksbegehren und Volksabstimmung. Es soll ausreichen, wenn ein Volksbegehren von mindestens 10 Prozent der Wahlberechtigten gestellt wird (Absenkung von derzeit 1/6). Ein zur Volksabstimmung gestelltes Gesetz soll beschlossen sein, wenn es die Mehrheit der abgegebenen Stimmen findet und diese mindestens 20 Prozent der Stimmberechtigten (derzeit 1/3) ausmacht. Diese Stärkung direktdemokratischer Elemente halte ich für sehr sinnvoll. Gerade bei großen Infrastrukturvorhaben sollte die Bevölkerung früh in die Entscheidungen einbezogen werden. Im Fall von Stuttgart 21 wird jedoch versucht Rechtsstaat und Demokratie gegeneinander auszuspielen.
Ein Volksentscheid zum jetzigen Zeitpunkt ist rechtlich unmöglich, da die Bauherrin Deutsche Bahn sich auf rechtsgültige Verträge und Baugenehmigungen berufen kann. Sollte das Land jetzt aus diesem Projekt aussteigen, wird dies mit erheblichen Schadenersatzforderungen verbunden sein, die letztendlich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragen müssten. Wir sprechen hier von Milliardenbeträgen, ohne dass Baden-Württemberg neue Schienen oder Bahnhöfe hierfür kriegen würde.
Die Katastrophe in den Atomkraftwerken im japanischen Fukushima erschüttert die Welt. Hat die Atomkraft in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg noch eine Zukunft, oder sollen die AKWs möglichst schnell abgeschaltet werden? Falls Sie fürs schnelle Abschalten sind: Wie könnte ein realistischer Zeitplan aussehen? Wie kann die Versorgungssicherheit in Deutschland mit Strom gewährleistet werden ?
Wir brauchen eine wirtschaftliche und umweltfreundliche Energieversorgung weitgehend mit erneuerbaren Energieträgern. Bis dieses Ziel erreicht ist, muss ein bezahlbarer Energiemix aus fossilen Energieträgern, Kernkraft und erneuerbaren Energien gewährleistet werden. Ich stehe deshalb zu der zeitlich begrenzten Verlängerung der Laufzeiten sicherer Kernkraftwerke, da durch diese Brückentechnologie eine vermehrte Nutzung fossiler Energieträger und damit eine Gefährdung der nationalen Klimaschutzziele vermieden wird und AKW-Sicherheitsrisiken nicht in Nachbarländer transferiert werden.
Wie beurteilen Sie das derzeitige Verhalten der Regierungsparteien im Bund (CDU und FDP) – und deren Kurswechsel – beim Thema Kernenergie in Deutschland?
Ich halte es für notwendig und richtig angesichts dieser unvorstellbaren Geschehnisse in Japan noch einmal eine gründliche Überprüfung vorzunehmen um optimale Sicherheit unserer Reaktoren zu garantieren. Dies ist ein verantwortungsvoller Umgang mit dieser Situation und wird auch von vielen anderen Ländern derzeit so praktiziert.
Der CDU-Landtagsabgeordnete und CDU-Landtagskandidat Helmut W. Rüeck aus Crailsheim und die CDU im Land Baden-Württemberg brüsten sich mit dem ihrer Ansicht nach guten Abschneiden der Kinder und Jugendlichen aus Baden-Württemberg bei den Pisa-Tests. Welche Dinge liegen Ihrer Meinung nach beim Thema Bildung im Land im Argen ? Was muss besser werden und wie soll dies geschehen ? Bitte nennen Sie konkrete Beispiele und Begründungen.
Nicht nur PISA, alle Ländervergleichsstudien haben dem baden-württembergischen Bildungswesen ein gutes Zeugnis ausgestellt. Dabei berücksichtigt PISA nicht einmal, dass mehr als die Hälfte aller Hochschulzugangsberechtigungen in Baden-Württemberg nicht am allgemein bildenden Gymnasium erworben werden. Dieser Umstand verdeutlicht die funktionierende Durchlässigkeit unseres Schulwesens und ist vor allem eine Leistung der beruflichen Schulen. Diese müssen weiter ausgebaut werden. Einem Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft lässt sich am wirksamsten begegnen, indem eine individuelle Förderung möglichst früh im Kindesalter beginnt. Die FDP ist für eine flächendeckende Umsetzung des Orientierungsplans in den Kindergärten und für den Ausbau der Sprachförderung. Wir wollen auch mehr Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort. Die neue Werkrealschule muss so flexibel wie möglich ausgestaltet werden, vor allem was die Schulstandorte angeht.
Welche Position haben Sie beim Thema Ausbau der Autobahn 6 (A 6) ? Halten Sie diesen für notwendig oder gibt es bessere Alternativen ? Falls Sie den Ausbau für notwendig halten: Wie soll das Nadelöhr Kochertalbrücke bei einem sechsspurigen Ausbau (zuzüglich Standspur) bewältigt werden? Wie soll der Ausbau bezahlt werden?
Ich befürworte diesen Ausbau uneingeschränkt und werde mich mit der FDP dafür einsetzen, dass der Bund einen „Ausbau Südwest“ in seinen Investitionsplanungen für die nächsten Jahre verankert und sich mehr als in der Vergangenheit seiner Infrastrukturverantwortung für Baden-Württemberg stellt. Nur so können dringend erforderliche Ausbaumaßnahmen auf Bundesstraßen und Bundesautobahnen zeitnah realisiert werden.
Seit Langem will die FDP die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur auf eine andere Grundlage stellen und setzt sich deshalb für die Einführung einer Nutzerfinanzierung durch eine Pkw-Maut ein, die die konjunkturanfällige Steuerfinanzierung weitestgehend ersetzt. Es darf dabei nicht zu einer Zusatzbelastung für die Bürgerinnen und Bürger kommen. Langfristig streben wir einen von öffentlichen Haushalten unabhängigen, geschlossenen Finanzierungskreislauf Straße an. So können zusätzliche Gelder generiert werden, die Nadelöhre wie die Kochertalbrücke beseitigen können.
Welchen Themen wollen Sie sich als Landtagsabgeordneter besonders intensiv widmen – und warum ?
Mein Wahlkreis und die Probleme des ländlichen Raumes liegen mir in besonderer Weise am Herzen.
Welche Parteien sind für Sie als Kandidat der FDP mögliche Koalitionspartner bei der Regierungsbildung im Land – welche nicht (und warum nicht) ?
Die Politik der Koalition von CDU und FDP war in Baden-Württemberg so erfolgreich, wie in keinem anderen Bundesland. Der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) hat einmal gesagt, es habe seither keine bessere Regierung in Baden-Württemberg gegeben. Die Ergebnisse sprechen für sich. In nahezu allen Bereichen, sei es Bildung, Wirtschaft, Umweltschutz, Tourismus liegen wir vor den anderen Bundesländern; vor allem vor den Rot/Rot/Grünen. Warum sollten wir diese erfolgreiche Politik nicht fortführen?
Nach eigenen Angaben sind Sie seit 1980 stellvertretender Kreisvorsitzender und Delegierter für Landes- und Bundesparteitage des FDP-Kreisverbandes Schwäbisch Hall, seit 1989 Gemeinderat in Rot am See, seit 1999 Mitglied des Kreistags Schwäbisch Hall. Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg seit 16. April 2006 und stellvertretender Vorsitzender der FDP/DVP-Landtagsfraktion. Außerdem sind Sie Mitglied des Umweltrats der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Mitglied des Vorstands der Umweltstiftung Westernach, Vorsitzender des Turngau Hohenlohe e. V. sowie Mitglied in zahlreichen Kuratorien und Fördervereinen in der Region Heilbronn-Franken. Doch damit nicht genug – Sie sind auch noch Verbandsdirektor beim vbw Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V., Mitglied des Beirats der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Schwäbisch Hall mbH und Mitglied des Beirats der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg e. V.. Wie können Sie bei dieser Fülle von Aufgaben und Ämtern dem einzelnen Amt und dazu noch Ihrer Familie (Frau und drei Kinder) gerecht werden ?
Weil ich gelernt habe, mich gut zu organisieren, gute Mitarbeiter habe und ein Frühaufsteher bin.