Beim Aktionstag „Kein Stuttgart 21“ am Samstag, 5. März 2011, in Schwäbisch Hall hat Peter Aichelin die unten dokumentierte Rede gehalten. Er sprach für den Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Zugesandt vom Schwäbisch Haller Bündnis gegen Stuttgart 21
Liebe Freunde! Liebe Mitstreiter! Liebe Interessierte!
Ich freue mich, dass hier so viele Leute versammelt sind, trotz der mittäglichen Stunde. Eigentlich wollten wir unsere Kundgebung schon am Vormittag stattfinden lassen. Und da sind wir schon mitten im Thema: Wer in der Provinz wohnt und mit der Bahn plant, der muss flexibel sein! Denn – auch das gehört zu Stuttgart 21 – die Bahn hat fast keine Lobby, vor allem nicht für den Nahverkehr in der Provinz, obwohl der das meiste Geld in die Bahnkasse spült! Und so wurde eben vor wenigen Jahren der Wochenendverkehr in Baden-Württemberg ausgedünnt, nachdem ja schon jahrelang Strecken stillgelegt worden waren: Nach Langenburg kommt man nicht mehr mit der Bahn, nach Dörzbach nicht, auch nicht nach Sulzbach-Lauffen. Und Künzelsau ist bundesweit die einzige Kreisstadt ohne Bahnanschluss.
Gleichzeitig wurde die Bahn immer langsamer:
1938 fuhr man mit Dampf in weniger als einer Stunde von Hessental nach Stuttgart, heute braucht man elektrisch 80 Minuten und darf dann noch 40 Minuten auf den Fernverkehr warten. Die Bahn kann dringend Geld und Unterstützung brauchen. Schade nur, dass die Noch-Landesregierung und die sie tragenden Parteien sich nur für ein Projekt stark machen, nämlich Milliarden für einen Tunnelbahnhof zu vergraben.
Ein Immobilienprojekt im Stuttgarter Zentrum
Wahrscheinlich ist Stuttgart 21 auch gar kein Verkehrsprojekt, sondern ein Immobilienprojekt im Stuttgarter Zentrum. Denn als Verkehrsprojekt ist S 21 reiner Unsinn. Das hat die Schlichtung, oder besser gesagt: Der Faktencheck mit Heiner Geißler ergeben. Der Kopfbahnhof ist die bessere Alternative: finanziell, ökologisch und verkehrstechnisch. Die sogenannte Schlichtung, das war – nebenbei gesagt – so etwas wie ein Pokalsieg der Sportfreunde Schwäbisch Hall gegen Bayern München: Ehrenamtliche oder aus Spendenmitteln bezahlte Sachverständige haben eine Profi-Truppe schwindelig gespielt, die 5 Millionen Euro zur Planung zur Verfügung gehabt hatte. Leider hat dann der Schiedsrichter in letzter Minute das Spiel verpfiffen. Nach dem Spiel hat Bahn-Vorstand Kefer sogar ein Transferangebot gemacht: Boris Palmer, ein Mann ohne verkehrstechnische Ausbildung, sollte neuer Spielmacher bei der Bahn werden.
Es ist offensichtlich: Für den Kopfbahnhof K21 sprechen alle Argumente
Für den Tunnelbahnhof S21 gibt nur 1 Argument: Die Bahn will dieses Projekt unbedingt. Oder, wie es Heiner Geißler gesagt hat: Die rechtliche Situation scheint mir eindeutig: Der Bau von Stuttgart 21 käme nur dann nicht, wenn die Bahn AG freiwillig darauf verzichten würde. Dazu ist die Bahn nicht bereit, das war zu erwarten. Herr Dr. Kefer hat für den Fall eines Projektausstiegs in den vorletzten Schlichtungsrunde am letzten Freitag bereits eine umfassende gerichtliche Klage angekündigt. Anders gesagt: S 21 wird nur deshalb nicht beerdigt, sondern vergraben, weil die Bahn es so will. Weil aber S21 so grottenschlecht ist, dass man es so nicht bauen kann, hat Geißler 11 zum Teil grundsätzliche Veränderungen gefordert. Aber selbst bei den Punkten, die man schnell hätte in Angriff nehmen können, ist bisher noch nichts passiert: So heißt es im Geißlers schlichtem Spruch: Die durch den Gleisabbau frei werdenden Grundstücke werden der Grundstücksspekulation entzogen und daher in eine Stiftung überführt.
Für eine solche Stiftung hätte man zumindest schon einmal eine Satzung in Auftrag geben können. Aber dann könnte man ja gar nix mehr verdienen und es würde der Grund für den ganzen Bau wegfallen. Deshalb müssen die unterirdischen Parteien die Sache auch irgendwie über den Wahltag retten. Beim Weiterbau noch vor dem geforderten Stresstest ist die Bahn dafür ganz schnell. Die Bagger rollen schon wieder.
Was soll uns nun der Superbahnhof bringen?
Der Bahn-Personenverkehr in Baden-Württemberg soll um – sage und schreibe – 1/200 steigen, die Wirtschaftskraft in Baden Württemberg um 1/700. Für je 100 Euro gibt es dann 14 Cent mehr. Beides sind übrigens Schätzungen von S 21-nahen Gutachtern, nicht von Kritikern. Dass der angebliche Superbahnhof eigentlich gar nichts bringt, ist nicht überraschend, denn er ist der Auswuchs einer von Grund auf falschen Bahnpolitik. Anstatt dafür zu sorgen, dass man mit der Bahn möglichst schnell ans Ziel kommt, gibt es Rennstrecken ohne Anschluss. Wenn ich das zum Beispiel dem Herrn Bundesfinanzminister vorrechnen und nach Gengenbach fahren möchte, bin ich zwar zwischen Stuttgart und Offenburg schneller als mit dem Auto, brauche aber insgesamt 3,5 Stunden statt 2 Stunden mit dem Auto, darf mir dafür fast 1 Stunde verschiedene Bahnhöfe ansehen, allein den Stuttgarter Bahnhof 42 Minuten lang. Dies ist ein zufälliges Beispiel, sicher kein Extrem!
VCD fordert besseres Verkehrskonzept, das nicht hemmungslos auf den Autoverkehr setzt
Der VCD, der Verkehrsclub Deutschland, für den ich hier spreche, fordert seit fast 20 Jahren ein Konzept, das nicht auf teure und störungsanfällige Rennstrecken setzt, sondern auf schnelle Verbindungen, auf einen Taktfahrplan, bei dem man nicht lange auf den Anschlusszug warten muss. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass der Erfinder von Kopfbahnhof 21 (K 21), Klaus Arnoldi, Mitglied unseres Landesvorstand ist. Denn mit K 21 ist ein Taktfahrplan möglich, mit S 21 – ob Plus oder Minus – nicht. Der VCD fordert ein besseres Verkehrskonzept, das nicht so hemmungslos auf den Autoverkehr setzt.
Heilbronner S-Bahn ist erfolgreich
Überall dort, wo es vernünftige Angebote gibt, werden diese auch angenommen. Und immer wieder sind darüber gerade die erstaunt, die diese Angebote selbst geschaffen haben. Erfolgreich war das „Schöne-Wochenende-Ticket, das ursprünglich 15 D-Mark für 5 Personen gekostet hat und zwei Tage gültig war: Jedes Wochenende waren über 1/4 Mio Menschen damit zusätzlich unterwegs und die Wochenend-Züge wurden gestürmt. Erfolgreich ist auch jede neue S-Bahn, wie jetzt zum Beispiel in Heilbronn, die alle Erwartungen der Politiker übertrifft.
Erfolgreich ist Car2go in Ulm, wo man jederzeit per Handy einen beliebigen Smart reservieren und nutzen kann. Der Mercedes-Vorstand, der dieses Projekt eingeführt hat, war von der Nachfrage absolut überrascht und hat die Zahl der Smarts schnell verdoppelt. So sagte es ein Vorstandsmitglied auf einer VCD-Delegiertenkonferenz. Neue Projekte sind aber nicht geplant.
Kosten bis zu 18 Milliarden Euro befürchtet
Leider haben wir in Schwäbisch Hall nichts davon, denn der öffentliche Verkehr ist überall unterfinanziert, außer bei Stuttgart 21. Dort werden (zusammen mit der Neubaustrecke nach Ulm) mindestens 7 Milliarden Euro, wahrscheinlich 11 Milliarden, wenn es Probleme beim Tunnelbau gibt, auch bis zu 18 Milliarden Euro verbuddelt. Und sollte er jemals in Betrieb gehen, würde allein der Strom für Aufzüge, Rolltreppen und Beleuchtung 1 Million Euro pro Jahr kosten.
Mappus handelte schlechtesten Nahverkehrsvertrag aller 16 Bundesländer aus
Eine andere Geldschleuder wurde aber ganz woanders aufgestellt: Im Jahr 2003 handelte der junge Verkehrsstaatssekretär Stefan Mappus einen Nahverkehrsvertrag mit der Bahn aus: 13 Jahre Laufzeit, ohne Ausschreibung und mit Konkurrenz nur auf den Nebenstrecken, die der Bahn nicht wichtig waren. Der schlechteste Nahverkehrsvertrag aller 16 Bundesländer. Dabei zahlt das Land pro gefahrenen Kilometer 8,50 Euro an die Bahn. In Bayern jedenfalls fährt die Bahn AG zwischen München und Rosenheim für 75 Cent. Damit die Bahn bei Laune bleibt, schenkt ihr das Land jedes Jahr 60 bis 100 Millionen Euro, über die gesamte Laufzeit ist das ungefähr eine Milliarde.
Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts waren die Aushängeschilder der Städte
Dieses Geld wird fehlen beim Bau der S-Bahn nach Öhringen und beim zweigleisigen Ausbau der Murrbahn. Der wäre nötig, damit man wieder so schnell nach Stuttgart kommen kann wie vor fast 75 Jahren. Das Geld fehlt aber auch dafür, Hall-gemäße Bahnhöfe zu bekommen. Die Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts waren die Aushängeschilder der Städte. Dort kamen die Gäste an, dort sollten sie sehen, was die Stadt zu bieten hat. Wenn man am Haller Bahnhof ankommt, dann hilft weder eine schöne Altstadt, noch ein Kocherquartier. Dann gilt nur eines: Hier niemals aussteigen!
Man könnte auch, so sagt es eine Studie, für 11 Milliarden Euro, also für das Geld, das S 21 sicherlich kosten wird, das bundesweite Bahnnetz so modernisieren, dass sich die Kapazität für den Güterverkehr verdoppelt. Was auch immer: Besser als vergraben ist das Geld in jedem dieser Bereiche angelegt:
Wahltag ist Volksabstimmungstag
Der Nahverkehrsvertrag war das Gesellenstück von Stefan Mappus, es liegt an uns, ob wir auch noch sein Meisterstück sehen wollen.
Peter Aichelin, Verkehrsclub Deutschland (VCD)