“Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere, die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht. Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“
Von Silvio Meincke, Schwäbisch Hall
Wir Menschen greifen tief in die Schöpfung ein und stören ihre Gesetze
Diese Zeilen aus dem Psalm 8 besingen die Herrlichkeit der Schöpfung und loben den Schöpfer. Auf unserer Reise durch Brasilien hatten wir viele Gründe, um mit dem Dichter des Psalms ein Loblied auf Gottes Schöpfung zu singen: Der überschwengliche Reichtum der Flora und der Fauna im Pantanal do Mato Grosso; die weiten Horizonte der Plantagen in Nova Mutum und Lucas do Rio Verde mit ihren auf den Sojafeldern spazierenden Emu-Familien; die eigenartige Landschaft der Chapada dos Guimarâes; die imposante Schönheit der Iguaçuwasserfälle; die fruchtbare rote Erde, unter subtropischem Klima im Staat Paraná; die unvorstellbaren Wassermengen des Paraná-Flusses, der jede der 20 Turbinen von Itaipu mit 700 Kubikmeter in der Sekunde speist. Überall hatten wir die Schönheit, die Kraft und die Fruchtbarkeit der Schöpfung vor unseren Augen. Zur gleichen Zeit mussten wir erkennen, dass die Schöpfung bedroht ist, weil wir Menschen tief in sie eingreifen und ihre Gesetze stören.
Der Garten Eden liegt in Hohenlohe, in Mato Grosso, in Paraná
Wenn es im Psalm heißt, dass Gott den Menschen zum Herrn über seiner Hände Werk gemacht und alles unter seine Füße gelegt hat; wenn es in Genesis 1.28 heißt, dass der Mensch sich die Erde untertan machen soll und über die Vögel unter dem Himmel, die Fische im Meer und über alles Getier herrschen soll, bedeutet das nicht, dass er rücksichtslos holen und nehmen soll. Vielmehr heißt es in Genesis 2.15, dass Gott den Menschen in den Garten Eden gesetzt hat, um ihn zu bebauen und zu bewahren. Der Garten Eden aber liegt nicht irgendwo im Osten, sondern in Hohenlohe, in Mato Grosso, in Paraná. Und der Mensch im Garten Eden, das sind wir, die wir als Ebenbild Gottes geschaffen sind, das heißt, wir können den Willen Gottes verstehen, wir können darauf hören und darauf antworten, wir können verantwortlich handeln. Ja, wir sollen die Natur beherrschen, aber im Angesicht Gottes sollen wir sie beherrschen, als Partner Gottes in der Bewahrung seiner Schöpfung, die er uns als Garten, als Lebensraum gegeben hat.
Ökumenisches Vorhaben vorangetrieben
Mit diesem Verständnis der biblischen Texte gibt die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), in Vancouver, 1983, den Mitgliedskirchen den Auftrag eines ökumenischen Prozesses für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung. Diese Bewegung soll bei der nächsten Vollversammlung in Seoul, 1990, zu einem ersten Höhepunkt kommen. In der Zwischenzeit sollen sich die Gliedkirchen gegenseitig verpflichten und unterstützen, um den Prozess aufzubauen, zu entwickeln und zu verbreiten. So hat dann auch, zum Beispiel, die 1. Europäische Ökumenische Versammlung in Basel, 1989, wie viele andere Veranstaltungen weltweit, diesen Auftrag voll übernommen. In Brasilien hat CONIC (Conselho Nacional de Igrejas), und auf lateinamerikanischer Ebene, CLAI (Conselho Latinoamericano de Igrejas) dieses ökumenische Vorhaben vorangetrieben.
Ökumenischer Prozess Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Bei der Vollversammlung, 1990, in Seoul, haben die Gliedkirchen den Ökumenischen Prozess Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung bejaht. Bald wurde er zum Impuls der Umwelt-Friedens-und Menschenrechtsbewegungen. Somit wanderte das Anliegen aus dem kirchlichen Bezirk in die Zivilgesellschaft aus, mit einem Höhepunkt auf dem UN-GIPFEL, in Rio de Janeiro, 1992, unter dem Thema Umwelt und Entwicklung. Hier haben 170 Staaten ein Aktionsprogramm mit 40 Kapiteln unter dem Begriff Nachhaltige Entwicklung verabschiedet, die sogenannte Agenda 21.
Nachhaltige Entwicklung angestoßen
Unter dem Begriff NACHHALTIGE ENTWICKLUNG hat die Trias Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung seine säkulare Entsprechung bekommen. Ob die Auswirkungen des Konziliaren (ökumenischen) Prozesses auch die Menschen in Mato Grosso und Paraná erreicht haben? Relativ erleichtert sind wir durch die Landschaft gefahren, weil wir unerwartet großes Bewusstsein für den Umweltschutz wahrgenommen haben: Im Pantanal do Mato Grosso, wo selbst der „pantaneiro“, der vom Fischen lebt, während der Laichzeit, vier Monate lang einen Lohn bekommt, um nicht zu fischen; wo die Schulen ihre Kinder zu einem Umweltschutzgebiet (106.000 Hektar) bringen, um ihre Augen und Herzen für die Natur zu begeistern; wo die Farmer 35 Prozent vom Cerradowald stehen lassen. Oder im Staat Paraná, wo die Kleinbauern 20 Prozent des subtropischen Waldes bewahren, wo mit Beratung von CAPA (ONG) und ASSESSOAR (ONG), Kleinbauern Biodiversität und Agroökologie betreiben.
Bauern betrachteten den Wald, mit allem was darin lebte, als Hindernis und Feind
Leider kann man Mais, Soja, Baumwolle, Weizen und andere Nutzpflanzen nicht im Urwald pflanzen und ernten und Rinder gedeihen im Urwald auch nicht. Deshalb werden Bäume gefällt, seit 1500, als der erste Portugiese brasilianischen Boden betreten hat; die Waldrodung wurde im 18. Jahrhundert intensiviert, als die portugiesische Krone Einwanderer von den Azoren nach Brasilien holte und jeder Familie eine „quadra de sesmaria“ (6,6 Km x 6,6 Km) zugeteilt hat. Axt und Säge kamen, ab 1824 so richtig in Schwung, als Dona Leopoldina die Einwanderer aus Mitteleuropa holen ließ und jeder Familie 70, später 50, noch später 25 Hektar zuteilte. Die Bauern betrachteten den Wald, mit allem was darin lebte, als Hindernis und Feind. Sie sägten und brannten ihn nieder, um den Boden zu „befreien“ und zu bebauen. Sie rodeten bis auf die Spitze der Berge und bis an den Wasserspiegel des Flusses. Ab 1870 kamen die Italiener dazu. Deutsche und Italiener haben im Süden angefangen und ihre Nachfahren sind mit Axt und Säge weitergezogen, immer auf der Suche nach fruchtbarem Land. Heute sind sie über ganz Brasilien zerstreut, nicht mehr mit „Drummsäge“ und Ochsenkarren, sondern mit elektrischer Säge und Schlepper auf Raupen.
Im Amazonasgebiet sollen die Farmer 80 Prozent des Waldes bewahren
Es ist gut, dass es heute Umweltschutzgesetze gibt. Im Amazonasgebiet sollen die Farmer sogar 80 Prozent des Waldes bewahren. Die Farmer weiter im Süden, die wir besucht haben, halten die Gesetze ein und bewahren 35 Prozent. Ob die Farmer im Amazonasgebiet das Gesetz einhalten werden? Wer bebaut und bewahrt den Garten Eden am besten, als Ebenbild Gottes, als Partner des Schöpfers in der Pflege seiner Schöpfung, mit einer guten Antwort auf seinen Willen, mit Verantwortung: Der „pantaneiro“, der viel bewahrt, aber wenig bebaut? Der „agricultor agroecológico“, in Francisco Beltrâo und Verê, der mit langjähriger Unterstützung vom Ausland (CAPA und ASSESSOAR), zu bewahren versucht und fast nur für seinen eigenen Gebrauch bebaut? Der ehemalige „sem terra“ (Landloser Bauer), der sein Land erkämpft hat, der 20 Prozent des Waldes bewahrt und einen guten Absatz hat? Der große „lavoureiro“, der 35 Prozent des Waldes bewahrt und mit Hilfe von vielen, unter guten Arbeitsbedingungen, angestellten Mitarbeitern für viele Menschen Nahrung produziert? Diese Fragen, vermute ich, werden uns, die wir durch Brasilien gereist sind, in Zukunft begleiten und wir können sie nicht pauschal, sondern nur differenziert beantworten.