Vor kurzem hat Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA im Schwäbisch Haller Club alpha 60 ein Vortrag zum Thema „Der Aufbau einer Truppe gegen den `inneren Feind´ ist weit fortgeschritten“ gehalten. Hohenlohe-ungefiltert dokumentiert Auszüge des Vortrags.
Artikel aus dem Schwäbisch Haller Monatsmagazin Alpha Press, Ausgabe Februar/März 2010
In jedem Landkreis gibt es eine noch weitgehend unbekannte Heimatarmee
Deutschland verfügt über eine neue unbekannte Heimatarmee. 441 Kommandos aus jeweils zwölf ständig einsetzbaren Reservisten sind in sämtlichen kreisfreien Städten, Landkreisen und Regierungsbezirken eingerichtet worden. Sie stehen unter dem Kommando der Bundeswehrführung und haben kurzfristig Zugriff auf weitere rund 80.000 bis 100.000 speziell ausgebildete Reservisten. Eingebunden in die zivilen Katastrophenschutzstäbe, erhalten sie Einsicht in die Bereitschaftsstände von zivilen Behörden, Polizei, technischem Hilfswerk und Feuerwehr. Sie sollen vor allem den Katastrophenschutz verbessern. (1)
Doch was ist außerdem ihre Aufgabe? Und wie kam es zu dieser zusätzlichen Armee mit einer Truppenstärke von zirka 5300 Mann und Frau – plus X?
Am 17. Februar 2005 wurde des Nachts vom Bundestag das „Gesetz über die Neuordnung der Reserve der Streitkräfte und zur Rechtsbereinigung des Wehrpflichtgesetzes“ beschlossen. Ohne mündliche Aussprache – und fast ohne Berichterstattung der Medien. Der Kern des Gesetzes ist die Anhebung des Alters auf 60 Jahre, bis zu dem Zeitsoldaten als Reservisten zu Einsätzen mobilisiert werden können, die sich dafür bereit erklärten. Reservistinnen und Reservisten sollen in den Umbau – man sagt hier „Transformation“ – der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee aktiv einbezogen werden. Mit § 6c des Gesetzes wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Bundesrepublik Deutschland geregelt. Er weist Reservistinnen und Reservisten entsprechende Aufgaben zu. (2)
„In der Fläche der Republik neu aufgestellt“
Über zwei Jahre später meldet die Bundeswehrzeitschrift „Y“: „Seit Jahresbeginn stellt sich die Bundeswehr in der Fläche der Republik neu auf.“ Sie zitiert Minister Franz Josef Jung: „Die flächendeckende Einführung der Zivilmilitärischen Zusammenarbeit im Inland stellt sicher, dass die Bundeswehr in unsrer Heimat jederzeit und an jedem Ort unseres Landes Hilfe und Unterstützung leisten kann.“ (3) Jung sagte weiter: „Reservistinnen und Reservisten bleiben integraler Bestandteil der Bundeswehr. “Sie seien, so im Kommentar von „Y“ weiter, vor allem auch als Mittler zur Gesellschaft gefordert. „Die gemeinsame Anstrengung gegen das ‚freundliche Desinteresse’ der Gesellschaft ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe für die Reservistinnen und Reservisten der Bundeswehr“, erklärt Generalleutnant Johann-Georg Dora, Stellvertreter des Generalinspekteurs, zuständig für Reservistenangelegenheiten, so auch die werbende Tätigkeit der neuen Armee erläuternd.
800.000 Reservistinnen und Reservisten stehen bereit
Bereits im „Weißbuch 2006“ der Bundeswehr wird die vielfältige und große Bedeutung der Reservistinnen und Reservisten hervorgehoben: „Sie leisten vor allem bei den besonderen Auslandsverwendungen auf freiwilliger Basis einen unverzichtbaren Dienst. Sie haben durch ihren Einsatz maßgeblich Anteil daran, dass die Bundeswehr weithin hohes Ansehen genießt und sich auf eine breite Unterstützung durch die Gesellschaft verlassen kann. (…) Die Bundeswehr kann ihre Reservistinnen und Reservisten ohne Rückgriff auf Mobilisierungsmaßnahmen im gesamten Aufgabenspektrum nutzen. Der personelle Ergänzungsumfang der Streitkräfte beläuft sich auf 80.000 bis 100.000 Reservistinnen und Reservisten.“ (4) Schätzungsweise 800.000 Reservistinnen und Reservisten stehen bereit, sobald der Ergänzungsumfang der Bundeswehr vergrößert ist. Die Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) gliedert sich in ZMZ Inneres und ZMZ Äußeres.
Den äußeren wie inneren Bereich von ZMZ berührt die Abwehr der Flüchtlinge. Vieldeutig heißt es im „Weißbuch 2006“ der Bundeswehr: „Die innenpolitischen Folgen unkontrollierter Migration als Folge von Flüchtlingsbewegungen sind ein wachsendes Problem der europäischen Gesellschaften, deren Integrationsfähigkeit durch Ströme von Bürgerkriegsflüchtlingen, Umweltflüchtlingen, Armuts- und Wirtschaftsmigrantenüberfordert werden können“.(5) Von verschiedenen Hilfsorganisationen wurde bereits Kritik an dem Konzept der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit geäußert, insbesondere in Bezug auf Auslandseinsätze.(6) Die Zusammenfassung dieser Kritik besteht in folgendem: Den Verfechtern dieses Konzepts wird vorgeworfen, der Zusammenarbeit durch die zivile Komponente eine humanitäre Note geben zu wollen, und damit den Krieg zu verharmlosen. Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der Finanzierung von ZMZ-Einsätzen: Diese werden teilweise vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nationalen und internationalen Organisationen sowie Privatpersonen finanziert. Somit fließt diesen Einsätzen und damit auch dem Militär Geld zu, das ansonsten für zivile Organisationen oder für den Einsatz von zivilen Friedensfachkräften verwendet werden könnte.
Es begann beim G8-Gipfel 2007
In diesem Beitrag soll der bisher unterentwickelten Kritik an der ZMZ Inneres Raum gegeben werden. In größerem Umfang wurde sie bekannt beim Einsatz bei sogenannten Großereignissen wie dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und dem Nato-Gipfel im Frühjahr 2009 in Kehl und Straßburg. In einer Antwort der Bundesregierung an den Bundestag schließt das Bundesverteidigungsministerium nicht aus, dass die ZMZKommandos bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Dies obliege allein den Landesbehörden. Selbst der Militäreinsatz anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird nicht ausgeschlossen – eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“. (7)
Die Bundestagsabgeordnete der Partei DieLinke Ulla Jelpke dazu: „Die Bundesregierung hält sich damit alle Optionen für den Militäreinsatz im Inneren offen. Die ZMZ-Kommandos wirken gleichsam als militärische Vorauskommandos, die schleichend in die zivilen Verwaltungsstrukturen einsickern. Das Konzept der ZMZ läuft damit letzten Endes auf einen offenen Verfassungsbruch hinaus.“
Die Bundeswehr kommt uns somit durch die Hintertür und auf leisen Sohlen hin zum Einsatz im Innern. Ein Heimatschutz nach amerikanischem Vorbild wird aufgebaut und den zivilen Behörden in Stadt und Land „zur Seite gestellt“. Im Artikel 35 des Grundgesetzes ist für den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur vorgesehen: „Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“. (8) Von Hilfe bei Polizeiaufgaben und „Großereignissen“ ist da nicht die Rede. Dennoch wird mit dem schwammigen Begriff „Terroranschläge“ gearbeitet, der die Reservisten zu Hause zur Waffe greifen lassen soll. (9)
Der Gegner ist der „Terrorist“
Die aktuellen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ besagen: „Zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger leistet die Bundeswehr künftig einen bedeutenden, zahlreiche neue Teilaufgaben umfassenden und damit deutlich veränderten Beitrag im Rahmen einer nationalen Sicherheitskonzeption. (…) Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz.“ (10)
Auf einer Tagung von Bankern, Industriellen und Offizieren zur Förderung der gemeinsamen Interessen, genannt Celler Trialog, fasste Minister Jung diesen umständlichen Satz so zusammen: Es müsse „möglich sein, Kräfte und Mittel der Bundeswehr dann zum Schutz der deutschen Bevölkerung einzusetzen, wenn die Mittel der Polizei ausgeschöpft“ seien. (11) Die Voraussetzungen dafür seien durch die Zivil-Militärische-Zusammenarbeit (ZMZ) geschaffen. Sie wird durch Reservisten unter Führung von 5300 de facto hauptamtlichen Dienstposten erledigt. (12)
Bundeswehr während des G-8 Gipfels in Heiligendamm
Aus Rostock meldete bereits 2007 Vizeadmiral Wolfram Kühn, stellvertretender Generalinspekteur: „Die Bundeswehr hat einen weiteren Schritt zur Verbesserung des Schutzes Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger geleistet. Kompetente Ansprechpartner aus der Streitkräftebasis stehen zur Abwehr von Gefahrenlagen und Katastrophen und für Hilfe- und Unterstützungsleistungen zur Verfügung.“ (13) Rostock liegt in der Nähe von Heiligendamm, wo im Juni 2007 dann viele Tausend Protestierende zum Gipfel erschienen. Und das war dann die bekannte „Gefahrenlage“.
Kühn bestätigte es: „Ein weiteres Thema der Unterredung mit dem Inspekteur war die Unterstützungsleistung der Bundeswehr während des G-8 Gipfels in Heiligendamm.“ (14) Die Bundeswehr habe für die ZMZ wichtiges Material, wie Pioniergerät und Sanitätsmaterial an einzelnen Standorten konzentriert. Der Vizeadmiral: „Durch enge Anbindung an die zivilen Einsatzkräfte und militärisches Know-How sind Unterstützungsleistungen schnell und zielorientiert koordinierbar.“ (15)
Anmerkungen:
(1) Lt. BT-Drucksache 16/13847und Pressemitteilung der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke vom 1. September 2009
(2) Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode, 17.2.09, Protokoll Seite 14757 bis 14761.
(3) Bundeswehr-Magazin „Y“ 2/08
(4) „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“, Hg. vom Bundesministerium der Verteidigung, S. 160
(5) „Weißbuch 2006 …“, S. 27
(6) Siehe Wikipedia „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“vom 12. 9. 09 und vor allem: Ute Finckh-Krämer, Ulrich
Finckh: Zivil-militärische Zusammenarbeit.Über die Gefahr der Verharmlosung von Militär und Krieg, Hg. v. Bund für Soziale Verteidigung, Minden 2006, ISSN 1439-2011
(7) BT-Drucksache 16/13847 vom 26. August 2009
(8) Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 35, Abs. 2
(9) Laut den unter Minister Struck im Mai 2003 von der Generalität formulierten Verteidigungspolitischen Richtlinien ist der „Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen“ Aufgabe der Bundeswehr.
(10) Verteidigungspolitische Richtlinien vom 21. 5. 03, siehe www.bundeswehr.de
(11) Lt. 14. 7. 2009: www.bmvg.de/portal/a/bmvg
(12) Es handelt sich um solche „Ehrenamtlichen“, die im öffentlichen Dienst tätig sind, und innerhalb einer Stunde dort abkömmlich sind.
(13) Internetseite der Bundeswehr: www.bundeswehr.de im Januar 2007
(14) (15) dito
„Keine Zuständigkeit“ meint die Bundeswehr; „Datenschutz“ meint das Landratsamt Schwäbisch Hall
Im August 2009 haben die LINKE, DKP (Deutsche Kommunistische Partei) und VVN-Bund der Antifaschisten aus dem Landkreis Schwäbisch Hall und Hohenlohekreis, die Landräte und Kreistagsfraktionen angefragt, welche konkreten Schritte zur Umsetzung der sogenannten „Zivilmilitärischen Zusammenarbeit-Inneres (ZMZ-I)“, in den Landkreisen vollzogen sind.
Nachdem die Landratsämter die Beantwortung der Anfrage zunächst an das „Landeskommando der Bundeswehr“ weitergeleitet hatte, gingen zwischen September und Oktober 2009 Schreiben bei den Unterzeichnern ein, dass bei der Bundeswehr „keine Zuständigkeit für die Beantwortung (unserer) Fragen besteht.“ Die Landratsämter meldeten sich daraufhin mit der Erklärung: „Des weiteren erlauben Sie mir den Hinweis, dass Detailinformationen über die Mitglieder des Kreisverbindungskommandos aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht statthaft sind.“ (Landratsamt Schwäbisch Hall)
Da es sich in der gemeinsamen Anfrage zur ZMZ-I nicht vorrangig um personenbezogene Auskünfte handelt, sondern um nachstehende Sachverhalte, sind die LINKE, DKP (Deutsche Kommunistische Partei) und VVN-Bund der Antifaschisten aus dem Landkreis Schwäbisch Hall und Hohenlohekreis durch die Nichtbeantwortung ihrer Fragen, noch kritischer geworden, was der Öffentlichkeit im Hinblick auf eine weitere „Militarisierung“ verschwiegen werden soll.
Es stellen sich folgende Fragen:
– Sind Landräte und Oberbürgermeister Mitglieder der „Kreisverbindungskommandos“ der ZMZ-I ?
– Welche konkreten Aufgaben und welchen Stellenwert haben das Militär und der Reservistenverband im Kreisverbindungskommando ?
– Wie ist die „Krise“ definiert, die zum Tätigwerden der ZMZ-Kommandos führt ?
– Gab und gibt es in den Landkreisen gemeinsame Übungen von Bundeswehr und zivilen Hilfsorganisationen?
– Was zählt in den Landkreisen zur „kritischen Infrastruktur“ ?
– Teilen die Landkreise die im Begründungsteil der Anfrage aufgeführte Kritik, dass durch die ZMZ-I militärische Strukturen demokratie- und friedensgefährdende Dimensionen annehmen können ?