Zwei Monate vor der Bundestagswahl erreichte ausgerechnet der blaublütige Wirtschaftsminister zu Guttenberg, der mit jedem Satz und jeder Geste zu verstehen gibt, dass er einer von denen „da Oben“ ist, die höchsten Sympathiewerte. Dazu passt, dass Schwarz-Gelb zu dieser Zeit in den Meinungsumfragen eine klare Mehrheit erzielte.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall, Alpha Press
Geld- und Machtelite
Und auch ansonsten scheint sich für die Geld- und Machtelite alles zum Besten zu entwickeln: Die Medien jedenfalls schwadronieren bereits über ein angeblich unmittelbar bevorstehendes Anziehen der Konjunktur. Es sieht ganz danach aus, als habe das systematische Verbreiten von ideologischen Nebelschwaden seine Wirkung getan. Wir versuchen hinter die Nebelschwaden zu blicken und die dahinter verborgenen sozialen Fallgruben sichtbar zu machen.
Außer Spesen nichts gewesen
Zwei Jahre zieht sie sich hin, die Finanzkrise, die nie nur eine Finanzkrise war. Die „Realwirtschaft“ des Exportweltmeisters Deutschland ist von dieser Weltwirtschaftskrise überproportional stark betroffen: Seine Paradedisziplinen Maschinenbau und Automobilindustrie verzeichnen noch nie erlebte Einbrüche. In der Zeit nach der Lehmann-Pleite zeigten sich auch die herrschenden Kreise zunächst verwirrt vom Ausmaß der Krise. Auf internationalen Konferenzen wurden verbal die Auswüchse des vorher praktizierten Neoliberalismus bereut und in blumigen, meist sehr allgemein gehaltenen Worten Besserung gelobt. Dabei wurde auffallend häufig das bis dahin von der Wirtschaftselite und ihren politischen Statthaltern geächtete Wort „Regulierung“ bemüht.
Brandstifter spielen sich als Feuerwehrleute auf
Auffällig war, dass jetzt ausgerechnet jene Leute sich als Feuerwehr inszenierten, die den Brand erst ausgelöst hatten. Vom politischen Personal musste entsprechend auch kein einziger den Hut nehmen. Sie legten von nun ab lediglich eine andere Platte auf. Den schönen Worten folgten denn auch keine entsprechenden Taten. Passiert ist in der Substanz lediglich, dass Banken mit Milliardenbeträgen aus den öffentlichen Kassen gerettet wurden. Obwohl Bundes- und Landesregierungen Milliardenbeträge in die Finanzinstitute hinein pumpten, ließen die Politiker die Banker weitgehend ungestört weiteragieren. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass sie sich auf keinen Fall in die Geschäftspolitik der Banken einmischen wollten.
Keine Bemühungen, Hedgefonds zu verbieten
Inzwischen ist klar: Es gibt nicht einmal im Ansatz Bemühungen, Hedgefonds zu verbieten oder zumindest ihre Geschäftstätigkeit einzuschränken. Die windigen Zweckgesellschaften, in die die Banken ihre riskanten Tätigkeiten ausgelagert hatten, existieren nach wie vor. Keine Rede mehr davon, die Praxis der Verbriefung von Krediten abzustellen oder auch nur einzuschränken. Und selbst die einzige Maßnahme, die der Staat den Banken auferlegt hatte, die Deckelung der Managergehälter auf 500 000 Euro pro Jahr wird – wie der Skandal um die HSH Nordbank zeigt – de facto aufgehoben. Von den Landesregierungen in Hamburg und Kiel wurden dem umstrittenen Bankchef Nonnenmacher 2, 9 Millionen Euro an Boni zugesteckt und auch der neue Chef der LBBW soll deutlich mehr als 500 000 Euro bekommen – angeblich, weil sonst ein so guter Mann wie Hans-Jörg Vetter nicht nach Stuttgart gekommen wäre.
Banken gehen ungeniert zu alten Praktiken über
Inzwischen gehen die Banken schon wieder recht ungeniert zu den alten Praktiken über. In den USA gehen Banken wieder zu Werke, als hätte es nie eine Finanzkrise gegeben. Der Ölpreis ist zwischenzeitlich wieder Objekt der Begierde, so dass der SPIEGEL wieder von einem „Comeback der Zocker“ spricht. Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann schwadroniert bereits wieder wie zu Vor-Krisenzeiten von 25 Prozent Eigenkapitalrendite, obwohl jeder weiß, dass das nur über waghalsige Operationen denkbar ist.
Was sich auf jeden Fall geändert hat gegenüber Vorkrisenzeiten sind zwei Dinge:
1) Die Realwirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise
2) Die öffentlichen Haushalte sind tief verschuldet, weil es den Banken bekanntlich gelungen ist, ihre Verluste zu sozialisieren.
Welle des Personalabbaus
In einem aber unterscheidet sich in Deutschland die aktuelle Krise dennoch von allen Vorgängern: Die Unternehmen reagierten mit einer Welle des Personalabbau im großen Stil. Zunächst traf es – zumeist sogar mit Zustimmung der Betriebsräte und der IG Metall – „nur“ die Leiharbeiter. Die Stammbelegschaften wurden durch den forcierten Einsatz von Kurzarbeit weitgehend vor der Entlassungen bewahrt. Diese veränderte Praxis des Unternehmerlagers hat sicher etwas damit zu tun, dass die Herrschenden selbst vom Ausmaß der Krise überrascht waren und nicht noch zusätzliche Proteste von Seiten der zumeist gewerkschaftlich gut organisierten Belegschaften in der Autoindustrie und der Maschinenbauindustrie riskieren wollen. Nicht von ungefähr geistert das Wort „soziale Unruhe“ als Horrorthema durch den bürgerlichen Medienwald.
Zweckoptimismus
Es ist ganz offenkundig, dass die maßgeblichen Kräfte in Wirtschaft und Staat bis zu den Wahlen den Ball flach halten wollen, damit dann nach Möglichkeit eine Schwarz-Gelbe Regierung ins Amt kommt und dann heißt es: Jetzt geht’s los!. Aus diesem Grund werden nach Möglichkeit positive Nachrichten in die Welt gesetzt. Aktuell erleben wir das im Zusammenhang mit der monatlichen Umfrage des Münchner Ifo-Instituts, dessen Chef bekanntlich Herr (Un-) Sinn ist, einer der herausragenden Lautsprecher der Kapitalinteressen in Deutschland. Dessen monatlich publizierter Geschäftsklima-Index liefert bekanntermaßen keine Wirtschaftsanalyse, sondern soll lediglich einen Eindruck von der Stimmung innerhalb der Unternehmerschaft vermitteln. Wenn der Ifo-Geschäftsklim-Index um 1,4 Punkte ansteigt, heißt das beileibe nicht, dass ein entsprechendes Auftragswachstum stattgefunden hat. Dennoch wird der Eindruck erweckt, als ob ein Ansteigen des Ifo Geschäftsklima-Index ein Anspringen der Konjunktur beinhaltet.
Medien verbreiten Unsinn über einen scheinbaren Aufschwung
„Wirtschaft fasst wieder Tritt“ lautet prompt die Überschrift auf Seite eins der „Südwestpresse“. Und für diejenigen, die schwer von Begriff sind, sagt der Kommentar: „Dass es endlich einen Lichtblick gibt, kann man nicht dick genug unterstreichen.“ Selbst die landläufig als linksliberal gehandelten „Frankfurter Rundschau“ titelt „Der Aufschwung hat begonnen.“ Dabei sollten wir seit der Medienmanipulationsaffäre bei der Deutschen Bahn wissen, dass man mit dem nötigen Kleingeld in diesem Land durchaus Nachrichten „produzieren“ kann. Leider fehlt es den Medien in diesem Land an der kritischen Distanz zu solch produzierten Meldungen. Deswegen bekommen die Zeitungsleser den Eindruck „Das Schlimmste ist vorbei“.
Ökonomische Achterbahnfahrten – Die guten Zeiten sind vorbei
Dabei wissen sowohl die Produzenten des Ifo-Geschäftsklima-Index wie auch die Schlagzeilen produzierenden Wirtschaftsjournalisten, dass von Aufschwung keine Rede sein kann. Nicht auf Seite eins, sondern weiter hinten auf Seite fünf des Wirtschaftsteils, also in jenen Bereichen, die nicht die Masse, sondern die interessierten Insider lesen, kann der geneigte Leser in der „Süddeutschen Zeitung“ erfahren, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Dort findet sich ein Artikel mit der Überschrift: „Ökonomische Achterbahnfahrten – Die guten Zeiten sind vorbei. Nach der Erholung ist ein zweiter Abschwung wahrscheinlich“ (SZ 25.07.2009). Darin heißt es unter anderem: „Es gibt in der Industrie gewaltige Überkapazitäten, selbst wenn mehr Aufträge hereinkommen….in Deutschland könnte die Zahl der Arbeitslosen bis Ende 2010 auf fünf Millionen steigen.“ Man darf also getrost davon ausgehen, dass sowohl die Produzenten des Ifo-Geschäftsklima-Index als auch die Reproduzenten dieser Nachricht genau wissen, dass sie Nebelkerzen produzieren. Aber: Der Zweck scheint alle Mittel zu rechtfertigen.
Das Schweigekartell ist eine Wählertäuschung
Interessanterweise deutet der SZ-Artikel über die „ökonomischen Achterbahnfahrten“ an, was diese wirtschaftliche Entwicklung für die lohnabhängige Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land bedeutet: „ Die Staaten haben notleidende Banken und Unternehmen gestützt, ihren Bürgern geholfen. Doch der Preis ist hoch. Deutschland steht vor dem größten Schuldenzuwachs seiner Geschichte, um Bankenrettung, Deutschlandfonds und Konjunkturprogramm zu stemmen….Künftig müssen die Staaten, ob sie wollen oder nicht, ihre Ausgaben kappen, um die Haushaltslöcher zu stopfen, oder ihren Bürgern höhere Steuern abverlangen – oder beides.“ Wir dürfen getrost davon aussehen, dass man sich in den Zentralen der Parteien und der Wirtschaftsverbände bereits eine ganze Weile mit dieser Frage beschäftigt. Vermutlich liegen die entsprechenden Maßnahmenpakete bereit zum Gebrauch in der Schublade. Allerdings achtet man offenbar penibel darauf, dass von alledem nichts nach Außen dringt. In der Öffentlichkeit sind konkrete Maßnahmenpakete kein Thema. Sieht man einmal von den unterschiedlichen, im Vagen verbleibenden Nuancen von FDP und CDU/CSU einerseits und der SPD beim Thema Steuersenkungen ab, lässt keine der etablierten Parteien erkennen, welche Maßnahmen sie im Falle eines Wahlsiegs ergreifen würden. Sie handeln gemäß dem Motto: Erst mal die Wahl gewinnen. Bewusst wird jetzt die Kernfrage ausgeklammert: Wer soll die Kosten der Finanzkrise tragen? Wer bezahlt die Aufräumarbeiten für den Müll, den Banken und Spekulanten auf die Gesellschaft abgewälzt haben? Die Menschen sollen im September ihre Stimme abgeben, ohne zu wissen, auf was sie sich damit einlassen. Markus Sievers von der Frankfurter Rundschau (FR) nennt in einem Kommentar, der mit „Das Schweigekartell“ überschrieben ist, folgenden Grund für das Verhalten der Machteliten in Politik und Wirtschaft: „Nichts davon ist schön. Dies erklärt das große Schweigen. Vor der Wahl hatte die Union angekündigt, bei einem Sieg die Mehrwertsteuer für den Umbau der Sozialsysteme um zwei Prozentpunkte zu erhöhen. Das kam im Volk so schlecht an, dass Merkel die schwarz-gelbe Mehrheit verfehlte….. Die Wahlkampfstrategen stellen sich den Ablauf so vor: Erst gewinnt ihre Partei die Wahl. Dann klärt sie mit ihren Bündnispartnern in Koalitionsverhandlungen, wie die Löcher zu stopfen sind.“ ( FR 26.06.2009)
CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne müssen sagen, zu welchen sozialen Grausamkeiten sie bereit sind
Erinnern wir uns, wer für die Kosten des Platzens der IT-Blase ab 2001 zu zahlen hatte: Damals waren die abhängig Beschäftigten und die Arbeitslosen die Leidtragenden der unsozialen Agenda 2010. Die gleichen Bevölkerungsschichten werden auch diesmal die Opfer sein. Und ihre Opfer werden umso größer ausfallen, je geringer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Gegenwehr ist. Würden CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne jetzt auf den Tisch legen, zu welchen sozialen Grausamkeiten sie bereit sind, liefen sie Gefahr, scharenweise der Linkspartei die WählerInnen in die Arme zu treiben. Das wäre zum einen im Voraus schon eine deutliche politische Ohrfeige für die Fürsprecher des Sozialabbaus. Ein solcher Wahlerfolg der Partei „Die Linke“ könnte darüber hinaus für die Lohnabhängigen eine Ermutigung dahingehend sein, den Protest von der Wahlurne auf die Straßen zu bringen. Und womöglich würde sogar noch in den Betrieben etwas in Gang kommen – womit wir bei den „sozialen Unruhen“ wären. Das aber fürchtet die Machtelite in Politik und Wirtschaft wie der Teufel das Weihwasser.
Testballone und Weichenstellungen
Deswegen beschränken sie sich momentan darauf, verstärkt bestimmte Vorfestlegungen von Themenfeldern zu treffen und Testballone steigen zu lassen. Da darf ein Professor Zimmermann vom „Deutschen Institut der Wirtschaft (DIW) mal eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent ins Gespräch bringen und die Bundesbank prescht scheinbar sinnfrei vor mit der Forderung nach einer Erhöhung des Rentenalters auf 69. Der Chef der Bundesärztekammer Hoppe bringt offen eine Zweiklassenmedizin ins Gespräch und Finanzminister Peer Steinbrück keilt öffentlich gegen die Zusage, dass es keine Rentenkürzungen geben dürfe.
Medien unterschlagen wichtige Umstände der Krise
Derweil wird medial schon abgesteckt, welches die wichtigen Themenfelder sind, mit denen sich die künftige Regierung zu befassen haben wird. Das sind Themen, die eine notwendige Begleiterscheinung der Krise sind. Bereits vor ein paar Monaten wurde das 316 Milliarden Steuerloch in die Schlagzeilen befördert. Im Juli wurde hier noch einmal etwas drauf gesetzt: „Steuerloch tiefer als gedacht“ (Südwestpresse 14.07.2009).
Dass die Rezession und steigende Arbeitslosigkeit Löcher in die Sozialkassen reißt, ist nicht verwunderlich. Lange wurde das Thema von den meinungsmachenden Kreise ignoriert. Nun, in Zeiten des Vorwahlkampfes wird es in den Rang eines Top-Themas gehoben. Dazu werden plötzlich astronomisch hohe Zahlen genannt und Umstände unterschlagen, die nicht so recht ins gewünschte Bild passen. Das „Handelsblatt“ berichtet, dass die Ausgaben für steigende Arbeitslosigkeit im Zeitraum 2009 bis 2013 um 100 Milliarden Euro höher liegen sollen als geplant. 46,4 Milliarden davon sollen zusätzliche Ausgaben für Hartz IV sein.
Die Politiker mit der Forderung nach Lösungsvorschlägen bedrängen
Auffälligerweise beschränken sich auch die bürgerlichen Medien bisher weitgehend auf theatralische Anprangerung der Probleme. Nirgends wird die Politik mit der Forderung nach Lösungsvorschlägen bedrängt. Eine gewisse Ausnahme macht hier die Südwestpresse in Person ihres Wirtschaftsspezialisten Dieter Keller. Verbunden mit einer Kurzlaudatio für die Agenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder wirft er – ohne selbst eine Antwort darauf zu geben – die Frage auf: „Brauchen wir eine Agenda 2020, um diese Entwicklung zu bremsen?“ Noch ist diese Fragestellung nicht als Forderung in die Schlagzeilen gerückt. Es ist aber so sicher wie das Amen in der Kirche, dass dies spätestens nach den Bundestagswahlen geschehen wird.
Das soziale Klima wird nach der Wahl erheblich rauer werden
Der Politikforscher Christoph Butterwegge rechnet damit, dass das soziale Klima hierzulande erheblich rauer werden wird. Er rechnet mit einer neuen Debatte über „faule Arbeitslose“ und deren angeblichen Missbrauch von Hartz IV-Geldern. Das Ganze werde zu einer„härteren Gangart gegenüber Armen“ führen. Denn so Butterwegge: „Erfahrungsgemäß wird der Rotstift wohl wieder im sozialen Bereich angesetzt und die ärmere Schicht treffen, die keine Lobby hat.“ Bernd Riexinger von Verdi Stuttgart sagt: „Die Opfer auf Seiten der Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner/innen und ihren Familien werden umso größer, je geringer die Bereitschaft der Gewerkschaften zur Gegenwehr ausgeprägt ist und je weniger sie im Bündnis mit den linken Kräften und sozialen Bewegungen in der Lage sind, einen alternativen Gegenentwurf hervorzubringen und gesellschaftlich durchzusetzen.“
Dem ist von mir nichts hinzuzufügen.