Der Klimawandel ist in vollem Gange — mit massiven Folgen: Klimazonen verschieben sich, Gletscher schmelzen und heftige Unwetter nehmen zu. Regionen auf der ganzen Welt sind davon bedroht. Besonders der Verkehr ist an der Produktion von CO2 beteiligt.
Von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Kohlendioxid-Emissionen des Verkehrs sind nicht gesunken
Ein Fünftel des in Deutschland ausgestoßenen CO2 geht auf das Konto des Verkehrs. 96 Prozent stammen direkt aus den Auspuffen von Pkw und Lkw. Anders als in anderen Bereichen sind die CO2-Emissionen des Verkehrs seit 1990 nicht gesunken.
Elektroautos – keine Alternative
Das von der Autoindustrie und den politischen Eliten hochgehypte Elektroauto bringt keine Lösung. Für die Autoindustrie hat das Elektroauto den Charme, dass man auf die Produktion von ebenso hohen Stückzahlen wie heutzutage hofft. Gerade diese Massenproduktion schafft jedoch bei der Gewinnung von Leichtmetallen wie Aluminium aus Bauxit erhebliche ökologische Probleme. Die Klimabilanz der Herstellung und Entsorgung von Batterien ist eine weitere Hypothek. Werden Benziner und Diesel durch E-Autos ersetzt, ändert sich am horrenden Flächenverbrauch ebenso wenig wie an den verstopften Straßen und Autobahnen. Es bliebe bei Millionen privaten PKWs und SUVs, die Straßen und Städte verstopfen.
Ladesäulen – kein Bestandteil einer ökologischen Verkehrswende
Es ist klar, dass bei einer Verkehrswende hin zu einem öffentlichen, eher schienengebundenen Verkehr weniger Pkw und Lkw benötigt werden. Pkw werden wohl noch in Gestalt von E-Taxis gebraucht, um für die Menschen auf dem flachen Land Mobilität zu ermöglichen, als Dienstfahrzeuge für ServicetechnikerInnen oder mobile Dienste usw. Lkw braucht man wohl noch für die Überbrückung der „letzten Meile“, nachdem Mittel- oder Langstreckentransport auf der Schiene oder auf dem Wasser erfolgt ist.
Propaganda der Autoindustrie
In einer ökologischen Verkehrswende wird das Elektroauto nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn Firmen für ihren Servicebereich oder z.B. die Rettungsdienste statt der Verbrenner Elektroautos einsetzen, können die erforderlichen Ladesäulen auf dem Betriebsgelände installiert werden. Es spricht auch nichts dagegen, wenn Supermärkte auf ihrem Gelände Ladesäulen installieren. Und es ist nur vernünftig, wenn die Mineralölkonzerne die Auflage bekommen, Zapfsäulen für Strom bereitzustellen – und natürlich auch selbst dafür die Kosten tragen. Es besteht also kein Grund, der Propaganda der Autoindustrie zum Thema Ladeinfrastruktur auf den Leim zu gehen und dafür drei Milliarden Euro öffentliche Gelder zu versenken.
Skizze für einen Ausstieg aus dem Automobilismus
Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die ArbeiterInnen nicht die Leidtragenden einer deutlichen Reduzierung der Automobilproduktion werden. In der Auto- und Zulieferindustrie gibt es zur Zeit zirka 800.000 Beschäftigte (mit sinkender Tendenz). Wenn im Rahmen einer Umstellung hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaft Autofabriken geschlossen werden, gilt es sicherzustellen, dass die dort beschäftigten Menschen nicht auf die Straße gesetzt werden. Sie müssen eine qualifizierende Umschulung (keine „Schnellbleiche“) für andere, in der Gesellschaft benötigte Tätigkeiten bekommen – unter Beibehaltung ihres bisherigen Gehalts.
Konversion der Autoindustrie
Ein Teil der Arbeitsplätze kann dadurch gesichert werden, dass die Arbeitszeit deutlich verkürzt und die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird. Der frühere VW-Betriebsrat Stephan Krull hat – vor der Corona-Krise – skizziert wie die Arbeitsplatzbilanz für die nächsten zehn Jahre aussehen könnte. Er geht davon aus, dass durch die Umstellung auf E-Mobilität zirka 100.000 Arbeitsplätze und durch die Reduzierung von Kapazitäten/Überkapazitäten zirka 150.000 Arbeitsplätze wegfallen – was erheblich realistischer ist als die vom Autoindustrie nahen Lobbyverband „Neue Plattform Zukunft der Mobilität“ (NPM) lancierten Horrorzahlen. Dem stellt er entgegen, dass durch die Konversion der Autoindustrie auch sehr viele neue Arbeitsplätze entstehen können.
Blockheizkraftwerke bauen
Die heutigen Automobilwerke könnten außer Straßenbahnen, Bussen, Kleinbussen und Sammeltaxis beispielsweise Fahrräder oder auch Blockheizkraftwerke bauen. Zudem ist es ja so, dass bei der Produktion von Bussen, aber besonders im Schienenfahrzeugbau der Automatisierungsgrad in den Fabriken erheblich niedriger ist als in den Autofabriken.
Krull nennt im Einzelnen:
· Schienenproduktion plus 10.000 Beschäftigte in den Stahlwerken (Salzgitter, Eisenhüttenstadt, Bremen, Osnabrück, Duisburg, Dillingen, Unterwellenborn)
· Schienenfahrzeugbau, Waggon- und Triebwagenproduktion plus 100.000 Beschäftigte (Görlitz, Bautzen, Henningsdorf, Salzgitter, Kassel, Mannheim, Siegen, Stendal
· Nahverkehrsbetriebe und Bahnbetriebe plus 30.000 Beschäftigte (Fahrerinnen, Instandhalterinnen, StellwerkerInnen)
Beim Zugverkehr Schweizer Niveau erreichen
Es braucht bei der Bahn eine bessere Taktung, besseren Service, mehr und besser gewartete Züge, eine Signaltechnik, die funktioniert, intakte Gleisanlagen und eine deutliche Senkung der Ticketpreise. Natürlich müssen die fast 6.500 Kilometer Bahnstrecken, die nach der Privatisierung der Bundesbahn seit 1994 stillgelegt wurden, wieder reaktiviert werden. Das Bahnnetz in dem neoliberal heruntergewirtschafteten Land BRD muss zumindest auf Schweizer Niveau angehoben werden. In der Schweiz wurden 2018 pro Kopf rund 365 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, in Deutschland waren es im selben Jahr 77 Euro. Um beim Zugverkehr „Schweizer Niveau“ zu erreichen, sind also erhebliche Investitionen in die Verbesserung der Schienenfahrzeuge und der Infrastruktur von Nöten. Dass dabei zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, versteht sich. Es spricht Bände, dass es keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen gibt zu der Frage, was es bedeuten würde, wenn die Transportkapazität, die bisher von Pkws erbracht wird, künftig durch Bahn, Straßenbahnen oder Busse abgedeckt werden soll. Weder Institutionen wie das Wuppertal-Institut, Greenpeace oder der BUND, noch gewerkschaftsnahe Institute wie Hans-Böckler Stiftung, haben sich offenbar mit diesem Thema befasst.
Vernachlässigung der Infrastruktur
Es gibt in unserer Gesellschaft auch außerhalb des Verkehrssektors Bereiche, in denen aufgrund der systematischen Vernachlässigung der Infrastruktur in den letzten Jahrzehnten erheblicher Nachholbedarf besteht. Zu nennen wäre etwa der Bau bzw. die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern. Das Kanalisationsnetz und das Wassernetz werden seit Jahrzehnten auf Verschleiß gefahren. In Bildung und Erziehung, in der Pflege von Alten und Kranken besteht riesiger Bedarf. Hier gibt es viel zu wenig Personal. Für Gesundheit, Kranken- und Altenpflege Stephan Krull einen Mehrbedarf von 150.000 Beschäftigten, bei der Bildung von 20.000 Beschäftigten, bei Landespflege/Umweltschutz von 20.000 Beschäftigten.
System Change wird kein Spaziergang
Wer ernsthaft eine Konversion in Betracht zieht, kommt nicht darum herum, die Eigentumsfrage zu stellen, sprich die Autokonzerne zu entprivatisieren und unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Die Konversion der Autoindustrie in eine integrierte Mobilitätsbranche, in der die Produktion von Autos nur noch eine untergeordnete Rolle spielen sollte, wird in der BRD nicht auf der Ebene des Einzelbetriebs zu machen sein. Die gesamte Branche Autoindustrie muss in öffentliches Eigentum übergeführt werden, um die vielfältigen erforderlichen Maßnahmen miteinander zu koordinieren: Paralleler Ausbau der Bus- und Bahnnetze bei gleichzeitigem Abbau der Kapazitäten in der Autoindustrie. Dazu braucht es eine enge Verzahnung der bisher getrennt, oft gegeneinander arbeitenden Branchen Autoindustrie und Bahnindustrie. Vorstellbar wäre eine öffentliche Verkehrsbehörde, eine Art „Bundesnetzagentur Mobilität“ mit den Säulen für Individualverkehr, öffentlichen Verkehr, Flugverkehr sowie Fußgänger- und Radverkehr. Diese „Bundesnetzagentur Mobilität“ könnte die Umqualifizierung von bisherigen Beschäftigten der Autoindustrie für die künftigen Aufgaben übernehmen.
Automanager: Mit Vollgas in die Klimakatastrophe
Klar ist, dass die deutschen Autokonzerne sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen ökologisch-soziale Umstrukturierungsmaßnahmen wehren würden. Die dringend gebotene Konversion wird nicht alleine mit guten Argumenten zu erreichen sein. Es braucht massive Mobilisierungen von Seiten der Klimaschützerinnen und von Gewerkschafterinnen. Sonst setzen die renditesüchtigen Automanager mit durchgetretenem Gaspedal ihren Kurs in Richtung Klimakatastrophe fort.