Menschen sagen ihren Urlaub ab, Geschäftsreisen werden verschoben, um engen Kontakt mit anderen vermeiden und die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Der Coronavirus hat den Flugverkehr ins Trudeln gebracht.
Von Paul Michel, Schwäbisch Hall
95 Prozent der Gesamtflotte am Boden
Fluggesellschaften stehen unter starkem finanziellen Druck. Bei der Lufthansa sind derzeit rund 95 Prozent der Gesamtflotte am Boden. Auf den verbleibenden Flügen sind die Maschinen überwiegend leer. 87 000 Beschäftigte werden in Kurzarbeit geschickt. Das Lufthansa-Management verhandelt mit dem Bund über Hilfskredite und Staatsbeteiligung.
Lufthansa-Bosse: Dreister geht’s nicht
Nachdem Lufthansa Chef Carsten Spohr Mitte März 2020 noch behauptet hatte, man würde ohne Staatshilfen über die Runden kommen, verhandelt seit Anfang April das Lufthansa-Management mit dem Bund über ein Rettungspaket. Am 23. April gab Lufthansa bekannt, dass die Verlust doch besorgniserregend seien. Die Airline braucht offenbar sowohl frisches Eigenkapital, als auch neue Kredite. War zunächst die Rede von einem mittleren bis hohen einstelligen Milliardenbetrag, so heißt es jetzt auf /www.tagesschau.de: „Insider berichteten, dass die Lufthansa Anfang nächster Woche ein staatliches Hilfspaket von bis zu zehn Milliarden Euro schnürt…Die Mittel kommen demnach aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) des Bundes, aus staatlich besicherten KfW-Krediten und von Regierungen Österreichs, Belgiens und der Schweiz. Die Lufthansa, die staatliche Förderbank KfW und die Bundesregierung kommentierten das nicht.“
Bund wäre ohne Stimmrecht
Wie der SPIEGEL bereits am 11.4.2020 berichtete, tritt das Lufthansa-Management in diesen Verhandlungen selbstbewusst bis anmaßend auf. Eine Mehrheitsbeteiligung des Staates hatte Vorstandschef Carsten Spohr im Interview mit dem «Spiegel» von vorn herein ausgeschlossen. Der Konzern habe ein Eckpunktepapier für den Einstieg des Bundes vorgelegt. Grundtenor des Schriftstücks: „Alle Vorteile müssten bei der Lufthansa und ihren Aktionären liegen, das gesamte Risiko dagegen beim Staat, sagt ein Verhandlungsinsider“. Offenbar geht es um eine „stille Beteiligung“ des Bundes an der Lufthansa. Bei einer „stillen Beteiligung“ hätte der Bund kein Stimmrecht.
85-mal mehr als ein durchschnittlicher Lufthansa-Beschäftigter
Das würde bedeuten, dass der Staat der Lufthansa Milliarden zuschießt, mit denen das Management machen kann was es will. Einziges Zugeständnis der Lufthansa-Bosse: In der Zeit, während die Maßnahme läuft, werde die Lufthansa keine Dividende ausschütten. Der Vorstand verzichtet zudem auf 20 Prozent seines Gehalts. Laut der Webseite www.airliners.de verdiente der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr im Jahr 2017 4.19 Millionen Euro. Spohr verdiente damit 85-mal mehr als ein durchschnittlicher Lufthansa-Beschäftigter. Bei einem Verzicht von 20 Prozent würden Spohr immer noch deutlich über drei Millionen Euro bleiben. Zum Vergleich: Als im Rahmen der Krise 2008/2009 die Commerzbank teilverstaatlicht wurde, gab es eine Regelung, wonach Vorstände von Unternehmen, die mit Staatshilfe gerettet werden, höchstens 500.000 Euro Jahresgehalt bekommen durften. Aber auch ein solches Gehalt ist jenseitig. Vertretbar wäre für Spohr vielleicht noch ein Gehalt, wie es Piloten bei der Lufthansa beziehen: Das Durchschnittseinkommen der Lufthansa-Piloten liegt bei rund 181.000 Euro im Jahr.
Kein Freifahrtschein für „Weiter so“
Es wäre ein dummer Fehler, mit Staatsgeldern wohlhabenden Lufthansa-Investoren wie dem Milliardär Heinz Hermann Thiele für die Zukunft eine fette Rendite und dem Management weiter fette Gehälter zu bescheren und deren aggressiven Sparkurs gegen die Belegschaften der Lufthansa zu unterstützen. Jetzt, wo die Lufthansa staatliche Unterstützung will, müssen klare Forderungen gestellt werde: Es geht darum, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, insbesondere des Bodenpersonals zu verbessern. Insbesondere bei den Lufthansa-Töchtern sind die Arbeitsbedingungen mies. GewerkschafterInnen bei der Lufthansa klagen seit Jahren schon darüber, dass der Konzern mehr und mehr Konzernteile in Tochtergesellschaften verlagert bzw. die Arbeit Gepäckabfertigung oder Boarding von Werkvertragsfirmen zu schlechten Löhnen und bei mieseren Arbeitsbedingungen erledigen lässt. Diese Firmen würden „zu wenig Personal beschäftigen und zu schlecht bezahlen“, kritisierte Ver.di. Es gebe einen Wettbewerb um die niedrigsten Lohnkosten und den knappsten Personaleinsatz.
Airlines: Klimakiller
Bei der Art wie die „Rettungsaktion“ für die Lufthansa betrieben wird, sind die Gehälter der Lufthansa Vorstände noch das geringere Problem. Viel schwerer wiegt, dass ihnen mit dieser Maßnahme ein Freifahrtschein ausgestellt wird dafür, dass sie weitermachen können wie bisher. Es ist an der Zeit, das Geschäftsmodell der Airlines grundlegend zu verändern. Eine Studie des „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) hat untersucht, wie viel Kohlendioxid (CO2) die kommerzielle Luftfahrt 2018 emittiert. Die Studie kam zu dem Ergebnis: Die Emissionen beim Flugverkehr sind „schlimmer als erwartet“ und übertreffen die bisherigen Annahmen bei weitem. 918 Millionen Tonnen CO2 haben kommerzielle Flugzeuge 2018 ausgestoßen. Das entspricht 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das meiste stammt von Passagiermaschinen. Unter den schlimmsten Emittenten sind auch die EU und Deutschland. Die Studie geht davon aus, dass die Emissionen aus dem weltweiten Flugverkehr mehr als 1,5-mal so schnell ansteigen können und sich bis 2050 verdreifachen werden.
Klimaverträglichere Mobilität
Anstatt die Fluggesellschaften wie Lufthansa durch Milliardenspritzen einfach zu retten und ihnen zu erlauben, ihr ökologisch verheerendes Geschäftsmodell fortzuführen, ist es aus klimapolitischen Gründen geboten, jetzt die Wende in Richtung einer (zumindest etwas) klimaverträglicheren Mobilität einzuleiten. Fluggesellschaften müssen entprivatisiert und in öffentliches Eigentum übernommen werden, damit sie demokratisch und (zumindest einigermaßen) ökologisch verträglich betrieben werden von Beschäftigten, deren Arbeitsbedingungen und Löhne anständig sind.
Umbauen und schrumpfen
(Re)verstaatlichte Fluggesellschaften wie die Lufthansa sollten als Teil eines umfassenderen Verkehrssystems konzipiert werden, mit dem Ziel, unnötige Flugreisen, insbesondere auf Kurzstrecken, zu reduzieren, um so Emissionsminderungen zu erreichen. Eine dementsprechend ausgerichtete Umstrukturierung der Lufthansa würde deren Tätigkeitsfeld deutlich einschränken. Inländischer Flugverkehr sollte in Zukunft eingestellt werden. Er sollte, wie auch ein großer Teil des innereuropäischen Flugverkehrs auf die Schiene verlagert werden. Inländische und innereuropäische Flüge sollten nur für Notfälle vorbehalten sein.
Schienenverkehr ausbauen
Selbstverständlich macht eine Verlagerung des Verkehrs vom Flugzeug auf die Schiene einen erheblichen Ausbau des Schienenverkehrs erforderlich – des Fernverkehrs, des Nahverkehrs und des Güterverkehrs. Es braucht eine bessere Taktung, besseren Service, mehr und besser gewartete Züge, eine Signaltechnik, die funktioniert, intakte Gleisanlagen und eine deutliche Senkung der Ticketpreise. Es ist dringend geboten, die fast 6.500 Kilometer Bahnstrecken, die nach der Privatisierung der Bundesbahn seit 1994 stillgelegt wurden, wieder zu reaktivieren.
Neoliberal heruntergewirtschaftet
Die Bahnnetze in den neoliberal heruntergewirtschafteten Ländern wie Deutschland, Großbritannien und Spanien müssen zumindest auf Schweizer Niveau angehoben werden. In der Schweiz wurden 2018 pro Kopf rund 365 Euro in die Schieneninfrastruktur investiert, in Deutschland waren es im selben Jahr 77 Euro. Um beim Zugverkehr „Schweizer Niveau“ zu erreichen, sind erhebliche Investitionen in die Verbesserung der Schienenfahrzeuge und der Infrastruktur von Nöten. Anstatt die Manager der Lufthansa mit Milliarden zu beglücken, mit denen sie machen können, was sie wollen, ist es jetzt höchste Eisenbahn, endlich jene große Konjunkturprogramme für den Ausbau der Infrastruktur auf den Weg zu bringen, die auch viele bürgerliche Experten für erforderlich halten. Die riesigen Summen, die die Bundesregierung jetzt im Rahmen der Corona-Nothilfe zur Förderung der Industrie bereitgestellt hat, zeigen, dass in dieser Gesellschaft durchaus die für eine sozial-ökologische Wende erforderlichen Finanzmittel vorhanden sind. Selbstverständlich geht das nicht ohne eine massive Umverteilung von oben nach unten, wie durch die Einführung einer fünfprozentigen Vermögenssteuer für Vermögen oberhalb von einer Million Euro, einer deutlichen Erhöhung der Einkommenssteuer für Spitzenverdiener, der Anhebung der Körperschaftssteuer, die Schließung von Steuerschlupflöchern usw.
Konversion: Vom Flieger zur Schiene
Bei einer Verstaatlichung mit der Lufthansa muss es vorrangiges Ziel sein, darauf zu achten, dass die Beschäftigten nicht die Leidtragenden sind. Insofern sollten ein wichtiger Punkte bei der Überführung der Lufthansa unter öffentliche Kontrolle, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, deutlich kürzere Arbeitszeiten, bessere Regelung der Ruhezeiten und die Rücknahme der in den letzten Jahren vom Management erzwungen Ausgliederungen und Werkverträge sein.
„Bundesnetzagentur Mobilität“ gründen
Nur bei einer staatlichen Übernahme besteht die Aussicht, dass Massenentlassungen verhindert werden können. Wie bereits dargestellt, würden im Gegenzug zur Streichung aller Inlandsflüge der Lufthansa bei der Bahn die Einstellung einer großen Zahl zusätzlicher Arbeitskräfte erforderlich: Stellen für Zugführerinnen, Servicepersonal oder auch bei der Wartung und Pflege der Bahninfrastruktur Arbeitsplätze. Die Koordination des gesamten Verkehrssektors sollte eine öffentliche Verkehrsbehörde, eine Art „Bundesnetzagentur Mobilität“ übernehmen, deren Säulen unter anderem Abteilungen für schienengestützten Nah-, Fern- und Güterverkehr wären. Diese „Bundesnetzagentur Mobilität“ könnte die Umqualifizierung der Lufthansabeschäftigten für die künftigen Aufgaben übernehmen. Während der Zeit der Umschulung würden die Kolleginnen ihr Gehalt weiterbekommen – einzige Ausnahme wären wohl die Piloten, die bislang über 150 000 Euro Jahresgehalt bekommen. Eine sowohl für Flugverkehr als auch für Schienenverkehr zuständige „Bundesnetzagentur Mobilität“ wäre wohl am ehesten in der Lage, dass der Umstrukturierungsprozess vom Flugzeug auf die Schiene gut koordiniert von statten gehen kann und keine KollegInnen durchs Raster fallen.
Soziale Bewegungen müssen Druck machen
Rein technisch oder finanziell wäre eine sozial-ökologische Konversion der Gesellschaft ohne weiteres möglich. Woran es fehlt, ist der Wille und die Bereitschaft der Leute an den Schaltstellen in Politik und Wirtschaft. Es müsste von den direkt Betroffenen und vor allem von den sozialen Bewegungen starker Druck entwickelt werden, wenn sich da etwas bewegen soll.