„1941 in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt“ –Nazis fällten Todesurteil über Wilhelm Zieher, einen Kleinbauern aus Gaggstatt-Mistlau

Jahrzehntelang ungeklärt blieb das Schicksal des Kleinbauern Wilhelm Zieher aus Kirchberg/Jagst-Mistlau. „Er ist während der Nazizeit nachts abgeholt worden“, berichteten Mistlauer Zeitzeugen in den 1990er Jahren. „Danach ist er nie mehr wiedergekommen. Wahrscheinlich wurde er von den Nazis umgebracht“, vermutete seinerzeit eine Nachbarin aus dem heutigen Kirchberger Teilort.

Von Ralf Garmatter, Journalist, Hohenlohe-ungefiltert

Sterbeort unleserlich eingetragen

Recherchen haben inzwischen ergeben, dass Wilhelm Zieher von Nazi-Handlangern mit allergrößter Wahrscheinlichkeit tatsächlich umgebracht wurde. Die Nachforschungen gleichen einem kleinteiligen Mosaik. Soviel scheint klar: Gestorben ist der Mann am 30. Juni 1941 – im Alter von 59 Jahren. Der Sterbeort ist im Familienregister des Standesamts Kressberg (im heutigen Landkreis Schwäbisch Hall) „unleserlich“ eingetragen, sagte eine Mitarbeiterin auf Nachfrage. In anderen Dokumenten gibt es konkretere Hinweise darauf, wo der Mann gestorben ist.

Bauernhof in Gaggstatt-Mistlau

Geboren ist Wilhelm Zieher am 5. Dezember 1881 im heutigen Kressberger Teilort Mariäkappel. Am 7. September 1907 heiratete er in Gaggstatt Babette Göller aus Gaggstatt-Mistlau. Das Paar bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof in Mistlau. Nach Aussagen von Zeitzeugen hatten sie keine Kinder. Die Frau sei vor dem Mann gestorben.

1939 ins Altersheim Tempelhof umgezogen

Ein Dokument im Standesamt Kirchberg/Jagst belegt, dass Wilhelm Zieher am 1. März 1939 – zwei Jahre vor seinem Tod – von Mistlau ins Altersheim Tempelhof bei Marktlustenau umgezogen ist. Im Schloss Tempelhof lebte er bis zum Frühjahr 1941. Dann wurde er in die „Heilanstalt“ Weinsberg gebracht. Dort war sein Lebensweg noch nicht zu Ende.

Nazis beschlossen seinen Tod

Nähere Hinweise über sein Lebensende gibt es im Buch von Ernst Klee „Dokumente zur Euthanasie“ auf Seite 186: Die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“, hatte am 29. Mai 1941 den Tod von Wilhelm Zieher beschlossen. Am 17. Juni 1941 wurde er mit mindestens zwei anderen Männern aus dem Tempelhof von der „Anstalt Weinsberg“ nach Hadamar in Hessen verlegt. Hadamar liegt etwa 70 Kilometer nordwestlich von Frankfurt/Main bei Limburg an der Lahn. Die ehemalige Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar gehörte ab 1941 zu den insgesamt sechs Tötungsanstalten der NS-Euthanasie im damaligen Deutschen Reich. Die Morde an geistig behinderten und psychisch kranken Menschen wurden in Berlin in der Tiergartenstraße 4 (Aktion T4) organisiert. In diesem Haus waren Dienststellen der Kanzlei Hitlers und des Reichsinnenministeriums untergebracht.

15000 Menschen wurden in Hadamar getötet

Nach gegenwärtigem Kenntnisstand starben von 1941 bis 1945 rund 15.000 Menschen in den Räumen der ehemaligen Tötungsanstalt Hadamar. Von Januar bis August 1941 fanden die Morde zunächst in der Gaskammer im Keller statt. Die Menschen starben durch Kohlenmonoxid. Die Leichen der Opfer wurden nach der Vergasung in zwei Krematorien eingeäschert. Fast 11.000 Kinder, Frauen und Männer fielen diesen Gasmorden zum Opfer. Höchstwahrscheinlich war auch Wilhelm Zieher unter den Mordopfern. Eine schriftliche Nachfrage bei der Gedenkstätte Hadamar wurde bisher noch nicht beantwortet.

Mordbeschluss durch T4-Gutachter

Den Mordbeschluss an Wilhelm Zieher hatte ein Mann namens Dr. Robert Müller unterschrieben. Dieser Dr. Robert Müller (1886-1945) war seit 4. März 1941 einer der so genannten „T4-Gutachter“. Er entschied über Leben und Tod. T4-Gutachter waren ärztliche Gutachter, die von der zuständigen Berliner Zentraldienststelle T4 berufen worden waren. Diese Ärzte wählten anhand von Meldebögen mit Daten von Kranken und Behinderten aus, wer in den speziell dafür eingerichteten Tötungsanstalten vergast wurde. Eine dieser Tötungsanstalten war im mittelhessischen Hadamar. Dorthin wurde Wilhelm Zieher am 17. Juni 1941 verlegt. Am 30. Juni 1941 war er tot – so steht es im Familienregister des Kressberger Rathauses.

Todesnachricht kam nach Tempelhof

Eine Todesnachricht ist seinerzeit auch in das Männeraltersheim Tempelhof bei Marktlustenau und Waldtann gelangt. Otto Knöll, „Hausvater der Anstalt Tempelhof“, hatte zu Abrechnungszwecken bei den zuständigen Dienststellen nachgefragt und eine entsprechende Antwort erhalten. Der Lehrer Otto Knöll war ab 1936 als „Hausvater der Anstalt Tempelhof tätig“. Die im Tempelhof wohnenden Menschen waren (Zitat Otto Knöll): „nicht heilanstaltsreif“.

Brief an ein Pfarramt bei Weinsberg

Warum wurde Wilhelm Zieher vom Tempelhof nach Weinsberg verlegt? Gesetzliche Grundlage für die Verlegung war ein „Erlass X 1127“ des Württembergischen Innenministers vom 3. März 1941. Nach der Verkündung des Erlasses ging es ganz schnell. Bereits am 12. März 1941 geht ein Brief vom Evangelischen Pfarramt Marktlustenau an das Evangelische Pfarramt in Gellmersbach (damals zuständig für die Heilanstalt Weinsberg). Darin steht unter anderem: „Am kommenden Freitag werden von der Anstalt Tempelhof (Altersheim), deren Vertretung ich zur Zeit habe, drei Männer nach Weinsberg zur Beobachtung verbracht werden. Ihre Namen sind Z., L. und F. (Redaktionelle Anmerkung: Abkürzungen für Zieher, Lackner und Feuchter). Wäre es Ihnen eventuell möglich, bei der Anstaltsleitung darauf hinzuweisen, dass, jedenfalls die beiden letztgenannten, noch wohl in der Lage sind, kleine Arbeiten zu leisten? Vielleicht, dass ihnen das von Nutzen sein könnte.

Wilhelm Zieher wusste von seiner geplanten Verlegung

Es ist einem als Seelsorger ein rechtes Anliegen für diese Leute einzutreten. Einer von ihnen, Z(ieher), teilte mir neulich im Gespräch mit, dass er nach Weinsberg verbracht werden sollte. Ich habe ihm gegenüber natürlich nichts von der möglichen Bedeutung dieser Verbringung geäußert. Aber ich halte es für meine Pflicht, alles zu tun, um ihnen zu helfen. (…) P.S.: Ich füge noch bei – so am letzten Sonntag – dass sich die drei genannten Männer auch am Gottesdienst beteiligten; zum Teil geschah dies sogar regelmäßig. Bei der durchaus nicht selbstverständlichen Sitte des Gottesdienstbesuchs unter den Männern des Altersheims ist mir dies ein Beweis, dass von einem Erlöschen jeglichen selbständigen, geistigen Lebens bei ihnen wohl nicht die Rede sein kann. Diesen Eindruck hatte ich auch bei meinen Gesprächen mit diesen Männern.“ Ende des Zitats aus dem Brief des Evangelischen Pfarramts Marktlustenau vom 12. März 1941.

„Zur Beobachtung auf Arbeitsfähigkeit“

Der Pfarrer von Gellmersbach bei Weinsberg hat das Schreiben aus Marktlustenau am 14. März 1941 an Dr. Eugen Joos, den damaligen Leiter der Heilanstalt Weinsberg weitergeleitet. Joos antwortete noch am gleichen Tag: „Ich habe Ihr Schreiben von heute über die Tempelhofer Patienten zur Kenntnis genommen und werde es so weit wie möglich berücksichtigen. Informationen kann ich Ihnen aus naheliegenden Gründen nicht geben.“
Am 4. April 1941 teilt Joos dem Württembergischen Innenministerium mit, die drei Patienten aus Tempelhof seien „zur Beobachtung auf Arbeitsfähigkeit“ in Weinsberg geblieben. Am 17. Juni 1941 werden sie dennoch nach Hadamar abtransportiert.

Todesnachrichten

1948 sagte Otto Knöll, der ehemalige Leiter der Anstalt Tempelhof, weitere Einzelheiten zur Verlegung von Tempelhof nach Weinsberg aus: „Auf Grund des Erlasses des Württembergischen Innenministers vom 3. März 1941 mussten dann drei Kranke, Feuchter, Lackner und Zieher, nach Weinsberg verlegt werden. Ich wusste nicht, welchen eigentlichen Zweck diese Verlegung hatte. Ich habe über jeden dieser drei Kranken der Heilanstalt Weinsberg einen Bericht gesandt, die Durchschläge derselben befinden sich bei den Akten der Anstalt Tempelhof. (…) Über das Schicksal der drei Pfleglinge erfuhr ich zunächst nichts. Wie die Akten ergeben, sind dann einige Zeit später, auf Grund unserer zum Zwecke der Abrechnung eingeholten Nachfragen, Todesnachrichten eingelangt“, berichtet der ehemalige Tempelhof-Heimleiter weiter. Die Akten zu diesen Fällen waren bei Recherchen im Archiv der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart nicht auffindbar.

Todesort?

Der unleserliche Eintrag des Todesortes von Wilhelm Zieher im Familienregister der heutigen Gemeinde Kressberg bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit „Hadamar“ – die Tötungsanstalt der Nationalsozialisten bei Limburg an der Lahn in Hessen.

Zur Person: Wilhelm Zieher

Wilhelm Zieher ist am 5. Dezember 1881 in Mariäkappel geboren, als jüngstes Kind von Johann Michael Zieher und Margarethe Barbara Zieher, geborene Häfner. Am 7. September 1907 heiratete Wilhelm Zieher in Gaggstatt Babette Göller aus Gaggstatt-Mistlau. Das Ehepaar bewirtschaftete einen kleinen Bauernhof mitten in dem kleinen Dorf an der Jagst. Über Kinder des Ehepaars ist nichts bekannt. Nachdem seine Frau gestorben war, sei er „sehr traurig geworden“, berichtete eine Mistlauer Nachbarin bei einem Interview Mitte der 1990er Jahre. Wilhelm Zieher sei ein stiller, etwas träger Mann gewesen, sind sich einige zwischen 1994 und 1997 befragte Zeitzeugen einig. Er habe keine Kinder gehabt, zu denen er nach dem Tod seiner Frau hätte gehen können. Eine Schwester von ihm habe seinerzeit in Schwäbisch Gmünd gewohnt. Sie soll dort eine Gärtnerei gehabt haben.

Wilhelm Ziehers Land wurde verkauft

Zeitzeugen berichten weiter: Nachdem Wilhelm Zieher nicht mehr in Mistlau lebte, sei sein Eigentum (insgesamt etwa acht Morgen Land – knapp drei Hektar) zunächst an den NS-Staat gegangen. Danach soll Karl Gesell, vermutlich in seinen Funktionen als NS-Zellenleiter, NS-Blockwart und Ortsanwalt von Mistlau, das kleine Zieher-Anwesen verkauft haben. Bereits 1940 bezahlte der Landwirt Hermann Bauer 20 Reichsmark Pachtgeld für Land aus dem Besitz Ziehers. Dies geht aus einer Quittung vom 18. Januar 1941 an „K. Gesell (Pfleger)“ hervor, die Hermann Bauer jahrzehntelang aufgehoben hatte.

Verwendete Quellen:

1.) Zeugenaussage von Otto Knöll: Staatsarchiv Sigmaringen, Signatur Wü 29/3 T1 Nr. 1756/02/01, Voruntersuchung FS 1ff/47.

2.) Buch „Dokumente zur Euthanasie“, Ernst Klee (Hg), S. 185-186; ISBN: 978-3-596-24327-3

3.) Evangelisches Jugend- und Fürsorgeheim Tempelhof/Kreisfürsorgeamt Crailsheim; Staatsarchiv Ludwigsburg, Aktenzeichen StAL, 1/234 Buch 317/1941 Nr. 1226

4.) Stadtarchiv Crailsheim: Opfer der NS-Herrschaft im Oberamt Crailsheim-Gerabronn – D. Opfer rassenbiologischer Verfolgung und Euthanasie-Opfer; 1. Euthanasiefälle

5.) Auskunft des Einwohnermeldeamts Kirchberg an der Jagst am 13. Dezember 2016

6.) Standesamt Gemeinde Kressberg, Familienregister, Auskunft am 2. Januar 2017

7.) Dokumentation „Nationalsozialismus in Kirchberg an der Jagst“, Ralf Garmatter, erschienen im September 1997, nachzulesen im Internet auf der Seite https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=22109

8.) Gedenkstätte Hadamar auf der Internetseite der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 19. April 2020; https://www.hlz.hessen.de/index.php?id=93

9.) T4-Gutachter – Internetseite https://de.wikipedia.org/wiki/T4-Gutachter, abgerufen am 19. April 2020

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„Quarantäne für den Fußball – Geisterspiele sind keine Lösung“ – Stellungnahme der Organisation „Fanszenen Deutschlands“

Die Frage, wann und in welcher Form wieder Profifußball gespielt werden darf, wurde in den vergangenen Tagen und Wochen viel diskutiert. In der nach wie vor teils unübersichtlichen gesellschaftlichen Situation wurden von verschiedenen Akteuren eine Vielzahl ethischer, epidemiologischer und anderer Argumente ins Feld geführt. Im Folgenden möchten wir uns, als bundesweiter Zusammenschluss der Fanszenen und mit Blick auf die DFL-Vollversammlung, zu dem Thema äußern.

Stellungnahme der Fanszenen Deutschland im April 2020

Blanker Hohn

Die Wiederaufnahme des Fußballs, auch in Form von Geisterspielen, ist in der aktuellen Situation nicht vertretbar – schon gar nicht unter dem Deckmantel der gesellschaftlichen Verantwortung. Eine baldige Fortsetzung der Saison wäre blanker Hohn gegenüber dem Rest der Gesellschaft und insbesondere all denjenigen, die sich in der Corona-Krise wirklich gesellschaftsdienlich engagieren. Der Profifußball ist längst krank genug und gehört weiterhin in Quarantäne.

„Keine Lex Bundesliga“

Wir vertreten die klare Position, dass es keine Lex Bundesliga geben darf. Fußball hat in Deutschland eine herausgehobene Bedeutung, systemrelevant ist er jedoch ganz sicher nicht. Beschränkungen, die für vergleichbare Bereiche der Sport- und Unterhaltungsindustrie gelten, müssen auch im Fußball Anwendung finden. In einer Zeit, in der wir alle sehr massive Einschränkungen unserer Grundrechte im Sinne des Gemeinwohls hinnehmen, ist an einen Spielbetrieb der Bundesligen nicht zu denken. Wenn seit Wochen über einen Mangel an Kapazitäten bei CoVid-19-Tests berichtet wird, ist die Idee, Fußballspieler in einer extrem hohen Taktung auf das Virus zu untersuchen, schlicht absurd. Ganz zu schweigen von der Praxis eines Fußballspiels mit Zweikämpfen, eines normalen Trainingsbetriebs in Zeiten von Versammlungsverboten und eines gemeinsamen Verfolgens potenzieller Geisterspiele durch Fans.

Bedenken ernst nehmen

Die Rede von gesellschaftlicher Verantwortung und Pläne für exklusive Testkontingente (über 20.000 Stück) für den Profifußball passen nicht zusammen. Wir verstehen, dass Vereinsfunktionäre durchaus rechtliche Verpflichtungen haben, im Sinne des finanziellen Wohls ihres Vereins zu handeln. In einer Situation jedoch, in der die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft vor enormen Herausforderungen stehen, ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass offenbar sämtliche Bedenken hintenangestellt werden, wenn es darum geht, den Spielbetrieb möglichst lange aufrechtzuerhalten, bzw. erneut zu starten.

Totale Abhängigkeit von Fernsehgeldern

Ganz offensichtlich hat der Profifußball viel tieferliegende Probleme. Ein System, in das in den letzten Jahren Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler Menschen geflossen sind, steht innerhalb eines Monats vor dem Kollaps. Der Erhalt der Strukturen ist vollkommen vom Fluss der Fernsehgelder abhängig, die Vereine existieren nur noch in totaler Abhängigkeit von den Rechteinhabern.

Hauptsache das „Premiumprodukt“

Die Frage, weshalb es trotz aller Millionen keinerlei Nachhaltigkeit im Profifußball zu geben scheint, wie die Strukturen und Vereine in Zukunft robuster und krisensicherer gemacht werden können, wurde zumindest öffentlich noch von keinem Funktionär gestellt. Das einzig kommunizierte Ziel ist ein möglichst schnelles ,,Weiter so!‘‘, das jedoch lediglich einer überschaubaren Zahl an Beteiligten weiterhin überragende Einkünfte garantiert. Das Gerede von zigtausenden Jobs halten wir schlicht in den meisten Fällen für einen Vorwand, weiterhin exorbitante Millioneneinkünfte für wenige extreme Profiteure zu sichern. Dies zeigt sich auch in der absoluten Untätigkeit des DFB, im Hinblick auf den Fußball unterhalb der 2. Bundesliga. Dass Geisterspiele hier viel stärkere Folgen hätten, als in den Ligen der DFL, wird ausgeblendet. Hauptsache das „Premiumprodukt“ kann weiterexistieren. Hier wird der DFB seiner Rolle nicht nur nicht gerecht, er zeigt auch wiederholt, wessen Interessen er vertritt.

Finanzexzesse

Seit Jahren fordern Fans Reformen für eine gerechtere Verteilung der TV-Einnahmen und kritisieren die mangelnde Solidarität zwischen großen und kleinen Vereinen. Wir weisen auf Finanzexzesse, mangelnde Rücklagenbildung und die teils erpresserische Rolle von Spielerberatern hin. Die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen großen Geldgebern haben wir anhand von Beispielen wie 1860 München, Carl Zeiss Jena und anderen immer wieder aufgezeigt.

Strukturen grundlegend verändern

Spätestens jetzt ist es aller höchste Zeit, dass sich Fußballfunktionäre ernsthaft mit diesen Punkten auseinandersetzen. Die jetzige Herausforderung ist auch eine Chance: Die Verbände sollten diese Krise als solche begreifen und die Strukturen des modernen Fußballs grundlegend verändern. Es ist höchste Zeit.

In diesem Zusammenhang fordern wir:

– Der aktuelle Plan der DFL, den Spielbetrieb im Mai in Form von Geisterspielen wieder aufzunehmen, darf nicht umgesetzt werden. Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, ab wann der Ball wieder rollen darf. In einer Situation, in der sich der Fußball auf diese Weise so dermaßen vom Rest der Gesellschaft entkoppeln würde, darf es jedoch nicht passieren.

– Eine sachliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage muss forciert und eine Abkehr vom blinden Retten der TV-Gelder vollzogen werden. Auch ein möglicher Abbruch der Saison darf kein Tabu sein, wenn die gesellschaftlichen Umstände es nicht anders zulassen. In diesem Fall sollten nicht nur Horrorszenarien in Form von drohenden Insolvenzen skizziert werden, sondern Lösungsmöglichkeiten in Form von Förderdarlehen, erweiterten Insolvenzfristen und anderen Kriseninstrumenten, denen sich auch die restliche Wirtschaft stellt, diskutiert werden.

– Eine kommende Lösung muss maximal solidarisch sein. Es darf unter den Vereinen keine Krisengewinner- und -verlierer geben. Die Schere zwischen ,,groß‘‘ und ,,klein‘‘ darf nicht noch weiter auseinandergehen. Ausdrücklich schließen wir damit auch die Vereine der dritten Liga und der Regionalligen mit ein, für die Geisterspiele ohnehin keine Option sind.

– Die Diskussion über grundlegende Reformen, um den Profifußball nachhaltiger und wirtschaftlich krisensicherer zu gestalten, muss jetzt beginnen. Sie darf nicht nur von Fans und Journalisten geführt werden, sondern ist die zentrale Aufgabe der Verantwortlichen der Clubs und Verbände. Strukturen und Vereine müssen auf einen finanziell und ideell sicheren Boden zurückgeholt werden. Dabei muss die 50+1-Regel weiterhin unberührt bleiben.

Die Phase einer von der restlichen Gesellschaft komplett entkoppelten Fußballwelt muss ein Ende haben!

Fanszenen Deutschlands im April 2020

Weitere Informationen und Kontakt:

https://www.ultras-dynamo.de/2020/04/16/quarantaene-fuer-den-fussball-geisterspiele-sind-keine-loesung/

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„Mit Anstand Abstand halten: Solidarisch ist man nicht alleine“ – Absage aller 1. Mai-Kundgebungen des DGB – auch in Schwäbisch Hall

„Solidarisch ist man nicht alleine!“ ist das Motto des 1. Mai 2020 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Auf die aktuelle Situation passt dieses Motto nun leider besser denn je. Der DGB und die Einzelgewerkschaften werden durch die weltweite Ausbreitung des Corona-Virus zu einer historisch einmaligen Entscheidung gezwungen. Schweren Herzens werden bundesweit alle 1. Mai Kundgebungen in diesem Jahr abgesagt. Das gilt auch für die Kundgebung im Hospitalhof in Schwäbisch Hall.

Vom DGB-Bezirk Baden-Württemberg, Büro Schwäbisch Hall

Solidarität heißt in diesem Jahr: Abstand halten

„Auch wenn wir Sozialkontakte auf ein Minimum einschränken müssen, hört das gemeinsame solidarische Handeln gerade für Gewerkschaften nicht auf“, betont Silvia Wagner, Regionssekretärin des DGB Nordwürttemberg.
„Solidarisch ist man nicht alleine“ heißt, an die vielen Kolleginnen und Kollegen zu denken, die zur Zeit Unglaubliches leisten, zum Teil mit hohem Risiko für ihre Gesundheit: In den Krankenhäusern, in der Altenpflege, bei Ver- und Entsorgungsdiensten, im Lebensmittelhandel, in der Lebensmittelproduktion, beim ÖPNV, bei Paketzusteller- und Lieferdiensten und in vielem mehr. „Sie alle verdienen unseren Respekt und unsere Solidarität“, macht Silvia Wagner deutlich. „Ihre Arbeit muss angemessen gewürdigt werden, sie müssen anständige Arbeitsbedingungen haben.“ Die Gewerkschafterin verweist darauf, dass dies genau die Branchen seien, die der Gesellschaft häufig keine ordentliche Bezahlung, keine ordentlichen Arbeitsbedingungen und wenig Anerkennung wert sind.

Forderung: Kurzarbeitergeld auf mindestens 80 Prozent erhöhen

„‘Solidarisch ist man nicht alleine‘ heißt auch, die vielen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, die berechtigte Sorge um ihren Arbeitsplatz haben, von Kurzarbeit betroffen sind und mit nun geringeren Einkommen gleich bleibende Ausgaben wie Miete und laufende Kosten bewältigen müssen“. Das Sozialschutz-Paket der Bundesregierung beinhaltet zwar auch Maßnahmen zur Unterstützung von Beschäftigten, wie geringere Hürden zur Beantragung von Kurzarbeitergeld. „Das reicht jedoch noch nicht“, meint Wagner und führt aus, „bei der Bewältigung der Corona-Pandemie müssen soziale Schieflagen verhindert werden. Daher fordern wir als DGB, dass das Kurzarbeitergeld dringend von derzeit 60 Prozent des letzten Nettoeinkommens (bzw. 67 Prozent mit Kindern) auf mindestens 80 Prozent aufgestockt werden muss.“

Aufschläge zum Kurzarbeitergeld

Die Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte arbeiten intensiv an Lösungen für die Beschäftigten, um Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. In einigen Branchen werden dank Tarifverträgen der Gewerkschaften Aufschläge zum Kurzarbeitergeld gezahlt, wie zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie. Denn gerade jetzt zeigt sich wie richtig und wichtig das gewerkschaftliche Motto ist: „Solidarisch ist man nicht alleine“.

Weiterführende Informationen:

Auf den Webseiten des DGB (www.dgb.de) und den Einzelgewerkschaften finden Beschäftigte Informationen zum Thema „Was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt wissen müssen“.

Weitere Informationen und Kontakt:

Silvia Wagner, Gewerkschaftssekretärin, DGB-Bezirk Baden-Württemberg, Büro Schwäbisch Hall, Schlichtweg 4, 74523 Schwäbisch Hall

Telefon: 0791 9561 4482

Mobil: 0170 8514009

E-Mail: silvia.wagner@dgb.de

Internet:

www.nordwuerttemberg.dgb.de 

www.bw.dgb.de

www.facebook.com/bw.dgb

www.twitter.com/dgb.bw

Mitglied in einer DGB Gewerkschaft werden:

https://www.dgb.de/service/mitglied-werden/index.html

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„Hilfe für Flüchtlinge und Einwohner auf der griechischen Insel Lesbos“ – Solidarität International Schwäbisch Hall sucht Nähmaschinen, Stoffe, Zubehör und Material

Die Ortsgruppe Schwäbisch Hall von Solidarität International e.V. beteiligt sich an einer Sammelaktion für Flüchtlinge und Einwohner auf der griechischen Insel Lesbos. Abgegeben werden können ab sofort Nähmaschinen, Stoffe, Zubehör und Material. Sammelpunkt ist bis 26. April 2020 bei Wilhelm Maier, Hopfengarten 3, 74523 Schwäbisch Hall, Telefon 0791-6681.

Von Solidarität International e.V. Schwäbisch Hall

Transport nach Griechenland

Wilhelm Maier wird die gesammelten Sachen nach Heilbronn fahren, von dort aus gehen sie zur zentralen Sammelstelle und werden dann nach Griechenland transportiert.

Aufruf des Frauenverbands Courage e.V., Gruppe Heilbronn, Achtungstrasse 37, 74072 Heilbronn:

Ein Band der Solidarität über Grenzen hinweg knüpfen!

Soforthilfe für Flüchtlinge und Bewohner der Insel Lesbos/Griechenland!

Auflösung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln der Ägäis!

Eine tödliche Bedrohung

42 000 Geflüchtete, davon 5000 Kinder, sind unter erbärmlichsten Bedingungen in den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln zusammengepfercht, 20 000 allein in Moria auf Lesbos. Ihre Lage spitzt sich täglich zu. Einen wirksamen Schutz gegen das Corona-Virus gibt es nicht – eine tödliche Bedrohung. Die Lager müssen sofort aufgelöst und alle Flüchtlinge in sicheren Orten untergebracht werden.

Einheimische und Flüchtlinge organisieren sich gemeinsam

Ausländische Hilfsorganisationen zogen fast alle ihre HelferInnen ab. Griechische Freiwillige, Bewohner/innen von Lesbos und Flüchtlinge arbeiten zusammen. Sie halten nach Möglichkeit Ordnung im Lager, lehren die Kinder so gut es geht hygienische Maßnahmen einzuhalten, unter diesen Bedingungen fast ein Unding. Sie halten das Leben notdürftig aufrecht. Michalis Aiwaliotis, seit Jahren ehrenamtlicher Helfer im Lager Moria, berichtet von drei Projekten: Nähen von Gesichtsmasken, Organisierung von Tankwagen mit Trinkwasser, Beschaffung von Hygieneartikeln und Lebensmitteln und Seifenproduktion aus Olivenkernen.

Diese Selbstorganisation braucht unsere dringende Unterstützung. Jetzt sofort!

Die Solidaritäts- und Hilfsorganisation „Solidarität International“ hat mit der Selbstorganisation der Flüchtlinge und Bewohnern auf Lesbos „OXI – Lesbos resists Corona“ einen Solidaritätspakt geschlossen. Er enthält die Verpflichtung, sowohl politisch für die sofortige Auflösung der Lager einzutreten, als auch nach Kräften sofortige, konkrete Hilfe zu leisten. Eine Spendensammlung läuft schon seit einigen Tagen gut an, die ersten Beträge sind überwiesen.

Nähprojekt unterstützen

Der Frauenverband Courage unterstützt dieses Projekt aus vollem Herzen!
Das Nähprojekt ist bereits erfolgreich, braucht aber noch viel mehr Nähmaschinen, Stoff und Zubehör.Der Frauenverband Courage hat sich verpflichtet, eine bundesweite Nähmaschinen- und Stoffsammlung zu organisieren. Von Hamburg aus wird der Transport starten, sobald die erste Palette voll ist!

Nähmaschinen aus dem Keller holen

Sicher gibt es bei vielen Menschen noch eine funktionierende Nähmaschine in Kellern, die so eine sinnvolle Verwendung bekommen. Oder Stoff und Nähzubehör (Garn, Gummiband, Schrägband, Scheren, Nähmaschinennadeln usw.).

„Spendet funktionierende Nähmaschinen, Stoffe und Nähzubehör für das Nähen von Gesichtsmasken“

Auch selbst hergestellte Gesichtsmasken sind willkommen. Courage-Frauen werden unter den schwierigen Bedingungen der Ausgangsbeschränkungen an ihren Orten unter Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen dafür sorgen, dass die gespendeten Gegenstände abgegeben werden können oder abgeholt werden. Sie sorgen für ordnungsgemäße Verpackung für den Transport nach Moria. Auch Geldspenden für die Transportkosten oder für Einkäufe vor Ort sind willkommen.

Spenden können direkt überwiesen werden auf folgendes Spendenkonto:

Solidarität International e.V. Frankfurter Volksbank
IBAN: DE86 5019 0000 6100 8005 84, Stichwort „Moria/Lesbos

Weitere Infos auf den folgenden Internetseiten:

www.solidaritaet-international.de

www.fvcourage.de

Meldet euch beim Frauenverband Courage:

Jutta Nimmann, Telefon 0162-9751368

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„Humanitäres Völkerrecht verpflichtet Bundesregierung zur Aufnahme der Flüchtlinge“ – Rechtsanwaltskanzlei stellt Antrag an die Bundesregierung

Im Auftrag der ‚Internationalen Solidaritäts- und Hilfsorganisation Solidarität International e.V. (SI)’ (www.solidaritaet-international.de) und in Kooperation mit der Vereinigung ‚OXI – Lesvos resists Corona’ von Flüchtlingen und griechischen Einwohnern sowie der auf Lesbos tätigen Hilfsorganisation ‚Fenix Humanitarian Legal Aid’ (www.fenixaid.org) beantragte die Rechtsanwaltskanzlei „Meister & Partner“ bei der Bundesregierung, unverzüglich die Flüchtlinge des Camps Moria (Lesbos/Griechenland) aufzunehmen.

Von der Anwaltskanzlei Meister & Partner, Gelsenkirchen

Unmittelbare Notlage

Zur Begründung erklärt Rechtsanwalt Roland Meister, dessen Kanzlei seit 40 Jahren im Asyl-, Migrations- und humanitärem Völkerrecht tätig ist, dass „eine unmittelbare Notlage besteht, weshalb aufgrund des internationalen humanitären Völkerrechts und der deutschen Verfassung unter politischen, moralischen und rechtlichen Gesichtspunkten eine besondere Verpflichtung zur sofortigen Aufnahme der Flüchtlinge und deren gesundheitlichen Versorgung besteht.“

Corona-Katastrophe droht

Auch wenn der Antrag sich konkret auf Moria beziehe, gelte dies für alle, „die sich gegenwärtig unter katastrophalen Bedingungen in Flüchtlingslagern befinden.“ Der Antrag basiert inhaltlich auf einer engen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen und Hilfsorganisationen vor Ort. Moria ist ein idealer Nährboden für das Virus COVID-19. Bei Ausbruch der Corona-Pandemie droht eine tödliche Katastrophe.

Verantwortungslose, zögerliche Haltung der EU und Bundesregierung

Rechtsanwalt Meister weist darauf hin – unter Hinweis auf die zügige Rückführung von 200.000 Deutschen aus dem Ausland und die Einreise von 40.000 Erntehelfern – , dass „die logistischen Möglichkeiten auch bei Beachtung der notwendigen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung in Deutschland im Zusammenhang mit dem Coronavirus ohne Weiteres“ bestehen. Er kritisiert die „verantwortungslose und zögerliche Haltung der EU und Bundesregierung, auch weil bereits über 100 Kommunen ihre Aufnahmebereitschaft erklärt haben.

Deutschland kann mehr Flüchtlinge aufnehmen

Der Koalitionsvertrag geht von nicht mehr als 220.000 Flüchtlingen jährlich aus. Diese Zahl ist bei Weitem nicht erreicht. Die Ankündigung verschiedener EU-Mitgliedstaaten, 1.600 Kinder unter 14 Jahren aufzunehmen, ist angesichts von mehreren zehntausend Hilfesuchenden lächerlich unzureichend. Dies gilt auch für die Ankündigung, jetzt „bis zu“ 50 minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist ein Armutszeugnis einer durch die Bundesregierung zu verantwortenden deutschen Politik. Diese muss bei objektiver Betrachtung auch als eine Kapitulation der Großen Koalition vor rassistischen Kräften wie der AfD angesehen werden. Als Gegenpol hat sich zugleich eine breite Solidarität mit den Flüchtlingen entwickelt.“ Er betont: „Die Aufnahme ist kein Gnadenakt ist, sondern die Bundesregierung ist dazu verpflichtet.“

Humanitäres Visum erteilen

Zur Begründung heißt es im Antrag weiter: Es „drohen den Flüchtlingen … schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Griechenland kann den Flüchtlingsschutz gegenwärtig nicht gewährleisten. Aufgrund des Artikel 25 Abs. 1 Buchstabe a des Visakodex ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, die Einreise der Flüchtlinge zu ermöglichen und ein humanitäres Visum zu erteilen, da eine Ablehnung eine Verletzung von Artikel 4 der EU- Grundrechtecharta (GRC) (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und Artikel 18 GRC (Asylrecht), entsprechender Artikel der deutschen Verfassung sowie völkerrechtlicher Verpflichtungen insbesondere aus der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), aber auch des Haager Minderjährigenschutzabkommens bedeutet.

Apokalyptische Situation in Flüchtlingslagern

Angesichts der gegenwärtigen apokalyptischen Situation im Lager von Moria und weiteren Flüchtlingslagern ist von daher ein Tätigwerden dringend geboten. Wir dürfen Sie von daher auffordern, die notwendigen Schritte zur Aufnahme der Flüchtlinge aus dem Lager Moria unmittelbar zu veranlassen und dies verbindlich zu erklären.“

Aktionen für die sofortige Evakuierung aus Elendslagern

Der Kampf um die sofortige Evakuierung wird europaweit immer vehementer geführt. Das ist richtig und nötig. Wir unterstützen so auch den Aufruf von SI am Tag der Ankunft der 50 (!) Kinder aus griechischen Camps in Deutschland, um 17 Uhr Aktionen für die sofortige Evakuierung aller Flüchtlinge aus den griechischen Elendslagern und für die Auflösung von Flüchtlings-Sammelunterkünften in Deutschland zu veranstalten. Mit weiteren – wo nötig auch gerichtlichen Maßnahmen – werden wir diese Auseinandersetzungen unterstützen und begleiten.

Für Rückfragen steht unsere Kanzlei zur Verfügung. Gegebenenfalls können auch Kontakte in Moria vermittelt werden.

Kontaktdaten:

Kanzlei Meister & Partner; Rechtsanwälte Roland Meister, Frank Stierlin, Frank Jasenski, Peter Weispfenning, Yener Sözen, Peter Klusmann; Industriestraße 31, 45899 Gelsenkirchen

Telefon: 0209 / 35 97 67 0

Fax: 0209 / 35 97 67 9

E-Mail: RAeMeisterpp@t-online.de

Internet:

Rechtsanwälte Meister und Partner: www.anwaelte-meister.de/impressum/

Solidarität International e.V. (SI): www.solidaritaet-international.de

Fenix Humanitarian Legal Aid www.fenixaid.org

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„Das große Wegschweigen“ – Fürstenhaus Hohenlohe-Langenburg in der Zeit des Nationalsozialismus

Zwei Männer suchen einen Raum, in dem sie eine Nazi-Geschichte erzählen können. Nicht irgendeine, sondern eine über Fürst Ernst II. von Hohenlohe-Langenburg, der Hitler für ein Geschenk Gottes hält. Die beiden Männer finden keinen Saal, weil sie keinen kriegen sollen. In Langenburg und anderswo.

Von Josef-Otto Freudenreich, Erstveröffentlichung am 26. Februar 2020 in Kontext:Wochenzeitung, Stuttgart

Wo Joschka Fischers Vater schaffte

Langenburg liegt auf einem Bergrücken, an dessen einem Ende der Fürst lebt und am anderen seine Vorfahren ruhen. Das eine Ende markiert das Schloss, das andere ein Mausoleum auf dem Friedhof. Dazwischen drängt sich das Städtchen mit seinen 1800 Einwohnern, das schön anzuschauen ist, mit seinen Fachwerkhäuschen, den Gasthäusern und den kleinen Geschäften, von denen zwei Großes hervorgebracht haben. In einer Metzgerei hat Joschka Fischers Vater geschafft, und in einem Kaffeehaus sind die Wibele erfunden worden, jenes Kleingebäck, mit dem schon Queen Elisabeth II bei ihrem Besuch 1963 erfreut worden ist.

In der britischen Thronfolge auf Platz 189

Das war kein Zufall, sondern die Folge der engen Verwandtschaft des englischen Königshauses mit den Fürsten von Hohenlohe-Langenburg, die seit Jahrhunderten in dem eingangs erwähnten Schloss wohnen. Heute residiert dort Prinz Philipp Gottfried Alexander, 50, der in der britischen Thronfolge auf Platz 189 rangiert, und deshalb auch zur Hochzeit von Kate und William eingeladen war, zusammen mit Frau Saskia, einer Münchner Investmentbankerin. Häufiger widmet sich der studierte Betriebswirt jedoch bürgerlichen Belangen.  

Auch ein Fürst hat’s schwer, wenn er 476 Fenster hat

In seinem Wald, der zu den größten Deutschlands zählt, pflanzt er gerne Windräder, weil die nicht so anfällig sind wie Holz. In seinem Schloss, das einen eigenen Hundefriedhof unterhält, lädt er zum „Langenburg Forum für Nachhaltigkeit“, gemeinsam mit der Firma des einstigen Vizekanzlers, die „Joschka Fischer & Company“ heißt, und die einstige US-Außenministerin Madeleine Albright, Ministerpräsident Wilfried Kretschmann sowie Prinz Charles (per Video) zu den Gästen zählt. Darüberhinaus sitzt der Fürst noch für die Freien Wähler im Langenburger Gemeinderat, und klagt darüber, wie aufwendig es ist, 476 Fenster, vier Hektar Dach und fünf Hektar Mauern in Schuss zu halten. Das hat er dem Südwestrundfunk verraten.

Fürst Philipp Gottfried Alexander Prinz zu Hohenlohe-Langenburg mit Gattin Saskia. Foto: Gottfried Stoppel
Fürst Philipp Gottfried Alexander Prinz zu Hohenlohe-Langenburg mit Gattin Saskia. Foto: Gottfried Stoppel

Die lange, etwas faktenüberladene Einleitung war jetzt nötig, damit das Folgende besser verstanden werden kann: Vor zwei Jahren machte sich der freie Journalist Ralf Garmatter, 55, daran, die NS-Geschichte derer von Hohenlohe-Langenburg zu erforschen. Der Faschismus in der Region, das ist seit 1995 eines seiner Themen, weil er, im Rahmen seiner Möglichkeiten, verhindern will, dass Deutschland wieder ein antidemokratisches Land wird. Und weil er erklären will, wie es kommen konnte, dass die Nazis von diesen Herrschaften geadelt wurden. Zu all dem betreibt er auch einen Blog. Diesmal kümmerte er sich um Fürst Ernst II. (1863 – 1950), den Urgroßvater des amtierenden Standesherrn Philipp.

Fürst Ernst II. und seine Familie – alle für den Führer

Den Nazis nahe: Fürst Ernst II. von Hohenlohe-Langenburg mit Alexandra Louise Olga Victoria (1878 – 1942). Foto: Eduard Uhlenhuth, Flickr, Gemeinfrei, <a rel=
Den Nazis nahe: Fürst Ernst II. von Hohenlohe-Langenburg mit Alexandra Louise Olga Victoria (1878 – 1942). Foto: Eduard Uhlenhuth, Flickr, Gemeinfrei, Link.

Die gesamte Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter, ein Sohn, war Mitglied in der NSDAP, als Patron der evangelischen Kirchengemeinde sorgte Ernst II. 1936 dafür, dass das „Gebet für den Führer“ in den Gotteshäusern legitimiert wurde. Für ihn war Hitler ein „Geschenk Gottes“ an das deutsche Volk, das sich „nach starken Führern“ sehnt, die Demokratie war des Übels, der Parlamentarismus zum Erbrechen. Als Abgeordneter im Berliner Reichstag konnte er den „Ekel nicht überwinden“, schrieb er 1906 an seinen Vater, wenn Bebel oder Erzberger sprachen.

1936 zum Ehrenbürger ernannt

Die Stadt Langenburg machte ihn 1936 zum Ehrenbürger, erhielt dafür zwei Parzellen Land (rund 600 Quadratmeter) zwischen Schloss und Friedhof, welche fortan „Fürst-Ernst-Platz“ hießen, auf dem die Jugend, so der Namensgeber, sich tummeln und zu „tüchtigen deutschen Menschen“ heranwachsen solle. Was zunächst wie eine Schenkung aussah, notiert Heimatforscher Garmatter, bezahlte die Gemeinde mit 1.500 Reichsmark in bar. Den Ehrentitel gibt es noch immer, den Platz auch. Er ist ein wenig trostlos.

Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“

Nachzulesen ist diese Geschichte in dem Buch „Täter Helfer Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus dem Norden des heutigen Baden-Württemberg“, herausgegeben von Wolfgang Proske, erschienen 2018. Garmatter und Proske hätten gerne daraus gelesen, am liebsten in einem Raum der Stadt, in dem sich ihre Geschichte erzählen ließ. Aber das war ihnen nicht vergönnt. Was folgt gleicht einer Odyssee. 

Die erste Absage kommt von der Stadt Langenburg

Die erste Absage ereilt sie am 2. August 2018. Sie kommt aus dem Langenburger Rathaus. Der „Philosophenkeller“ werde nicht fremdvermietet, meldet die Kulturbeauftragte Doris von Göler, und präzisiert am 21. November 2018: „Das Programm steht.“ In ihrem Portfolio hat sie unter anderem einen Vortrag des Langenburger Stadtrats Axel Dittrich, der über die „glanzvollen Verbindungen“ des Hauses Hohenlohe-Langenburg referiert. Aber sie wünscht viel Erfolg „bei der Suche nach weiteren Präsentationsmöglichkeiten“.

Doch, den Platz gibt es in Langenburg noch. Foto: Joachim E. Röttgers
Doch, den Platz gibt es in Langenburg noch. Foto: Joachim E. Röttgers

Das fürstliche Haus versendet Post auf noblem Büttenpapier, des Inhalts, dass man an einer Zusammenarbeit nicht interessiert sei. Und was die Räumlichkeiten betreffe, so fänden Vorträge „zu historischen Büchern oder ähnlichem“ auf Schloss Langenburg nicht statt. Im Übrigen sei dies durch das Programm seines Hohenlohe Zentralarchivs in Neuenstein abgedeckt, schreibt der Fürst am 16. Oktober 2018, was Garmatter insoweit bezweifelt, als seine Anfragen nach Akteneinsicht jedes Mal abschlägig beschieden wurden. Alles, was jünger ist als 100 Jahre, ist gesperrt.

Geschichtsverein: „Für einen Vortrag ist kein Bedarf“

Kurz und knapp äußert sich der Geschichts- und Kulturverein vor Ort. Man habe das Buch in der Langenburger Stadtbücherei eingestellt, dort könnten sich die Bürger informieren, befindet der Verein am 14. Oktober 2018 – „für einen Vortrag ist kein Bedarf“. Beim Auftritt des Fürstenfans Dittrich ist der Klub als Kooperationspartner dabei.

Das Landesarchiv will den Fürsten nicht verärgern

Deutlich schwerer tut sich das Landesarchiv Baden-Württemberg, dessen Außenstelle auf Schloss Neuenstein das Hohenlohe-Zentralarchiv verwaltet. Immerhin eine staatliche Einrichtung, getragen durch Steuergelder. Er würde sehr gerne Ja sagen, verrät ein Mitarbeiter (Name der Redaktion bekannt) am 29. Oktober 2018, „und würde damit doch den Fürsten tief verärgern“. Er überlege aber, wie er den Autoren trotzdem ein „gutes Podium“ bieten könne. Das Grübeln hält bis heute an.

Verwaltungsgemeinschaft Langenburg-Gerabronn

Garmatter versucht es nun im fünf Kilometer entfernten Gerabronn beim „Historischen Arbeitskreis“. Selbiger wird bei Bürgermeister Christian Mauch vorstellig. Ohne Erfolg. Wenn Langenburg keinen Raum stelle, werde es auch für die Nachbargemeinde schwierig, heißt es, schließlich befinde man sich in der Verwaltungsgemeinschaft Langenburg-Gerabronn. Das sei „sehr bedauerlich“, berichtet der Arbeitskreis am 22. November 2018, aber ihnen seien nun die „Hände gebunden“.

Am anderen Ende des Städtchens: das Mausoleum der Fürstenfamilie. Foto: Joachim E. Röttgers
Am anderen Ende des Städtchens Langenburg: das Mausoleum der Fürstenfamilie. Im Vordergrund der Grabstein von August Wilhelm von Preußen (Im Volksmund „Prinz Auwi“ genannt). Auwi (1887-1949) war der vierte Sohn des Deutschen Kaisers Wilhelm II. aus dem Haus Hohenzollern und ein SA-Führer im Rang eines Obergruppenführers. Er war ein enger Vertrauter von Adolf Hitler. 1949 wurde Auwi in Langenburg begraben. Foto: Joachim E. Röttgers

„Stahlhelmpfarrer“ Borst

Fehlt nur noch die Kirche. Am 19. November 2018 fragt Ralf Garmatter bei der Evangelischen Kirchengemeinde Langenburg an. Ein Vortrag wäre in ihren Kreisen besonders interessant, begründet er, weil ihr früherer Dekan Albert Borst (1892 -1941) nicht nur der Seelsorger der Fürstenfamilie gewesen sei, sondern auch ein strammer Nationalsozialist. Ernst II. saß bei ihm regelmäßig in der Kirchenbank und im Kirchengemeinderat, dessen Aufstellung im „engsten Einvernehmen“ mit der Ortsgruppenleitung der NSDAP erfolgt sei, notierte der „Stahlhelmpfarrer“ Borst 1933.

Absage ohne Begründung

Am 15. April 2019 erreicht Garmatter die Absage. Die Mehrheit des Kirchengemeinderats habe sich dagegen ausgesprochen, der Grund sei aber nicht gewesen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „generell abgelehnt wird“, verkündet das Langenburger Pfarramt. Wie es sich im Besonderen verhält, verrät Marianne Mühlenstedt, die Vorsitzende des Gremiums, nicht.

Die Kirche sagt zuerst zu und erteilt dann Hausverbot

Am 26. November 2019, also nach mehr als einjähriger Suche, scheint es zu gelingen: ein öffentlicher Vortrag über die Nazi-Geschichte des Fürstenhauses Hohenlohe-Langenburg – in Gerabronn. Die dortigen Kirchengemeinden, evangelisch und katholisch, versprechen Ralf Garmatter und Wolfgang Proske eine Bühne zum Thema „Täter Helfer Trittbrettfahrer“. Bis zum 21. November 2019.

An diesem Tag kündigt die Kirche, ein Hausverbot inbegriffen. Mit der Begründung, Autor, Herausgeber sowie der kooperierende Verein „Ohne Rechtsaußen e. V.“ hätten eine Vereinbarung gebrochen, die da lautete: „Es dürfen in keiner schriftlichen/öffentlichen Werbung für die Veranstaltung die vollen Namen von mutmaßlichen ‚Tätern‘ genannt werden“.  Ernst II. auf einem Täter-Plakat? Undenkbar!

„Gewisse Kontinuität“ beim Beschützen von NS-Tätern

Weder Garmatter noch der Vorsitzende des Vereins, David Jäger, können sich an eine solche Absprache erinnern, zumal sie auch völlig irrsinnig wäre. Sie können nur vermuten, dass die Veranstaltung bewusst klein gehalten werden sollte, ein geheimer Klub der Wissenden, die Verhinderung der Aufklärung, die man vorgab zu leisten. Er erkenne eine „gewisse Kontinuität“ seitens der Kirche – beim Beschützen von NS-Tätern, resümiert Jäger.

Hohenloher Tagblatt veröffentlicht Leserbrief nicht

Jetzt hilft nur noch die Presse, mag sich der Journalist Garmatter gedacht haben, als er am 1. Januar 2020 einen Leserbrief an das „Hohenloher Tagblatt“ (HoTa) schickt. Er vermerkt darin, dass kein Kirchenvertreter vor der Absage mit ihnen gesprochen, geschweige denn eine solches Namensnennungsverbot ausgesprochen habe. Einleuchten mag auch ihm nicht, warum bei der Bewerbung des Vortrags dessen Hauptpersonen Ernst II. und Tochter Alexandra, die es immerhin bis zur NS-Kreisfrauenschaftsführerin gebracht hat, nicht erwähnt werden sollten. Von der Absage des Abends erfahren die LeserInnen des HoTa nie etwas, von dem Leserbrief auch nicht. Er erscheint  dort  nicht.  

Das Oberamt Gerabronn war einst Hochburg der Nazis

Warum wird hier soviel geschwiegen, hier in der Region Hohenlohe, die heute für jeden Besucher eine Sonnenblume bereit hält? Verspricht die Tourismuswerbung. Was war früher, als das Oberamt Gerabronn eine Hochburg der Nationalsozialisten war, nirgendwo in Württemberg prozentual soviele Menschen zwischen 1932 und 1934 die NSDAP gewählt haben?

Den NS-Tätern seit Jahren auf der Spur: Wolfgang Proske. Foto: privat
Den NS-Tätern seit Jahren auf der Spur: Wolfgang Proske. Foto: privat

Der Untertanengeist sei hier noch nicht verloren gegangen, sagt Folker Förtsch, der Leiter des Crailsheimer Stadtarchivs. Ihn wundert die Odyssee der Aufklärer nicht, sie deprimiert ihn eher, weil Monarchie und Feudalismus fröhliche Urständ feiern, und kämen sie nur im Gewand des vorauseilenden Gehorsam daher. Förtsch ist forsch. „Niemand will sich offenbar mit dem Fürsten anlegen“, betont der Historiker, die Absagen erfolgten aus „fadenscheinigen Gründen“. Er selbst hatte kein Problem damit, das Duo Garmatter/Proske am 10. September 2018 ins Rathaus einzuladen, um über den früheren Crailsheimer Landrat Werner Ansel, der ein Nazi war, zu sprechen.

Wolfgang Proske ist kein historischer Hasardeur, er hat sich mit seinem mittlerweile zehnbändigen Werk über die NS-Täter bleibende Verdienste erworben. Etwa durch seine Entmystifizierung des „Wüstenfuchses“ Erwin Rommel.

Der Bürgermeister sagt, das Fürstenhaus nehme keinerlei Einfluss

Er kennt die Debatten, sei’s aus Heidenheim, Giengen, Meßkirch oder Donauwörth, das Gar-nicht-wissen-wollen, was gewesen ist, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Er nennt es das „Große Beschweigen“. Aber in dieser Ausschließlichkeit wie in Langenburg? Das hat ihn überrascht. „Niemand wagt sich aus der Deckung“, sagt er, „sie verhalten sich wie Sektenangehörige.“ Allein die Erwähnung des Fürstenhauses im NS-Zusammenhang löse „Panikattacken“ aus.

Das evangelische Pfarramt von Langenburg – das Rathaus spiegelt sich im Fenster. Foto: Joachim E. Röttgers
Das evangelische Pfarramt von Langenburg – das Rathaus spiegelt sich im Fenster. Foto: Joachim E. Röttgers

Nicht bei Wolfgang Class, dem Langenburger Bürgermeister, parteilos. Sein Rathaus liegt gegenüber dem evangelischen Pfarramt, quasi in einem spitzwinkligen Dreieck mit dem Schloss. Gegenüber Kontext möchte er zunächst klarstellen, dass das Fürstenhaus „keinerlei Einfluss“ auf die Stadtverwaltung nimmt. Außer, dass der Fürst als Ratsmitglied die Kommunalpolitik mitgestalte. Im Übrigen könnten „die Herren“, gemeint sind Garmatter und Proske, ihren Vortrag „jederzeit“ in Langenburg halten. Die Gastronomen böten hierzu „geeignete Räumlichkeiten“ an. Er könne sich freilich des Eindrucks nicht erwehren, dass es die Herren bewusst darauf anlegten, einen Keil zwischen Schloss und Stadt zu treiben. Das aber werde, aufgrund der „sehr guten und erfolgreichen Zusammenarbeit“, nicht gelingen. Da ist er sich ganz sicher.

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„Geschlossen aber sichtbar“ – Virtueller Rundgang durch die Ausstellung „“Bruno Seeber 80“ im Sandelschen Museum Kirchberg/Jagst

Zwar ist das Sandelsche Museum in Kirchberg/Jagst zur Zeit geschlossen, aber die Ausstellung „Bruno Seeber 80“ ist als virtueller Rundgang trotzdem für das Publikum sichtbar.

Vom Sandelschen Museum Kirchberg/Jagst

Kunstwerke in der Endlosschleife

Museumsleiter Stefan Fitzlaff hat im Glasvorbau des Eingangs einen digitalen Bildschirm installiert, der Fotos der fertig aufgebauten Ausstellung zeigt. Diese Corona-bedingte Art der Präsentation wird solange bleiben, bis das Museum wieder geöffnet ist und die Besucherinnen und Besucher die Originalen betrachten können. Der virtuelle Rundgang durch die Sonderausstellung dauert etwa sieben Minuten und findet als Endlosschleife zu den eigentlichen Öffnungszeiten des Museums an Sonn- und Feiertagen, von 14 bis 17 Uhr, statt.

Bildschirm im Glasvorbau

Seinerzeit war der Glasvorbau des Museums als Schutz der historischen Eingangstür konzipiert und durchaus umstritten. Nun ermöglicht er den Einsatz moderner Technik und die Museumsleitung freut sich, dass so die Seeber-Ausstellung nach außen gezeigt werden kann.

Weitere Informationen und Kontakt:

www.kirchberg-jagst.de/index.php?id=481&publish[objectId]=344609

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„Sechs ungesühnte Morde“ – 14. April 1945 in Kirchberg an der Jagst

Der Nationalsozialismus hat in Kirchberg/Jagst Spuren des Todes hinterlassen. Sechs Menschen wurden am 14. April 1945 von den Nazis in Kirchberg erschossen. Bei diesen sechs Menschen handelt es sich um die beiden deutschen Einwohner Angela Galczinski (Kirchberg) und Johann Heigl (Eichenau) sowie die vier Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, den Franzosen Ernest Bonne, den Polen Michael Kubicky und die beiden Ukrainer Josef Hepak und Wasyl Petryczka. Keiner dieser Morde ist gesühnt worden. Der Tag der sechs Morde jährt sich am heutigen 14. April 2020 zum 75. Mal.

Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert

Staatsanwaltschaft Ellwangen ermittelte erst 1959

Der Rentner Gustav Roth aus Kirchberg brachte die Erschießungen am 5. April 1946 beim Landespolizeiposten in Kirchberg zur Anzeige. Die Staatsanwaltschaft Ellwangen ermittelte erst 1959 wegen der Erschießung der vier ausländischen Arbeiter. Es hatte nach Roths Angaben zuvor nur eine einzige Untersuchung durch zwei Kriminalbeamte wegen der insgesamt sechs Erschießungen in Kirchberg gegeben. Sie verliefen allerdings ohne Erfolg. Der Fall von Johann Heigl wurde dabei überhaupt nicht untersucht. Roth war der Ansicht, dass die Intensität der Untersuchung „höchstens einem Apfeldiebstahl“ gerecht geworden wäre. Die Motive der Täter blieben weitgehend unklar.

Ein Grab existiert noch in Kirchberg, drei in Crailsheim

Angela Galczinski wurde später auf dem alten Friedhof in Kirchberg begraben. Das Grab existiert heute noch und wird von der Stadt Kirchberg gepflegt. Über die Todesursache steht nichts auf dem Grabstein. Der Pole Michael Kubicky sowie die beiden Ukrainer Josef Hepak und Wasyl Petryczka wurden in den 1950er Jahren auf den Crailsheimer Ehrenfriedhof umgebettet, der Franzose Ernest Bonne auf einen Friedhof in Frankreich.

Nach dem Krieg in Erziehungsheimen

Bis heute sind die damals hingerichteten Menschen nicht rehabilitiert worden. Seit 2003 erinnert ein Mahnmal auf dem Kirchberger Frankenplatz an das sinnlose Morden der Nazis. Die Angehörigen und Kinder der Opfer haben bis heute keine Entschädigung dafür erhalten, dass ihnen durch die Nazis die Mutter, der Vater oder der Ehepartner genommen wurde. Die beiden Kinder von Angela Galczinski, Roswitha Münzentaler und Benno Galczinski, mussten nach dem Krieg lange Zeit in Erziehungsheimen leben. Sie konnten zu ihrem Vater zurück, als dieser aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen war. Einige Jahre lang wohnte die Familie Galczinski in einem Haus in Kirchberg-Hornberg (im Tal). Die Kinder besuchten die Volksschule in Kirchberg. Zur Berufsausbildung verließen sie ihre Heimatstadt Kirchberg. Roswitha Münzentaler lebte später in Remscheid, ihr Bruder Benno Galczinski in Duisburg.

Ein Link zur ausführlichen Dokumentation „Nationalsozialismus in Kirchberg an der Jagst“ ist auf folgender Internetseite zu finden:

www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=22109

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„Stadtgeschichte: Vor 75 Jahren wurde Crailsheim fast vollständig zerstört“ – Informationen des Crailsheimer Stadtarchivs

In diesen Tagen jähren sich zum 75. Mal die Ereignisse, die in die Crailsheimer Stadtgeschichte als ihre größte Katastrophe eingegangen sind. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs kam es zu schweren Kämpfen mit großen Zerstörungen. Die Innenstadt war verloren.

Vom Stadtarchiv Crailsheim

„Schlacht um Crailsheim“

Über etwas mehr als zwei Wochen stand die Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges im Zentrum militärischer Kampfhandlungen, der „Schlacht um Crailsheim“, die zur fast kompletten Zerstörung der Innenstadt führten. Nicht nur die historische Altstadt fiel damals in Schutt und Asche, viele Crailsheimerinnen und Crailsheimer verloren ihr Hab und Gut, etwa 350 Menschen, Zivilisten wie Soldaten, starben.

Erschreckende Bilanz

Am Ende von zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft stand eine erschreckende Bilanz: eine Spur der Verwüstung und des Todes durch ganz Europa, Verbrechen ungeheuerlichen Ausmaßes und ein kriegszerstörtes Deutschland, in dem Crailsheim mit zu den am schwersten getroffenen Städten gehörte.

Crailsheim – „ein einziger Trümmerhaufen“

Dieser Tage gedenkt Crailsheim der Geschehnisse kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Das Stadtarchiv zeigt auf eindrückliche Weise, wie es zur katastrophalen Zerstörung Crailsheims im April 1945 kam.

Radiobericht 1950

In einem Beitrag für den Rundfunk Stuttgart im März 1950 berichtete der Crailsheimer Polizeimeister Karl Hörner über einen Einsatz fünf Jahre zuvor in seiner Heimatstadt Crailsheim. Gerade war die Stadt von deutschen Truppen zurückerobert und Hörner „mit der Totenbergung beauftragt“ worden:
„Eine Stange mit einem Fetzen Leinwand diente als weiße Fahne, und so zogen wir durch die Trutenbach-Allee, dem Wachholderberg zu … Die Toten lagen teilweise wie hingemäht. Es waren meist deutsche Soldaten, aus allen Einheiten zusammengesetzt. Junge und ältere Leute. Wir hatten einen Handkarren bei uns. … Wir luden immer zehn bis zwölf Tote auf und fuhren sie zum Alten Friedhof. Dieser Anblick der aufgestapelten Toten auf einem Pritschenwagen wird mir unvergesslich bleiben. Der Abtransport war mit großen Schwierigkeiten verknüpft, da der Weg mit Stolperdraht und Panzerminen versperrt war …, und nur mühselig konnten wir uns einen Weg bahnen. So trugen wir ungefähr drei Offiziere und 140 Mann und 85 Zivilisten weg. Die Leichen waren teilweise verbrannt. Die Kleider der Toten waren wahrscheinlich nach Wertsachen durchwühlt. … Die Leichen waren schon teilweise in Verwesung übergegangen, und mussten wir Kalk besorgen und dieselben bestreuen. Es dürften in den Gräbern des Alten Friedhofs zirka 200 Tote liegen. Tote, auf deren Rückkehr auch heute noch Angehörige warten und deren Namen niemals festgestellt werden können.“

Die Innenstadt war verloren

Die Situation in Crailsheim Mitte April 1945, die Hörner in seinem Bericht schildert, ist für die meisten Bewohner der Stadt heute unvorstellbar. Man kennt Vergleichbares höchstens aus Nachrichtensendungen über aktuelle Kriegsgebiete. Vor 75 Jahren war Crailsheim ein solches Kriegsgebiet, in dem geschossen, getötet und gestorben wurde. Dabei erlitt die Stadt furchtbare Schäden: Auf die Gesamtstadt gerechnet lag der Zerstörungsgrad bei etwa 65 Prozent, im Bereich der Innenstadt, also der Bebauung innerhalb der früheren Stadtmauer, waren 95 Prozent der Gebäude zerstört oder so schwer beschädigt, dass sie nicht mehr bewohnbar waren.

Zerstörung in mehreren Etappen

Wie ist diese Katastrophe zu erklären, vor allem auch im Blick auf Städte der Umgebung, die sehr viel glimpflicher über die letzten Kriegstage kamen?
Die Kriegszerstörung Crailsheims 1945 ereignete sich in mehreren Etappen und ihr Ablauf weist Besonderheiten auf, die Crailsheim von den Nachbarstädten deutlich unterscheidet.
Erste größere Schäden verursachten zwei schwere Luftangriffe am 23. Februar und am 4. April 1945, die sich gegen den Bahnhof und gegen den im Westen der Stadt gelegenen Fliegerhorst richteten. Teile der westlichen Innenstadt inklusive des Rathausturms wurden dabei schwer getroffen. Die beiden Angriffe forderten knapp 100 Menschenleben. Trotz der verursachten Schäden war die Stadt von einer Komplettzerstörung noch weit entfernt, weite Bereiche des Stadtgebietes noch intakt.

Ein zweifelhaftes „Alleinstellungsmerkmal“

Die „Sonderrolle“ Crailsheims begann am 5./6. April 1945, als motorisierte Einheiten der US-Armee die starken deutschen Verteidigungsstellungen an Neckar und Jagst bei Heilbronn umgingen und in schnellem Tempo entlang der heutigen Bundesstraße (B 290) nach Süden vorstießen. Am Spätnachmittag des 6. April erreichten sie Crailsheim und besetzten die Stadt ohne große Kampfhandlungen. Damit hätte der Krieg für die Bewohner der Stadt zu Ende sein können und es wäre – alles in allem – ein glückliches Ende gewesen.

Massive Gegenangriffe von Wehrmacht und SS

Aber der Vorstoß der US-Truppen, dessen eigentliches Ziel die Umfassung der deutschen Stellungen bei Heilbronn war, was die gesamte deutsche Front in Südwestdeutschland bedrohte, rief massive Gegenangriffe von Wehrmacht und SS hervor – und diese richteten sich vor allem gegen Crailsheim. Ab dem 8. April beschoss deutsche Artillerie die Stadt, alle verfügbaren deutschen Truppen, bis hin zu Gebirgsjäger-Einheiten aus dem Alpenraum, wurden in die „Schlacht um Crailsheim“ geworfen. Und es gelang dem deutschen Militär etwas, was ihnen an der Westfront außer in Crailsheim nie gelang: Sie konnten die Stadt, wenn auch unter enormen Verlusten, für zehn Tage, vom 11. bis zum 20. April, von den Amerikanern zurückgewinnen – ein zweifelhaftes „Alleinstellungsmerkmal“ Crailsheims.
Die Stadt wurde in der Folge mit Panzersperren und Maschinengewehr- Stellungen befestigt, die Bevölkerung durch SS und Parteifunktionäre massiv unter Druck gesetzt.

Der 20. April 1945

Aber natürlich war der deutsche „Sieg“ in Crailsheim nur ein kurzes Intermezzo. Die US-Truppen rückten in den folgenden Tagen wieder auf Crailsheim vor – diesmal auf breiter Front – und standen am Abend des 20. April 1945 zum zweiten Mal vor der Stadt. Nach ersten Beschießungen versuchten die Amerikaner die Stadt zur Übergabe zu bewegen, es fand sich jedoch auf Stadtseite kein Verantwortlicher, der die Verhandlungen geführt hätte. Daraufhin erfolgte der massive Beschuss der Stadt, der zu schweren Bränden und großen Zerstörungen führte. Die Crailsheimer Innenstadt war verloren.

Weißes Bettlaken und Hakenkreuzfahne

Eine fast bizarre Szene, die aber vielleicht einen kleinen Einblick in die Gefühlslage der Crailsheimerinnen und Crailsheimer in diesem Moment gibt, berichtet eine der wenigen zu diesem Zeitpunkt noch in der Stadt befindlichen Personen. Herr Kirn, der noch versucht hatte, beim Löschen in der Innenstadt zu helfen, befand sich am Spätnachmittag des 20. April auf dem Heimweg in seine Wohnung am östlichen Stadtrand. In der Schönebürgstraße sieht er zwei Fahnen aus dem Fenster hängen: zum einen ein weißes Bettlaken als Zeichen der Kapitulation, der Hoffnung auf die Beendigung der Kämpfe, zum anderen eine Hakenkreuzfahne! Der 20. April war schließlich auch der Geburtstag Adolf Hitlers.

Kriegsende für manche Crailsheimer auch die Rettung

Auch wenn die Geschehnisse des Kriegsendes im April 1945 von den allermeisten Bewohnern der Stadt als Katastrophe wahrgenommen wurden und mit Erfahrungen von Angst, Zerstörung und des Verlustes von Eigentum oder gar Menschenleben verbunden waren, gab es auch Crailsheimerinnen und Crailsheimer, die den Vormarsch der Alliierten sehnsüchtig erwarteten.

In den Lagern und Gefängnissen der Nationalsozialisten saßen auch Menschen aus Crailsheim, für die das Kriegsende mit der vernichtenden Niederlage Nazi-Deutschlands die Rettung bedeutete:
So wurde die 45-jährige Betty Essinger, geborene Pappenheimer, aus der Wilhelmstraße, Anfang 1945 von der Roten Armee in einem Lager in Lettland befreit, desgleichen die gebürtige Crailsheimerin Lina Kohn (Jagststraße), die Auschwitz überlebte. Mehrere KZ-Lager durchstand Moritz Eichberg, bevor er am 9. Mai 1945 in Theresienstadt befreit wurde und ab 1951 seine Pferde- und Viehhandlung in der Langen Straße betrieb.

Gymnasialprofessors Fritzmartin Ascher

Nach dem Einmarsch der Franzosen am 20. April 1945 endete auch die mehr als zweijährige Haftzeit Eugen Grimmingers im Zuchthaus Ludwigsburg. Er war als Unterstützer der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Und im April 1945 endete schließlich auch die Leidenszeit des Gymnasialprofessors Fritzmartin Ascher, der als jüdischstämmiger Mann das „Dritte Reich“ nur aufgrund seiner Ehe mit einer „Arierin“ überlebte („privilegierte Mischehe“). Unter diskriminierenden Bedingungen hatte er als Straßenkehrer und Totengräber in Mühlacker die NS-Zeit überstanden. Im Mai 1948 wurde er Schulleiter am späteren Albert-Schweitzer-Gymnasium in Crailsheim.

Weitere Informationen und Kontakt:

www.stadtarchiv-crailsheim.de

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