Frontalangriff aus Bayreuth: Der Juraprofessor Oliver Lepsius von der dortigen Universität äußert sich in der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg schärfer als es die Hochschule bislang gewagt hat. Der Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater attestiert dem Minister „Realitätsverlust“.
Gefunden von Axel Wiczorke, Hohenlohe-ungefiltert
„Der Minister leidet unter Realitätsverlust“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Er kompiliert planmäßig und systematisch Plagiate, und er behauptet, nicht zu wissen, was er tut. Hier liegt die politische Dimension des Skandals.“
Und sie tangiert auch Guttenbergs politische Mitstreiter. Die Stellungnahmen hochrangiger Regierungspolitiker, die Guttenberg die Stange halten, ist nach Lepsius‘ Dafürhalten „von Seiten der Wissenschaft nicht hinnehmbar“.
Neben der Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie habe einen Verteidigungsminister und keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, empört ihn die Haltung von Bundesbildungsministerin Annette Schavan. „Wenn sie sagt, es sei egal, ob und wie jemand promoviere, vergrößert das den Skandal“, sagt Lepsius. „Man kann nur entsetzt sein.“
Ein Kommentar, der es auf den Punkt bringt. Zuerst wurde die Uni Bayreuth, dann das gesamte Bildungswesen in Deutschland und zu guter letzt – dank Merkel, Schavan und sonstigen CDU-/CSU-Politikern (unsäglich: CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt) – die Politik demontiert. Ehre, Anstand, Moral, Vertrauen, Redlichkeit: Die „christlichen“ Parteien haben diese Werte aus reinem Machtkalkül auf der Müllhalde der Geschichte entsorgt.
Wenn man diese Geschichte einmal in allen Einzelheiten zu Ende denkt, dann kann man Oliver Lepsius nur recht geben: „Man kann nur entsetzt sein.“
Da klingen die Leitsätze der aktuellen CDU-Wahlkampagne wie Hohn:
„VieIe Chancen auf gute Bildung“
„Zukunft braucht Sicherheit“
„Immer einen Fortschritt voraus“
Im Gegensatz zu Herrn zu Guttenberg habe ich eine wissenschaftliche Arbeit verfasst. Zwar „nur“ eine Diplomarbeit – ist auch schon einige Jahre her – aber es war meine eigene Leistung. Ich kann mich auch noch genau daran erinnern, wie wir mehrfach und deutlich auf die Konsequenzen bei „vergessenen“ Fußnoten hingewiesen wurden. Ein Studienkollege hat die Mahnungen ignoriert und steht heute ohne Diplom da. Von daher ist die Aberkennung des Doktortitels nur die logische Konsequenz.
Aber hätte die Uni Bayreuth das Plagiat nicht als solches bei der Bewertung erkennen müssen? Wenn sowas, das Herr KTG vorgelegt hat, dann auch noch als Bestleistung prämiert wird, dann bleibt auch bei der Uni ein „G’schmäckle“! Könnte es sein, dass Spendengelder einen gewissen Einfluss auf die Note und somit auf das Bestehen der Arbeit hatten? Es wäre eine Untersuchung wert! Denn so wie es jetzt dargestellt wird, kann es nicht gelaufen sein.
Ein schöner Kommentar in der taz: >Ein Held wie wir< "Offenkundig halten es also fast drei Viertel der Befragten nicht für ächtenswert, das geistige Eigentum anderer als eigene Leistung auszugeben und die Öffentlichkeit zu belügen, wenn die Wahrheit bekannt wird. Das sagt viel über Guttenberg und das Niveau der politischen Debatte. Aber es sagt mindestens ebenso viel über die Moralvorstellungen breiter Bevölkerungsschichten. Jede Gesellschaft hat die Helden, die sie verdient. Griechische Heroen waren keine fehlerlosen Vorbilder, sondern überlebensgroße Projektionen jener Menschen, die diese verehrten. Das bedeutet: Wer einen Helden verehrt, ehrt auch sich selbst. Darum geht es auch bei Guttenberg. Der Held darf nicht fallen, denn das würde eine Kränkung des Verehrenden bedeuten. So wie sich Menschen gern etwas verzeihen, was sie ihren Mitbürgern vorwerfen, sehen sie ihrem Heroen nur zu gern Fehlverhalten nach: Er ist ja auch nur ein Mensch." http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/ein-held-wie-wir/
… man sollte vielleicht mal wieder Heinrich Manns „Der Untertan“ lesen.
Nachträge:
1. Guttenbergs Versuch einer Promotion ist peinlich – auch und besonders für den deutschen Wissenschaftsbetrieb. Die Ausflüchte der Uni Bayreuth zur Titelaberkennung beweisen, woran das deutsche Promotionswesen krankt: Stets prüfen jene, die an der Arbeit selbst beteiligt sind. Das muss aufhören.
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,747408,00.html
2. Ein Plagiat ist nur eine komplett abgekupferte Arbeit – stimmt’s?
Ein Plagiat bedingt den Vorsatz – stimmt’s?
Wurden Passagen aus nicht urheberrechtlich geschützten Werken übernommen, liegt kein Plagiat vor – stimmt’s?
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,747956,00.html
3. Harald Martenstein im Tagesspiegel: Die Guttenberg-Affäre ist gar keine Affäre, sondern ein Initiationsritual, das jeder CSU-Politiker absolvieren muss, um der Partei seine Befähigung für höchste Ämter zu beweisen. (Mit schlagenden Beispielen!)
http://www.tagesspiegel.de/meinung/viele-krumme-dinger/3887356.html
http://www.youtube.com/watch?v=q7qY9dW9Fwo&feature=player_embedded#at=189
Herr Guttenberg ist eine Zumutung!!!
zum Weiterlesen:
http://www.jungewelt.de/2011/02-26/016.php?sstr=guttenberg
Nachtrag – da bleibt einem das Lachen im Halse stecken: >“Marienhof“ mit Marschmusik. Die militärische Verabschiedung zu Guttenbergs wurde von der „ARD“ live übertragen. Der Baron bekam Deep Purple und Ulrich Deppendorf setzte neue Maßstäbe<. So titelt die taz. >„Für einen Verteidigungsminister haben wir es noch nicht gemacht“, gab der ARD-Sprecher zu, man hörte ihn durchs Telefon schwitzen.< Man könnte sich totlachen, wenn das alles nicht so traurig wäre. Ich weiß schon, warum ich seit über 10 Jahre nicht mehr fernsehe! http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/marienhof-mit-marschmusik/