Wenige Tage vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat die Redaktion von Hohenlohe-ungefiltert Kandidaten der Wahlkreise Schwäbisch Hall und Hohenlohe befragt. Den jeweiligen Fragenkatalog erhielten alle angefragten Kandidatinnen und Kandidaten am Sonntag, 20. März 2011, per E-Mail an Adressen, die sie auf ihren Internetseiten selbst angegeben haben. Die Fragen am schnellsten beantwortet hat Ute Oettinger-Griese (FDP/Wahlkreis Hohenlohe). Deshalb steht sie bei der Veröffentlichung an erster Stelle. Am viertschnellsten antwortete Nikolaos Sakellariou (SPD/Wahlkreis Schwäbisch Hall).
Von Ralf Garmatter, Hohenlohe-ungefiltert
Hohenlohe-ungefiltert: Die schon seit Jahren andauernden Proteste gegen Stuttgart 21 und auch gegen die Atomenergie zeigen, dass viele Menschen das Vertrauen in die Politik und die Politiker verloren haben. Was können Sie als Landtagsabgeordneter konkret tun, damit die Menschen Vertrauen in die handelnden Personen in Politik und Wirtschaft bekommen?
Nikolaos Sakellariou: Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung und müssen die Hürden für Volksbegehren senken – bisher 1/6 der Wahlberechtigten (Artikel 59 Absatz 2 der Landesverfassung). Ich habe in den letzten beiden Amtsperioden immer für Gespräche und Kritik zur Verfügung gestanden, um Menschen, die das Vertrauen verloren haben, wenigstens anzuhören und zu helfen, wo es ging. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb ich so gerne im Petitionsausschuss des Landtags – als Stellvertretender Vorsitzender – gearbeitet habe. Hier kann ich konkret helfen und befasse mich konkret mit den Auswirkungen der im Landtag beschlossenen Gesetze auf die Menschen. Außerdem müssen wir als Politiker auch zur Kenntnis nehmen, dass unsere Medienlandschaft – und vor allem die privatisierten Fernsehsender – nicht zur Vertrauensbildung beitragen. Erklären dauert oft länger als Kritisieren – und Kritisieren bringt noch die bessere Quote. Medienkompetenz als Schulfach könnte hier für die Zukunft helfen.
Warum halten Sie die Hartz-IV-Gesetze für „keine Böswilligkeit“, sondern eine „Notwendigkeit“?
Die Frage verstehe ich nicht. Wer die Änderungen im SGB II als „Böswilligkeit“ bezeichnet, der muss zunächst wissen, dass er damit der gewählten Mehrheit im Bundestag unterstellt, sie hätten ein Gesetz aus reiner „Böswilligkeit“ beschlossen – ohne jegliche Notwendigkeit. Das ist schon ein sonderbares Verständnis nachdem doch jedem deutlich geworden ist, wie rasant sich die Welt in den vergangenen 15 Jahren geändert hat. Wer glaubt – oder verbreitet, dass vor diesen radikalen Änderungen (Globalisierung/Wiedervereinigung und EU-Erweiterung sowie demographischer Wandel) die Sozialversicherungssysteme unverändert bleiben konnten, wenn sie weiter bezahlbar bleiben sollten, der muss erklären, wie er auf diese Veränderungen reagiert hätte. Im Weiteren müsste diese Person genau sagen, welche Vorschrift er konkret meint. Dann könnte man im Einzelnen darauf eingehen – vor allem im Vergleich zu den bis dahin geltenden Regelungen der Sozialhilfe.
Durch die Zusammenlegung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe wurde beispielsweise positiv erreicht, dass nunmehr auch Arbeitnehmer, die kein Arbeitslosengeld mehr bezogen haben, den vollen Vermittlungsanspruch gegen die Agentur für Arbeit erhalten haben und Zugang zu sämtlichen Förderangeboten erhalten haben, die sie vorher nicht hatten.
Sie pendeln häufig von Schwäbisch Hall nach Stuttgart. Sind Sie der Ansicht, dass der unterirdische Bahnhof Stuttgart 21 gebaut werden soll Welche Vorteile oder Nachteile bringt der Bau des Tunnelbahnhofs für die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises Schwäbisch Hall ?
Die SPD hat sich in einem demokratischen Prozess mit einer Mehrheit von 80 Prozent für das Projekt Stuttgart 21 entschieden. Seit Februar 2010 wird nun gebaut – nachdem wir für die Durchführung eines Volksentscheids im Landtag keine Mehrheit für einen Baustopp bis dahin bekommen haben. Ich respektiere als Demokrat Mehrheitsentscheidungen. Das gilt erst Recht, wenn sie von einem Gremium getroffen wurden, dem ich selbst angehöre. Das gilt aber auch deswegen, weil ich als Demokrat weiß, dass uns die Demokratie nie versprochen hat, dass die Ergebnisse eines demokratischen Prozesses immer richtig sind. Im Gegenteil: Demokratie ist reines Verfahrensrecht, in dem sich die Mehrheit durchsetzt – unabhängig davon, wer die besseren Argumente hat. Deswegen lebt Demokratie von unablässigem Diskurs und dem unablässigen Austausch von Argumenten – immer mit dem Ziel, eine Mehrheit zu bekommen. Diese ist nach der Entscheidung aber auch zu respektieren (Rechtssicherheit).
Sind Sie für einen Bürgerentscheid/Volksentscheid zum Immobilien- und Bahnprojekt Stuttgart 21 ? Meines Wissens ist dafür eine Zweidrittelmehrheit im Landtag erforderlich. Wie sollen diese über 66,6 Prozent der Abgeordnetenstimmen nach der Landtagswahl zusammenkommen?
Die SPD ist für eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 und den damit verbundenen Kosten für den Ausstieg. Ihr Wissen wegen der 2/3 Mehrheit im Landtag ist unrichtig. In der Landesverfassung ist in Artikel 60 Absatz 3 geregelt, dass ein Drittel der Mitglieder des Landtags genügt, wenn die Regierung ein solches Gesetz eingebracht hat und das dann im Landtag keine Mehrheit erhält.
Die Katastrophe in den Atomkraftwerken im japanischen Fukushima erschüttert die Welt. Hat die Atomkraft in Deutschland und insbesondere in Baden-Württemberg noch eine Zukunft, oder sollen die AKWs möglichst schnell abgeschaltet werden? Falls Sie fürs schnelle Abschalten sind: Wie könnte ein realistischer Zeitplan aussehen?
Ich bin für den schnellstmöglichen Ausstieg. Nachdem die schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen und vollzogen hat, sind die Erneuerbaren Energien in Rückstand geraten. Firmen sind untergegangen und Technikvorsprünge verloren worden. Das muss mühsam wieder korrigiert werden. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich deshalb als Nichtfachmann hier keinen konkreten Zeitplan benennen kann. Ich verweise auf die Bücher von Herrmann Scheer, der – würde er noch leben – in einer rot-grünen Landesregierung sicher genau hierfür zuständig gewesen wäre. Aber seine Ideen leben in der SPD fort und werden auch in einer rot-grünen Landesregierung so schnell wie nur irgend möglich umgesetzt werden.
Wie beurteilen Sie das derzeitige Verhalten der Regierungsparteien im Bund (CDU und FDP) – und deren Kurswechsel – beim Thema Kernenergie in Deutschland?
Peinlich.
Ihr Landtagskollege Helmut W. Rüeck aus Crailsheim und die CDU im Land Baden-Württemberg brüsten sich mit dem ihrer Ansicht nach guten Abschneiden der Kinder und Jugendlichen aus Baden-Württemberg bei den Pisa-Tests. Welche Dinge liegen Ihrer Meinung nach beim Thema Bildung im Land im Argen ? Bitte nennen Sie konkrete Beispiele und Begründungen.
Wir haben 1,2 Millionen Stunden Unterrichtsausfall pro Jahr, die bundesweit höchsten Ausgaben der Eltern für Nachhilfe und den bundesweit höchsten Zuwachs an Privatschulen. Im Gegenzug verbietet die Landesregierung alle fortschrittlichen Schulmodelle (60) im Land. Das würden wir ändern. Ganztagsschulen müssten dringend ausgebaut werden und neben dem G-8 müsste ein G-9 Zug – wo gewünscht – angeboten werden dürfen. Skandalös finde ich, dass nicht alle Absolventen der Mittleren Reife einen Platz an einem beruflichen Gymnasium erhalten. Hier wollen wir einen Rechtsanspruch einführen. Was aber wirklich dramatisch ist: Nirgends in Deutschland hängt der Bildungserfolg der Kinder so sehr vom Elternhaus ab, wie in Baden-Württemberg.
Sie sprachen sich in der Vergangenheit für den Ausbau der Autobahn 6 (A 6) aus. Warum halten Sie diesen für notwendig? Wie soll er umgesetzt und bezahlt werden ? Wie könnte ein entsprechender Zeitplan aussehen? Wie soll das Nadelöhr Kochertalbrücke bei einem sechsspurigen Ausbau (zuzüglich Standspur) bewältigt werden?
Der Ausbau der A-6 ist notwendig, weil die Straße überlastet ist und somit ihre Funktion nicht mehr erfüllt. Unstreitig ist die Existenz der A-6 mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Region verknüpft. Zu meinen Schulzeiten im Schwarzwald war von Hohenlohe immer vom „Armenhaus Württemberg“ und von „schwäbisch Sibirien“ die Rede. Das ist jetzt vorbei. Wir haben inzwischen sehr niedrige Arbeitslosenquoten. Das hängt mit der A-6 zusammen und das freut einen Sozialdemokraten und Gewerkschafter. Die Finanzierung des Ausbaus muss aber vom Bund geleistet werden. PPP-Projekte lehne ich ab. Allein um den Druck aufzubauen und um Mittel für die Planung frei zu machen, halte ich derartige Überlegungen für zulässig. Die Kochertalbrücke ist im Übrigen kein „Nadelöhr“. Die Kochertalbrücke ist schon jetzt für den sechsspurigen Ausbau fertig – sagen die Experten. Wäre es nicht so, wäre das ganze Projekt nicht finanzierbar.
Welche Parteien sind für Sie als SPD-Mann mögliche Koalitionspartner bei der Regierungsbildung im Land – welche nicht?
Alle demokratischen Parteien sind mögliche Koalitionspartner. Und die eine Partei, die in der SPD ihren Hauptgegner sieht und überhaupt keine Regierungsbeteiligung wünscht, also die Linkspartei, die kommt nach ihren bisherigen Aussagen schon aus ihrem eigenen Selbstverständnis nicht als Koalitionspartner in Frage.
Sie haben eine Fülle von beruflichen Aufgaben (Landtagsabgeordneter, Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Schwäbisch Hall) und ehrenamtliche Verpflichtungen (unter anderem Stadtrat in Schwäbisch Hall, Mitglied des Kreistags, Kreisvorsitzender der SPD, Landesvorsitzender der Naturfreunde und möglicherweise noch einige andere Ämter mehr…) und eine große Familie (5 Kinder). Wie können Sie bei so vielen Aufgaben den einzelnen Ämtern und auch Ihrer Familie gerecht werden?
Sie haben Recht. Ich habe viele Kinder und viel zu tun. Darin unterscheide ich mich nicht von anderen Familienvätern. Ich bin froh, dass ich im Studium viel Zeit für meine Kinder hatte aber bedauere – wie viele andere Väter auch – nicht häufiger Zeit zu haben. Ich gebe mir Mühe, mir zu anderen Zeiten Zeit zu nehmen. Und was meine Funktionen angeht, wurde ich bisher immer gebeten, diese fortzuführen und nicht, sie aufzugeben. Somit gehe ich davon aus, dass man insoweit nicht den Eindruck hat, dass ich meinen Aufgaben nicht gerecht werde.
sehr schön,mit den bösen Linken auf keinen Fall.
Doch mit der CDU der Macht zu streben, 2 Ministerposten mehr dafür Mappus Ministerpräsident also Wähler sorgt für eine klare Linie.