Eine aktuelle Depesche hat der Stuttgarter Journalist Joe Bauer verfasst. Hohenlohe-ungefiltert veröffentlicht das Schreiben mit dem Titel „NIEMALS WIEDER“ in voller Länge.
Von Joe Bauer, Stuttgart
Verfemt, verstoßen, gemartert, erschlagen
An diesem Wochenende begeht man historische Gedenktage. Die Maueröffnung 1989. Die Pogromnacht 1938. Und da gibt es noch zwei Tage im November, von denen ich heute
berichte. Oft komme ich am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Alten Schloss (Anmerkung: in Stuttgart) vorbei, und es gibt Tage, da kann man die Skulptur schon von Weitem riechen. Ständig wird sie als öffentliche Toilette missbraucht, besonders übel bei Veranstaltungen wie dem Fischmarkt auf dem Karlsplatz. Wenn sich die Pisser zwischen die schwarzen Steinquader stellen, richten sie ihren Strahl auf eine Steintafel mit dem Text des Philosophen Ernst Bloch: „1933 – 1945 / Verfemt Verstoßen / Gemartert / Erschlagen Erhängt Vergast / Millionen Opfer / Der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft / Beschwören Dich: / Niemals wieder!“
Gedenkstätte für Widerstandskämpfer
Damit ich die Geschichte nicht aus den Augen verliere, trage ich ein Foto der Tafel in meinem Taschentelefon mit mir herum. Heute vor 44 Jahren, am 8. November 1970, hat man das Mahnmal auf dem Karlsplatz eingeweiht. Gestaltet hat es der Bildhauer Elmar Daucher (1932 bis 1982), ein früherer Student der Kunstakademie auf dem Weißenhof. 2007 wurde der Stauffenbergplatz vor dem Alten Schloss eröffnet. Heute ist dort die Gedenkstätte für die 1944 von den Nazis 1944 hingerichteten Widerstandskämpfer Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Brüder verbrachten Kindheit und Jugend im Alten Schloss.
Halbherziger Kampf gegen den Rechtsextremismus
Der ehemalige Kommunist und spätere Bosch-Betriebsratsvorsitzende Eugen Eberle hat Anfang der sechziger Jahre das antifaschistische Mahnmal angeregt. Eberle, 1908 in Stuttgart geboren und hier 1996 gestorben, saß von 1948 bis 1984 als parteifreier, hoch geachteter Stadtrat im Rathaus. Den Platz vor dem Schloss für das Mahnmal wählte man nicht zuletzt wegen der Nähe zum Hotel Silber, der ehemaligen Gestapo-Zentrale in der Dorotheenstraße. 68 Jahre mussten nach dem Zweiten Weltkrieg vergehen, ehe man 2013 nach faulen Kompromissen im Rathaus beschloss, wenigstens Teile des Hotels Silber als Lern- und Gedenkort im halbherzigen Kampf gegen den Rechtsextremismus zu gestalten.
„Als alles vorbei war, ging alles weiter“
Nur ein paar Schritte entfernt vom Mahnmal stehen seit 2007 die drei Skulpturen „Maryas“, „Sterbender“, „Hommage à Sonny Liston“ (eine Erinnerung an die amerikanischen Boxer-Legende). Bis heute gibt es kein Hinweisschild auf die Arbeiten des Wiener Bildhauers und
früheren Akademie-Professors Alfred Hrdlicka. Passanten müssen vermuten (oder auf Wikipedia lesen), die Skulpturen hätten einen „Bezug“ zum Stauffenbergplatz. Sie sind zufällig vor dem Schloss, weil sie den Bauarbeiten auf dem Schlossplatz im Weg standen. Immer wenn ich über Geschichte und Gegenwart nachdenke, fällt mir ein Satz des Schriftstellers Jörg Fauser zum Ende des „Dritten Reichs“ ein: „Als alles vorbei war, ging alles weiter.“
Beschämende Begegnung
Wie beschämend die Begegnung mit der Vergangenheit oft ist, erfuhr ich vor 25 Jahren bei der Spurensuche in der Heimat. Heute vor 75 Jahren, am 8. November 1939, scheiterte das Hitler-Attentat des schwäbischen Schreiners Georg Elser aus Königsbronn im Münchner Bürgerbräukeller. Seine in eine Säule eingebaute Zeitbombe explodierte zu spät, weil der „Führer“ wegen des schlechten Flugwetters 13 Minuten früher als geplant den Saal verlassen hatte. Als ich im Herbst 1989, fünfzig Jahre nach dem Attentat, nach Königsbronn auf die Ostalb fuhr, um etwas über den mutigen, damals so gut wie unbekannten Einzelkämpfer zu erfahren, traf ich auf eine Mauer des Schweigens. 44 Jahre nach Elsers Ermordung im KZ Dachau schwiegen ihn die meisten Leute in seiner Heimat tot oder tratschten heimlich über den „Verräter“.
Ein verbitterter Mann
Vorsichtshalber war ich in Begleitung meines 1914 in Königsbronn geborenen Vaters in das Dorf am Brenz-Ursprung gekommen. Er kannte noch einige Leute, und mit seiner Hilfe war es möglich, mit Zeitzeugen zu reden. Damals lebte noch Georgs Bruder Leonhard. Als er meinen Vater erkannte, öffnete er die Tür. Wir trafen einen verbitterten, von den Feindseligkeiten seiner Mitmenschen gezeichneten Mann. Spätestens als ich in Königsbronn den Steinbruch betrat, wo sich Georg Elser den Sprengstoff für die Bombe besorgte, begriff ich, warum es so wichtig ist, Orte der Geschichte zu erleben. Warum die Konfrontation mit historischen Schauplätzen unersetzlich ist angesichts ignoranter Politiker und Dummschwätzer, die mit Nostalgie-Spott die Wahrheit zu verdrängen versuchen. Bis 1999 dauerte es, ehe Stuttgart Elser eine Staffel (an der Gänsheide) widmete. Viele Spuren führen in die Stadt, wo zwei Schwestern Elsers mit ihren Familien wohnten, im Westen und in Zuffenhausen.
Vor den Nazis ins damalige Palästina geflüchtet
Auch heute wohnen Zeitzeugen des Nazi-Terrors in der Stadt. An Sonntag (9. November 2014, um 15 Uhr) erinnerte eine Kundgebung des Bündnisses zum Gedenken an die Pogromnacht in Bad Cannstatt an die Ermordung heimischer Juden. Eine der Reden hielt der in Stuttgart lebende Agrarwissenschaftler und Publizist Theodor Bergmann. Als Jude und Kommunist musste er 1933 vor den Nazis ins damalige Palästina flüchten. Bis heute schreibt er unermüdlich Bücher. Im vergangenen März wurde Theodor Bergmann 98 Jahre alt.