Rein äußerlich gibt es zwar nach wie vor große Unterschiede zwischen Gabriel und Gerhard Schröder. In Inhalt und Stil wird Sigmar Gabriel seinem niedersächsischen Landsmann immer ähnlicher.
Kommentar von Paul Michel aus Schwäbisch Hall
TTIP: Gabriel bewegt sich auf Industrie zu…
Von der Figur her wirkt Gabriel eher wie ein gutmütiger Knuddelbär. Aber er kann offenbar auch ganz anders – und das wohl immer öfters. Nämlich dann, wenn er seinen Kumpeln in der SPD-Spitze den Scheitel gerade zieht und sie auf „Linie“ bringt. Am 20. September 2014 titelte SPIEGEL Online „TTIP-Zoff in der SPD Gabriel haut auf die Pauke“. Zwar gibt es keine Augenzeugen, aber es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie der schwergewichtige Parteivorsitzende sich aufgeführt hat bei dem, was SPIEGEL Online als „Wutausbruch“ umschreibt. Der Grund: Einige aus der SPD-Führung hatten in den Tagen davor zu kritische Stellungnahmen zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA abgegeben. Solche Leute wie SPD-Vize Stegner aus Schleswig-Holstein bekamen von Gabriel die Peitsche und gleichzeitig gab es für die Harmoniebedürftigen in der SPD das Zuckerbrot nach dem Motto „Verlasst Euch auf die Parteiführung, die regelt das schon“. Er war damit sehr erfolgreich: Von 200 Delegierten wagten nur sieben, mit Nein zu stimmen, drei enthielten sich. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete über das Treffen, wohl ganz im Sinne von Gabriel: „SPD-Konvent legt Latte hoch für TTIP-Verhandlungen“.
Konzerngefällige Durchsetzung des TTIP-Abkommens
Knapp einen Monat später sollte auch den Begriffsstutzigsten unter den SPDlerInnen klar geworden sein, dass es Gabriel nicht um das Legen von Latten, sondern um das Wegräumen von Hindernissen für die konzerngefällige Durchsetzung des TTIP-Abkommens geht. Die Stuttgarter Zeitung berichtet am 17. November 2014: „Er wies aber auch darauf hin, dass es nicht möglich sei, die besonderen Schutzklauseln für Investoren ganz aus dem Vertragsentwurf zu streichen…. Früher hatte er die Schutzklauseln noch rundweg abgelehnt.“ Die Stuttgarter Zeitung zieht daraus die richtige Schlussfolgerung: „Damit bewegt sich der Minister auf die deutsche Wirtschaft zu. Die Spitzenverbände der deutschen Industrie, der Arbeitgeber, der Industrie- und Handelskammern und des Handwerks fordern in einer Erklärung von der Bundesregierung, die Klagemöglichkeiten für Firmen vor internationalen Schiedsgerichten auch künftig zuzulassen…“
Vermögenssteuer: Für Gabriel „tot“
TTIP ist nicht das einzige Thema, bei dem Gabriel jetzt offen auf Pro-Industrie-Kurs einschwenkt. Am 8. November 2014 titelte die „Stuttgarter Zeitung“: „Gabriel hält Vermögensteuer für tot.“ Nun ist es wohl nicht so, dass die Vermögenssteuer „tot“ ist. Angesichts der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich in diesem Land, angesichts öffentlicher Armut bei ungehemmter Bereicherung der vermögenden Elite ist die Vermögensteuer aktueller und nötiger denn je. Es ist halt nur so, dass Gabriel sich jetzt auch hochoffiziell von einem Bestandteil des SPD-Wahlprogramms von 2013 verabschiedet, den er nie ernsthaft gewollt hatte, aber dennoch dann und wann mal erwähnte, weil er sich davon Wählerstimmen versprach. Es spricht Bände über den politischen Kurs Gabriels, wenn er es jetzt nicht einmal mehr für erforderlich hält, ein Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit auch nur vorzutäuschen.
Klimawandel: Gabriel als rückwärtsgewandter Kohle-Ajatollah
„Ist doch klar, dass das Ziel nicht zu halten ist,“ soll Sigmar Gabriel laut „SPIEGEL“ in Bezug auf die deutschen Klimaziele gesagt haben. Nun hat zwar ein Sprecher des Vizekanzlers diese Aussage dementiert. Glaubhaft ist das aber nicht. Denn Gabriels Engagement für die großen Energiekonzerne und die von ihnen verfolgte Politik der Kohleverstromung steht offenkundig im Widerspruch zu dem von der Bundessregierung bislang verkündeten Ziel, die CO2 Emissionen bis zum Jahr um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Eine Studie der Nichtregierungsorganisationen Germanwatch und WWF Deutschland zeigt, dass diese Reduzierung ohne Einschnitte bei der Kohle nicht erreichbar ist. Zehn Gigawatt Kraftwerksleistung, etwa 15 bis 20 der deutschen Stein- und Braunkohlewerke, müssten aber mindestens vom Netz, wenn das 40-Prozent-Ziel erreicht werden soll. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer nannte Gabriel einen „rückwärtsgewandten Kohle-Ajatollah“. Der Minister versenke gnadenlos die Klimaschutzziele. „Kohlekraftwerke und die Interessen der Energiekonzerne sind ihm wichtiger als Klimaschutz“, sagte Krischer zu SPIEGEL ONLINE.
Die Umweltministerin Barbara Hendrix hält zwar pro forma noch an dem 40-Prozent-Ziel fest. Im „Manager Magazin“ steht aber zu lesen: Gabriel habe ihr in einem vertraulichen Gespräch signalisiert, dass er weiteren Widerstand gegen seine neue Linie nicht dulden werde. „Das läuft so nicht“, habe der SPD-Chef erklärt. Also auch hier die schlechte alte BASTA-Nummer von Altkanzler Gerhard Schröder.
Mit Gabriel ein Fracking-Ermöglichungsgesetz
Sozusagen frisch aus der Presse noch eine weitere Umweltschweinerei, die aber ins Bild passt: Die Bundesregierung will die Auflagen für die Gasförderung mit der umstrittenen Fracking-Methode offenbar lockern. Nach einem Kompromiss sollten Probebohrungen möglich sein, wenn eine Kommission aus sechs Wissenschaftlern keinerlei Bedenken habe, berichtete der „Spiegel“. Umwelt- und Wirtschaftsministerium hätten einen Gesetzentwurf ausgelotet, mit dem Fracking in begrenztem Umfang erlaubt werden soll. Ein bisher geplantes Verbot für Bohrungen in Tiefen bis zu 3000 Metern solle wegfallen.
In ihrem Wahlprogramm hatte die SPD noch geschrieben: Solange nicht „alle Risiken für Gesundheit und Umwelt“ durch die umstrittene Gasfördertechnik Fracking „ausgeschlossen“ sind, dürfe sie in Deutschland nicht zum Einsatz kommen, hatten die Sozialdemokraten versprochen. Auch dieses Versprechen wird jetzt in die Tonne gekickt. Für die Grünen erklärte Fraktionsvize Oliver Krischer, die Regierung plane ein „Fracking-Ermöglichungsgesetz“. Linken-Energieexperte Hubertus Zdebel warf Schwarz-Rot „Wahlbetrug“ vor.
Merkel und Gabriel sind zum Gruseln
Der Abschied von der wenigen verbliebenen ökologisch und sozial angehauchten Wahlkampfprosa vollzieht sich bei den Sozialdemokraten – und vor allem bei deren gewichtigen Frontman Sigmar Gabriel – in einem atemberaubenden Tempo. Der Mann hat nach längeren taktischen Rumgeeiere offenbar herausgefunden, was er will: In die Fußstapfen von Gerhard Schröder treten. Seit der krachenden Wahlniederlage als Folge von Hartz IV ist die Rolle des „Genossen der Bosse“ bekanntlich unbesetzt. Gabriel schickt sich an, sie mit neuem Leben zu füllen. Die Industrie reibt sich die Hände, die SPD nimmt Kurs auf den nächsten Wahltagsabgrund und wir haben allen Grund, uns vor dem zu gruseln, was uns von der Regierung Merkel/Gabriel zugemutet wird.
Aber das Gruseln könnte zu Wut, und Wut sollte zu Widerstand werden. Gabriel, seine Chefin Merkel und ihre Nutznießer, die Käpitäne der Wirtschaft und Meister des Casinos hätten es sich verdient.