Die Menschen in Griechenland haben mit ihem Votum ein deutliches NEIN zu der von der Troika verordneten und von der ihren griechischen Statthaltern durchgeführten Politik der gnadenlosen Sozialkürzungen und Privatisierungen zum Ausdruck gebracht.
Kommentar von Paul Michel, Schwäbisch Hall
Die Gelassenheit des Pokerspielers
In dem Glauben, dass SYRIZA, angekommen in der Realität des Regierens, die kämpferische Rhetorik des Wahlkampfes ablegen und von nun an handzahm würde, gab man sich in Brüssel und in Berlin zunächst demonstrativ gelassen – wobei man gleichzeitig mantramäßig wiederholte, dass man natürlich keine Zugeständnisse zu machen gedenke.
Ankündigungen umsetzen
Die Stimmung drehte sich aber als man erkennen musste, dass SYRIZA sich anschickte, die Ankündigungen des Wahlkampfs umzusetzen. Bereits zwei Tage nach dem Wahltag kündigte die neue Regierung an, die Privatisierungen, wie die der Elektrizitätsfirma DEI und des Hafens von Piräus, stoppen werde, Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst, wie die der Schulwächter, der Putzfrauen im Finanzministerium werden rückgängig gemacht, der von Samaras geschlossene Sender ERT soll wieder eingerichtet werden. Es sollen arme Familien bei den Strom- und Wohnkosten finanziell unterstützt und der Mindestlohn angehoben werden. Auch das Tarifrecht, das von der Samaras-Regierung ausgehebelt worden war, wurde wieder in Kraft gesetzt.
Feldwebelallüren in Berlin
Als zentraler Konfliktpunkt erweist sich – wie nicht anders zu erwarten war – die Frage eines Schuldenschnitts für Griechenland. Die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der Troika seitens des griechischen Finanzministers Varoufakis wurde von Bürokraten in Brüssel und bei Politikern mit Feldwebelallüren in Berlin und Brüssel zu Recht als Absage an die neoliberale Politik verstanden. Es scheint, als ob die machtversessenen Herren in Berlin und Brüssel es als ausgemachte Frechheit empfinden, wenn Repräsentanten eines Landes, die bisher immer schön unterwürfig den „Ratschlägen“ aus Berlin folgten, nun plötzlich nicht mehr parieren.
Wutgeifern in der zweiten Reihe
Die zweite Reihe der Politik in Deutschland begann nun vor Wut zu schäumen. Der zweitklassige EU-Kommissar Günter Oettinger ereiferte sich: »Die Brüskierung der EU-Institutionen« sei »ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte« und bezeichnet den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras als »frech und unverschämt«. CDU Fraktionschef Kauder, durchaus ein Mann fürs Grobe, inszeniert sich als Sensibelchen. »Der Ton aus Athen gefällt mir auch nicht. So geht man in Europa nicht miteinander um.“
Bundesdeutsche Politiker „kackfrech“
Es ist schon erstaunlich, wie „kackfrech“ bundesdeutsche Politiker auftreten. Denn eine Bestandsaufnahme der von ihnen gegenüber Griechenland forcierten Austeritätspolitik fällt vernichtend aus: Alle von der Troika getroffenen Voraussagen hinsichtlich der positiven Folgewirkungen ihrer Maßnahmen haben sich als völlig falsch erwiesen. Bekanntlich kam es nicht, wie von der Troika verkündet, nach vorübergehenden Einschnitten zu einem Aufschwung der Wirtschaft und der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in Griechenland, sondern zum Gegenteil. Die Volkswirtschaft stürzte immer schlimmer ab und infolge der rabiaten Sparmaßnahmen im sozialen Sektor und bei der Bildung wurden immer größere Teile der Bevölkerung Griechenlands in bittere Armut gestürzt.
Ein Hoch der Scheinheiligkeit
Obwohl sie eigentlich allen Grund hätten, Asche über ihr Haupt zu streuen, verkündet das Spitzenpersonal der politischen Kaste wie Juncker, Dijsselbloem, Gabriel, Schäuble, Merkel bis hin zu zweit- oder drittklassigen Politikern in Berlin unisono: »Wir erwarten, dass die Regierung die versprochenen Verpflichtungen einhält.« Scheinheilig wird so getan, als ob die ungerechten Verträge, die man vor einigen Jahren einer willfährigen griechischen Oligarchenregierung sozusagen mit gezückter Waffe abgepresst hat, Verträge unter gleichberechtigten Partnern gewesen seien und deshalb natürlich auch von der gegenwärtigen griechischen Regierung einzuhalten seien. Die als Begleitmusik der griechischen Regierung abgezwungenen Maßnahmenpakete der sozialen Grausamkeit, die „Memoranden“ wurden damals und werden auch heute ganz im Sinne Orwellscher Propaganda sprachlich zum „Reformkurs“ verklärt. Wohlwissend, dass von den 240 Milliarden Euro der sogenannten „Rettungspakete für Griechenland“ 90 Prozent nur einen logischen Moment auf einem Konto der griechischen Regierung verblieben und dann sofort weiterwanderten auf Konten der Gläubiger und sonstiger Akteure des Finanzsektors, wird nach uns nach wie vor als „Solidarität mit den Griechen“ verkauft, was in Wirklichkeit gigantische Rettungspakete für deutsche und französische Banken waren.
Die Euro-Zone lässt Tsipras auflaufen
Während die zweite Reihe tobt, geben sich Schäuble und Merkel, aber auch Juncker und Draghi betont gelassen und halten sich mit aggressiven öffentlichen Äußerungen zurück. In den Medien gibt es aber Hinweise, dass Merkel und Schäuble hinter den Kulissen extrem geschäftig sind. In der „Stuttgarter Zeitung“ vom 5. Februar 2015 findet sich die lapidare Bemerkung, dass im Vorfeld der Europatour von Tsipras und Varoufakis es zahllose Telefonate zwischen Juncker, Merkel, EZB-Chef Draghi und den anderen Entscheidungsträgern gab, in denen das Verhalten abgestimmt wurde. Ob in Brüssel, Rom oder Paris – der Empfang für Varoufakis und Tsipras war zwar stets freundlich, es wurde mit den Gästen aus Athen gescherzt, ab und zu gab es einen freundlichen Klaps. In der Sache aber gab es keinerlei positive Zusagen für das Anliegen der Griechen. Nachdem auch das Treffen mit EZB-Chef Draghi ohne greifbares Ergebnis geblieben war, hatte das „Handelsblatt“ allen Grund, zufrieden zu sein: „Eurozone lässt Athen auflaufen.“
Draghi zieht die Daumenschrauben weiter an – und spielt mit dem Feuer
Kurz nach dem Gespräch von Draghi mit Varoufakis zog die EZB gegenüber der griechischen Regierung die Daumenschrauben weiter an. Sie kappte die eine Sonderregelung für griechische Staatsanleihen und nahm den Banken des Landes damit eine wichtige Geldquelle. Martin Schulz spricht unverblümt den Zweck der Übung aus: Er droht im „Handelsblatt“ Griechenland offen mit der Staatspleite, sollte die neue Regierung nicht die Knebelverträge der alten Regierung einhalten.
Staatspleite Griechenlands wird in Kauf genommen
Beim Versuch auszutesten, inwieweit die griechische Regierung bereit ist, ihre Forderungen zurückzuschrauben, spielt Draghi va Banque. Das heißt, er nimmt auch eine Staatspleite Griechenlands im Kauf. Draghi spielt hier mit dem Feuer. Denn es ist Beileibe nicht ausgemacht, dass eine Staatspleite Griechenlands und ein “Grexit“ so schön beherrschbar sind, wie das offenbar Planstudien in Schäubles Finanzministerium glauben machen. Der angebliche Feuerlöscher erweist sich als Brandstifter. Wolfgang Münchau von der „Financial Times“ erwartet für den Fall eines „Grexit“ einen massiven Finanzschock, der um ein Mehrfaches größer ist als der, der durch den Kollaps von Lehman Brothers ausgelöst wurde.
Die Sympathie auf die Straße bringen!
Die dominierenden Machteliten verhalten sich so, wie man es erwarten musste. Selbst auf bescheidene Verbesserungen der Lebensbedingungen in Griechenland reagieren sie extrem aggressiv und unter Einsatz der ihnen zur Verfügung stehenden ökonomischen Druckmittel. Die politischen Statthalter des Kapitals können und wollen es nicht zulassen, dass SYRIZA mit einer Linkswende hin zu sozialer Gerechtigkeit und wirklicher, nicht nur formaler Demokratie Erfolg hat. Weil sie fürchten, dass ein Ausbruch des kleinen Griechenland aus dem neoliberalen Zwangsregime Vorbildcharakter haben könnte, wollen sie den Versuch bereits im Ansatz ersticken. In der Situation, wo weite Teile der europäischen Machteliten die Schlinge um den Hals der griechischen Regierung immer enger zu ziehen versuchen, brauchen die griechischen GenossInnen unsere Solidarität wie die Luft zum Atmen. Es wird höchste Zeit, dass die bundesdeutsche Linke, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen den Ernst der Lage erkennen und aktive öffentliche Solidarität mit der neuen griechischen Regierung üben.