Im Landhotel Kirchberg sprach die Europaabgeordnete Heide Rühle (Grüne) vor kurzem bei der Festveranstaltung „25 Jahre Unabhängige Grüne Liste Kirchberg/Jagst“. Hohenlohe-ungefiltert hat mit Heide Rühle in den Tagen danach ein schriftliches Interview zur Europapolitik geführt. Aus Zeitgründen beantwortete Heide Rühle die umfangreichen Fragen nicht auf einmal, sondern in zwei Etappen. Teil 1 dieses Interviews, ist bereits in Hohenlohe-ungefiltert erschienen (www.hohenlohe-ungefiltert.de/wp-admin/post.php?action=edit&post=1542). Teil 2 folgt heute (12. Mai 2009), unter anderem mit Fragen zum Verhältnis der EU zu den Kommunen. Die Fragen stellte Hohenlohe-ungefiltert-Redakteur Ralf Garmatter.
Nach wie vor steht zudem der Vorwurf im Raum, dass Heide Rühle von den Verantwortlichen des Europabüros in Wolpertshausen bei der Wiedereröffnung vor einigen Wochen kurzfristig von der Rednerliste gestrichen worden ist. „Frau MdEP Heide Rühle wurde nicht ausgeladen“, antwortete Thomas Scheu, Sprecher des Europabüros Wolpertshausen, auf Nachfrage von Hohenlohe-ungefiltert. Warum Heide Rühle bei der Festveranstaltung des Europabüros entgegen vorheriger Absprachen trotzdem nicht sprechen durfte, ließ der Europabüro-Verantwortliche aber ebenso unbeantwortet wie die Mitarbeiter der Pressestelle des Landratsamts Schwäbisch Hall, die nach Angaben einer ihrer Mitarbeiterinnen auch für das Europabüro zuständig sind. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit sieht anders aus.
Zum besseren Verständnis des umstrittenen Sachverhalts hier noch einmal die Frage aus dem ersten Teil des Interviews mit Heide Rühle.
Sie sagten, dass Sie vor kurzem von einer Veranstaltung des Europabüros in Wolpertshausen ausgeladen worden seien: Um welche Veranstaltung handelte es sich dabei? Bei welcher Veranstaltung in Wolpertshausen durften Sie entgegen vorheriger Absprachen nicht sprechen?
Heide Rühle: Ich wurde vom Europabüro Wolpertshausen als Gastrednerin für die Festveranstaltung zur Wiedereröffnung des Europabüros eingeladen. Nachdem mit dem Europabüro sowohl der Titel meines Eingangsstatements als auch der organisatorische Ablauf besprochen waren, erhielten wir vom Landrat eine Einladung zur Wiedereröffnung – im beigefügten Programm bin ich im Gegensatz zu meinen Kolleginnen Gräßle (CDU) und Gebhardt (SPD) allerdings von der Rednerliste gestrichen worden. Wir sind weder zu diesem noch zu einem späteren Zeitpunkt informiert worden, dass bzw. geschweige denn, warum ich plötzlich nicht mehr als Gastrednerin vorgesehen war.
Trotzdem habe ich selbstverständlich das bereits geplante Rahmenprogramm mit der Unabhängigen Grünen Liste Kirchberg (UGL) durchgeführt und zusammen mit dem Bundestagskandidaten Harald Ebner (Grüne) verschiedene Gespräche geführt und Projekte in Kirchberg besucht. Am Abend habe ich selbstverständlich am Festakt „25 Jahre UGL Kirchberg“ teilgenommen.
Interview mit Heide Rühle (Teil 2):
Was müssen Ihrer Meinungs nach Kommunalpolitiker vor Ort tun, damit mehr grüne Anliegen in den Kommunalparlamenten angestoßen und durchgesetzt werden? Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten grünen Themen in der Kommunalpolitik?
Heide Rühle: Die Antworten auf die großen Krisen und Herausforderungen, vor denen wir stehen – wie die Finanz- und Klimakrise – müssen zu einem großen Teil in den Kommunen gegeben werden. Verstärkte Investitionen der Kommunen in Energieeffizienz, in Wärmedämmung und in den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs kurbeln die Konjunktur an und leisten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz. Auch der Ausbau des Bildungssystems, der öffentlichen Dienste, des Gesundheits- und Pflegewesens schafft Arbeitsplätze und erhöht die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.
Wie können Mehrheiten in Europa organisiert werden, um die lokale Ebene ausreichend an EU-Entscheidungen zu beteiligen? Welche Folgen hat eine unzureichende Beteiligung der lokalen Ebene an EU-Entscheidungen? In welchen Bereichen wäre dies besonders gefährlich?
Heide Rühle: Zum einen durch den direkten Druck der Bürgerinnen und Bürger, indem sie sich direkt an ihre Abgeordneten in Brüssel wenden. Zum anderen durch Stellungnahmen und Initiativen der kommunalen Spitzenverbände.
Gefährlich wird es immer dann, wenn das kommunale Selbstverwaltungsrecht durch EU-Beschlüsse ausgehöhlt wird. Leider gibt es bisher in den Europäischen Verträgen keine eindeutige Anerkennung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts. Nachdem die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof die Spielräume für die Erbringung der kommunalen Daseinsvorsorge immer restriktiver ausgelegt haben, stehen sich die auf Wettbewerb ausgerichteten Binnenmarktregeln der EU und die Gemeinwohlausrichtung der kommunalen Selbstverwaltung zunehmend entgegen. Daher richten sich auch meine Hoffnungen auf den hoffentlich bald in Kraft tretenden Vertrag von Lissabon, der eine ausdrückliche Achtung der „regionalen und lokalen Selbstverwaltung“ durch die Europäischen Verträge vorsieht. Mit ihm würde auch der inhaltsleere Begriff „Subsidiarität“ zu neuem Leben erweckt und die Kompetenzen zwischen den verschiedenen Ebenen der Europäischen Union (EU – Mitgliedstaat – Region – Kommune) geklärt. Während das Subsidiaritätsprinzip bisher nur auf das Verhältnis zwischen Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten Anwendung fand, würde es nunmehr auch auf das Verhältnis der Union zu den Kommunen angewendet.
Die Welt befindet sich in einer globalen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Sie sagen, dies sei nicht nur eine Folge fehlender Regulierung und des Platzens von Spekulationsblasen. Können Sie konkret erklären, was Sie in diesem Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit der Finanzmärkte meinen?
Heide Rühle: Der menschengemachte Klimawandel zeugt davon, wie unvernünftig wir wirtschaften. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat uns endgültig vor Augen geführt, dass die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft verfasst ist, zu katastrophalen Ergebnissen führt. Deshalb fordern wir GRÜNEN einen „Green New Deal“. Das bedeutet für uns, dass Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Wir wollen eine soziale und ökologische Wirtschaftsverfassung.
Das gilt speziell für die Finanzmärkte. Sie müssen international und durch eine Reihe von konkreten Maßnahmen reguliert werden. Bisher gleicht die internationale Regulierung einem Flickenteppich. Europa muss lernen, nicht den nationalen Reflex zu bedienen, sondern wirklich zusammenzuarbeiten. Wir brauchen dringend gemeinsame Lösungen im Kampf gegen die Krise: Mehr Bankenkontrolle, eine europäische Regulierung der Finanzmärkte, mehr Transparenz und Verbraucherschutz in weiten Teilen des Finanzsystems. Die Banken müssen in die Pflicht genommen werden – vor allem aber brauchen wir ein Wirtschaftsmodell, das Nachhaltigkeit betont, anstatt nur kurzfristige Profitinteressen zu bedienen.
Warum stehen so viele Menschen dem Projekt Europa skeptisch oder gleichgültig gegenüber? Abzulesen ist die Gleichgültigkeit immer wieder an der niedrigen Wahlbeteiligung. Diese wäre in Baden-Württemberg sicher noch geringer, wenn die Europawahl terminlich nicht mit den Kommunalwahlen zusammengelegt wäre.
Heide Rühle: Viele europapolitischen Debatten werden durch die nationale Brille betrachtet. Das hat durchaus seine Gründe, beispielsweise müssen Richtlinien erst in nationales Recht umgesetzt werden. Dafür ist dann eine Entscheidung eines nationalen Parlaments nötig. Die Umsetzung von populären EU-Entscheidungen schreiben sich dann die Politiker der nationalen Parlamente als Erfolg zu, bei Misserfolgen ist die EU schuld. Dass EU-Themen in den Medien nicht die Beachtung finden, die sie verdienen, ist eine Klage, die oft aus EU-Kreisen zu hören ist. Viele Menschen wissen erschreckend wenig über die Kompetenzen des Europäischen Parlaments, das untermauern Daten aus einer Eurobarometer-Umfrage vom letzten Jahr.
Haben Sie Verständnis dafür, dass die Iren den Lissabon-Vertrag in einer Volksabstimmung abgelehnt haben? Wie geht das mit dem Lissabon-Vertrag jetzt weiter? Welche zentralen Vorteile hätten die Menschen in Europa, wenn der Lissabon-Vertrag umgesetzt werden würde?
Heide Rühle: Volksabstimmungen über Europäische Verträge finden in nationalen Grenzen statt. Und so geraten die Debatten oftmals in den Sog nationaler Interessen. Das Verhalten bei den Abstimmungen spiegelt demnach nicht immer eine Entscheidung über die Sache wider, sondern ist eben auch Ventil für nationale Befindlichkeiten.
Doch der Vertrag ist wichtig: Er soll den Vertrag von Nizza ablösen und die EU der 27 Staaten demokratischer und effizienter machen. Er bringt vor allem mehr Demokratie. Die Bürger können direkten Einfluss auf Europa ausüben. Mit einer Million Stimmen kann ein Bürgerbegehren losgetreten werden, das die EU verpflichtet, sich mit dem jeweiligen Thema zu befassen. Außerdem bringt es den Bürgern mehr Demokratie, weil das Parlament mehr Mitentscheidungsrechte bekommt. Das Eeuropaparlament (EP) könnte demnach in annähernd allen Gesetzesvorhaben (90 Prozent) mitentscheiden. Das hieße konkret, dass die Abgeordneten an den Richtlinien und Verordnungen mitschreiben, sie ändern und auch ablehnen können (beispielsweise im Agrarbereich). Außerdem würde er mehr Transparenz bringen. Mit dem Vertrag von Lissabon müssen auch die nationalen Regierungen endlich Farbe bekennen. Die Sitzungen der Ministerräte finden dann nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt und das jeweilige Stimmverhalten wird endlich transparenter.